Kritisieren, aber richtig!

Die Volksrepublik China und die Medien

Im Sommer 1996 hatte die chinesische Regierung genug von der westlichen Medienberichterstattung. Auf der wöchentlichen Pressekonferenz für die in Peking akkreditierten ausländischen Journalisten sah sie zum ersten und einzigen Mal von der dort üblichen Zweisprachigkeit ab. Statt die chinesischen Aussagen sofort ins Englische zu übersetzen, beschränkte sich der damalige Regierungssprecher Shen Guofeng auf das Chinesische. Nachfragen wurden nur auf Chinesisch angenommen und beantwortet. Gleichzeitig ließ die Regierung verlautbaren, alle künftigen Pressekonferenzen würden dieser Praxis folgen, und die Korrespondenten sollten gefälligst Chinesisch lernen.

Zwar nahm die chinesische Regierung diese Maßnahme bereits in der darauf folgenden Pressekonferenz zurück, den Journalisten wurde jedoch unmissverständlich klar gemacht, dass ihre Berichterstattung vom Wohlwollen der chinesischen Regierung abhängt. Dass von den anwesenden westlichen Journalisten kaum einer ohne Dolmetscher auch nur ein Wort des Gesagten verstand, machte jedoch auch etwas anderes deutlich. Die meisten Auslandskorrespondenten sind auf ihren Job in China denkbar schlecht vorbereitet.

Zwar kann man von einem Journalisten nicht verlangen, die jeweilige Landessprache perfekt zu beherrschen, in einem Land jedoch, in dem höchstens ein Prozent der Bevölkerung Englisch spricht und in dem Kommunikationsrituale und Verklausulierungen eine große Rolle spielen, trägt das nicht unbedingt zu einer fundierten Berichterstattung bei, vorausgesetzt, sie ist erwünscht.

Die Zusammenarbeit mit einem Dolmetscher ist wegen der chinesischen Vorliebe, in der Übersetzung auch inhaltlich zu filtern, nicht immer die beste Lösung und führt zuweilen zu unfreiwillig komischen Momenten. Ein Klassiker sind die Chinareiseberichte Gerd Ruges, der in den gefilmten Gesprächssituationen den Eindruck der Sprachkenntnis erweckt, die Antworten seiner chinesischen Gesprächspartner aber zumeist vollkommen sinnfremd »übersetzt«.

Die meisten ausländischen Journalisten beschränken sich ohnehin darauf, entweder alte und neue Klischees zu reproduzieren oder den Tabubruch, die Dissidenz, das Außergewöhnliche aufzustöbern. Und wenn das nicht gelingt, wird es eben konstruiert. Die erste Variante sieht in ihrer klassischen Prägung so aus: 5 000 Jahre Geschichte, mystische Tempel und Klöster, geheimnisvolle Riten, ostasiatische Weisheiten. In ihrer modernen Variante kommen noch das Wirtschaftswunder, der Bruch der Menschenrechte, die Ein-Kind-Politik und die Vernichtung der Kultursubstanz durch die rasante Modernisierung hinzu.

Die zweite Variante zeigt Embryos im Straßengraben, Avantgardekünstler, nationale Minderheiten und ihre Unterdrückung, Untergrundkirchen und -organisationen. Nun ist es nicht so, dass diese Themen vollständig konstruiert, irrelevant oder uninteressant wären. Das Problem ist also nicht, was berichtet, sondern wie es aufbereitet wird. Berichte aus China haben eine seltsame Tendenz zur Eindimensionalität und zum Klischee. Deutsche trinken Bier, spielen Fußball und bauen tolle Autos. So sehen die Deutschlandklischees der chinesischen Bevölkerung aus. Im umgekehrten Fall ist unsere durch die Medien vermittelte Wahrnehmung Chinas nicht sehr viel differenzierter.

Dafür gibt es mehrere Ursachen. Wer als Journalist mit den tradierten Chinabildern des Westens anreist, keinen engeren Bezug zur Kultur des Landes hat und die Sprache nicht spricht, wird sich schwer tun, von etwas anderem als dem Gewohnten zu schreiben bzw. das Außergewöhnliche anders als mit Sensationslust zu sehen. Außerdem ist die Bewegungsfreiheit westlicher Journalisten in China wegen staatlicher Vorgaben, aber auch durch die eigene Beschränkung auf die Ausländergemeinde in Peking oder Shanghai, nicht die größte.

Die vorherrschende Berichterstattung über China hat auch eine politische Dimension. In den US-Medien übernahm das Land nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Rolle des neuen Reichs des Bösen. Dafür erweist sich China als ideal; es ist eine aufstrebende, nominell kommunistische Macht mit einer mehr als eine Million Mann umfassenden Armee. Dank der Entwicklungen in Nahost und wegen der konzilianten Außenpolitik der Volksrepublik ist das Land in den letzten Jahren ein wenig aus dem Blick der US-Falken geraten. Dennoch gehört die »chinesische Bedrohung« immer noch zum Repertoire der Neokonservativen. Unmissverständlich rückte zum Beispiel George W. Bush die Volksrepublik nach dem 11. September in die Nähe der »Achse des Bösen«.

Zwar hielten sich die deutschen Medien, mit Ausnahme des stern, auf dessen Titelseite zum Thema »China – Weltmacht des 21. Jahrhunderts« ein Chinese die Welt zwischen die Stäbchen nahm, meist zurück. Doch vermittelten sie oft mit den vorherrschenden Themen (Taiwan, Tibet, Atomwaffentests, militärische Hochrüstung, illegale Waffenlieferungen in Krisenregionen) den Eindruck, China könne auf lange Sicht zu einer Bedrohung für den Weltfrieden werden.

Die Probleme liegen aber nicht nur auf der Seite der westlichen Berichterstattung. Wer versucht, China wie jedes andere Land zu behandeln, stößt nicht nur rasch auf die eigenen Vorurteile, sondern auch auf chinesisches Unverständnis und die damit verbundene Kritik. Denn in ihrem Selbstverständnis sieht sich die chinesische Kultur als einzigartig und unnahbar. Die Chinesen beharren auf ihrer Sonderrolle und kritisieren die westliche Berichterstattung weniger auf inhaltlicher als vielmehr auf formaler Ebene. So wird die Kritik eher als Anmaßung, weniger als ungerecht aufgenommen.

Mit den Jahren oberflächlicher und undifferenzierter Kritik an den chinesischen Verhältnissen hat der Westen die zumeist patriotisch ausgerichteten chinesischen Journalisten in ein Dilemma getrieben. Zwar gibt es genügend Gründe, die eigene Regierung zu kritisieren, und viele Journalisten und Publizisten haben in den letzten Jahren die Grenzen der Zensur recht genau ausgelotet. Die formal staatlich kontrollierten Medien sind mit fortschreitender Reform schon lange keine Einheit mehr. Scharfe Kritik an Missständen wie Korruption und Vetternwirtschaft ist selbst in den staatlichen Medien keine Seltenheit. Es scheint zuweilen, als seien nur die Parteispitze und deren Politik durch die Zensur vor Kritik geschützt.

Dennoch gibt es das weit verbreitete Bedürfnis unter chinesischen Intellektuellen, das eigene Land im besten Licht darzustellen. So ist es in den seltensten Fällen die Zensur, die abweichende Meinungen in der chinesischen Presse verhindert. Zwar wird in den Medien über politische Freiheiten gesprochen, die Menschenrechte aber sind selbst im privaten Gespräch kein Thema. Vielmehr wird die westliche Doppelmoral im Umgang mit den Menschenrechten thematisiert.

Auch die Außenpolitik der chinesischen Regierung steht zuweilen in der Kritik. Diese aber ist ganz anders als die westliche Auffassung, die Volksrepublik China versuche sich als Hegemonialmacht in Asien zu etablieren. Vielmehr wurde die demonstrative Amerikafreundlichkeit der scheidenden Administration unter Jiang kritisiert. Auch die passive Haltung Chinas im Irakkonflikt war ein Thema in den chinesischen Zeitungen. Ähnlich verhält es sich mit der Taiwan- und der Tibetfrage. Einen chinesischen Journalisten zu finden, der auch nur eine der beiden Regionen nicht als integralen Bestandteil der VR China betrachtet und der auch darüber schreiben würde, ist schlichtweg unmöglich.

Für einen differenzierten Umgang mit diesen und anderen heiklen Themen fehlt es nicht nur an den entsprechenden Institutionen, sondern auch am entsprechenden Bewusstsein. Hinzu kommt, dass es kaum eine Zusammenarbeit mit ausländischen Journalisten gibt, zumindest keine auf einer gleichberechtigten Ebene. Der Mediensektor ist, was ausländische Investitionen angeht, immer noch einer der am stärksten regulierten Bereiche der chinesischen Wirtschaft. Hier sind in der nächsten Zeit wohl kaum Änderungen zu erwarten. Zum einen fürchtet die chinesische Regierung zu Recht, die Kontrolle über die Medien zu verlieren. Zum anderen fehlt auf beiden Seiten außerdem oft die sprachliche und die kulturelle Kompetenz für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

Auf chinesischer Seite ist die Reflexion der chinesischen Verhältnisse jenseits der westlichen Kritik und der nationalen Behauptung kaum ausgeprägt. Die überzogene, oft schlampig recherchierte und aufbereitete Berichterstattung des Westens ist an dieser Situation nicht ganz unschuldig.