Der Mörder ist immer der Präsident
Kennedy? Von der Mafia in einem mörderischen Joint Venture mit der CIA, Fidel Castro und anderen dunklen Mächten der Weltgeschichte erschossen. Außerirdische? Schon auf der Erde gewesen, samt UFO abgestürzt und nun in einem Tiefkühlfach irgendeiner US-Air-Force-Basis aufbewahrt. Elvis Presley? Geht regelmäßig in ein Drive-In irgendwo in Iowa, wahlweise auch Indiana, frühstücken. Marilyn Monroe? Ermordet von Handlangern des Weißen Hauses. Die Mondlandung? In Wirklichkeit in einem Hollywood-Filmstudio gedreht. Saddam Hussein? Steht gar nicht vor Gericht in Bagdad, nur sein Doppelgänger sitzt auf der Anklagebank. Der 11. September 2001? Ein apokalyptisch zur Schau gestelltes Gruselmärchen der Bush-Regierung und einflussreicher Kreise des militärisch-industriellen Komplexes der USA, die dringend einen Krieg brauchten, um wieder Absatzmärkte für ihre Waffen zu finden und/oder den Muslimen dieser Welt allumfassende Bösartigkeit zwecks Rettung der eigenen Präsidentschaft anhängen zu können.
Jedes halbwegs bedeutende Ereignis der Weltgeschichte braucht seine verschwörungstheoretische Entsprechung. Und seit sich im Internet jeder seine eigene Website anlegen kann, werden Verschwörungstheoretiker immer mehr auch integraler Bestandteil des Medien-Business. Dass der von der CIA eingefädelte Mord an John F. Kennedy, die Immigration von Außerirdischen in weltliche Gefilde und der tückische Mord an der Wasserstoff-Blondine Marilyn Monroe letztlich nur als Spinnereien abgetan werden und sie nicht jene Popularität erreichten wie die konspirativen Ergüsse rund um den 11. September, hat vor allem mit der Funktion des Web als Leitmedium für krudes Gedankengut zu tun: Wo keine Plattform zur Veröffentlichung besteht, dort entwickelt sich auch keine wirklich gute Verschwörungstheorie.
Was schon wenige Tage nach dem Einsturz der Zwillingstürme (natürlich durch Sprengung von innen) und dem Angriff auf das Pentagon (per Raktete) im Web begann, fand seine Fortsetzung bald auch auf dem Buchmarkt. Auf dem deutschen Markt etablierte sich der Journalist Gerhard Wisniewski mit seinem Buch »Mythos 9/11 – Der Wahrheit auf der Spur«. Das Buch schuf eine solide Basis für diverse Verschwörungstheorien rund um die Anschläge. Dabei wechselt auch Wisniewski etwas wirr zwischen dem Verdacht, der 11. September sei zwar so geschehen, wie er laut »offizieller Geschichtsschreibung« eben geschehen ist, allerdings mit dem Unterschied, dass die US-Regierung alles im vorhinein gewusst und die Katastrophe in Kauf genommen habe, sowie der These, dass eben alles ein Fake gewesen sei.
So seien die Flugzeuge ferngesteuert gewesen, die 19 Attentäter tatsächlich Agenten von Geheimdiensten und von diesen geopfert worden; die Türme seien zusätzlich von innen gesprengt worden. Rund um den Anschlag auf das Pentagon wiederum ranken sich unter anderem deshalb abenteuerliche Gerüchte, weil die Autoren und auch die Filmemacher von »Loose Change« überhaupt bezweifeln, dass ein Flugzeug ins US-amerikanische Verteidigungsministerium gestürzt sei. Schließlich könne man auf den Videos praktisch keine Flugzeugteile erkennen; das Loch, das vom Geschoss ins Gebäude gerissen wurde, sei zu klein, als dass es von einem Passagierflugzeug hätte verursacht werden können. Jenes Flugzeug, das in Pennsylvania über Shanksville abgestürzt war, sei wiederum von US-Kampfjets abgeschossen worden. Nicht mehr als suggestive Argumentationsketten sind es, die da aufgebaut werden. Isoliert betrachtet, mögen sie auf den ersten Blick schlüssig wirken, doch in ihrer Gesamtheit sind sie nicht mehr als unbekömmliches Gebräu.
Das Problem vieler Verschwörer war es bisher, dass es an einer eindrücklichen Visualisierung der Theorien mangelte. Das Problem haben die beiden jungen Amerikaner Dylan Avery und Korey Rowe jetzt mit »Loose Change« gelöst. 80 Minuten dauert der mit seinen schnellen Schnitten an einen MTV-Clip erinnernde Film, er baut eine Argumentation auf, die vielleicht auch Michael Moore unterschreiben würde: dass die Bush-Regierung am stärksten von den Anschlägen profitiert habe, weil aus dem lahmen Holiday-Präsidenten Bush, wie er sich in den ersten Monaten seiner Amtszeit präsentierte, nach dem 11. September endlich ein Kriegspräsident werden konnte. Und weil er im Gegensatz zum nierenkranken Flüchtling Osama bin Laden am meisten profitiert habe, sei es auch seine Regierung gewesen, die die Anschläge inszeniert hat. Ein Plot, wie für einen Tatort-Kommissar geschrieben: Wer das nächstliegende Motiv hat, ist auch der Mörder.
Der Film beginnt schon mit der Lösung: Da nämlich kommt Hunter S. Thompson, Erfinder des »Gonzo«-Journalismus, der Verschmelzung von Wirklichkeit und Fiktion, zu Wort. Auf die Frage, ob er wirklich meine, dass die Bush-Administration vom 11. September profitiert hat, antwortet er: »Absolut.« Vom Absturz der Concorde im Jahre 2000 hat auch Airbus profitiert, weil damit der Wunsch der Fluglinien nach zwar nicht besonders schnellen, aber besonders großen Jumbos gewachsen war. Aber hat Airbus etwas mit dem Absturz der Concorde zu tun? Eben nicht.
Seit der Film im Web kostenlos zum Download bereit steht, erfreut er sich jedenfalls größter Beliebtheit bei den Wahrheitsallergikern in aller Welt. Täglich verzeichnet die Website www.loosechange911.com rund 20 000 Zugriffe. Kein Wunder: Nach einer aktuellen Umfrage glauben noch immer 42 Prozent der Amerikaner, dass die Bush-Administration in Zusammenhang mit dem New Yorker Terror etwas zu verbergen hat.
Immerhin aber entkräften Avery und Rowe ihren eigenen Videoclip gleich auf ihrer Website: »Nehmt nichts für bare Münze, was wir euch sagen«, heißt es da. Danke. Schon passiert.