Schmonzes!

Lily Brett hat dem Verlag zufolge einen »sprühenden Roman« über die jüdische Community New Yorks geschrieben. Das klingt furchtbar. Von Marcus Hammerschmitt

Lily Brett, Jahrgang 1946, amerikanisch-jüdische Bestsellerautorin, ist nun wirklich keine Unbekannte. Einige literaturbegeisterte Frauen, auch solche, die sich wirklich auf Literatur verstehen, finden ihre Texte oft wunderbar, umwerfend, richtig komisch. Sie steht für einen luftigen, beinahe kolumnistischen Erzählstil, der sich nicht allzu große Sorgen um sein eigenes literarisches Gewicht macht und vor allem bei Leserinnen gut ankommt, die es auch einmal »leicht« mögen.

Im Feuilleton taucht dieser Stil ganz gerne unter der Rubrik »Intelligente Unterhaltung« auf. Es gibt gar nichts dagegen einzuwenden – wenn die Sache nicht so gründlich daneben geht wie bei »Chuzpe«.

Worum geht es? Ruth Roth­wax, Mitte 50, Tochter von polnisch-jüdischen Auschwitz-Überlebenden, geboren in Australien, betreibt in New York einen erfolgreichen Schreibdienst für Briefe und andere Korrespondenz. Die Kinder sind aus dem Haus, ihr Mann Garth, ein erfolgreicher Kunstmaler, hat sich für ein halbes Jahr verabschiedet, um im Ausland einen großen Auftrag auszuführen.

Vor einiger Zeit ist Ruths 87jähriger Vater Edek, den sie einst zusammen mit ihrer Mutter in Australien zurückgelassen hat, ebenfalls nach New York gezogen – seine Frau, Ruths Mutter, ist gestorben, seine Freunde auch, und nun möchte er den Lebensabend in der Nähe seiner Tochter verbringen. Voller Elan mischt er sich in die beruflichen Belange von Ruth ein, chaotisiert das ganze Schreib­büro, und Ruth greift nicht energisch ein, weil sie ihm den Spaß nicht verderben will. Sie schlägt ihm nur in therapeutischer Absicht den lieben langen Tag andere Beschäftigungen vor, die er alle als »Schmonzes« ablehnt.

Eines Tages tauchen Zofia und Walentyna in New York auf, zwei Polinnen, die Ruth und Edek bei einer Erinnerungs- und Bewältigungsreise nach Auschwitz kennen gelernt haben. Wie sich herausstellt, hatte Edek mit Zofia schon während dieser Reise eine Affäre, die jetzt aufgefrischt wird. Er, der völlig vom Geld seiner Tochter abhängig ist, versorgt seine polnischen Freundinnen mit allem, was sie zu einem Leben in New York brauchen, und möchte schließlich sogar mit den beiden ein Restaurant aufmachen – eine Klopsbraterei, in der Zofia ihre Klopse verkaufen soll, die, wie Edek meint, »nicht von dieser Welt« sind.

Ruth, die auf Zofias körperliche Attraktivität neidisch ist und den Plan zur Restaurantgründung absurd findet, opponiert gegen die neuen Aktivitäten ihres Vaters, allerdings nur im Geheimen, denn wie bei seiner irrlichternden Hilfstätigkeit im Büro kann sie ihm ja eigentlich nichts abschlagen. Am Ende wird das Restaurant ein Riesenerfolg, Ruth versöhnt sich mit Zofia, schließt ihren Vater herzlich in die Arme, und alles wird gut.

Aus dieser Geschichte mit bescheidenem tragikomischem Potenzial könnte man eine Erzählung machen, eine Novelle, mit einer gewissen Anstrengung auch einen kleinen Roman. Loriot hätte einen lustigen, Billy Wilder einen brüllend komischen Film nach diesem Stoff drehen können. Lily Brett verwandelt ihn in einen 334 Seiten dicken Alptraum.

Nehmen wir nur den Konflikt Ruths mit Zofia. Mit den ständig gleichen Formulierungen wird er beschworen, immer hängt sich der Widerwille Ruths an der Vorstellung auf, wie Zofia und Edek Sex haben, und insbesondere Zofias Oberweite ist Ruth ein solches Problem, dass sie nahezu jedes Mal erwähnt wird, wenn von Zofia die Rede ist. Ruth denkt ständig an Zofias Busen, sie redet mit ihren Freundinnen am Telefon darüber und mit ihrem in Australien weilenden Mann auch.

Überhaupt wird in diesem Roman mit einer Ausgiebigkeit telefoniert, dass man am Ende meint, man habe die Gespräche selbst vermittelt und dabei mitgelauscht. Wenn die Gespräche wenigstens noch irgendwie interessant wären, wenn da noch irgendwas wirklich verhandelt würde, in Fluss käme, wenn da noch irgendwo Witz wäre. Aber es ist alles ein Gequatsche und Gerede, so interessant wie unterdurchschnittlich intelligenter Bürotratsch an einem besonders langweiligen Tag.

Wenn es ganz dumm kommt, heißen die Gesprächspartner von Ruth auch noch Ken Kennedy (Alliteration!) und Gabriela Biscuit (sprechender Name!) und sind Anwälte oder Gastronomieexpertinnen. Das Gequatsche macht die Nichtsubstanz dieses Textes aus. Sollte das ständige Kreisen um Lappalien von Brett als Stilmittel zur Illustration von Ruths Neurosen gedacht gewesen sein, dann ist das gründlich misslungen; statt die komischen Aspekte einer neurotischen Persönlichkeit auszuleuchten, neurotisiert Brett ihren Text, und zwar auf durchaus unkomische Art.

Weil die Hauptfigur die Tochter von Überlebenden ist, wird auch immer wieder von Auschwitz gesprochen. Man hat aber bald den Eindruck, dass Brett ihre Heldin immer dann das Wort ­»Auschwitz« sagen lässt, wenn die Geschichte an ihrer eigenen Richtungs- und Planlosigkeit zu scheitern droht. Und weil die Autorin das selbst erkennt, muss Ruth sich jedes Mal selbstkritisch tadeln, nachdem das geschehen ist. Genau in der gleichen Weise, wie sie sich der Engherzigkeit und der klein­lichen Eifersucht bezichtigt, wenn sie wieder einmal Zofias Brüste durchdiskutiert hat.

Wie man diese Kunstgriffe auch betrachtet, sie bleiben eine Quälerei. Dass dann der ganze Roman auch noch eine dümmlich ideologische Feier des Mythos vom Tellerwäscher ist, der es in New York allemal noch zum Millionär bringen kann, wenn er nur fröhlich ans Werk geht – geschenkt.

Um das Debakel aufzuhübschen, werden am Schluss noch ein paar der Kochrezepte abgedruckt, nach denen Zofia ihre Klopse brät. Es ist ja sowieso eine seltsame Sache, dass Literatur gegenwärtig an allen Ecken und Enden mit einem kulinarischen Kollateralgewinn aufwarten muss; aber weil »Chuzpe« so eine Pleite ist, fällt das ganz besonders unangenehm auf.

Seht her, lautet offenbar die Botschaft auf den letzten Seiten, ich tauge schon ästhetisch nichts, da will ich wenigstens am Schluss einen Gebrauchswert vortäuschen und vier Seiten lang ein Kochbuch sein. »Chuzpe« bietet keine Spur von Chuzpe, aber jede Menge Schmonzes.

Lily Brett: Chuzpe. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2006, 331 S., 19,80 Euro