Schröder und die »basic instincts«

Falls es in diesem Land noch eine Antifa-Bewegung jenseits von Folklore geben sollte, müßte sie sich jetzt auf die Bekämpfung eines Sozialdemokraten konzentrieren: Stoppt Schröder! Ähnlich wie Franz Josef Strauß bei seiner Kanzlerkandidatur 1980 hat auch der SPD-Favorit für 1998 die Lufthoheit über den Stammtischen erobert. Ungeniert - "selbst wenn mich manche für reaktionär halten" - klaut Schröder den Republikanern ihr Wahlprogramm: Schnellabschiebung von Ausländern, Feuer frei für die Polizei, Schluß mit der Therapie für Sexualstraftäter; schon länger zieht er als Anti-Euro-Demagoge ("Endlich hat die Sozialdemokratie wieder ein nationales Thema") und Lautsprecher der Atom- und Rüstungsindustrie durch die Lande. Die besondere Gefährlichkeit von Schröder ergibt sich, ähnlich wie bei Strauß, aus seinem bulligen Sex-Appeal, der die basic instincts der sado-masochistischen Charaktere anspricht, also der Mehrheit der Bevölkerung: Die Unterwerfung unter seine Macht ermöglicht die Projektion der eigenen unterdrückten Wünsche auf Randgruppen, deren kollektive Abstrafung zusätzliche Lust verschafft.

Zu erwarten ist freilich, daß der Niedersachse von links nicht bekämpft, sondern beklatscht oder zumindest akzeptiert wird. In der SPD ist nicht seine Programmatik, sondern allenfalls seine Diktion umstritten: Der Hamburger Spitzenkandidat Voscherau gibt den Bonsai-Schröder, Scharping kuscht, Lafontaine schweigt, und Frau Nahles

- die einzige, die deutliche Worte findet - bekommt vom Parteivorstand einen Maulkorb. Bei den Grünen protestiert Trittin entsetzt - dabei darf er als Erfinder der vermeintlich cleveren Strategie gelten, nur mit Schröder könne Rot-Grün siegen, da nur der in der Mitte genügend Wähler hinzugewinnen könne -, und wird prompt von der taz abgemeiert: "Grünes Gestammel" lautet die Headline für den neuen Kurs, und im Leitartikel wird die Frage ventiliert, wie "das Asylrecht für politische, aber nicht für Armutsflüchtlinge bereitzuhalten" sei. So wirkt Schröder als Katalysator einer neuen Lagerbildung: Nachdem sich die Realos gegen die Fundis zu Tode gesiegt haben, geraten sie selbst unter den Druck der Volkstümler.

Zum ABC des hilflosen Antifaschismus gehört, daß der linke Hauptstoß sich nicht gegen die Sozialdemokraten richten dürfe - damit habe bekanntlich die Weimarer KPD den Nazis zur Macht verholfen. Doch das ist nur für die Zeit nach 1929 in Deutschland richtig, keineswegs generell - das Beispiel Mussolini zeigt, daß eine faschistische Bewegung durchaus aus einem Flügel der Sozialdemokratie entstehen kann. Unabhängig von historischen Parallelen gilt jedenfalls: Solange die hiesigen Nazis zu zerstritten für einen neuen Schönhuber sind, ist Schröder der Führer, hinter dem sich das Gesindel sammelt.