Durch Tanzen Energie produzieren. Umweltbewusste Partykultur in Rotterdam

Öko ist Pop

Dass beim Feiern nicht nur Energie verbraucht, sondern auch produziert wird, war die Ausgangsidee für den »Club Watt« in Rotterdam, die weltweit erste »Öko-­Disco«. Dort sollen Partykultur und Umweltbewusstsein zusammenfließen.

Vielleicht wird man rückblickend auf das Jahr 2008 einmal feststellen, dass damals der leidvolle Gegensatz zwischen politischem Bewusstsein und Party, der zuvor Generationen beschäftigt hatte, endlich aufgehoben wurde. Und dass dahinter eine Idee namens sustainable dance club stand, dass der Slogan People Planet Party! verband, was unvereinbar schien, und dass die niederländische Hafenmetropole Rotterdam der Ort war, an dem alles begann. Im »Club Watt« im Zentrum der Stadt ist der Name Programm: Seit September gehen Energiesparen und Ökologie hier eine Verbindung mit dem Hedonismus ein: eine ambitionierte Melange aus Clubnächten, Konzerten und Gastronomie und ehrgeizigen Zielen, zumindest zur eigenen Gewissensberuhigung. So sollen Wasserverbrauch und Abfall um die Hälfte reduziert werden, der Energieverbrauch und CO2-Ausstoß um 30 Prozent.
Nynke Verdoner könnte nach den ersten zwei Monaten des Betriebs Schlaf gut gebrauchen. Die Leiterin der Gastronomieabteilung des Watt gibt dies unumwunden zu. Und dennoch strahlt sie, als sie ein erstes Fazit zieht. »Zufrieden? Abso­lut! Das Interesse ist riesig, die Resonanz auf unser Programm auch, das Konzept geht auf.« Mit dem Enthusiasmus der Pionierin stellt sie die Neuerungen vor, die dem Watt neben einem großen Publikum auch ein enormes Medien­interesse ein­gebracht haben. Die »Minimal Waste Bars«, in denen nur recycelbare Materialien verwendet wer­den, die Toilettenspülungen, die mit Regenwasser betrieben werden, das auf dem Dach gesammelt und in einem unterirdischen Tank gesäubert wird, und das Beleuchtungssystem des Watt, das auf LED-Lichtdiodentechnik ba­siert und bis 85 Prozent weniger Energie verbraucht. Zudem können Ventilation, Temperatur und Frischluftzufuhr sämtlicher Räume exakt auf Besucherzahl und Bedarf abgestimmt werden. Dass zudem nur Ökostrom verwendet und der entstehende Müll getrennt wird, erscheint als Selbstverständlichkeit.

Das Highlight ist jedoch zweifellos der sustainable dancefloor. Während in herkömmlichen Clubs durch Anlagen und Licht viel Energie verbraucht wird, produzieren die Tanzenden sie hier selbst – wenn auch bisher nur in eher symbolischer Menge. Auf einer Tanzfläche von 30 Quadratmetern, bestehend aus 65 mal 65 Zentimeter großen Plat­ten, sorgen die Bewegungen für winzige vertikale Verschiebungen bis zu einem Zentimeter, wäh­rend im Boden installierte Federn die Platten wieder in ihre Ausgangsposition zurückschie­ben. Piezoelektrische Generatoren unter dem Dancefloor verwandeln diese Bewegung in Energie, die den Boden in grünes, blaues und vio­lettes Licht taucht. Messgeräte an der Wand geben die erzeugte Energiemenge an. 20 Watt pro Person können, je nach Gewicht und Tanzintensität, erreicht werden. Ein Gimmick, aber auch ein wenig mehr: Dem Konzept zufolge soll den Gästen damit die Wirkung ihres Verhaltens auf die Umwelt demonstriert werden. Da das System noch neu ist und kontinu­ierlich weiterentwickelt wird, ist die interaktive Bodenbeleuchtung nur ein Etappenziel. Nynke Verdoner denkt schon darüber hinaus: »Wäre es nicht fantastisch, wenn wir eines Tages den gesamten Laden mit unserer selbst erzeugten Energie betreiben könnten?«
Nicht nur die Betriebsleitung des Watt ist vom eigenen Konzept überzeugt. In einem Gang abseits der Tanzfläche sitzt Corrie am Eingang zu den Toiletten. Die entspannte Mittfünfzigerin mit den knallrot gefärbten Haaren drückt Stempel auf die Unterarme von Clubgängern, die für einen Euro das Recht auf unbegrenzte »Pee Experience« erwerben – so heißt das, wenn man den Weg des Wassers durch transparente Rohre und Spülkästen verfolgen kann und damit ein weiteres Mal die Folgen des eigenen Handelns vor Augen geführt bekommt. »Ich bin ziemlich umweltbewusst. Insofern ist das für mich nicht nur ir­gend­ein Job«, erklärt sie, nimmt einen Schluck Kaffee und zieht zufrieden Bilanz: »Die meisten Gäste sind sehr interessiert an dem, was wir hier machen. Viele fragen, was es mit einem nachhaltigen Club auf sich hat. Die Veranstaltungen sind sehr verschieden, dadurch gibt es natürlich auch unterschiedliche Resonanz.«

An diesem Abend wechseln sich HipHop-, R’n’B- und Breakbeat-DJs ab. »Meet the streets« ist der Name der beliebten Party­reihe. Das Publikum ist sehr gemischt. Für HipHop-Liebhaber Rogelio steht die Musik zwar im Vordergrund, das Öko-Konzept ist aber ein weiterer Grund für seinen Besuch im Watt. »Umweltschutz geht jeden persönlich an, und wo fängt man besser damit an als bei dem, was man liebt?« Jeroen dagegen winkt beim Stichwort »nachhaltiges Tanzen« ab. »Natürlich reden alle darüber. Aber die paar Quadratmeter? Damit bekommen sie doch höchstens das rein, was der DJ verbraucht. Ich komme wegen der Musik, und weil alle zusammen feiern. Wir sind hier auf der Westkruiskade, das ist die multikulturelle Straße in Rotterdam. Hier siehst du Menschen von überall.« Auch den Drum’n’Bass-Parties, die früher hier stattfanden, als das Gebäude noch das legendäre Nighttown beherbergte, trauert Jeroen nach. »Damals war das hier Underground«, und mit einem Grinsen fügt er an: »Und jetzt ist es ein Club.«
Dass sich dieser ausgerechnet in Rotterdam befindet, ist dabei nicht ganz zufällig. Durch den Bankrott der vorherigen Location bestand in der zweitgrößten Stadt der Niederlande seit 2006 hinsichtlich größerer Clubs einiger Bedarf. Der stadtbekannte Veranstaltungsorganisator Ted Langenbach sieht in dem Konzept vor allem eine Möglichkeit, wie Rotterdam den Anschluss an Ber­lin, Barcelona oder Paris finden kann. Außerdem biete das Watt dem reichlich vorhandenen musikalischen Potenzial der Stadt wieder eine attrak­tive Auftrittsmöglichkeit vor eigenem Publikum. Da auch der Entwickler des sustainable dance club-Konzepts, das internationale Netzwerk Enviu, sein Hauptquartier in Rotterdam hat, lag die Realisierung vor der eigenen Haustür nahe.
Rotterdam genießt zudem einen internationalen Ruf als Ort für avantgardistische Konzepte in Architektur und Raumnutzung. Jüngstes Aushängeschild ist die »Treibende Stadt«. Dieses preis­gekrönte Projekt der nahe Rotterdam gelegenen TU Delft sucht nach Möglichkeiten, die globalen Phänomene Verstädterung und Klimawandel zu kombinieren. In tief gelegenen Delta­gebieten wie Rotterdam kommt dem Schutz vor Überflutungen dabei große Bedeutung zu. Die Konsequenz liest sich in der Projektbeschreibung so: »Treibende Urbanisierung bietet flexiblem und klimabeständigem Städtebau ungekannte Möglichkeiten und verringert die Anfälligkeit von niedrig gelegenen Städten.«

In Rotterdam sollen diese floating cities Realität werden, wenn dort 2013 die Zweite Maasvlakte, eine künstliche Industrie-Insel, in Betrieb genommen wird. Dieses Großprojekt, das im September offiziell begonnen wurde und den Hafen um weitere 20 Prozent vergrößern wird, soll kurz vor der Maasmündung der Nordsee Land abgewinnen. Wohnen auf dem Wasser macht einen Teil dieses Konzepts aus. Schwimmend sollen die Quartiere immer auf der Höhe des Wasserspiegels sein. In den Niederlanden haben solche Pläne Hochkonjunktur – allerspätestens, seit das staatliche Meteorologie-Institut KNMI vor zwei Jahren seine Klimaszenarien veröffentlichte. Das darin prognostizierte Ansteigen des Meeresspiegels zeigte die Notwendigkeit neuer Küstenschutzprogramme. Dem Ballungsgebiet um Rotterdam kommt dabei besondere Bedeutung zu.
Der Kampf mit dem Wasser ist ausschlaggebend dafür, dass die Klimadebatte in den Niederlanden mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt wird. So erklärt sich, dass der Besuch Al Gores vor einigen Wochen sehr großes Interesse auslöste. Das Schlagwort »Nachhaltigkeit« fällt fortwährend.
Die Idee des sustainable dance club entspricht also, gerade auch in Rotterdam, einer Zeit, in der mit ökologischem Bewusstsein auch Geld verdient werden kann. Das zeigt auch das interna­tio­nale Interesse, das den sich selbst so bezeichnenden »innovativen Unternehmern« von Enviu entgegengebracht wird. Damit haben sie gerechnet: Ihre »inter­aktive Tanzfläche« ist keineswegs fest installiert, sondern mobil. Noch diesen Herbst geht sie auf Tour, denn Anfragen nach »Tanzen für eine bessere Zukunft« gibt es genug. Um ihnen auch gerecht werden zu können, haben die Erfinder ambitionierte Pläne: »Wir konzentrieren uns nicht auf die Niederlande. Wir wollen so viele Clubs wie möglich nachhaltig machen. Weltweit.«