Debatte um »Empire« von Negri/Hardt

Hier kommt der Masterplan

»Empire« von Michael Hardt und Antonio Negri beschreibt das Feld, auf dem die Auseinandersetzungen der Zukunft geführt werden.

Was für ein Titel: »Empire«. Es gibt Bücher, die sind mehr als einfach nur das, was in ihnen steht. Das fängt mit dem Cover an. Es zeigt das Wolkenbild eines aus dem Weltraum aufgenommenen Orkans. Darüber prangt, in weinroten Riesenlettern auf pechschwarzem Grund: »Empire«.

Also: 1.) Es geht ums Ganze. 2.) Es braut sich was zusammen. 3.) Das Ding heißt »Empire«. So sieht zumindest das amerikanische Original aus, die deutsche Ausgabe mit ihren Pastelltönen und ihrem Untertitel »Die neue Weltordnung« fällt da deutlich ab. Dass es um die neue Weltordnung geht, ist bei der Originalausgabe schon klar, bevor man das Buch auch nur umgedreht hat.

Schaut man dann auf die Rückseite - wo von Etienne Balibar (»amazing«) über Saskia Sassen (»extraordinary«) und Frederic Jameson (»not a bad way to begin a new century«) bis zu Slavoj Zizek (»nothing less than a rewriting of The Communist Manifesto«) alles aufgeboten wird, was an Theoretikern gut und teuer ist -, will man es gar nicht mehr loslassen. This is it, ruft das Buch, und selbst dieser Auftritt ist noch nicht alles.

»Schauer der Erregung« sende dieses Buch über die Universitätsgelände zwischen São Paulo und Tokio, schrieb die New York Times. Nicht London, Paris, New York oder Berlin: Nein, São Paulo und Tokio. Auch das ist Teil dessen, was dieses Buch ausstrahlt, bevor man auch nur eine Zeile gelesen hat: Südamerika und Asien. Hier geht es um die Globalisierung und das junge, harte Denken. Der eine Autor ist Italiener und saß bis vor nicht allzu langer Zeit im Gefängnis, der andere ist Amerikaner und Professor für Literaturwissenschaft.

Negri/Hardt. Das hört sich an wie Deleuze/Guattari, Lennon/McCartney, Adorno/Horkheimer oder wie - sagen wir es doch gleich - Marx/Engels. Verspielt (Negri) und entschlossen (Hardt). Linksradikale Kontinuität (Italien in den Siebzigern, Operaismus, Exil, Gefängnis) bei Negri und selbst denkendes akademisches Seiteneinsteigertum bei Hardt.

Hergehört!, ruft dieses Buch, hier kommt der Masterplan.

Das Empire

Das ist ja alles schön und gut, wird nun der eine oder die andere sagen, das haben wir auch schon gehört. Aber worum geht es überhaupt? Gemach, gemach, kann man da nur antworten. Will man verstehen, wovon »Empire« handelt, muss man das Buch in seiner vollen ästhetischen Qualität ernst nehmen. Denn schon der titelgebende Zentralbegriff des Buchs funktioniert genau wie das Buch als Ganzes: Auch er ruft ein ganzes Assoziationscluster auf. Zwar ist das Empire zuallererst ein Begriff - ein Begriff, der keine Metapher sein möchte. Aber zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zieht er seine Stärke aus dem, was man mit ihm verbindet: Vom Römischen Imperium über das Britische Empire bis zum Imperium in George Lucas' »Krieg der Sterne«. Trotzdem: Es ist ein Begriff, der eine Herrschaftsform beschreibt, eine neue Form der Souveränität.

Dieses Empire ist aber kein Imperium im Sinne der oben genannten, man kann es sich eher als ein weltumspannendes Netzwerk aus nationalen Regierungen, supranationalen Institutionen wie den Vereinten Nationen oder dem IWF und internationalen Konzernen sowie den NGOs vorstellen. Anders als für den klassischen, auf Nationalstaaten zentrierten Imperialismus hat das Empire mit seiner globalen Befehlsgewalt weder ein politisches oder wirtschaftliches Außen noch ein lokalisierbares Zentrum - es ist sowohl dezentral als auch universal.

»Der globalisierte Markt«, so fasst Negri es zusammen, »gewinnt seine politische Einheit durch die Attribute, die immer schon die Souveränität gekennzeichnet haben: durch militärische, monetäre, kommunikative, kulturelle und sprachliche Macht. Die militärische Macht rührt aus der unumschränkten Verfügungsgewalt über ein umfassendes Rüstungsarsenal, inklusive Nuklearwaffen. Die monetäre Macht beruht auf der Existenz einer hegemonialen Währung, der die Finanzwelt trotz ihrer Vielgestaltigkeit vollständig untergeordnet ist. Die Macht der Kommunikation zeigt sich im Triumph eines einzigen kulturellen Modells oder gar einer einzigen universellen Sprache. Dieses Machtdispositiv ist supranational, global und total: Wir nennen es Empire .«

Ach so ist das, könnte man nun versucht sein zu denken, es geht um die USA und ihre Vorherrschaft auf der Welt! Wer hat denn die militärische Macht? Welche Währung ist hegemonial? Welches kulturelle Modell setzt sich weltweit durch?

Aber das ist Unfug, darum geht es nicht. »Die Vereinigten Staaten bilden nicht das Zentrum eines imperialistischen Projekts, und tatsächlich ist dazu heute kein Nationalstaat in der Lage. Der Imperialismus ist vorbei.« Der Imperialismus ist für Negri und Hardt vorbei, weil es nichts mehr zu erobern gibt: Das Empire umfasst bereits die ganze Welt. Deshalb hat es kein Außen, deshalb führt es nicht einmal mehr Kriege. Was nicht heißt, dass es keine Truppen losschicken würde. Aber das sind Interventionstruppen, die im Namen des Friedens und der Stabilität ausgesandt werden. Im Empire werden Militär und Polizei tendenziell ununterscheidbar. Die Nationalstaaten gibt es zwar noch, und es wird sie auch weiterhin geben, aber eben nur als ein Moment unter vielen.

Man muss sich dieses Empire als ein sich selbst regulierendes System vorstellen, oder wie Negri und Hardt es mit einem von Foucault geborgten Begriff bezeichnen, als ein Dispositiv. Es ist supranational und von Einzelnen nicht steuer- oder beherrschbar. Um die interne Funktionsweise dieses Systems zu beschreiben, ziehen Negri und Hardt den Begriff der Biomacht heran. Zwar gibt es noch die Reste der Disziplinargesellschaft, die Fabriken, Schulen, Gefängnisse, die das Subjekt von außen zurichten, wichtiger ist aber das entstehende Kontrollregime, das seine Machteffekte direkt in den Körpern, Gehirnen und Gefühlen produziert.

Der Fortschritt

Das ist nun erst einmal wenig neu. All das ist irgendwo im Theorie-Underground der letzten dreißig Jahre schon einmal so oder ähnlich gedacht worden. Überraschend ist allerdings die Kombination: Wie Negri und Hardt die Kulturgeschichte der Neuzeit als einen manichäischen Kampf zwischen Immanenz und Transzendenz beschreiben, wie sie Rechtstheorie, Philosophiegeschichte, Literatur und Ökonomie verbinden - das ist von einer solch verstrahlten Gelehrsamkeit, dass man über die eine oder andere Inkonsistenz gerne hinwegsieht.

Negri und Hardt machen kein Hehl daraus, dass sie voller Bewunderung auf die Kraft des Kapitalismus zur Deterritorialisierung schauen. Wie Marx bewundern sie seine scheinbar unerschöpfliche Kraft zur Entgrenzung und Verflüssigung von Staat und Gesellschaft. Und so finster das Szenario ist, das sie mit dem Konzept einer neuen Herrschaftsform entwerfen, so sehr bestehen sie darauf, dass es sich bei der Konstituierung des Empire um einen Fortschritt gegenüber dem handelt, was es davor gab. »Man muss jede Nostalgie gegenüber den Machstrukturen, die ihm vorausgingen, zurückweisen und sich jeder politischen Strategie verweigern, die darauf hinausläuft, zum alten Arrangement zurückzukehren, etwa zu versuchen, zum Schutz gegen das globalisierte Kapital den Nationalstaat erneut zu stärken. Das Empire ist also in dem Sinne besser, in dem Marx darauf bestand, dass der Kapitalismus besser sei als die Gesellschaftsformationen und Produktionsweisen, die ihm vorausgingen. (...) Entsprechend können wir heute sehen, wie das Empire die grausamen Regime moderner Macht wegwischt und sich dabei das Potenzial der Befreiung erhöht.«

Die Multitude

Befreiung also - darum geht's, und dafür bringen Negri und Hardt ihren zweiten großen Begriff ins Spiel: Die Multitude, in der deutschen Ausgabe mit der »Menge« übersetzt. Ist der Begriff des Empire noch recht klar definiert, so ist die Multitude ein Begriff, der - um es freundlich zu formulieren - zu verschiedenen Auslegungen einlädt. Mal ist die Multitude das, was seit Jahrhunderten die Geschichte vorantreibt, das, was man bis vor nicht allzu langer Zeit Proletariat nannte und das sich nun eben neu materialisiert habe, mal ist es aber auch etwas ganz Neues, nie Dagewesenes, gerade erst in der Entstehung Begriffenes: Die Multitude, all die vielen Menschen, ich, du, er, sie, es - die immateriellen Arbeiterinnen und Arbeiter, die den fortschrittlichsten Ausbeutungsverhältnissen ausgesetzt sind. Und manchmal ist die Multitude nichts weiter als die linksradikale Variante dessen, was in der Boulevardpresse immer so schön »der kleine Mann« genannt wird.

Dass es auf deutsch »Menge« heißt, hat den Vorteil, dass es den V-Effekt etwas abmildert, dass also kein toller neuer Begriff mehr das bezeichnet, was man eigentlich selbst ist, aber es hat den entscheidenden Nachteil, genau dadurch die mangelnde Trennschärfe des Begriffs auch noch auszustellen.

Diese Multitude ist nicht nur der Counterpart des Empires und - so viel kann man vom Ende verraten - das, was das Empire in nicht allzu ferner Zukunft in die Tonne treten wird: Sie hat das Empire auch erschaffen. Es gebe das Empire gar nicht, wenn die Menge es nicht ständig produzieren würde. Deshalb, und das ist jetzt stark verkürzt, muss die Menge sich eigentlich nur noch das nehmen, was ihr eigentlich schon längst gehört.

Denn dadurch, dass das Empire kein Außen mehr hat, ist es auch extrem verletzbar, jeder Angriff trifft es in seinem Kern. Gerade weil es allumfassend ist, ist es auch überall verwundbar. Da alle Organisationen sich von Hierarchien zu dezentralisierten Netzwerken wandeln, welche auf kein bestimmtes Territorium mehr fixiert sind, kann man das Netz auch an jeder Stelle kappen.

Der Zweckoptimismus

Nun ist es recht einfach, sich über den Optimismus von Negri und Hardt lustig zu machen - die letzten Sätze des Buchs lauten tatsächlich »Diese Revolution wird keine Macht kontrollieren können - weil Biomacht und Kommunismus, Kooperation und Revolution in Liebe, Einfachheit und Unschuld vereint bleiben. Darin zeigt sich die nicht zu unterdrückende Leichtigkeit und das Glück, Kommunist zu sein.«

Meine Güte, denkt man sich, überall auf der Welt kracht alles zusammen, kein Tag, an dem nicht irgendwo ein neuer Konflikt ausbricht, da kann man so zuversichtlich in die Zukunft blicken? Aber der Optimismus von »Empire« ist viel weniger nahe am Realitätsverlust, als er auf den ersten Blick erscheint. Er ist nicht nur ihrer Analyse der Welt geschuldet, er ist vor allem tief in der Konstruktion des Buchs selbst verwurzelt.

»Empire« ist ein Manifest, und als solches sollte man es lesen. Ein Manifest hat ein anderes Verhältnis zu seinen Lesern als ein Philosophie-Buch oder ein Buch, das sich der Analyse irgendeines geschichtlichen oder zeitgenössischen Phänomens widmet. »Ein Manifest, ein politischer Diskurs heute muss sich bemühen, im Sinne Spinozas (der davon sprach, ein Prophet müsse sein eigenes Volk hervorbringen; T.R.) prophetisch zu wirken, also in Verbindung mit dem immanenten Begehren zu wirken, das die Menge organisiert«, schreiben Negri und Hardt gleich zu Anfang, und damit geben sie die Richtung vor. Will sagen, die Multitude gibt es in dem Augenblick, wo sie begreift, dass es sie gibt.

Und genau davon handelt die ganze Konstruktion der Multitude, in all ihrer Offenheit und Unbestimmtheit. Sie ist weniger Analyse von dem, was ist oder war, sie ist eher Ausblick auf etwas, was sein könnte.

Seattle, Genua, Porto Alegre

Niemand weiß, was kommen wird. »Empire« ist zwischen dem zweiten Golfkrieg und dem Kosovo-Krieg geschrieben worden. Weder die Bewegung der Globalisierungsgegner und die Ereignisse von Seattle, Göteborg und Genua kommen vor, noch die Anschläge vom 11. September. Wahrscheinlich kommt das World Social Forum von Porto Alegre dem am nächsten, was sich die beiden Autoren als soziale Form vorstellen, in der sich so etwas wie die Multitude organisieren könnte - wenn man einmal die klassischen Globalisierungsgegner, die den Nationalstaat stärken wollen, außer Acht lässt. Das ist die Multitude: Vertreter der Landlosenbewegung und metropolitane Linke, die versuchen auszuloten, wo denn Gemeinsamkeiten liegen und wo die Unterschiede, und was man eigentlich tun kann.

Der gerade in der deutschen Linken so tief sitzende Pessimismus hat natürlich auch gute Gründe - daran hat es der Linken noch nie gefehlt -, er bringt aber vor allem Theorien der Ohnmacht hervor. Früher war zwar auch schon alles Scheiße - vor allem ganz früher - , aber zwischendrin waren zumindest die Theorien besser, die Straßenkämpfe härter, die Hausbesetzungen ernsthafter, die Analyse radikaler und die Währungen noch an den Goldstandard gekoppelt. Da wird es rasch zur übelsten List des Kapitalismus, dass er nun auch noch die Geschichte ausgesetzt hat und sich selbst für ewig erklärt.

Negri und Hardt bestehen darauf, dass die Geschichte eben nicht ausgesetzt ist. Und dass es etwas gibt, das sie schreiben wird.

Ein Manifest ist kein Programm

Immer dann, wenn es in »Empire« zu konkreten Forderungen kommt, ist das Buch am schwächsten. Dann fällt der ganze schöne radikale Gestus ziemlich rasch in sich zusammen: Grenzen auf und Existenzgeld für alle? Darauf soll es hinauslaufen, das soll die Perspektive sein? Dafür haben wir uns von dem euphorischen Furor der zwei Autoren über 460 Seiten tragen lassen? Und überhaupt - wer soll das Existenzgeld denn bitte auszahlen, wenn die Nationalstaaten immer mehr an Einfluss verlieren und jede Form von positivem Bezug auf sie vielleicht manchmal gut gemeint, aber immer naiv und im Grunde rückwärts gewandt ist?

Aber darum geht es nicht, und das wissen Negri und Hardt auch. »Empire« prognostiziert, dass sich demnächst neue Formen von Subjektivität herausbilden werden, neue Formen von Produktivität, neue Formen von Widerstand. Wie die aussehen werden, wissen sie genauso wenig wie irgendjemand sonst. Sie prognostizieren lediglich, dass es sie geben wird, und sie deuten an, in welche Richtung sie sich unter Umständen bewegen könnten. Vor allem aber beschreiben sie das Feld, auf dem die Auseinandersetzungen der Zukunft geführt werden, und das ist eine ganze Menge - dass sich da jemand herausnimmt, überhaupt ein Feld zu beschreiben, auf dem ernsthaft ein Konflikt ausgetragen werden wird.

Ihren Optimismus ziehen Negri und Hardt vor allem daraus, dass sie dem Menschen als Subjekt keine Träne hinterherweinen. Wenn das Empire kein Außen hat, und wenn jedes Bemühen, eines zu konstruieren, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, warum sollte man daran festhalten?

Ein Manifest ist eine literarische Form, die ihre Kraft erst in der Auseinandersetzung mit dem entfaltet, was sich in ihr manifestiert. Von daher sollte man »Empire« vor allem als eines lesen: als Prolegomena zu einer Kritik seiner Unvernunft. Wenn sich je ein Buch in seiner Rezeption realisiert, dann dieses.

Empire. Die neue Weltordnung. Michael Hardt, Antonio Negri. Übersetzt von Thomas Atzert und Andreas Wirtensohn. Campus Verlag, Frankfurt, New York 2002. 480 S., 34,90 Euro

Diskussionsforum zum Buch unter www.campus.de/catalog/empirechat2.asp.

Am Mittwoch, dem 20. März, um 22 Uhr wird Michael Hardt in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin einen Vortrag halten. Übersetzen und die anschließende Diskussion moderieren wird Thomas Atzert. Der Eintritt ist frei.

In loser Folge werden in den kommenden Wochen weitere Texte zu »Empire« erscheinen.