Bambi hat Bulimie

Stereo Total konservieren die Achtziger und den Eisdielen-Charme des Pop. von thomas blum

Die beiden von Stereo Total haben lustige Namen, sie heißen Brezel Göring und Françoise Cactus. Sie könnten aber auch Antoine Pfannkuchen und Orchidea Goebbels heißen, das wär’ uns auch recht. In Punkbands hießen die Musiker ja früher auch Brian Benzin, Kerl Fieser und Horst Weltkrieg. So weit geht das schon in Ordnung, das gefällt uns. Und es verweist auch ein bisschen darauf, dass man sich von Herzen dissident gebender Berufsjugendlicher geblieben ist und sein in antibürgerlicher Absicht hervorgeschleudertes Mir-doch-wurscht-Ding ernst meint. Herr Göring und Frau Cactus sind eben Kinder der Achtziger.

Sie singen, texten, komponieren, schreiben, spielen Instrumente. Vermutlich malen sie auch noch neonaive Dada-Pop-Bilder mit Fingerfarben, wer weiß. Zuzutrauen wär’s ihnen. Schließlich häkelt Frau Cactus auch subversive Topflappenwollskulpturen (»Wollita!«).

Seit zehn Jahren machen die beiden drollige moderne Unterhaltungsmusik zum Tanzen und Lachen, bei der uns über 30jährigen ein wenig das Herz aufgeht, weil sie uns an die noch unschuldige Zeit der ganz frühen Achtziger erinnert: Man habe keinen Ehrgeiz, kümmere sich nicht um alle anderen, lebe stolz sein Amateurdasein aus und musiziere bei Auftauchen des ein oder anderen putzigen, halbfertigen Einfalls einfach so drauflos. Play the Art Game! Fame, Money, Banana Oil! Uns gefällt’s so, dann wird’s auch ein paar andere geben, denen’s gefällt. Recht so.

So gibt’s auch auf dem neuen Album »Do the Bambi« wieder haufenweise Synthiegeschrubbel und -geplucker, Elektrokinderspielzeuggeräuschgemache und Handyklingeltonhaftes, ein bisschen Tanzbeat, ein bisschen Hubert Kah, Schlager, Casio- und Bontempi-Georgel und frech-jugendliches Kaugummigefühl. Wie immer eben. Nur hat man sich entschlossen, diesmal von der Punkgitarre, die früher auf dem ein oder anderen Track wohltuend den bisweilen allzu gefälligen minimalistischen Rhythmusmaschinenbimbam und den Cactusschen Singsang kontrastiert hat, kaum Gebrauch zu machen.

Nun ist es freilich nicht der Welt größte Kunst, zu karg-verspielter Instrumentierung hübsche, aber nicht besonders aufregende Belanglosigkeiten vorzutragen und hie und da ein La-la-la-la zu platzieren, doch Françoise Cactus macht das zweifelsohne ganz charmant, mit ihrer französischen Isch-bin-aber-schon-ein-großes-Mädschen-Stimme, wie sie es eben immer tut: »Isch bin nackt / mh-mh / Isch bin nackisch, ganz nackisch, na und?« Ja, genau: Na und?

Nach einer Weile kommt man auf den Trichter, dass es sich freilich auch hier so verhält wie auf ihren früheren Alben: Während die oft leierkastenähnliche Spieluhr-, Autoscooter- und Hobbykellermusik und der mit der Zeit so einförmige Kinderzimmer-Discosound den Hintergrund abgeben, werden in den Texten neben Trivial- und Populärkultur die zentralen Probleme des menschlichen Daseins verhandelt: Einsamkeit, Liebeskummer, Sehnsucht, Herzschmerz, Weltschmerz.

Und was bedeutet »Do the Bambi«? Die Band erklärt es uns: »Es bedeutet so viel wie: ›Zeig deine schönen Augen unter deinen langen Wimpern und rette mich aus dem Inferno meines Egos und der tristen gemeinen Welt!‹«

Einverstanden.

Zu gutgelauntem Bonbonpopgeorgel (»Europa neurotisch«) wird deklamiert: »Apathie, Hysterie, Hypochondrie / Bulimie, Anorexie, Nekrophilie / Xenophobie, Pädophilie, Melancholie / Lethargie, Egomanie, Erotomanie / Klaustrophobie, Kleptomanie, Schizophrenie / Pyromanie, Bigotterie, Nymphomanie.« Womit über Europa ja im Grunde alles Wesentliche gesagt wäre.

Natürlich werden auch wieder Hedonismus und Pop life beschworen: »We’re going underground / To the Troglodytes / Dort hören wir Musik / Wir tanzen zu den Beats / Und wir ignorieren / Das Gesetz der Stille / Musik ist unsere Freundin.«

Das vorzüglichste Stück der Platte aber ist das äußerst spärlich instrumentierte, nur mit einer sanft eindringlichen Dingdongdingdongmelodie versehene, sich in die Gehörgänge fressende, beinahe herzzerreißende »Helft mir«, auf dem Frau Cactus, dem Zusammenbruch nahe, uns mit erstickter Stimme anfleht: »Helft mir, alle Götter und Göttinnen / Helft mir, alle himmlischen Kräfte / Helft mir / Mir tut alles weh / Ich habe TBC im Herzen / Kinderlähmung im Kopf / Mein Gewicht beträgt 25 Kilo / Ich möchte, dass er zurückkommt / Come to me, come to me, please come back to me.« Ja, so geht Liebe. Wirklich wahr.

Aber dennoch: Je öfter man sich durch die Platte hört, auf der angestrengten Suche nach etwas Neuem, Besonderen, desto offensichtlicher wird, wie gleichförmig stur lalalahaft, zuckerwattig und überraschungslos dem alten, leidlich bekannten Stereo-Total-Muster folgend alles daherkommt. Letztlich ist das Meiste ja in der Tat nur uninspiriertes Bummstibummstihopsassa. Nicht mehr und nicht weniger.

Und eine geradezu verbrecherische Version von Nicos »Chelsea Girls« hat man sich getraut: Als hätte D.A.F. vergessen, einen Moog-Synthesizer auszuschalten, wubbert ein sinnlos hoch und runter wubberndes Synthiemotiv, während Frau Cactus recht schön singt. (Obwohl … Moment! … je öfter man sich das anhört, desto irrwitziger und drogenkonsumkompatibler klingt es.)

Naja, scheißegal, insgesamt ist das vermutlich dekonstruktivistischer Vergnügungspark- und Eisdielentanzpop oder so etwas. Endgültig klar ist auch, dass Stereo Total mit ihrer liebevollen Mixtur aus Kaputtness, Teengegacker und Gimmicksounds auf ihre Art die achtziger Jahre vor dem Aussterben bewahren und Musik für die internationale Ausgehgesellschaft machen, und das ist ja unbezweifelbar sehr charmant und gar nicht zu tadeln.

Aber ganz ehrlich gesagt: Früher klang das Berliner Duo auch schon mal frischer, ungestümer und kräftiger.

Die Entdeckung der Einfachheit ist nicht zwangsläufig für ein komplettes Künstlerleben haltbar. Es reicht eben doch nicht, immer nur dieselbe Idee zu haben und sie wieder und wieder zu variieren, früher oder später langweilt das.

Da hören wir uns lieber mehrmals hintereinander diesen catchy Gassenhauer von vor drei, vier Jahren noch mal an, mit diesem groovenden Beat, diesem »Uuuh-uuuuh-uuuh-uh-uh!«, diesen eingesampleten Versatzstücken mit Sexgestöhne und -gekiekse und dem recht überzeugenden Text: »Das ist total out / Das ist Hippieshit / Aber isch sage es laut / Isch liebe Liebe zu dritt / Ist der eine müde, der zweite ist fit / Uuuh! Bei der Liebe zu dritt / Es ist sexy, ekstatisch, tierisch, animalisch / Crazy, romantisch, es ist kommunistisch.«

Stereo Total: Do the Bambi (Disko B)