Was tun gegen die Fallen der Verbürgerlichung? Das neue Album der Goldenen Zitronen

Be old, be foolish, be happy

In der Auslaufrille von »I'm your money«, der zweiten Single von Heaven 17, steht zu lesen: »Better luck next time, J. H. Jnr.«. Die erste Single der Band aus Sheffield beschäftigte sich 1981 mit Ronald Reagans Amtsantritt. »We don't need this fascist groove thang« war visionär, weil zum ersten Mal »fascist« mit »groove« kombiniert wurde und weil H 17 erkannten, dass ein ehemaliger Hollywood-Schauspieler die passende Führerfigur sein müsste, um einen Paradigmenwechsel durchzusetzen. Heute wissen wir, dass mit Reagans Präsidentschaft der Stimmungshegemonie des liberalen Post-Hippie-Establishments ein Ende bereitet wurde. Die Dead Kennedys ersetzten daraufhin ihren Hippie-Diss »California über alles« durch das angemessenere »We've got a bigger problem now«. Heute können wir Reagans autoritär-konservativen Rollback-Groove als Vorboten der »kalifornischen Ideologie« erkennen, die in den Neunzigern die Glücksversprechen der New Economy zu einer kompakten Heilslehre kapitalistischer Selfmade-Utopien bündelte. Der J.H.Jnr., dem Heaven 17 mehr Glück beim nächsten Mal wünschen, ist John Hinckley. Seine Kugeln trafen den Präsidenten, brachten ihn aber nicht um.

Als selbstinszenierte »elegant rebels in cheap hotels« wurden H 17 zu Protagonisten einer kurzlebigen Popstrategie. »Subversion durch Affirmation« sollte zu Beginn der Achtziger gleich zwei Feinde mit einer Klappe schlagen: als stilpolitische Maßnahme gegen ökopazifistische Saturiertheit und Kunstfeindlichkeit, politpolitisch gegen den reaktionären Backlash, der sich in Gestalt des Thatcherismus über Großbritannien legte und der in der BRD als »geistig moralische Erneuerung«, Kohls Lebenswerk, in die Geschichte eingehen sollte.

Was hat das mit den Goldenen Zitronen zu tun?

Das prekäre Verhältnis von Stil und Subversion war ihr Thema vom ersten Tag an. »Am Tag als Thomas Anders starb«, eine Punkrock-Variation über Königsmord und schlechte Disco, machte sie 1986 bekannt. »Heute wären wir damit groß in den Charts«, sagt Schorsch Kamerun. Doch sie landeten im Funpunk-Ghetto, wo ein Song wie »Für immer Punk« affirmativ beim Wort genommen wurde. Um der Falle zu entkommen, arbeiten die Zitronen an den Widersprüchen: Freund/Feind, vorher/ nachher, was geht noch?/ was geht nicht mehr?

»Immer diese Widersprüche, ich bin mindestens ein Schurkenstaat und zwei Schuldmaschinen und eine Telefonzelle voller H&M- People.« »Widersprüche«, ein Schlüsselsong des neuen Albums, geschrieben von Ted Gaier: »Im Zusammenhang mit Pop kann man sich von der Idee der Subversion verabschieden. Feindbilder sind immer strategisch oder ästhetisch - so wie ich Eric Clapton noch immer hasse, weil er ein Spießer ist. Ich würde gern ohne Feindbilder auskommen, aber wenn man sich den IWF oder die Besitzverhältnisse auf der Welt anschaut, kommt man ohne den Hebel eines Feindbildes nicht aus. Es fällt mir auch immer schwerer, in einem Bullen ein Schwein zu sehen. Die sind heute ja auch heterogener, hören ja auch Blumfeld. Oder wählen die Republikaner, je nachdem. Die Fronten verwischen.«

Fronten verwischen. Angesprochen auf die Unvereinbarkeit von Militärschlägen gegen Afghanistan mit den »pazifistischen Wurzeln« seiner Grünen Partei, hat der deutsche Außenminister sich auf die Kontinuität seiner nichtpazifistischen Biografie zurückgezogen. Er komme aus einer »Generation«, so Joschka Fischer, die den Vietcong unterstützt und den gewaltsamen Sturz Batistas begrüßt habe, also sei es doch logisch, heute die gewaltsame Beseitigung von »Schurkenstaaten« zu betreiben. Logisch, dass die Zitronen für ihren Fischer-Song von 2001 auf einen Song von Thomas Meineckes Band FSK zurückgreifen : »Junge, wer mit zwanzig kein Anarchist gewesen ist, aus dem wird nie ein guter Demokrat« (»Blue Yodel für Herbert Wehner«, FSK).

Das Album »Freiwillige Selbstkontrolle Goes Underground« erhielt 1984 von Label-Boss Alfred Hilsberg die Katalognummer ZickZack 1789, was wenig Beachtung fand. Erst zehn Jahre später gaben sich Gruppen im Dunstkreis der Poplinken den Namen »Wohlfahrtsausschuss«. Hamburger Musiker von Blumfeld wie von den Zitronen waren in den Wohlfahrtsausschüssen aktiv. Die Frage nach dem Tyrannenmord stellt sich immer wieder neu. »Alles was ich will ist nur die Regierung stürzen« tauchte erstmals 1990 auf dem Album »Fuck You« auf. Elf Jahre nach der deutschen »Wiedervereinigung« kehrt der Song zurück, erweitert um neue Zweifel: »Von den Schwierigkeiten, die Regierung stürzen zu wollen«. Schorsch Kamerun: »Der Titel - das von der Schwierigkeit - ist eine Interpretation. Er sagt, dass man mit dieser Maximalforderung - also auch Köpfe kürzen und so - zur Zeit nicht weiterkommt. Man kann das gar nicht einhalten und so viele Köpfe kürzen. Außerdem wollten wir das Stück nochmal anders aufnehmen, glamrockiger.«

Zeit zu sagen, dass diese Platte, nun: rockt! Glammt! Mit modernen Mitteln, mit neuen »Mitgliedern« (Mense Reents, Stephan Rath) und befreundeten Stimmen (Logan-Schwestern, Peaches, Dackelbluts Jens Rachut) aus den Zitronen-Satelliten.

»Beim Kickern nennt man mich den Hexer«, sangen sie früher. Gilt auch für »Schafott zum Fahrstuhl«. Aber zurück zur Politik. Schließlich sind die Zitronen harte Didakten, was man nicht nur daran sieht, dass sie brechtisch alte Songs in neuen Kontext arrangieren. »The only way to change things is to shoot men who arrange things«, sang Kevin Rowland auf »Searching for the young soul rebels«, dem ersten Album von Dexy's Midnight Runners. »Regierung stürzen« variiert den Dexy's-Song. Jan Delay, noch ein Hamburger, variiert in diesem Sommer den Albumtitel: »Searching for the Jan Soul Rebels« erreicht Platz 12 der deutschen Charts und fragt in »Söhne Stammheims«, wo die RAF geblieben ist, jetzt, wo man sie brauchen könnte. Wie »Schafott zum Fahrstuhl« erscheint »Searching ...« auf Buback-Records, benannt nach dem 1977 von der RAF erschossenen Generalbundesanwalt.

Kamerun: »Buback bot sich jetzt an, weil da die Leute sitzen, mit denen wir sowieso immer rumhängen, und der Chef ist unser ehemaliger Schlagzeuger.«

Gaier: »Dass der Name Buback plötzlich so programmatisch wird, das ist Zufall. Jan Delay repolitisiert sich, weil es aus der Starhaltung wieder ein Bedürfnis gibt, content herzuholen und ihn über den style zu stellen. Dass nun die RAF als Symbol hergenommen wird, ist ja das Radikalste, was man sich vorstellen kann. Das war ja schon bei den Sex Pistols so: 'If it's the IRA or the RAF.'«

Aus der historischen Perspektive liegt es nahe, hier mit Klaus Theweleit »abstrakten Radikalismus« zu kritisieren. Jan Delay hat eine andere Perspektive. Er wurde in den deutschen Herbst 1977 hineingeboren. »68« kennt er aus Erzählungen von alten Kämpen, die den Nachgeborenen das Recht auf Widerstand absprechen, indem sie ihre eigenen Erfahrungen als alleingültige Matrix von außerparlamentarischer Opposition setzen. »Das haben wir doch längst für Euch durchgefochten.« Erzählungen von den Fischerchören, die in Genua nur »altbackenen Antikapitalismus« in Aktion sehen. Es gibt kaum einen aus seiner Generation, sagt Delay, mit dem er sich über die RAF unterhalten kann, weil keiner mehr weiß, worum es damals ging. Er will nur, »dass das wieder in die Köpfe kommt, hier, checkt das mal aus, egal wie ihr darüber denkt«.

Reclaiming history

Ein Mittzwanziger aktiviert die Erinnerung an eine Geschichte vor seiner Zeit. Zur selben Zeit versuchen Aktivisten dieser Geschichte, heute in Machtpositionen des ehedem bekämpften Systems aufgestiegen, dieselbe Erinnerung zu tilgen. Im Zeittunnel zwischen 68 und den Absoluten Beginnern formuliert Ted Gaier ein Dilemma, vor dem auch die Zitronen stehen: »Schade ist schon, wenn man Mittdreißiger ist, dass eine Verbürgerlichung um einen herum stattfindet, von der man natürlich selbst ein Teil ist. Schade ist, dass Kollektivideen mit dem Älterwerden scheinbar aussterben.« Aber es gibt ja Wege, den Fallen der Verbürgerlichung zu entkommen. Modestrecken zum Beispiel. Für das Gratisblatt Intro ließen sich Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni in Frauenkleidern fotografieren, Sportswear im Stil des Großen Gatsby, neckische Gender-Bender-Posen.

Kamerun: »Ich habe zuerst abgelehnt, aber dann haben wir uns überlegt, das mit den Frauenklamotten aufzuziehen, und ich bin nach wie vor total froh über diese Bilder. Die Frauensachen drehen das Modeding ein bisschen um. Gut, sie stellen es nicht wirklich in Frage, aber als Produkt passt das halt nicht: Ich gehe jetzt nicht in den Laden und kaufe mir einen Rock, weil Rocko so einen getragen hat. An einem unflexiblen Ort wie dem Intro kam das gerade recht; in einer Zeitung wie Max hätte es überhaupt nicht funktioniert.«

Gaier: »Ich finde am köstlichsten, welche Typen die Ideen zu diesen Modestrecken haben. Graue Indiemenschen mit Saufnasen.«

Kamerun: »Reizende Leute, aber irgendwie ...«

Auf dem Cover ihrer Oktobernummer rufen die irgendwie reizenden Leute von der ehemaligen Indie-Bravo die »Repolitisierung von Musik« aus, während das »Magazin für Popkultur« im September einen selbst ernannten »extreme right wing republican« nebst deutschem Elite-Rassehund zum Coverboy kürt. Musik zur Zeit.

Die Goldenen Zitronen: Schafott zum Fahrstuhl (Buback)

Klaus Walter ist Radio-DJ, ehemaliger Fußballer, Autor und arbeitet an einem Buch über Frankfurter Subkulturen.