Ich?! Ein Schandfleck?

Flucht ins Netz: Im Iran existiert eine lebhafte Blogger-Community. Frei und sicher dürfen sich die Tagebuchschreiber aber auch im Internet nicht fühlen. von arian fariborz

Seit Ende der neunziger Jahre hat die Islamische Republik Iran einen rasanten Boom neuer Medien erfahren. Vor allem das Internet wird von vielen jungen Iranern als neuer Freiraum entdeckt, sich über ihren Alltag und die politischen Verhältnisse in ihrem Land unabhängig zu informieren und auszutauschen. Allein in der Hauptstadt Teheran gibt es inzwischen rund 4 000 Internetcafés und sechs bis sieben Millionen Internetnutzer, die sich mehrere Stunden täglich im Netz aufhalten, Tendenz steigend. Unter ihnen sind auch viele regimekritische Journalisten oder Verfasser von Online-Tagebüchern, den so genannten Weblogs – ein vielfältiges und unzensiertes Mediennetzwerk, das den autoritären Machthabern in Teheran bereits seit einiger Zeit Probleme bereitet. Denn seit dem Siegeszug des Internet im Iran hat sich eine eindrucksvolle, lebendige Blogger-Community entwickelt. »Weblogistan« – wie sie sich selbst nennt. 70 000 bis 100 000 aktive Internet-Tagebücher soll es bereits geben. Die Mehrheit der Blogger ist anonym und schreibt auf Persisch, ein weitaus geringerer Teil auf Englisch.

Der nach Kanada exilierte iranische Journalist Hossein Derakhshan gilt als »godfather« der persischen Weblogszene. Im Juni 2002 eröffnete er unter www.hoder.com erstmals sein eigenes Blog, in dem er Anleitungen zur Erstellung eines Online-Tagebuchs gratis als Download zur Verfügung stellte. Die seitdem regelmäßig neu entstandenen Blogs und Linksammlungen anderer Iraner stellt er auf seiner Web­seite zusammen. Nicht zuletzt dank seines Engagements zur Verbreitung der Weblogs hat De­rakhshan im Iran eine kleine Medienrevolution ausgelöst, zumal seit dem Beginn seiner »Blog-Kampagne« die elektronischen Tagebücher im Iran wie Pilze aus dem Boden schossen. »Ein Grund für die rasche Verbreitung des Bloggens im Iran ist die Tatsache, dass es Bedürfnisse befriedigt, die die Printmedien nicht erfüllen. Das Bloggen findet in einem sicheren Raum statt, in dem sich Menschen freimütig über die unterschiedlichsten Themen austauschen können«, schreibt die iranische Publizistin Nasrin Alavi in ihrem Buch »Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs – die junge persische Weblog-Szene«.

In ihren Tagebüchern berichten die – vor allem jugendlichen – Weblogger über ihren Alltag, ihre Liebesbeziehungen, Zukunftsängste und die Hoffnung auf ein unbeschwertes Leben ohne Zwang. Keine Selbstverständlichkeit in einem radikal-islamischen Gottesstaat, der die freie Meinungsäußerung massiv unterdrückt, in dem viele gesellschaftliche und politische Themen in der Öffentlichkeit tabuisiert werden. Bis heute bleibt der Iran nach Ansicht der Organisation Reporter ohne Grenzen das größte Gefängnis für Journalisten im Mittleren Osten. Selbst unpolitische Weblogs geraten zunehmend ins Visier islamischer Tugendwächter.

Die 29jährige Teheranerin Sanam Dolatshahi, Online-Redakteurin der iranischen Frauenrechtsorganisation »Women in Iran« (womeniniran.org), war eine der ersten Aktiven innerhalb der Blogger-Szene im Iran. Sie berichtet von den grundsätzlichen Schwierigkeiten, mit denen die junge persische Weblog-Szene von Anbeginn konfrontiert wurde: »Das Problem ist, dass es im Iran überhaupt kein wirkliches Gesetz über das Internet gibt«, so Dolatshahi, »einige Leute denken deshalb, dass sie völlig frei schreiben können. Da wir unter unserem echten Namen publizieren, sind wir sehr vorsichtig, was wir schreiben. Wir wollen nicht verhaftet werden. Manchmal irren wir uns auch. Es ist eine Gratwanderung, da man nie genau weiß, wo die Grenzen zwischen Erlaubtem und Verbotenem verlaufen. Und es ist immer die Angst da, dass das, was wir schreiben, dem Staat nicht passt.«

Die Cyber-Revolution im Iran beunruhigt die Mullahs. Und das nicht ohne Grund: Als viele reformorientierte Zeitungen seit 2000 verboten wurden, entzogen sich Journalisten und Schriftsteller der Zensur und Kontrolle. Sie gründeten Online-Magazine oder verbreiteten ihre politischen Ansichten in Weblogs. Seitdem beobachtete der Staat mit Argusaugen vermeintlich westlich-dekadente, anti-islamische oder konterrevolutionäre Inhalte im Netz. Online-Medien werden heute verstärkt gefiltert oder blockiert, Regimekritiker festgenommen. 2004 holten die Mullahs erstmals zum großen Schlag gegen die iranische Blogsphäre aus: Regimekritiker, wie Hanif Mazroui, Arash Sigartshi oder Modschtaba Saminedjad wurden festgenommen, angeklagt und zeitweise inhaftiert. Informationsportale wie Blogfa.com, Blogger oder Persian Blog werden seit längerem überwacht. Und in den letzten Jahren riefen immer wieder konservative Abgeordnete die Regierung auf, beliebte Jugend-Diskussionsforen, wie Orkut oder Yahoo Messenger, zu verbieten.

Sanam Dolatshahi kann sich noch gut daran erinnern, wie die Webseiten ihrer Frauenrechtszeitung »Women in Iran« zum ersten Mal vor zwei Jahren blockiert wurden: »Wir konnten plötzlich unser Angebot nicht mehr abrufen. Schließlich machte die Herausgeberin, Shadi Sadr, unseren Fall in politisch einflussreichen Kreisen publik. Und zusammen mit Mitgliedern des damals noch von den Liberalen dominierten Parlaments konnten wir dann erreichen, dass das Ministerium für Kommunikation die Filter wieder beseitigte.«

Auch Mahsa Shekarloo, Herausgeberin des feministischen Online-Magazins Badjens, berichtet, dass auch ihre Webseite bereits mehrfach blockiert wurde. Doch glaubt sie, dass sich das Filtern missliebiger Webseiten im Iran langfristig nicht aufrechterhalten lässt: »Zwar kontrollieren sie jetzt stärker das Internet, aber ich bezweifle, dass sie damit Erfolg haben werden«, so Shekarloo. »Die Situation hier ist ja auch nicht mit der in Ländern wie Syrien vergleichbar, wo der Staat der einzige Internetservice-Anbieter ist. Es ist sehr schwierig, dieses Medium vollständig zu kontrollieren, und es gibt mehr und mehr Leute, die wissen, wie man die Filter umgehen kann.«

Das totalitäre Regime Irans sei bemüht, eine Gesellschaft aufzubauen, die nur eine einzige Stimme zulasse, meint der renommierte Publizist und Dissident Akbar Ganji. Und diese einzige erlaubte Stimme sei die des religiösen Führers. »Aus diesem Grund filtert das Regime sehr viele Webseiten, was den Zugang zu diesen Seiten erschwert«, so Ganji. »Mit ihren Petrodollars, die sie verdienen, versuchen sie, aus westlichen Ländern die neuesten Technologien einzukaufen, damit sie diese verbotenen Inhalte blockieren können.«

Tatsächlich bedienten sich die Behörden in Teheran ausgerechnet des technischen Know-Hows des »großen Satans«, einer US-amerikanischen Com­puterfirma, um unliebsame Seiten zu filtern. So ermittelte die Initiative »Offenes Netz«, dass die iranischen Behörden unter anderem die von der US-Firma »Secure Computer« entwickelte Software »SmartFilter« einsetzten, um den Zugang zu regimekritische Seiten und Blogs zu unterbinden.

Allerdings scheint das Unbehagen, das die Regierung Irans dem Internet entgegenbringt, nicht groß genug zu sein, um das Medium nicht trotzdem für eigene politische Zwecke zu nutzen: So werden jährlich mehrere tausend Studenten in Qom – dem Zentrum der schiitischen Geistlichkeit – an Computer und Internet ausgebildet, um ihr Wissen später in den Dienst der Islamischen Republik zu stellen. Dies wirft ein Schlaglicht auf das Dilemma und die Widersprüchlichkeit eines politischen Systems, das sich einerseits die technologischen Errungenschaften der Moderne zu Nutze macht, andererseits ein anti-modernistisches, klerikal-konservatives Weltbild predigt, das den Einfluss digitaler Medien als Import westlich-dekadenten und gottlosen Gedankenguts durch die Hintertür fürchtet. Präsident Ahmed Ahmadinejad hat diesen Widerspruch für sich vorerst gelöst und ging jetzt mit einem eigenen Weblog ins Netz, wo er im vertraulichen Tonfall über seine schwere Jugend plaudert und gegen Unmoral, Promiskuität und Perversion wettert. http://www.­ahmadinejad.ir/

Zitate aus den genannten weblogs nur in der Printausgabe.