Die Welt anhalten

Giorgio Agamben verlängert und theologisiert Foucaults Theorie der Biopolitik, indem er sie ökonomisiert. Die Felder des Politischen schrumpfen. von claas morgenroth

Theologie als säkularisierte Ökonomie? Kapitalismus als Theologie einer 2 000 Jahre andauernden Ökonomistik? In der Fortschreibung des »Homo-Sacer«-Projektes erweitert Giorgio Agamben in einigen neueren Arbeiten und Vorträgen seine Politische Philosophie durch eine Ur­sprungs­leh­re des Ökonomischen. Wie in seinem jüngs­ten Buch »Die Zeit, die bleibt« kombiniert er dafür den Lenin der Theologie, Paulus, mit Walter Benjamins Reformation des Kapitalismus.

Nachzulesen ist dieses kapitalismuskritische theologische Screening der Moderne in einem jüngst erschienenen Sammelband zum Thema »Theologie und Politik«, herausgegeben von Bernd Witte bzw. in einem Vorabdruck des Textes in Lettre International, Ausgabe 69. Dort verlängert Agamben seine Paulus-Lek­türe in das Feld der Ökonomie und behauptet, dass sich aus der christlichen Theologie nicht nur die Politische Theologie, d.h. die politische Philosophie und die Theorie der Souveränität, ableiten lasse, sondern auch eine Ökonomische Theologie, in der die »moderne Biopolitik bis hin zum derzeitigen Triumph der Ökonomie über jeden Aspekt des Lebens« ihren Grund habe. Nun sollte man mit Agambens Aufsatz vorsichtig umgehen. Seine deutsche Fassung geht auf eine Vortragsmitschrift in italienischer Sprache zurück und ist, so Agamben auf Nachfrage, weder von ihm auto­risiert noch wirklich ein Text. Folgerichtig heißt er in Lettre »Theos, Polis, Oikos. Das Mysterium der Ökonomie auf der politisch-christ­lichen Bühne, im Sammelband Ökonomische Theologie. Ein Paradigma der Moderne«. Doch die Stoßrichtung bleibt: »In letz­ter Instanz«, so Agamben, sei die Geschichte kein »politisches Problem, son­dern ein wirtschaftliches«.

Politik des Scheins

»In letzter Instanz«, so war sich Fried­rich Engels sicher, lasse sich der »naturgesetzliche Gesamtprozess« des Kapitalismus von keinem Überbauphänomen irritieren, auch nicht von der Politik und ihren Institutionen. Von Agamben also nichts Neues? Schon im Ansatz unterscheidet er sich radikal von linker oder ideologiekritischer Staatskritik. Seine Un­tersuchung beginnt mit einer Auseinandersetzung zwischen dem Theologen Erik Peterson und Carl Schmitt. Peterson, Konvertit und seit 1933 Ordinarius in Rom, führt in seinem 1935 erschienenen Buch »Der Monotheismus als Politisches Problem« die Po­litische Theologie zurück auf das jüdische Denken. Sie sei aus diesem Grund im Kern monotheistisch, mit dem (katholisch-) christ­lichen Dogma der Trinität nicht vereinbar und darum falsch.

Agamben interessiert nicht, wie der Katholik Schmitt diesen für ihn schwer wiegenden Angriff pariert. Er klopft vielmehr Petersons Traktat und Schmidts späte Antwort, seine Schrift »Politische Theologie II« (1970), nach verborgenen Gemeinsamkeiten ab und kommt zu dem Ergebnis, dass nur an der Oberfläche um die Grundlagen der Politischen Theologie gerungen wird. Tatsächlich würden sich beide über ihren zwar prekären, aber letztlich vordergrün­digen Streit gegen den Hohlraum der Ökonomischen Theologie in Stellung bringen. Es handele sich demnach um eine Scheindebatte, um ein Ablenkungsmanöver, das durch Vertuschung des Ökonomischen das Politische zu retten versucht.

Ökonomie der Theologie

Was aber heißt Ökonomische Theologie? Eine Rekonstruktion des Begriffs führt zurück zu Aristoteles’ Definition der Ökonomie. Aristoteles bezeichnet mit Oikonomia/Ökonomie die gute Verwaltung, d.h. das Management des Oikos/Hauses in Differenz zur Polis/Bürgerschaft, der Gemeinschaft der Oikoi. Die Kaufmanns­kunst, die Chrematistik, zählt er ausdrücklich nicht dazu, weil sie ermögliche, über die eigenen Bedürfnisse hinaus Reichtum zu erlangen – für Aristoteles ein ethisches Problem. Im 1. Jahrhundert adaptiert Paulus den Begriff der Ökonomie und wird zum Gründervater der Ökonomischen Theo­logie. Für ihn sind Christen, wie Agam­ben schreibt, »oikonomoi des göttlichen Mysteriums und folglich Gehilfen in der Führung eines Hauses und nicht einer polis«.

Diese christologische Wendung der Oikonomia löst ein amüsantes, systemisches Bäumchen-wechsel-dich-Spiel aus: Gott tritt an die Stelle des Oikonomos/Hausvaters, Jesus wird zum Haupt­verwalter usw. Das Spiel ließe sich fortsetzen: Engel übernehmen die höhere Managementebene, Apostel werden zu Abteilungsleitern, der Papst zum Haus­meister. Zu Ende gedacht, folgt aus der theologischen Umetikettierung des Öko­nomischen, dass die Heilsgeschichte – d.i. im theo­lo­gischen Sinne die Geschichte selbst, im Griechischen des Neuen Testaments: Oikonomia – dem Planungssinn der Theologie und der Politik entzogen ist, ja schon immer entzogen war. In seinem Fragment »Kapitalismus als Religion« hatte Walter Benjamin der Säkularisierung zugeschrieben, sie habe eigentlich nur die Stellen neu besetzt, die Matrix des Kapitalismus sei immer noch die der Religion. Nimmt man Agam­ben ernst, dann müsste man Benjamins Doppelspiel um einen dritten Mitspieler erweitern: Kapitalismus als Religion als Öko­no­mie.

Kollateralschäden des Kapitalismus

Dass wir bis heute wenig bis nichts von der Ökonomischen Theologie gewusst haben, begründet Agamben mit deren plötzlichem Diskursende im 5. Jahrhundert. Für die katholische Theologie sei das Projekt des Weltenmanagements mit der Etablierung der Dreifaltig­keitslehre 400 Jahre nach Jesu Geburt beendet gewesen. Im Profanen aber habe sich die Öko­nomische Theologie um so mächtiger weiterentwickelt, zumindest unterirdisch, bis sie im 18. Jahrhundert etwa in den Arbeiten Carl von Linnés und Peter Suessmilchs, dem Begründer der Demographie und Vordenker moderner Biopolitik, wieder wirksam geworden sei. »Alle Humanwissenschaften, die in diesem Augenblick entstehen, entwickeln sich im Zeichen der ökonomischen Tradition«, d.h. nicht im Zeichen der Aufklärung. Mit dieser Neubewertung der modernen Geistesgeschichte bezieht sich Agamben direkt auf Foucault, der sich in seinen Arbeiten zur Entstehung von Biopolitik und -macht u.a. mit den Anfängen der Demografie beschäftigt hatte. Doch anders als Foucault terminiert Agamben die Geburt der Biopolitik nicht auf das 17./18. Jahrhundert, sondern auf das erste, die Geburt der (christlichen) Theologie. Er verlängert und theologisiert Foucaults Theorie der Biopolitik, indem er sie ökonomisiert.

Ähnlich schräg wird aus ökonomisch-theologischer Perspektive die Geschichte der Po­litischen Ökonomie aufgefasst. Man erinnere sich: Smith und Ricardo verstanden unter ›politischer Ökonomie‹ die freie und gleiche Teilnahme aller am Funktionieren des Marktes. Damit stützte sich (und stützt sich noch immer) die politische Utopie des Liberalismus auf die Funktionsweise des Oikos. Denn anders als die Polis kennt der Oikos keinen Feind, nur Konkurrenten.

Die in diesem Zusammenhang gültige Definition lieferte Carl Schmitt: »Die spezifische politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.« Und: »Im Bereich des Ökonomischen gibt es allerdings keine Feinde, sondern nur Konkurrenten.« Bei Foucault heißt der Satz: »Es gibt keinen ökonomischen Souverän« – weil, so mag man ergänzen, die Ökonomie gar nicht zur Sphäre der Politik gehört, sondern sie absorbiert hat. Das liberal-politische Szenario, das sich daraus ergibt, sieht so aus: Die Stabilität eines solchen Staates auf dem Markt der internationalen Politik misst sich an der Handlungsbilanz; den inneren Frieden, d.h. den reibungslosen Verkehr der Güter, die Eintreibung der Steuern und die Stabilität der Preise garantiert die Wohlfahrtspolizei.

Dass die Grundordnung der Gegenwart auf diesen liberalen Prämissen steht, daran lässt Agamben keinen Zweifel. Die Gegenwart, so schreibt er in seinen »Marginalien« zu Guy Debords »Kommentaren zur Gesellschaft des Spektakels«, ist der »Kapitalismus in seiner extremsten Form«, die »Gesellschaft des Spektakels«. In der von Agam­ben generalisierten Regulationsform des Ökonomischen sind, ganz im Sinne Carl Schmitts, Kriege keine Kriege mehr, sondern Bürgerkriege, interne Auseinandersetzungen um Lohn und Brot, Kollateralschäden der kapitalistischen Ordnung. Dieser Kapitalismus, als Form des Ökonomischen und regulatives Prinzip, öffnet erstens die Grenzen des Staatlichen für das postsouveräne Monopol des Marktes. Zweitens deterritorialisiert er sich nach innen und fährt, im Sinne Foucaults, in den modernen Körper ein. Gouvernementalität auf ganzer Linie.

End of Politics

Die Frage, die bleibt, ist die nach den Folgen, nach den Imperativen eines politischen Trotzdem. Denn abgesehen von der durchaus originellen Ab­leitung (westlicher) Politik und Demokratie aus der Ökonomie, singt Agamben wie viele andere das altbekannte Lied über das Ende der Politik. Es gilt der Krise der westlichen Demokratien, dem Ende des (west-) bürgerlichen Politikverständnisses. Beispiele gibt es in Fülle, etwa die Ver­lagerung politischer Entscheidungen in Kommissionen, Expertengruppen oder Think Tanks, network government also. Durch diese Entmachtung der Parlamente weicht der bürgerlich ­vermittelte Begriff des Politischen, der im Kern die Macht der Polis bezeichnete, einem post­souveränen Begriff der Politik. ­Anschaulich wird dieser Vorgang am Einfluss, den diverse Think Tanks auf die Politik George W. Bushs haben. Aber auch vor der deutschen Haustür, in der Verwaltung des deutschen Alltags, wird man schnell fündig. So hat etwa die Bertelsmann-Stiftung mit ihrem Projekt »Kernkennzahlen in Kommunen« (http://www.kik-net.de) einen Kriterienkatalog entwickelt, mit dem kommunale Verwaltungen abseits politischer Handlungsoptionen die Effizienz ihrer Arbeit messen und vergleichen können.

Da wird es schwer, das politische Handlungsfeld weiter positiv zu bestimmen. Doch tritt das Feld des Po­litischen mit dieser Privatisierung des Politischen wirklich in eine neue Phase? Agambens Genealogie des Politischen legt einen anderen Schluss nahe. Demnach stehen wir derzeit weder einer radikalen Privatisierung noch einer ungehemmten Ökonomisierung gegenüber, sondern nur dem alten, politisch auftretenden und theologisch vermittelten Gesicht der Ökonomie in Zeiten der Gouvernemen­talität.

Nachlässiges Leben

Agambens Strategie, auf Grund dieser Analyse das Politische der Zukunft zu denken, verläuft auf zwei Ebenen. Auf der einen präpariert er Paradigmen und Beispiele heraus, die eine adäquate Gegenwartsanalyse überhaupt ermöglichen sollen. Das »nackte Leben« ist ein solches Paradigma, der »Flücht­ling« ein weiteres: »Der Flüchtling«, so Agamben in seinem Text »Jenseits der Menschenrechte«, »ist die einzige Kategorie, die uns heute Einsicht in die Formen und Grenzen einer künftigen politischen Gemeinschaft gewährt«, weil er den Begriff des Bürgers und »die Prinzipien des Nationalstaates in eine radikale Krise stürzt«. Als »Grenz-Begriff« führe er zum Phä­nomen des denizen (Tomas Hammar) hin, der jene wachsende Anzahl Menschen bezeichnet, die einen festen Wohnsitz haben, aber auf die Bürgerschaft des jeweiligen Staates und die damit verbundenen Rechte und Pflich­ten weitgehend verzichten. Er führt zum anderen zur Frage nach dem Subjekt der Politik, das Agamben, als Benjamin-Schüler, durch Sprache bestimmt sieht: »Die Marxsche Analyse muss dahingehend ergänzt werden, dass der Kapitalismus nicht allein auf die Enteignung der produktiven Tätigkeit ausgerichtet war, sondern auch und vor allem auf die Entfremdung der Sprache selbst.« D.h., erst wenn die Sprache dem Menschen vollkommen entfremdet entgegentritt, wird sie ihm als Gemein­sames möglich. Das Gift wird zum Gegengift.

Weil Agamben die Theologie zum Me­dium der Ökonomie erklärt, kann er aus ihr auch das erhoffte Gegengift hervorgehen lassen, die Profanierung. In seinem Text »Lob der Profanierung«, erschienen im gleichnamigen Band, verabschiedet er jede Form von Subversion oder revolutionärer Politik alter Schule. Weil die Subversion der Macht sowohl ihre Anerkennung voraussetzt als auch ihre Funk­tion bestätigt, scheidet sie als politische Option aus. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, schon gar kein Gegen-Leben. Statt dessen präsentiert Agamben Lebensformen und Praktiken der »Nach­lässigkeit«, »Neutralisierung« oder des »unangemessenen Gebrauchs«, die den Wel­ten­lauf anhalten und die Re­geln der Macht außer Kraft setzen sollen. Ihr begriffliches Label ist die Profanierung, die Rückführung der »Dinge« in den »freien Gebrauch der Menschen«. Sie führt zu einer Form politischer Praxis, deren »Organ« das Spiel ist. Der »naturgesetzliche Gesamt­prozess« des Kapitalismus kann also nur dann aufgehalten werden, wenn seine geschichtsphilophische Logik aufs Spiel gesetzt und damit ausgesetzt wird.

So entwickelt Agamben über die Her­leitung der Biopolitik aus der Ökonomischen Theologie eine Ontologie des Politischen, die ohne soziale Bewegung auskommt, weil sie an ihrer begrifflichen Fundierung arbeitet. Wenn der Anspruch des Kapitalismus (als Religion als Ökonomie), den Konsum zu totalisieren, um damit die Sphäre des Gebrauchs aufzulösen, zerstört werden kann, wird Politik wieder möglich werden. Die Möglichkeitsbedingungen des Politischen aber liegen direkt im Menschen.