Imprint - Abdruck aus Jan-Niklas Jäger: »Factually«

A Message for the Fans

Gegenkultur im Massenmarkt: Jan-Niklas Jäger beschreibt die Popstrategien der Pet Shop Boys anhand ihrer Verballhornung der sozialkritischen Songs von Bono und seiner Band U2.

Do you have a message for your fans?«, fragt Neil Tennant Chris Lowe während eines Songs und hält diesem ein Mikrophon ins Gesicht. Es ist ein Konzert der »Performance«-Tour und die Pet Shop Boys porträtieren gerade die Pop- und Rockstars, von denen der Song handelt, die Superstars, die Mitte der achtziger Jahre begannen, von ihrer selbstlosen humanitären Arbeit zu erzählen und an Benefizsingles und -konzerten mitzuwirken. Lowe schüttelt den Kopf, denn zu sagen hat er, der Wohltäter im Rampen­licht, eigentlich nichts. Zwei Tage später an der Rezeption eines Hotels in Los Angeles. Neil Tennant betritt den Raum, Chris Lowe steht bereits dort. »Hast du gestern Living Colour auf MTV gesehen?«, fragt Lowe den Sänger. »Sie haben darüber geredet, dass die Message genauso wichtig sei wie die Musik.« »Was ist denn die Message?«, fragt Tennant. »Das«, grinst Lowe, »haben sie natürlich nicht gesagt.«

Bei dem Song handelt es sich um »How Can You Expect to Be Taken Seriously?«, eine Nummer, die Tennants und Lowes Probleme mit den Pop-Aktivisten der Achtziger in Songform gießt. Jede Strophe beginnt mit einem der verschiedenen Lebensräume dieser Gattung: »Upon a stage«, »Within the law« und natürlich »Within the headlines«, Letzteres »so everyo­ne can see/you’re supporting every new cause and meeting royalty«. »Tell me, baby, how you really hate publicity«, ätzt Tennant mit Hinblick auf diese inszenierte Bescheidenheit. Für den Text gab es erklärtermaßen mehrere Vorbilder, veröffentlicht wurde er 1990 auf dem Album »Behaviour« und im darauffolgenden Jahr in einer neuen Version (die Falcos »Rock Me Amadeus« zitiert) als Teil einer Doppel-Single, gekoppelt mit einem Cover von »Where the Streets Have No Name«, einem der großen Hits von U2. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Die Veröffentlichungen von »West End Girls« und »Suburbia« fallen in ein Zeitalter, in dem kontemporärer Massen-Pop sich politisches Engagement wieder auf die Fahne geschrieben hatte. In der Zeit zwischen den beiden »West End Girls«-Versionen riefen Bob Geldof von den Boomtown Rats und Midge Ure von Ultravox das Allstar-Benefizprojekt Band Aid ins Leben. Das erklärte Ziel: im Dezember 1984 mit der Single »Do They Know It’s Christmas?« und am 13. Juli 1985 mit den gleichzeitig stattfindenden Live-Aid-Konzerten im Londoner Wembley Stadion und dem JFK-Stadion in Philadelphia Geld zur Bekämpfung der Hungersnot in Äthiopien zu sammeln. Für Neil Tennant markierte Live Aid das Ende einer »Goldenen Ära des britischen Pop«, die auf den Trümmern des Punk gewachsen war und in der, so Tennant, »junge, intelligente Popstars die Lektionen und Ideen von Punk verinnerlicht und mit dem Glamour von Pop und Nachtleben verbunden hatten«, ein Konzept, für das Tennant und Lowe ihre Sympathie äußern, wenn sie sich etwa als »die letzten New Romantics« bezeichnen.

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