Die »Academic Grievance Studies« ermöglichen eine geschichtstheoretische Auseinandersetzung mit der Leugnung des Holocaust

Konstruktives Trollen

Die Neuauflage der »Science Wars« durch die Parodistengruppe »Academic Grievance Studies« ist konstruktives Trollen gegen den herrschenden Relativismus in den Geisteswissenschaften.

1996 veröffentlichte der Physiker Alan Sokal einen Text in der Zeitschrift Social Text, in dem er die Quantengravitation als linguistisches und ­soziales Konstrukt deutete. Kurze Zeit nach Veröffentlichung gab Sokal bekannt, bei dem Artikel handle es sich um eine Parodie: Der Nonsens­text, geschrieben im poststrukturalistischen Jargon der Zeit, sollte ent­larven, wie unwissenschaftlich in den akademischen Zeitschriften gearbeitet wird und wie ebenso unwissenschaftlich postmoderne Theoretiker die Wissenschaft missbrauchen. Die sogenannte Sokal-Affäre wurde jahrelang diskutiert und war einer der Höhepunkte der sogenannten »Science Wars« in den USA.

Der als »Grievance Studies Affair« im Oktober 2018 bekanntgewordene Wissenschaftshoax nimmt Anleihen bei Sokal. Ins Auge fassten die Parodisten diesmal ganz präzise die Wissenschaftsfelder der Race, Gender, Fat und Sexuality Studies, auf Twitter etablierte sich der Hashtag »Sokal squared« (»Sokal hoch zwei«) für die Angelegenheit. Anders als Alan ­Sokal haben die Wissenschaftler James A. Lindsay, Peter Boghossian und ­Helen Pluckrose gleich 20 Pseudoartikel bei verschiedenen, durchaus ­angesehenen Journalen eingereicht, immerhin 35 Prozent der Texte wurden entweder bereits publiziert oder für eine kommende Ausgabe ein­geplant.

Nicht wenigen der Artikel ist durchaus eine gewisse Härte zu eigen, die über Sokals eher launiges Geplapper über die Hermeneutik der Quantengravitation hinausgeht. Ein in der ­renommierten feministischen Zeitschrift Affilia lancierter Artikel zum Beispiel enthielt nicht nur leicht modifizierte Passagen aus Adolf Hitlers »Mein Kampf«, sondern trug den Titel von Hitlers Programmschrift bereits im Titel: »Our Struggle is My Struggle: Solidarity Feminism as an Intersectional Reply to Neoliberal and Choice Feminism«. Mag hier die gelungene Täuschung einer schlampig arbeitenden Redaktion noch ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern, so bleibt einem das Lachen bei anderen Einreichungen dann doch im Halse stecken. Für den Artikel »The Progressive Stack: An Intersectional Feminist Approach to Pedagogy« scheint als Vorbild die satirische Schrift »A Modest Proposal« gedient zu haben, in der Jonathan Swift 1729 den Armen empfahl, ihre Kinder als Lebens­mittel zu nutzen, sowie das Milgram-Experiment, in dem gestestet wurde, inwieweit Menschen autoritären Anweisungen auch gegen ihr Gewissen folgen.

In dem Artikel schlägt die von den Autoren erfundene Erziehungswissenschaftlerin Dr. Maria Gonzalez vor, die »privilegiertesten« Schüler oder Studenten am Boden anzuketten und ihre Beiträge konsequent abzukanzeln, um »Reparationen erfahrbar« zu machen. Der Beitrag wurde von Hypatia, einem Journal, dessen Publikationspraxis bereits 2017 Thema einer öffentlichen Auseinandersetzung war, als in einem Text der Begriff »Transracialism« diskutiert wurde, zwar abgelehnt, allerdings nicht aufgrund des unverblümten Sadismus des Vorschlags: Vielmehr hob die Redaktion lobend hervor, dass »spezifische Methoden« angeregt worden seien, mit denen »epistemischer Ungerechtigkeit« im Unterricht begegnet werden könne. Mit Überforderung oder Nachlässigkeit kann so ein Lapsus kaum noch erklärt werden.

Bei dem neu ausgebrochenen ­»Science War« handelt es sich um weit mehr als eine subversive Intervention in einen Methodenstreit. Die neu entflammte Auseinandersetzung um die »Ansichten der Postmoderne« ist 2018 noch stärker politisch aufgeladen, als sie es zur Zeit von Jürgen Habermas’ Rede »Die Moderne – Ein unvollendetes Projekt« anlässlich der Verleihung des Adorno-Preises im Jahre 1980 – allerdings mit anderen Vorzeichen – bereits war, als Habermas die postmodernen Denker, wie zum Beispiel Jacques Derrida, als »Jungkonservative« bezeichnete.

Mit dem positivistischen Pathos der Sachlichkeit, das in dem Statement der Dreierbande anklingt, verbindet man heute eher konservative bis rechte Kulturkrieger vom Schlage eines Ben Shapiro oder Jordan Peterson, die gerne recht unbelastet von Kenntnissen der Materie von den Gefahren eines »postmodernen Kulturmarxismus« raunen, der sich an den amerikanischen Universitäten breitgemacht habe; und man kann davon ausgehen, dass die kürzlich erfolgte Streichung der Gender Studies aus der Liste der zugelassenen Masterstudiengänge durch die Regierung Órban in Ungarn in diesem Milieu auf breite Zustimmung stößt, trotz der dort beliebten Beschwörungen der Meinungsfreiheit. Dementsprechend wurden Lindsay, Boghossian und Pluckrose auch umstandslos der politischen Rechten zugeordnet, etwa von Christine Emba in der ­Washington Post. Dieses dichotome Bild ist allerdings zu einfach, da sich die Autoren der neueren Hoax-Artikel als politisch links beziehungsweise liberal bezeichnen, wie Alan Sokal im Übrigen auch.

Auf einem etwas vergessenen Schlachtfeld der »Science Wars«, nämlich der Geschichtswissenschaft, kreuzten sich die politischen und epistemologischen Konfliktlinien Anfang der neunziger Jahre in etwas anderer Weise. Die Holocaustforscherin Deborah Lipstadt schrieb ein Buch über die Leugnung des Holocausts, das 1994 auf Deutsch erschien und zum Anlass des Rechtsstreits mit dem einschlägig verurteilten Holocaustleugner David Irving wurde. Sie stellte außerdem einen Zusammenhang zwischen der erschütternd unkritischen Rezeption eines in ­diversen Universitätszeitungen publizierten, den Holocaust leugnenden Artikels und einem »intellektuellen Klima, das der akademischen Welt während der beiden vergangenen Jahrzehnte seinen Stempel aufgedrückt hat« her: »Die Holocaust-Leugner«, so Lipstadt, »betreiben ihr ­Gewerbe zu einem Zeitpunkt, da weite Domänen der Geschichtsschreibung anscheinend frei disponibel geworden sind und Angriffe auf die Tradition der Aufklärung in der westlichen ­Hemisphäre zur Tagesordnung gehören.« Ein solches Klima, das sie ­expressis verbis dem Dekonstruktivismus anlastete, sei dazu angetan, ­offenkundigen Fanatismus und antisemitische Propaganda als zwar marginale, aber diskutable »Meinung« zu etablieren.

Vor allem in den USA seien solche Anzeichen zu beobachten gewesen: So wurde Lipstadt wiederholt von Fernseh -und Radioredakteuren gefragt, ob sie nicht öffentlich mit Leugnern des Holocaust debattieren wolle, schließlich hätten die Zuschauer das Recht, »beide Seiten der Geschichte« zu hören. Der Ver­öffentlichung von Lipstadts »Denying the Hololcaust« war 1992 die ­Tagung »Nazism and the ›Final Solution‹« vorausgegangen, die sich mit epistemologischen und ethischen Fragen der Darstellung des Holocaust beschäftigte, und deren Ergebnisse im zum Klassiker avancierten Sammelband »Probing the Limits of Representation« festgehalten wurden. Vorausgegangen war der Tagung eine scharfe Kontroverse zwischen Carlo Ginzburg und Hayden White, einem Vertreter eines stark relati­vistischen Standpunktes bei der Frage von historischer Objektivität und ­einem der maßgeblichen Stichwortgeber für den narrative beziehungsweise linguistic turn in den Geschichtswissenschaften. In seinem Beitrag zum Sammelband rückt Ginzburg White in die Nähe einer faschistisch kompromittierten Theorietradition, die maßgeblich von Giovanni Gentile, einem der einflussreichsten Intellektuellen des italienischen Faschismus, geprägt sei, und die aufgrund ihres voluntaristischen Charakters zudem auch keine Abwehrmöglichkeiten gegen Holocaust-Leugner böte.

Lindsay, Boghossian und Pluckrose schreiben, um die Frivolität eines Diskurses zu denunzieren, der sich auf reine, selbstreferentielle Performance beschränkt.

So ist die Leugnung des Holocaust ein wichtiger Subtext von Science Hoaxes, ein Genre, das keineswegs von Alan Sokal erfunden wurde, ­sondern vielmehr seit der frühen Neuzeit relativ stabile Konventionen aufweist. In beiden Fällen, bei Sokal wie den Leugnern, handelt es sich um eine Nachahmung etablierten Denkens, mit freilich gänzlich ­unterschiedlichen Zielsetzungen. Holocaust-Leugner beschränken sich dabei nie auf einzelne Artikel, sondern installieren ganze Zeitschriften und Institute, um Seriosität zu fingieren. In ihrem Selbstverständnis sind diese Negationisten freilich keine Postmodernen. Methodendiskussionen jedweder Art ­interessieren den naiv-positivistischen »Quellenfetischisten« David ­Irving nicht.

Wollen Holocaust-Leugner ihre Lügen unter dem Deck­mantel von Objektivität und Wahrheitsliebe verschleiern, so schreiben Lindsay, Boghossian und Pluckrose geradezu, um aufzufliegen und auf diesem Weg die Frivolität eines ­Diskurses zu denunzieren, der den Begriff der Wahrheit auch als regu­latives Ideal verabschiedet hat und sich auf reine selbstreferentielle ­Performance beschränkt. Man muss weder ihr Urteil noch ihre wissenschaftstheoretischen Position übernehmen, um den relativen Erfolg ­ihrer Parodien als Krisensymptom und damit als Herausforderung zu verstehen. Der »Grievance Studies«-Hoax ist so gesehen kein ressentimentgeladenes Trollen, sondern spielt eine ähnliche Rolle wie der Kanarienvogel im Bergwerkschacht, dessen Tod die Kumpel vor gefährlichen geruchslosen Gasen unter Tage warnt – um eine Metapher aufzugreifen, die auch Deborah Lipstadt benutzt.