Über Gasfunde und die israelische Energiepolitik

Leviathan unter dem Mittelmeer

Bislang war Israel auf Energieimporte angewiesen – eine potentiell gefährliche Abhängigkeit. Nun wurde entdeckt, dass die Erdgaslagerstätten vor der Küste ergiebiger sind als bisher angenommen.

»Wer sucht, der findet«, kommentierte Gideon Tadmor, Manager der israelischen Firma Avner Exploration, die jüngste Entdeckung. Mitte Juli bestätigte eine Untersuchung, dass das Karish-Feld vor der israelischen Küste wesentlich mehr Erdgas enthält als zuvor vermutet. Andere Fundstätten werden bereits genutzt.
So sprach der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am 30. März von einem historischen Tag. Pipelines lieferten zum ersten Mal Erdgas aus dem Unterwasserfeld Tamar von einer Bohrinsel 80 Kilometer vor der Küste an einen Terminal am Hafen von Ashdod. »Das ist der Tag der Energieunabhängigkeit für Israel«, sagte Energie- und Wasserminister Silvan Shalom. Den seismischen Daten des US Geological Survey aus dem Jahr 2010 zufolge könnten im Levante-Becken, das sich im maritimen Territorium Israels, des Libanon, Zyperns, Syriens und des Gaza-Streifens befindet, 3 450 Milliarden Kubikmeter Erdgas und 1,7 Milliarden Barrel Öl liegen. Zum Vergleich: Saudi-Arabien verfügt über Reserven von 264,6 Milliarden Barrel an Öl und 7 807 Milliarden Kubikmeter an Erdgas.
Die Daten über die israelischen Vorkommen müssen allerdings erst durch Bohrungen bestätigt werden. Dass es bedeutende Funde gibt, ist jedoch sicher. Die in Texas ansässige Energiefirma Noble Energy stieß bei Bohrungen auf die Felder Leviathan und Tamar, die 535 Milliarden und 282 Milliarden Kubikmeter Erdgas enthalten, sowie auf weitere kleinere Felder. Die Funde können Israels Energiebedarf über Jahrzehnte decken und überdies Milliardenerlöse im Export bringen.

Es gibt unter Israelis den Witz, dass Moses auf der Flucht vor dem ägyptischen Pharao offenbar Gottes Wegbeschreibung falsch verstanden, die Israeliten daher zum einzigen Flecken Erde im Nahen Osten ohne natürliche Ressourcen geführt und das Öl den Arabern überlassen habe – eine unerfreuliche Situation, da die ölreichen Nachbarn meist feindlich gesinnt sind. Die Israelis mussten sich daher auf Kompromisse einlassen, um ihre Engieversorgung sicherzustellen.
Im Jahr 2005 schloss das israelisch-ägyptische Konsortium East Mediterranean Gas einen 20-Jahres-Vertrag, der die Lieferung von 1,7 Milliarden Kubikmetern Erdgas von Feldern der nördlichen Sinai-Halbinsel an Israel vorsah und überdies durch wirtschaftliche Kooperation die israelisch-ägyptischen Beziehungen verbessern sollte. Im Jahre 2010 deckte die Unterwasserpipeline Arish-Ashkelon 40 Prozent der israelischen Energie­gewinnung aus Gas, die zu diesem Zeitpunkt 40 bis 45 Prozent der gesamten Energieerzeugung ausmachte. Doch nach dem Sturz Hosni Mubaraks 2011 wurden Pipelines auf der Sinai-Halbinsel 14 Mal angegriffen. Der Norden und Osten der Sinai-Wüste wurden zu einer rechtsfreien Zone, in einigen Gebieten übernahmen Kriminelle und internationale Jihadisten faktisch die Macht. Menschen-, Waffen und Drogenhandel florierten, Terroristen haben Israels Grenzgebiete verstärkt angriffen. Die ägyptische Muslimbruderschaft und andere islamistische Gruppen führten eine Kampagne gegen den Energievertrag, die zu dessen einseitiger Kündigung durch die staatliche Egyptian Natural Gas Holding Company führte.

Ob die Entmachtung der Muslimbrüder zu einem Umdenken führt und die Kontrolle über die Sinai-Halbinsel zurückgewonnen wird, ist fraglich. Sicher wird ein Import aus Ägypten in absehbarer Zeit wohl nicht sein – bislang ein energiepolitisches Problem für Israel, dessen Erdgasverbrauch im vorigen Jahr sieben Milliarden Kubikmeter betrug, Prognosen zufolge aber auf 15,5 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2030 steigen wird. Doch mit den Funden von Erdgas und Öl im Levante-Becken wendete sich das Blatt.
Daniel Yergin, einer der weltweit renommiertesten Energieexperten, betont in seinem 2011 erschienenen Buch »The Quest – Energy, Security and the Remaking of the Modern World« die enorme Bedeutung, die eine stabile Energieversorgung für die Wirtschaftskraft hat. Die Sicherung von Transportwegen und kritischer Infrastruktur hat daher zentrale strategische Bedeutung: »Energiesicherheit ist nicht nur eine Frage der Bekämpfung einer Vielzahl an Bedrohungen; es geht auch um die Beziehungen der Nationen zueinander, deren Interaktionen und darum, wie Energie die nationale Sicherheit beeinflusst.« Die Gasvorkommen im Levante-Becken erweitern einerseits Israels Handlungsspielraum, verändern aber auch dessen strategische Lage und stellen die nationale Verteidigung vor neue Herausforderungen.
Israelische Firmen könnten in den derzeit florierenden Markt für Flüssiggas einsteigen, das über den Seeweg an die asiatischen Staaten oder durch Pipelines an Europa, die Türkei und Jordanien geliefert werden kann. Skeptiker weisen allerdings darauf hin, dass Bohrinseln und Plattformen Ziele für Terroristen sein und die Kosten für deren Verteidigung ihren Nutzen übersteigen könnten. Die Sicherheitslage ist – vorsichtig gesprochen – fragil: Das iranische Regime will Israel schaden, wo es nur geht, die Hamas im Gaza-Streifen und die Hizbollah im Libanon haben Raketen, die die Plattformen erreichen können, mit dem Libanon gibt es Streitigkeiten um die maritimen Grenzen, die Türkei sieht sich als regionale Großmacht, die ihre Interessen rücksichtslos gegen Israel und Zypern durchsetzen darf, und Russland hat ein strategisches Interesse daran, die Konkurrenz zu den eigenen Lieferungen nach Europa möglichst gering zu halten. Hinzu kommt der Bürgerkrieg in Syrien, der Israel vor allem im Hinblick auf den Verbleib der immensen Waffen­arsenale des Regimes Sorgen bereitet, und die auch nach dem Sturz der Muslimbruderschaft unsichere Lage in Ägypten.
Deshalb wurden die Grundsteine einer Allianz mit Griechenland und Zypern gelegt. Zypern steht nach der Annahme des »Rettungspakets« der EU vor einer Neuorientierung. Die zypriotische Regierung spricht von 1 770 Milliarden Kubikmetern Erdgas in der maritimen Zone des Landes, von denen bisher 220 Milliarden Kubikmeter mittels Bohrungen nachgewiesen wurden. Zypern versucht daher, Partner und ausländische Firmen zu gewinnen, um einen wettbewerbsfähigen Energiesektor aufzubauen – was für ein kleines Land ohne Erfahrung in diesem Bereich eine große Aufgabe ist. Es müssen Entscheidungen über Produktions- und Verarbeitungstechnologien getroffen werden, die Transportwege zu kaufkräftigen Märkten müssen ökonomisch rentabel sein, eine entsprechende logistische Infrastruktur muss aufgebaut und vor allem eine stabile Sicherheitslage im Explorationsterritorium hergestellt werden.
Dieses Territorium ist das östliche Mittelmeer – und der Anspruch Zyperns auf souveräne Exploration innerhalb seiner maritimen Landesgrenzen wird von der Türkei bestritten. Die Türkei hat Nordzypern 1974 besetzt und erkennt die griechisch-zyprische Regierung nicht an. Für den Fall zyprischer Bohrungen drohte der türkische Europaminister Egemen Bağiş mit einem Einsatz der Marine. Im September 2011 ließ die Türkei das staatseigene Unternehmen TPAO selbst Bohrungen durchführen. Es wurde berichtet, dass die »Piri Reis«, ein Schiff für seismische Messungen, von türkischen Kriegsschiffen begleitet wurde. Auf Dauer sind solche Unternehmungen diplomatisch schwer vertretbar, da Zypern EU-Mitglied ist und kein Land außer der Türkei die Souveränität der Türkischen Republik Nordzypern anerkennt. Allerdings ist die Türkei die stärkste Seemacht im östlichen Mittelmeer, und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan sieht das Land als kommende Großmacht.

Nachdem im Jahr 2010 neun türkische Staatsbürger ums Leben gekommen waren, als israelische Soldaten die »Mavi Marmara«, ein Schiff antiisraelischer Blockadebrecher, die nach Gaza vordringen wollten, stoppten, legte die Türkei die diplomatischen Beziehungen mit Israel auf Eis. Zypern und Israel sahen einander daher als potentielle Partner mit gemeinsamen Interessen. Im Februar 2011 besuchte Netanyahu den Inselstaat, um En­ergie- und Sicherheitsabkommen zu unterzeichnen. Israel könnte beispielsweise im Fall eines Krieges zyprische Flughäfen nutzen, für Zypern, das nahezu keine Marine hat, kann Israel ein Sicherheits- und Wirtschaftspartner sein. Doch auch die israelische Marine ist relativ klein und müsste wohl verstärkt werden, um die Seerouten im Mittelmeer (über die Israel 98 Prozent seines Handels betreibt) und Förderstätten verteidigen zu können.
Die Entschuldigung Netanyahus für die türkischen Opfer der Aktion gegen die »Mavi Marmara« am 22. März dieses Jahres hat für Spekulationen gesorgt, ob die Türkei und Israel eine Energiepartnerschaft anstreben. Eine türkisch-israelische Unterwasserpipeline nach Ceyhan, einem türkischen Zentrum mehrerer transnationaler Pipeline- und Energieprojekte, ist im Gespräch. Die Türkei hat kaum natürliche Ressourcen, ist aber ein Transitland von den energiereichen Regionen rund um das Kaspische Meer nach Europa. Israelische und türkische Diplomaten betonten daher den Nutzen einer solchen Partnerschaft nachdrücklich. Mit seinem antiisraelischen Kurs und der diplomatischen Starrköpfigkeit in der Zypernfrage hat Erdoğan diese Option möglicherweise verspielt.
Auch Israels Partnerschaft mit Griechenland und Zypern, die sich in der Vergangenheit oftmals gegen Israel gewendet haben, muss sich erns­teren Bewährungsproben stellen, um als stabil bezeichnet werden zu können. Aus israelischer Sicht ist die Aufrechterhaltung autonomer Selbstverteidigung oberste Maxime. Mit Russland, dem Iran und der Türkei versuchen vergleichsweise schlagkräftige Seemächte im östlichen Mittelmeer Einfluss zu nehmen, während sich die USA unter Präsident Barack Obama von ihrem Engagement im Nahen Osten zurückzuziehen scheinen. Alle Aufmerksamkeit scheint auf die Syrien-Krise und Ägypten nach dem Militärputsch gerichtet zu sein, aber auf längere Sicht werden die Öl- und Gasvorkommen auf die geopolitische Situation im Nahen Osten erheblichen Einfluss haben. Isra­elische Strategen haben daher mit einem äußerst komplizierten Netz aus Interessen, Animositäten und daraus resultierenden Konflikten zu kalkulieren. Aber die Lage Israels hat sich durch die Erdgasfunde erheblich verbessert.