Wir Denkmalsmeister
Es ist ja auch die Aufgabe von Politik, Gesellschaft dahingehend zu beeinflussen, dass sie sich mit der Geschichte, mit ihrer Vergangenheit, mit den guten und schlechten Tagen befasst und sie aufarbeitet.« Mit diesen Worten hat Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Ziele der Denkmalpolitik der Berliner Republik umschrieben. Er tat dies am diesjährigen Tag der deutschen Einheit. An diese mental noch gar nicht hergestellte »Einheit« soll bald ein neues deutsches Nationaldenkmal erinnern. Entwürfe und Modelle des Nationalen Einheits- und Freiheitsdenkmals wurden von Neumann vorgestellt, und zwar sinnigerweise im Martin-Gropius-Bau neben der Topographie des Terrors.
Drei Entwürfe sind nach dem gescheiterten ersten Wettbewerb noch in der letzten Runde des neu ausgelobten zweiten Wettbewerbs. Weil sich die Jury auf keinen Entwurf hatte einigen können, wurden drei Projekte ausgewählt und zur Überarbeitung an die Künstler zurückgegeben.
Die schon legendär gewordene goldene Banane des ersten Wettbewerbs ist leider nicht mehr dabei. Dafür gab es einen Knienden in weißem Hemd und schwarzer Hose zu bewundern. Der kniende Mann, der ganze fünf Meter groß sein wird, soll nach dem Willen des Bildhauers Stephan Balkenhof die »geschichtsträchtige Demutsgeste Brandts« symbolisieren und diese gleichzeitig »auf alle Bürger übertragen«.
Zunächst einmal ist daran zu erinnern, dass Willy Brandt nicht vor 20 Jahren in Berlin, sondern vor 40 Jahren in Warschau auf die Knie gefallen ist. Dies nicht vor einem deutschen Denkmal, sondern vor dem Denkmal, das an den Aufstand im Warschauer Ghetto im Jahr 1943 erinnert. Mit dem Kniefall in Warschau wollte Brandt nicht die deutsche Einheit erbetteln, sondern sich zur deutschen Schuld bekennen. Diese in der Tat »geschichtsträchtige Demutsgeste« kann und darf man nicht auf alle Bürger übertragen. Das ist keine Bewältigung, sondern eine Überwältigung der Geschichte.
Nichts fällt mir zu dem Denkmal ein, das von dem Büro Miller und Partner und der Choreographin Sasha Waltz geschaffen beziehungsweise, wie es heißt, »erdacht« worden ist. Dieses Denkmal soll nicht »nur zum Nachdenken, sondern zum Betreten und Erleben« anregen. Phantastisch! Das Denkmal mit dem, wie es im Konzept heißt, »Event-Charakter« kann von den Besuchern betreten werden, dabei soll die riesige Schale »in Schwingung versetzt« werden. Absehbar ist, dass die Kosten der Tanz-Schale höher sein werden als die für den Denkmalsunsinn veranschlagten zehn Millionen Euro.
Ein Art Dach aus Worten wie »Freiheit« sieht der dritte Entwurf vor, der von dem Architekten Andreas Meck aus München stammt.
Unabhängig davon, welches der drei Projekte am Ende realisiert wird, problematisch ist in jedem Fall der Ort, an dem das neue Nationaldenkmal errichtet werden soll: auf der sogenannten Schlossfreiheit und unter Verwendung des noch erhaltenen Sockels des Kaiser-Wilhelm-Denkmals. Dieses Nationaldenkmal ist von dem »Unrechtsstaat« DDR beseitigt worden, ein abscheuliches Verbrechen, das natürlich unbedingt gesühnt werden muss. Doch muss man dies mit einem neuen Nationaldenkmal tun? Schließlich gibt es keine 100 Meter entfernt schon ein weiteres deutsches Nationaldenkmal, das ebenfalls von der Berliner Republik geschaffen worden ist.
Gemeint ist die Schinkelsche Neue Wache. Sie ist nach dem ziemlich einsamen Willen eines Kanzlers zum Nationaldenkmal bzw. zur Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland erklärt worden. Helmut Kohl hatte am 27. Januar 1993 den Beschluss bekannt gegeben, »die Schinkelsche Neue Wache in Berlin als Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik zu nutzen und sie den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft zu widmen«.
Einmal in Fahrt gab der Kanzler auch noch die künstlerische Gestaltung vor: »Hierfür wird der Innenraum gemäß der Gestaltungsidee von Heinrich Tessenow aus dem Jahr 1931 erneuert beziehungsweise wiederhergestellt. Die in den Boden eingelassenen Urnen zum Gedenken an Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft bleiben an ihrem Ort. Statt des ursprünglichen sarkophagartigen Monoliths mit silbernem Eichenkranz wird die Skulptur ›Mutter mit totem Sohn (Pietà 1937)‹ von Käthe Kollwitz aufgestellt.«
An Kohls Denkmalplan gab es Kritik. Damals zumindest. Sie entzündete sich zum einen an der Widmung: »für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft«. Mit »Opfer« sind nämlich keineswegs die Juden und anderen Opfer des Faschismus gemeint, sondern vor allem die deutschen Opfer. Die Opfer von was? Eine nachträglich angebrachte Tafel an der Außenwand der Neuen Wache gibt Auskunft. Es geht um die »Opfer« des Krieges, der von den Deutschen begonnen worden ist und in dem sie auch Täter waren. Ferner um die »Opfer des Bombenkrieges«, mit dem die Deutschen ebenfalls angefangen haben. Hinzu kommen die »Opfer von Flucht und Vertreibung«. Und schließlich die »Opfer der Gewaltherrschaft«, womit sowohl die nationalsozialistische wie die realsozialistische gemeint ist. In diesem Nationaldenkmal sind die Deutschen ein »einig Volk« von Opfern. Doch das ist inzwischen kaum bemerkt und noch weniger kritisiert worden.
Anders verhielt es sich mit der Kritik an der Kollwitzschen Pietà, die ein christliches Symbol ist, womit die Juden faktisch aus dem Gedenken ausgeschlossen werden. Dies kritisierte der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, und gab seine Kritik an Kanzler Kohl weiter. Beide trafen sich im Mai 1993 und handelten einen Kompromiss aus. Bubis hat diesen Vorgang in seinen Memoiren folgendermaßen geschildert:
»Ich signalisierte, dass für den Zentralrat die anzubringenden Inschriften an der Neuen Wache dann weniger bedeutsam sein würden, wenn in Berlin auch das ›Mahnmal zur Erinnerung an das ermordete europäische Judentum‹ entstünde. In einem Gespräch im Mai 1993 sagte mir der Bundeskanzler auch zu, sich für ein solches Mahnmal einsetzen zu wollen.« Es ist inzwischen errichtet worden und hat sich zu einem Ort entwickelt, zu dem man, wie sich das Bundeskanzler Gerhard Schröder gewünscht hat, »gern hingeht«. Doch darum geht es hier nicht. Hier geht es um Nationaldenkmäler. Ist das Holocaust-Denkmal ein solches? Eine damals und auch heute noch wenig beachtete Antwort auf diese Frage findet man in dem Ausschreibungstext für den (zweiten) Wettbewerb zur Gestaltung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas vom Juli 1997. Es heißt hier: »Die Denkmäler jedes Landes verkörpern die Erfahrungen dieser Nation, die Selbst-Idealisierung, die politischen Notwendigkeiten und ästhetischen Traditionen. Aus diesem Grunde unterscheiden sich die Formen, die Denkmäler in Amerika, in Polen, Israel oder Holland bekommen haben, so merklich voneinander und werden sich auch von deutschen Denkmälern unterscheiden.«
Da war es raus: Das Holocaustdenkmal ist oder soll eigentlich ein deutsches Nationaldenkmal sein. Mit ihm bekennt Deutschland sich mit vor Stolz und Sühne geschwellter Brust zu den »schlechten Tagen« (Neumann) seiner Geschichte.
Doch diese »schlechten Tage« – eine vortreffliche Metapher für den Holocaust – sind jetzt bewältigt. Andererseits gibt es ja noch die »guten Tage«, an die das neue Nationaldenkmal erinnern soll. Es ist das dritte, welches die Berliner Republik in noch nicht ganz 20 Jahren errichtet haben wird. Das ist schon sehr rekordverdächtig, und das ist der eigentliche Sinn der ganzen Nationaldenkmalerei. »Wir Deutsche« sind zwar nicht Fußballweltmeister, wohl aber Denkmalsmeister geworden. Wir werden den elenden und ewigen deutschen Denkmalswahn einfach nicht los.
Doch das kann nicht das letzte Wort in dieser Sache sein. Wirklich das letzte Wort stammt von Neumann. Er erklärte am diesjährigen »Tag der deutschen Einheit« in einem Fernsehinterview: »Das ist mein persönliches Anliegen, auch den Besuchern dieser Stadt, der jungen Generation, auch international zu dokumentieren, es gab eben auch gute, glückliche Momente in der deutschen Geschichte. Und das wollen wir mit diesem Freiheits- und Einheitsdenkmal zum Ausdruck bringen.«
Von Wolfgang Wippermann ist gerade das Buch „Denken statt denkmalen: Gegen den Denkmalwahn der Deutschen“ im Rotbuch Verlag erschienen.