Koranschule II

Teuflische Feinde

Der islamistische Antisemitismus ist kein europäisches Importgut, sondern ein moderner Ausdruck der völkischen Ideologie.

Die Diskussionen um die Anschläge in den USA zeichnen sich ebenso wie die Reaktionen auf die antisemitischen Ausbrüche in Teilen der arabischen Öffentlichkeit durch die merkwürdige Bereitschaft aus, den Verlautbarungen noch des größten Hetzers aufs Wort zu glauben. Antisemitische Predigten in Gaza oder Nablus oder Berichte in palästinensischen Zeitungen über »Nazi-Israel« werden mit Volkes Zorn über die israelische Besatzungspolitik erklärt. Und die Demonstrationen von Ägypten bis Pakistan erscheinen zwar als exotischer, aber durchaus legitimer Ausdruck der Antiglobalisierungsbewegung. Einige dieser Umdeutungen, die von den Marxistischen Blättern bis zum Freitag in die Diskussion gebracht werden, finden sich auch in den Thesen, die Thomas Schmidinger (in der Jungle World, 48/01) formulierte.

Das Symbol WTC

In den zahlreichen Kommentaren, die in den letzten Wochen in arabischen Talkshows und Zeitungen unter dem Motto »Warum hassen wir Amerika?« abgegeben wurden, lassen sich keine Belege für die These finden, dass es sich bei den Protesten um einen unbeholfenen Hilfeschrei der Unterdrückten handelt. Beschränkt man sich nicht nur auf die minutiösen - und richtigen - Aufzählungen US-amerikanischer Verstöße gegen internationales Recht, sondern betrachtet auch den Kontext dieser Kritik an der amerikanischen Außenpolitik, wird der interpretatorische Rahmen deutlich.

Beispielhaft steht dafür die Geschichte, die wenige Tage nach den Anschlägen vom Fernsehsender der libanesischen Hisbollah verbreitet wurde. Darin werden die Anschläge als gerechte Strafe für die USA bezeichnet. Die zentrale Botschaft lautet aber, dass nicht Ussama bin Laden, sondern vielmehr die Juden für den Anschlag verantwortlich seien. Als »Beleg« wird angegebeben, dass die über 4 000 Juden, die angeblich am 11. September auf wundersame Weise nicht zur Arbeit im World Trade Center erschienen, rechtzeitig vor dem Anschlag gewarnt worden seien. Daher könne es sich bei dem Anschlag nur um eine jüdische Verschwörung handeln. In verschiedenen Variationen zieht sich diese Story, die sich nur bedingt an die Regeln der Logik hält, seither durch die Debatten.

Die Frage, ob nun bin Laden Urheber der Anschläge war, ist dabei für eine Kritik des Antiamerikanismus nicht von besonderer Bedeutung. Angesichts der Bekundungen großer Teile der ägyptischen, saudi-arabischen und jordanischen Bevölkerung, bei den Attentaten habe es die Richtigen getroffen, reicht es völlig, sich auf diese Stimmungen zu beschränken.

Interessanter sind vielmehr die Argumente, mit denen die kaum mehr klammheimliche Freude über die Angriffe auf die vermeintlichen Symbole amerikanischer Arroganz begründet wird. Die Verbindung von antiamerikanischen Ressentiments und jüdischer Verschwörung, welche einen westlichen Krieg gegen die islamische Welt provoziert habe, weist bereits auf eine Semantik hin, die mit der Kritik politischer und ökonomischer Unterdrückungsverhältnisse nur noch wenig gemein hat.

So fällt es schon kaum mehr auf, wenn in Kommentaren über die »Feinde Amerikas« neben der palästinensischen oder der kolumbianischen Bevölkerung auch die extreme Rechte in den USA genannt wird, die sich gegen »den Verfall der Moral« auflehne. Dass sich die Kritik an der US-amerikanischen Außenpolitik mit Hinweisen auf die Dekadenz und den moralischen Verfall des Westens vermischt, ist dabei keineswegs zufällig. Dies zeigt sich beispielsweise in den Positionen, die das so genannte links-islamische oder revolutionär-islamische Spektrum vertritt.

In seinen jüngsten Interviews und Vorträgen äußert sich ein renommierter Vertreter dieser Strömung, Hassan Hanafi, über die Notwendigkeit einer »neuen arabischen Renaissance«, in der sich die arabisch-islamische Welt vom Westen ideologisch, ökonomisch und politisch befreien müsse. Der ägyptische Professor für Philosophie macht keinen Hehl aus seinem Wunsch, der westlichen Dominanz eine islamische Revolution entgegenzusetzen. Nachdem alle antikolonialen Bewegungen gescheitert seien, sieht er allein im islamischen Widerstand in den palästinensischen Gebieten, in Bosnien und dem Kosovo, in Südafrika und insbesondere in Südostasien die Fragen nach »Identität und dem Anderen, Unabhängigkeit und Abhängigkeit, Gegenwart und Zukunft, Erneuerung und Authentizität« bewahrt.

Hanafi verweist dabei ausdrücklich auf Oswald Spenglers Werk »Der Untergang des Abendlandes«, das die Aufklärungskritik der völkischen Revolution der zwanziger Jahre in Deutschland repräsentiert. Er widerlegt damit auch den letzten Verdacht, bei dieser »Befreiung vom Westen« könnte es sich um den Versuch einer emanzipativen Überwindung der Ambivalenzen der westlichen Moderne handeln.

Und auch er will nicht ausschließen, dass eine »zionistische Strömung in Amerika die 6 000 Amerikaner geopfert haben (könnte), um die USA in einen Krieg gegen den so genannten islamischen Terror« zu treiben. Diese Verbindung von Aufklärungskritik und antisemitischer Verschwörungstheorie findet sich beispielhaft im Bild des »jüdischen Freimaurertums« als einer »verborgenen Hand«, die in einigen Kommentaren hinter den Anschlägen ausgemacht wurde.

Die Religion dieser Bewegung, deren ideologische Grundlagen nach Ansicht eines Autors der ägyptischen Tageszeitung al-Akhbar (8. Oktober 2001) in den »Protokollen der Weisen von Zion« dokumentiert sind, sei der Humanismus, der unter dem Banner »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« zur »Brüderschaft aller Religionen, Nationalitäten und Hautfarben« aufrufe - allerdings nur, um zum richtigen Zeitpunkt zum entscheidenden Schlag gegen die Christen und Muslime anzusetzen.

Finde die Juden!

Obwohl der antisemitische Charakter dieser Aussagen kaum zu bestreiten ist, gibt es immer wieder Einwände gegen eine solche Interpretation. Es handele sich dabei um »Projektionen von Bildern und Vorstellungen auf den Nahen Osten, die die dortigen Verhältnisse unbeachtet« lassen, schreibt etwa Thomas Schmidinger. Palästinensische Parolen, die sich gegen Israel richteten, seien letztlich »nur in der Form« dem Antisemitismus ähnlich, meint Peter Ullrich (Marxistische Blätter, 4/01). Anders als in Europa und insbesondere in Deutschland ließe sich der Hass auf die Juden als »Kriegsrassismus«, so der französische Orientalist Maxime Rodinson, also als unmittelbare Konsequenz der Konfrontation zwischen dem Westen bzw. Israel und den arabischen Ländern, beschreiben.

Angesichts der Reaktionen in der arabischen Öffentlichkeit auf den 11. September und dessen Folgen erscheint diese Reduktion des »Hasses auf die USA« oder des »Judenhasses« auf reale Konflikte umso fragwürdiger. Es macht vielmehr Sinn, in diesen Feindbestimmungen genau jenen Mechanismus auszumachen, durch den sich antisemitisches Denken auszeichnet: Als gedanklicher Rahmen, innerhalb dessen sich diese Wahrnehmungen der Gesellschaft bewegen, geht die antisemitische Deutung dem Ereignis voran und beschränkt das Geschehen auf das bereits erwartete.

Schließlich lassen sich die geläufigen Interpretationen gesellschaftlicher Konflikte nicht allein wegen der verwendeten Stereotype mit dem modernen europäischen Antisemitismus vergleichen - egal ob es sich dabei um die Angriffe auf Afghanistan, die ökonomische Abhängigkeit vom good will des US-Kongresses, von dessen Zustimmung die jährliche Alimentierung Ägyptens mit zwei Milliarden US-Dollar abhängt, oder um den unerklärlichen Anstieg von Nierenschäden seit dem Abschluss des Vertrages von Camp David handelt. Die Erklärung sozialer Probleme reduziert sich auch hier auf Verschwörungstheorien, hinter denen mehr oder minder deutlich die Juden, mindestens aber der Zionismus zu erkennen ist.

Die Struktur der Argumente und des gesellschaftlichen Kontexts, in dem sich diese Feindbestimmungen entwickelten, legen weitergehende Parallelen nahe, ohne dass man deswegen nach dem Hitler des Nahen Ostens im Golf-Krieg und der Rampe von Srebrenica in Bosnien nun auch noch die Rampe von Ramallah befürchten müsste.

An einem von Schmidinger angeführten Beispiel lässt sich dies verdeutlichen. Wie kaum ein anderes Buch lösten »Die Gründungsmythen der israelischen Politik« von Roger Garaudy in den letzten Jahren ein breites Echo in arabischen Medien aus. Mit seinen Thesen, die Zahl der getöteten Juden im Holocaust sei wesentlich geringer als behauptet, die Existenz von Gaskammern sei zweifelhaft und die Zionisten hätten mit ihrer Mediendominanz die deutschen Verbrechen instrumentalisiert, traf Garaudy den Nerv der Zeit. Hunderte Artikel erschienen zu seiner Verteidigung, als ihm in Frankreich der Prozess gemacht wurde.

Schmidinger gibt mit seiner These, »Garaudy sei eine Waffe« im Konflikt mit Israel eine gängige Interpretation dieser Reaktionen wieder. Sie ist aber falsch. Ebenso wie in der Anekdote über die 4 000 Juden, die am 11. September nicht zur Arbeit im World Trade Center erschienen, ging es auch hier nicht darum, die Richtigkeit dieser Behauptungen Garaudys zu bestätigen oder zu dementieren. Manchen mag es sogar zu peinlich gewesen sein, mit einer Wiedergabe den garaudyschen Auslassungen über das wirkliche Fassungsvermögen der Gaskammern den Segen zu geben. Das Zitieren dieser »Meinungen« genügt sich selbst.

Noch mehr Feindbestimmungen

In besonders eindringlicher Weise brachte der Herausgeber der französischsprachigen Wochenzeitung al-Ahram Hebdo, Muhammad Salmawy, diese Debatte um Garaudy auf den Punkt. In seinem Artikel »Suche die Juden!« geht es um den Prozess gegen Garaudy, die Einreiseverbote gegen den britischen Holocaustleugner David Irving in Deutschland und Kanada und die Affäre Monica Lewinsky. Salmawy, der auch als Sekretär des Literaturnobelpreisträgers Nagib Mahfuss arbeitet, ist kein Spinner. Seine Nominierung für den prestigeträchtigen Francophonie-Preis der Académie Française wurde erst nach wütenden Protesten zurückgenommen.

Eigentlich ist es zu niveaulos, diesen Artikel wiederzugeben, aber er macht gut deutlich, was in den meisten anderen nur angedeutet wurde. Salmawy behauptet, das hinter allen drei Geschehnissen die jüdische Verschwörung zu erkennen sei. Der Versuch, die Wahrheit über den Holocaust zu verbergen, trieb die Verschwörer an, Garaudy und Irving juristisch auszubremsen. Monica Lewinsky wurde zu jenem Zeitpunkt im Weißen Haus platziert, als bekannt wurde, dass William Clinton bei einem anstehenden Besuch des israelischen Premierministers Benyamin Netanyahu Zugeständnisse gegenüber den Palästinensern fordern würde (al-Ahram, 2. Februar 1998).

Salmawy beendet seinen Artikel, dessen Überschrift auf den Ausspruch Napoleons »Suche die Frau« anspielt, mit der Frage: »War es wirklich die Frau, nach der Napoleon suchte«, die hinter diesen Ereignissen stand, »oder war es etwas anderes, etwas weniger Schönes, dafür aber umso Zerstörerisches als die Frau?« Die Kritik der vermeintlichen Instrumentalisierung des Holocaust bedeutet in dieser Argumentation nicht mehr als der Vorwurf, die USA hätten mit ihrer Außenpolitik gegen internationales Recht verstoßen. Sie ist zweitrangig, im Mittelpunkt steht auch hier das Bild einer jüdischen Verschwörung.

Es sei noch angemerkt, dass die jüngste Anerkennung des Holocaust als historische Realität durch arabische Intellektuelle nur bedingt mit diesen Sichtweisen in Widerspruch steht. Gerade Akademiker wie Azmi Bishara oder Edward Said, auf die Schmidinger hinweist, haben der schlichten Leugnung mittlerweile mit der so genannten Opfer-der-Opfer-These eine nur geringfügig sympathischere Argumentation entgegengesetzt. Es gab zwar den Holocaust, dass die Juden danach aber die Palästinenser vertrieben, macht die israelische Politik nur umso krititkwürdiger und begründet die Forderungen nach Wiedergutmachung, wie sie die Juden von den Deutschen erhielten.

Weitere Facetten der Feindbestimmungen im öffentlichen Diskurs werden exemplarisch in Veröffentlichungen aus dem Kreise der al-Azhar Universität in Kairo dargelegt. In einem Beitrag unter dem Titel »Kenntnis der Feinde« in der Universitätszeitung Sawt al-Azhar wird auf die vom Koran bestimmten Feinde aufmerksam gemacht.

Dies seien neben dem Teufel zunächst auch die »kriegerischen Ungläubigen«. Als besondere Bedrohung, die weder »an den Grenzen Palästinas« noch am Nil oder dem Euphrat halt mache, sondern die die Beherrschung der Welt und die Zerstörung des zivilisatorischen Erbes und der menschlichen Werte anstrebe, müsse man sich - wer hätte das gedacht - vor allem der Juden erwehren. Seit Menschengedenken seien die Juden dafür bekannt, dass sie weder »Versprechen noch Pakt« hielten. »Die Juden seien diejenigen, die die Propheten töteten«, »die Heuchler«, »die Betrüger«, die, »die Verderbnis bringen« und die »Menschen zum Materiellen verleiten«. Sie sind die »Feinde der Gläubigen« und stehen »heute wie damals hinter dem Teufel«. (3. August 2001)

Dieses Bild des ewigen Juden, der in Feindschaft zur menschlichen Gemeinschaft stehe, wird selbst von Sheikh Muhammad al-Tantawi, dem Sheikh der al-Azhar Universität und damit der obersten religiösen Autorität des sunnitischen Islam, gezeichnet. In seinem umfangreichen Werk »Die Söhne Israels in Koran und Sunna«, das 1998 erschienen ist, beschränkt er sich ausdrücklich nicht darauf, die Charakterisierungen der Juden in den religiösen Schriften wiederzugeben. Denn, so Tantawi, »der Beweis für die Zuverlässigkeit der koranischen Beschreibungen der Juden« sei ja gerade, dass sich deren Darstellungen »zu jeder Zeit und an jedem Ort« bestätigt fänden. Seine ausführliche Auseinandersetzung mit den »Protokollen der Weisen von Zion«, die er als authentische Quelle der jüdischen Geschichte ausweist, wird nur noch mit dem Abdruck einer gefälschten Rede des amerikanischen Politikers Benjamin Franklin gesteigert, mit der er die Nation vor der jüdischen Gefahr gewarnt wissen will.

Tantawis Studie über die Juden im Islam schließt mit den Franklin zugeschriebenen Sätzen: »Ich warne Sie, verehrte Herrschaften, wenn Sie die Juden nicht auf ewig von der Einwanderung ausschließen, werden Ihre Kinder und Ihre Vorfahren Sie noch im Grabe verfluchen. Der Geist der Juden unterscheidet sich von unserem, selbst wenn sie seit zehn Generationen unter uns leben. (...) Die Juden sind eine Gefahr für das Land. Wenn Sie eindringen, werden sie es zerstören und verderben.« (Muhammad al-Tantawi: »Die Söhne Israels in Koran und Sunna«, Kairo 1998)

In einer ähnlichen Schrift des Autors Muhammad Qutb, der unter dem Titel »Die Muslime und die Globalisierung« den Gefahren der drohenden »Herrschaft des Teufels« nachspürt, werden die Hintergründe der jüngsten gesellschaftlichen Herausforderungen, denen sich die ägyptische Gesellschaft ausgesetzt sieht, auf den Punkt gebracht. Hinter der Globalisierung, daran lässt Qutb keinen Zweifel, steht »das internationale jüdische Kapital, was bereits seine Ursprungsländer beherrscht und danach strebt, diese Herrschaft über die ganze Welt auszudehnen«.

Nachdem die Juden als Finanziers der industriellen Revolution in Europa »enorme Wuchergewinne erzielten, kauften sie Gold, kontrollierten damit die Grundstücksgeschäfte, dann erwarben sie die Medien und kauften schließlich die Politiker und ihre Gewissen«.

Diese »Geschichte der jüdischen Herrschaft über die Menschen«, die mit der Globalisierung ihre aktuellste Stufe erreicht habe, äußere sich in »der Verbreitung moralischer Verderbnis, sexueller Anarchie, Ketzerei, Drogen und verschiedenen Formen des Wahns und Besessenheiten«. (Muhammad Qutb: »Die Muslime und die Globalisierung«, Kairo 2000)

Säkulare Vorwürfe

Neben diesen Texten, die sich in ihren Auseinandersetzungen auch auf religiöse antijüdische Stereotype beziehen, ist es sinnvoll, andere Stimmen aus dem säkularen politischen Spektrum zu berücksichtigen. Besonders eindrucksvoll sind in dieser Hinsicht Artikel, die vorgeben, sich aus einer linken Perspektive mit den Ursprüngen der »Judenfrage« zu beschäftigen.

Die Hintergründe des Judenhasses, so unterstellt beispielsweise der Funktionär der ägyptischen kommunistischen Bewegung, Ahmad Sharf, ließen sich im Europa des 19. Jahrhunderts ausmachen. Der Widerstand der jüdischen Gemeinden in Osteuropa gegen die gesellschaftlichen Modernisierungen und die bürgerlichen Freiheiten hätten demnach den Hass des Bürgertums begründet. Das beständige Beharren der Juden in der sozialen Isolation als eigenständiger Gemeinschaft konnte nach dieser Darstellung auch von den wohlwollenden Angeboten der individuellen Integration nicht gebrochen werden.

Sharfs Aufzählung verschiedener Verfassungsänderungen, welche den Juden in den mitteleuropäischen Ländern Gleichstellung gewähren sollten, von ihnen aber abgelehnt wurden, führt ihn zu der Behauptung, die jüdischen Wanderungen durch Europa seien mit deren Sehnsucht nach einer feudalistischen Gesellschaft zu erklären, sie sei eine »rückwärtsgewandte Bevölkerungsbewegung«.

Dieser Vorwurf der Modernisierungsverweigerung wird von Sharf auch auf die jüngere Geschichte des Nahen Ostens übertragen. Danach repräsentieren jene arabischen Juden, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts der zionistischen Bewegung anschlossen, die reaktionären Kräfte, die der Entwicklung der Region entgegenwirkten und die für deren von politischen und ökonomischen Krisen geschüttelten Zustand verantwortlich sind. (al-Usur al-Djadida, Oktober 2000)

Die Verbreitung solcher und ähnlicher Ausbrüche des Judenhasses wird in den diversen Studien über Selbst- und Fremdbilder, die in den letzten Jahren zu Dutzenden von arabischen Akademikern auf den Markt gebracht wurden, nicht in Frage gestellt. Ob in der modernen Literatur, in Fernsehserien, unter Studenten in Ramallah und Nablus oder in den Predigten ägyptischer Imame, die ermittelten Bilder der Juden ähneln sich in ihrer Schärfe und der Ablehnung, die gegenüber den Juden zum Ausdruck gebracht wird.

Die Erklärungen des Phänomens, wie sie in diesen Arbeiten geliefert werden, beschränken sich allerdings darauf, die Stereotype als korrekte Abbildungen der Wirklichkeit zu bestätigen. In einer kürzlich erschienenen Studie über »Der Andere in der ägyptischen Populärkultur« schreibt Said Ismail Daif Allah, die Beständigkeit der antijüdischen Stereotype sei »ein Ergebnis der bewahrten Erinnerung in der Bevölkerung an die feindseligen Handlungen, die die Juden gegen sie« begangen hätten. In einer Besprechung dieses Buches in der Literaturzeitung Akhbar al-Adab sieht sich der Autor genötigt, erneut darauf hinzuweisen, dass sich diese Feindschaft nicht gegen das Judentum als Religion richte. Denn, so heißt es hier, »die Juden haben keine Religion, außer der Religion des Geldes«. (2. November 2001) So wird die Auseinandersetzung mit dem Judenbild zum Gegenstand seiner selbst.

Die wiedergegebenen Argumentationen machen deutlich, dass sich dieses Phänomen antisemitischer Deutungen nicht auf die Politik Netanyahus, Baraks oder Sharons beschränkt, dass es also keineswegs um deren »Nützlichkeit« geht. Gerade an den Beispielen Jordanien und Ägypten lässt sich zeigen, dass die von Schmidinger aufgestellte These, es gebe einen Zusammenhang zwischen der Nähe zum Nahostkonflikt und dem Antisemitismus, nicht stimmt.

Vieles deutet sogar darauf hin, dass das Gegenteil zutrifft. Die wüstesten Verschwörungsszenarien finden sich eben gerade nicht in der palästinensischen, sondern in der jordanischen und, vor allem, in der ägyptischen Populärkultur. Hier entlädt sich wie in kaum einem anderen arabischen Land die Suche nach dem Ursprung der als Bedrohung wahrgenommenen gesellschaftlichen Veränderungen in antisemitischen Attacken gegen neu eröffnete Supermarktketten, Schwule und vermeintlich pornografische Literatur, ganz zu schweigen von Vorwürfen und Verdächtigungen gegen die verbliebenen 200 ägyptischen Juden.

Hazem Saghiyeh, ein libanesischer Autor, beschrieb dieses Phänomen kürzlich in der in London erscheinenden Tageszeitung al-Hayat: »Wer sich die Nachrichten, die aus Ägypten kommen, und die Positionen der meisten ägyptischen Intellektuellen, Journalisten und Politiker anschaut, bekommt den Eindruck, die Welt wache jeden Morgen auf, reibt sich die Augen und ruft aus: ðOh Gott, es ist schon Sieben, es ist spät, ich muss sofort mit der Verschwörung gegen Ägypten beginnen.Ы Ägypten, so Saghiyeh, war einst das Symbol »für Fortschritt und Aufklärung in der arabischen Welt. Heute ist es selbst zum Grund seines kulturellen Verfalls geworden. Heute (...) ähneln wir der Weimarer Republik - nur ohne die Freude, die Freiheit und die Kreativität.« (29. Juli 2001)

Antisemitismus als Importgut?

Trotz der Verbreitung dieses Denkens, in dem sich völkische und antimoderne Vorstellungen zu antisemitischen Feindbestimmungen zusammenfügen, wird auch von Schmidinger unterstellt, es handele sich dabei schlimmstenfalls um einen europäischen Import. Dass dennoch auch in diesen Beschreibungen auf den Begriff des Antisemitismus zurückgegriffen wird, endet schließlich in einem Eiertanz. Die Verschwörungstheorien sind zwar antisemitisch, leiten sich aber aus konkreten Konflikten ab, sind aus Europa importiert, unspezifisch und auf keinen Fall tief verwurzelt. Die Ausbrüche des Judenhasses können mit einer solchen Beschreibung weder gegen Darstellungen, in denen diese als Neuauflage des deutschen Vernichtungsantisemitismus erscheinen, noch gegen Trivialisierungen aus der Palästina-Solidarität abgegrenzt werden.

Eine solche Erklärung, in der die Verbeitung einer Ideologie wie die der Druckerpresse oder der Straßenbahn zu einem Exportgut des Kolonialismus wird, führt gnadenlos in die Irre. Auch die implizierte Schuldfrage, wer für dieses Denken verantwortlich sei, macht keinen Sinn. Niemand käme auf die Idee, die Kritik an der Begeisterung für Glaskugeln und Tarot-Karten in der deutschen Linken damit abzutun, dass diese Objekte ursprünglich aus Indien oder Südamerika stammen. Versteht man Ideologie - oder allgemeiner: Denken - nicht als authentischen Ausdruck einer geografischen oder natürlichen Besonderheit, sondern als sozial und historisch bedingte Aneignung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, dann ist es interessanter zu fragen, weshalb eine bestimmte Ideologie zu einem bestimmten Zeitpunkt attraktiv, überzeugend und auch handlungsleitend wird.

In diesem Sinne lassen sich auch die beschriebenen Ausbrüche des Judenhasses historisch herleiten. Sie sind Ausdruck der gesellschaftlichen Umbrüche, mit denen der Nahe Osten in den letzten zwei Jahrhunderten konfrontiert war, und damit ähnlich jenem Denken, wie es sich in Europa und insbesondere in Deutschland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte.

Der Einfluss insbesondere des deutschen Nationalismus auf die arabische Nationalbewegung ist umfassend dokumentiert. Die Übernahme des deutschen Volksbegriffs, wie er in den Schriften des panarabischen Nationalisten Sati al-Husri in Anlehnung an Fichte, Herder und Arndt entwickelt wird, lässt sich keineswegs als historisches Zufallsprodukt abtun.

Die Entwicklung des arabischen Nationalismus steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Modernisierungsprojekten, wie sie sich im Osmanischen Reich und im Ägypten des 19. Jahrhunderts durchsetzten. Die beginnende Industrialisierung der Landwirtschaft, das Entstehen eines umfassenden Bildungssystems und die Durchsetzung bürgerlicher Reformen unter den ägyptischen und osmanischen Herrschern fielen dabei mit religiösen Reformbewegungen zusammen. Der wachsende Einfluss der Kolonialmächte und deren zunehmende Identifikation mit den sozialen und politischen Modernsierungen äußerte sich in eindringlicher Weise in den entstehenden nationalen Bewegungen.

Die kosmopolitischen Enklaven in Alexandria, Kairo oder Beirut, die unter dem Einfluss der Kolonialmächte am meisten von den Reformen profitierten, bestärkten diese Identifikation von Modernisierung und Imperialismus. Die Forderungen nach nationaler Unabhängigkeit, die sich je nach Region gegen das Osmanische Reich, Großbritannien und Frankreich und immer stärker auch in Abgrenzung zur zionistischen Bewegung formierten, bildeten den Kristallisationspunkt der politischen Bewegungen um die Jahrhundertwende.

Der Rückgriff auf den deutschen Volksbegriff, der in Abgrenzung zum napoleonischen Frankreich Gestalt annahm, entsprach diesen historischen Konstellationen am Ende des Osmanischen Reiches. Die Vertreter liberaler Vorstellungen, die sich am französischen Begriff der Nation orientierten und neben nationaler Unabhängigkeit auf bürgerlichen Freiheiten bestanden, gerieten dabei fast zwangsläufig ins Hintertreffen. Die Identifikation von Demokratie und Parlamentarismus als Vehikel kolonialer Interessen, deren Durchsetzung insbesondere von Frankreich mit seiner kaum verhüllten Minderheitenpolitik in der Levante betrieben wurde, ließ den Kampf um nationale Unabhängigkeit zum unbestrittenen und vorrangigen Ziel werden, womit eine Unterscheidung zwischen rechten und linken Gruppierungen immer weniger Sinn machte.

In heutigen Interpretationen dieser Frühphase des arabischen Nationalismus, die als Gegenüber zwischen den arabischen Nationalbewegungen auf der einen und den Kolonialmächten, dem Osmanischen Reich und dem Zionismus auf der anderen Seite beschrieben wird, findet sich immer wieder der Hinweis auf die Rolle des Freimaurertums, das als verlängerter Arm der zionistischen Bewegung den Sturz der Osmanischen Reiches und die jüdische Besiedelung Palästinas betrieben habe.

Eine wichtige Rolle in diesen Szenarien kommt dabei Kemal Atatürk zu, dem Gründer der modernen Türkischen Republik. Die von ihm vorangetriebene Abschaffung des islamischen Kalifats galt vielen als letzter Beleg für seine jüdische Herkunft. Atatürk gilt als herausragendes Beispiel eines so genannten Dönme, eines zum Islam konvertierten Juden unter osmanischer Herrschaft. Trotz des neuen Glaubens standen diese Konvertiten immer unter Verdacht, an ihrer früheren Religion festzuhalten und im Schatten ihrer formellen Zugehörigkeit zum Islam die Interessen der Juden durchzusetzen. In den Vorwürfen gegen Atatürk drückt sich zudem der Übergang von religiösen zu modern-rassistischen Vorstellungen von »dem Juden« aus.

Die Identifikation der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse mit »jüdischem Freimaurertum« um die Jahrhundertwende findet sich bereits in zeitgenössischen Quellen. Schon dem bedeutenden Vertreter der islamischen Reformbewegung, Gamal al-Din al-Afghani, wurde seine Zugehörigkeit zu einer Freimaurerloge vorgehalten. Die Ablehnung dieser Logen gründete dabei ausdrücklich in der Befürchtung, die Mitglieder dieser Verbindungen würden mit ihrer Vertretung ausländischer Interessen unweigerlich eine weitere Schwächung und koloniale Unterwanderung der Gemeinschaft betreiben.

Der innere Feind

Der Entwicklung eines Begriffs vom »inneren Feind«, der als fünfte Kolonne äußerer Mächte gegen die wahren Interessen der Gemeinschaft arbeite, steht in diesem Kontext. Während sich der frühe ägyptische Nationalismus eines Mustafa Kamils mit seiner Warnung vor den dukhala, den Eindringlingen, noch in erster Linie gegen syrische Emigranten wendete, richtete sich der Gründer der Syrisch Sozial-Nationalistischen Partei, Antun Saada, mit seinem Nationalismus ausdrücklich auch gegen die »inneren Juden«.

Vor dem Hintergrund einer solchen Definition nationaler Gemeinschaft war die Ablehnung jeglicher kosmopolitischer Haltung nur konsequent. Die Ausweisungen eines großen Teils der ausländischen Staatsbürger unter dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abd al-Nasser nach dem Krieg mit Großbritannien, Frankreich und Israel 1956 richtete sich gegen alle Nationalitäten, die mit den westlichen Kolonialmächten in Verbindung gebracht wurden. Fast alle ägyptischen Juden verließen anschließend das Land.

Die Definition der Gemeinschaft gegen ihre inneren und äußeren Feinde richtete sich damit nicht ausschließlich gegen Juden. Gerade diese Verbindung lag aber nahe. Ebenso wie für den europäischen Antisemitismus lässt sich auch für die arabisch-islamischen Länder der Zusammenhang von religiösen Stereotypen und den kollektiven Feindbestimmungen nachzeichnen. Der von Schmidinger erhobene Einwand, die islamische Geschichte sei insgesamt weit weniger blutig als die christliche, bleibt dabei völlig unbestritten. Doch das spielt hier keine Rolle, denn es geht eben gerade nicht um einen Vergleich des religiösen Zusammenlebens im christlichen und islamischen Mittelalter, sondern um das Weiterwirken tradierter religiöser Stereotype in modernen Gesellschaften. Ebenso wie der christliche Antijudaismus vom modernen Antisemitismus zu unterscheiden ist, ist zwischen der relativen Harmonie im mittelalterlichen Andalusien und den Auseinandersetzungen im 20. Jahrhundert zu differenzieren.

Die antijüdischen Stereotype, die sich sowohl im Koran als auch in der Sunna in den Beschreibungen über die Auseinandersetzungen zwischen Muhammad und den jüdischen Gemeinden finden, sind daher bedeutungsvoll, weil sie - heute wie vor 1 400 Jahren - als ein Bezugspunkt im Verhältnis zwischen Muslimen und Juden dienen. Während die frühen koranischen Beschreibungen noch von dem Wunsch geprägt waren, die Juden von Muhammad zu überzeugen, der als Messias das letzte Glied in der göttlichen Offenbarungsgeschichte repräsentiere, verschlechterte sich das Verhältnis mit der fortwährenden Weigerung der Juden, den neuen Glauben anzunehmen. In diesem Kontext stehen die Suren, in denen die Juden als vertragsbrüchig und korrupt, unaufrichtig, materialistisch und intrigant beschrieben werden.

Die Vorwürfe, die heiligen Schriften verfälscht zu haben, sowie die Berichte über die Intrigen und Feindseligkeiten der verschiedenen jüdischen Gruppen gegen die Muslime ergänzen diese Anschuldigungen. Die positiven Zuschreibungen, die die Juden als Teil der Offenbarungsgeschichte erhalten, verkehren sich dadurch in ihr Gegenteil. Obwohl sich Gott ihnen offenbarte, verweigerten die Juden ihm schließlich die Gefolgschaft.

Die Konstruktion des Feindes, der die im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung zunehmend abstrakter werdenden Gewaltverhältnisse verkörperte und zugleich die negative Bestimmung des eigenen Kollektivs ermöglichte, konnte auf die überlieferten Stereotype der religiösen Quellen zurückgreifen. Die europäischen Missionare, deren Antijudaismus bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu zahlreichen Ritualmord-Vorwürfen gegen Juden führte, sowie die arabischen Christen trugen ebenfalls dazu bei, die antijüdische Definition der Gemeinschaft durchzusetzen.

Die entstehende zionistische Bewegung und insbesondere die Gründung des Staates Israel spielten schließlich als Projektionsfläche der verschiedenen Gemeinschaftsideologien eine entscheidende Rolle. Parallel zu juristischen Reformen, die die Gleichstellung vor dem Gesetz unabhängig von der Religion festschrieben und den Juden wie den Christen den Austritt aus der minderprivilegierten religiösen Gemeinschaft der Dhimma erlaubten, ließ sich die Entstehung des Zionismus als kollektiver Emanzipationsprozess der Juden auf höherer Ebene deuten. Die Identifikation dieser Bewegung und des Staates Israel als einer treibenden Kraft hinter jeglichen negativen Entwicklungen in der Region war daher Ausdruck eines Denkens, das sich bereits um die Jahrhundertwende als Ideologie einer Gemeinschaft herausbildete, die sich in ihrer kulturellen Identität gefährdet sieht.

Die Gründung Israels und die anschließenden arabisch-israelischen Auseinandersetzungen erschienen hier als Konsequenz einer umfassenden Verschwörung. Die Rede von Israel als »Jude unter den Staaten« (Hans Mayer) gewinnt in diesem Zusammenhang ihre Bedeutung.

Gemeinschaft der Antiimperialisten

Die »regressive Utopie einer organischen Gemeinschaft« (Udo Wolter in Jungle World, 45/01), die sich hinter diesem Denken verbirgt, beschränkt sich dabei nicht, wie die antiamerikanischen Demonstrationen und die Selbstmordanschläge in den palästinensischen Gebieten immer wieder suggerieren, auf islamistische Bewegungen. Die arischen Ontologien hinduistischer Nationalisten dürften dem in nichts nachstehen. Das Bild einer »Islamisierung der kapitalen Weltgesellschaft«, in dem der Islam zur tragenden Kraft der weltweiten »Gegenaufklärung« (Uli Krug in Bahamas, 35/01) wird, gibt daher eher die Wünsche »revolutionärer Muslime« wieder, als dass es die gegenwärtigen Entwicklungen angemessen beschreiben könnte. Gerade das ideologische Zusammenwirken von säkularen und religiösen, islamischen wie christlichen Strömungen in arabischen Ländern weist darauf hin, dass die Bezüge auf die islamischen Quellen nur eine Facette in der Formierung dieses Denkens ausmachen.

In der Entwicklung des Konzepts des Heldentodes, der mit dem Versprechen auf »72 schwarzäugige Jungfrauen« im Paradies zur Option eines Dienstes an der Gemeinschaft wird, lässt sich dieses Ineinanderfallen unterschiedlicher Strömungen in einer nicht mehr notwendigerweise religiösen Ideologie der Gemeinschaft zeigen. Wenngleich sich der Begriff des Shahid, des Märtyrers, aus dem Koran ableitet, wird er in den gegenwärtigen Diskussionen keineswegs mehr alleine von oder für Muslime angewendet. Ebenso wie das Symbol des Felsendoms in Jerusalem mittlerweile als nationales, und eben nicht mehr als religiöses Symbol verwendet wird, bezieht sich das Gerede vom Märtyrertum mittlerweile immer häufiger auch auf Christen.

Der deutsche Arzt, der zu Beginn der Intifada in Beit Jala umkam, ein Christ, wurde als Shahid durch die Straßen getragen. Als Konzept des Opfertodes für die gemeinsame Sache gewinnt diese Vorstellung ihre Wirkungsmacht in den sich annähernden nationalen und religiösen Ideologien. Es ist eben nicht allein der islamistische Attentäter, der sich als Belohnung für seine Tat das Paradies herbeisehnt, sondern es sind mittlerweile auch die Bombenbauer der PFLP, die in den letzten Monaten ihre Anschläge an das zuvor nur von der Hamas und dem Islamischen Jihad bekannte Zeremoniell des Gemeinschaftsdienstes anpassten.

Diese gemeinsame Verteidigung der Gemeinschaft und deren »kulturelle Authentizität« ist in Ägypten längst zum verbindenen Element im öffentlichen Diskurs geworden. In dem Prozess gegen Homosexuelle, der erst vor kurzem abgeschlossen wurde, zeigte sich das einigende Band dieser Ideologie. Die Forderungen nach hartem Durchgreifen gegen die »Perversionen« dieser Gruppe von »Satanisten«, denen immer wieder Kontakte nach Israel unterstellt wurden, kamen aus allen politischen und religiösen Spektren.

Als Bewahrer der kulturellen Identität gegen den »weltweiten Krieg der Perversen gegen Ägypten« (al-Usbu, 20. August 2001) profilierte sich die Opposition, während die regierungsabhängige Justiz 16jährige unter dem Vorwurf der Prostitution für Jahre hinter Gitter schickte.

Wie weit diese individuelle Verpflichtung auf die Gemeinschaft wirkt, wurde im Prozess deutlich. Selbst jene, die zufällig Opfer dieser Einschwörung auf das homogene und authentische Kollektiv wurden, traten schließlich als deren Verteidiger auf. Auf den Vorwurf, die Gruppe habe die Abwendung von der Religion propagiert, entgegnete ein Anwalt, die Angeklagten hätten tatsächlich versucht, gegen eine Religion zu kämpfen - gegen die jüdische. Der Kampf gegen die Juden und die Befreiung Jerusalems könne der Gruppe aber kaum vorgeworfen werden, schließlich stehe dies mit den religiösen Pflichten in Einklang.

Was sich in diesen Wahrnehmungen ebenso wie in den Anschlägen auf die USA äußert, ist damit keineswegs auf einen primitiven islamischen Glauben zurückzuführen, dem das »Messianische anderer Monotheismen« sowie »jegliche Transzendenz« fehle, wie es Uli Krug in der Bahamas unterstellt. Dieses Denken ist der modernste Ausdruck einer kollektiven Hoffnung auf eine »romantische Gegenmoderne«, die mit der scheinbaren Legitimation einer gescheiterten Emanzipation der Dekolonisation (Wolter) einhergeht und sich weitgehend unabhängig von Koran und Sunna als moderne Ideologie entwickelte. Die Annahme, dass sich diese Ideologie aus einer einheitlichen islamischen Philosophie ableitet, die bereits im siebten Jahrhundert die Grundlage dafür geschaffen habe, brandmarkt etwas als islamisch, was zunächst als völkisch zu beschreiben wäre.

Die Grenzen islamwissenschaftlicher Erklärungen für diese Ideologie brachte kürzlich ein Nahostforscher treffend zum Ausdruck, der über Mohammed Atta, einen der Attentäter von New York, befragt wurde. In seinem Abschiedsbrief hatte Atta den Wunsch geäußert, dass nach seinem Tod sein Unterleib nur mit Handschuhen gereinigt werden solle. Dazu würde ihm auch nichts einfallen, sagte der Experte. Man solle in diesem Fall doch lieber einen Spezialisten für Sexualphobien befragen.