Misshandlungen in der Haft

Bunt ist der Black Block

Auch in den Untersuchungsgefängnissen wurden die inhaftierten Demonstranten von Genua misshandelt. Ein Interview mit zwei Deutschen, die Anfang September nach sechs Wochen Haft frei kamen

Von den jetzt freigelassenen deutschen Inhaftierten in Genua wurden schwere Vorwürfe gegen die italienische Polizei und Justiz erhoben. Ein Berliner Anwalt sprach sogar von »systematischer Folter«. Welche Erfahrungen habt ihr im Polizeigewahrsam und in der Haft mit Demütigungen, Schikanen und körperlichen Übergriffen gemacht?

Alexandra: Im Polizeigewahrsam wurde versucht, durch die Anwendung körperlicher Gewalt Aussagen von uns zu erpressen. Wir mussten in der Polizeiwache zehn Stunden mit auf dem Rücken gefesselten Händen verbringen und wurden reihum mit Stockschlägen oder mit Tritten misshandelt. Gegen uns Frauen gab es Androhungen von sexueller Gewalt. Exemplarisch wurde eine Person besonders getreten und geschlagen. Irgendwann wurde diese Person auch mit der Androhung, sie zu töten, aus dem Raum herausgeführt.

Sven: Bei uns drei Männern war es speziell in der Haftanstalt Marassi so, dass wir in den ersten vier Tagen schweren Übergriffen und Angriffen ausgesetzt waren. Bei mir sah das in einem Fall z.B. so aus, dass ich alleine in einen Raum hineingeführt wurde und mich dort nackt ausziehen musste. Dort wurde ich dann so lange gedemütigt und geschlagen, bis ich nackt auf dem Boden lag und mir ein Stiefel ins Gesicht gestellt wurde. Ich wurde daraufhin angeschrieen und mir wurde erklärt, dass ich mich in einem faschistischen Land befinden würde und ich keine Rechte mehr hätte. Als Linker sei ich ihr Feind und genauso würde ich auch behandelt.

Alexandra: Ich muss noch kurz einschieben, dass für uns Frauen die Übergriffe mit der Einlieferung ins Frauengefängnis Pontedecimo aufhörten. Wir Frauen waren also in der Haft nicht denselben Übergriffen ausgesetzt wie die Männer .

Euch wurde die Beteiligung am so genannten Black Block und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Damit ist eine Strafandrohung von immerhin acht bis 15 Jahren verbunden. Worauf stützt die Staatsanwaltschaft die gegen euch erhobenen Vorwürfe?

Alexandra: Es gab zu keinem Zeitpunkt einen konkreten Tatvorwurf gegen uns. Wir sind ja auch nicht am Rande der Demonstrationen, sondern erst zwei Tage später außerhalb von Genua festgenommen worden. Wir hatten schon am Sonntagnachmittag Genua verlassen, weil wir uns in der Stadt nicht mehr sicher fühlten und sich eine Verhaftungswelle abzeichnete. Außerdem hatten wir vor, in Italien weiter Urlaub zu machen. Wir sind dann am Montagmorgen an einem Punkt etwa 40 Kilometer außerhalb von Genua verhaftet worden, wo wir relativ offensichtlich mit zwei Wohnmobilen in der Natur gestanden und gecampt haben. Wir haben uns also nicht, wie uns nachher unterstellt wurde, auf der Flucht heimlich im Grünen versteckt.

Die ganze Anklage stützt sich ausschließlich auf Indizien. Es gab keinerlei Beweise. Schwerwiegende Indizien waren in erster Linie die schwarze Kleidung, die sich in unseren Autos befand. Dazu kamen Werkzeug, Küchenzubehör wie Brotmesser, normale Messer, Taschenmesser. Am besten lässt sich die Absurdität des Ganzen an den Zigarettenfiltern darstellen, aus denen die Staatsanwältin einen unabdingbaren Bestandteil zum Bau von Molotowcocktails gemacht hat.

Der Fund dieser Gegenstände hat den Haftrichter dazu bewogen, bei zwei Haftprüfungsterminen die U-Haft zu verlängern?

Sven: Bei der zweiten Haftprüfung hat die Staatsanwältin, die in Italien durch Mafiaprozesse berühmt geworden ist, in einer ziemlich abenteuerlichen Konstruktion diese Indizien mit schwersten Ausschreitungen in Genua in Verbindung gebracht. Alle Widersprüche wurden in einer absurden Form von ihr in das Black-Block-Konstrukt gezwängt. Flugblätter von demokratischen Organisationen und Gewerkschaften wurden z.B. zum Beweis von Unterwanderungsabsichten, die angeblich typisch für Autonome und Anarchisten seien. Bunte Kleidungsstücke seien typisch für die chamäleonartige Verkleidung des Black Block. Das wirklich Erschütternde war bei der zweiten Haftprüfung, dass ein Tribunal von drei Richtern diese Ausführungen der Staatsanwaltschaft wörtlich übernahm und damit die Fortdauer der U-Haft begründete.

Wann hattet ihr den ersten Außenkontakt?

Alexandra: Der erste Außenkontakt kam dann zehn Minuten vor der ersten Haftprüfung am Donnerstag zustande. Dort sind wir das erste Mal auf unsere italienischen Anwälte getroffen, denen wir vorher ein Telegramm schicken konnten.

Wurden euch die Anwälte als Pflichtverteidiger beigeordnet, oder gab es die Möglichkeit, sich Anwälte z.B. über das Genua Social Forum auszusuchen?

Alexandra: Wir hatten uns die Namen der Anwälte gemerkt und haben dann genau diese Person verständigt.

Sven: Andere Gefangene hatten allerdings nicht dieses Glück und haben Pflichtverteidiger bekommen, die so gut wie überhaupt nicht engagiert waren. Die saßen bei der Haftprüfung einfach da und sprachen noch nicht einmal Englisch.

Wie ist es eigentlich mit der Unterstützung von außen gelaufen? Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, hat in einem Gespräch mit Solidaritätsgruppen aus dem Ruhrgebiet behauptet, dass die Entlassungen, zu denen es jetzt kam, im Wesentlichen dem Engagement des Auswärtigen Amtes und des deutschen Konsulates zu verdanken seien.

Alexandra: Das haben wir drinnen so erst mal nicht mitbekommen. Ich weiß, dass unsere Eltern einen Tag vor unserer Entlassung einen Termin beim Auswärtigen Amt hatten. Dort hat er wohl seine Unterstützung zugesichert. Wobei ich nicht glaube, dass diese Unterstützung so kurzfristig zu unserer Entlassung geführt hat. Vorher habe ich von Ludger Volmer über die Medien nur abwiegelnde Äußerungen mitbekommen.

Seid ihr in der Haft von Konsulatsbeamten besucht worden und wie haben sie sich verhalten?

Sven: Auf unsere ausdrückliche Bitte sind wir wöchentlich vom Konsulat besucht worden. Durch diese offiziellen Besuche hat sich für uns Männer die Situation sehr entschärft. Immer wenn klar war, Mittwoch kommt das Konsulat, waren die Schließer drei Tage lang freundlich zu uns. Auch die Misshandlungen der ersten vier Tage hörten schlagartig auf, als das erste Mal jemand vom Konsulat vorbeikam. Bei den Gesprächen haben sie dann einen Fragebogen zu unserer Haftsituation bearbeitet. Sie haben sich sehr neutral verhalten und sich vergewissert, dass unsere Rechte als Gefangene eingehalten werden.

Gab es irgendwelche Anzeichen dafür, dass das Konsulat auch politisch interveniert hatte?

Alexandra: Sie haben gleich klar gemacht, dass das nicht ihr Job ist, sondern dass sie dafür da sind, zu gucken, ob unsere medizinische Grundversorgung eingehalten wird, ob wir den Angehörigen etwas mitteilen wollen und Ähnliches. Es ging also ausschließlich um eine Einhaltung der Regeln des Knastes.

In den letzten beiden Wochen gab es immer wieder Berichte über eine enge Kooperation des BKA mit den italienischen Behörden. Dabei soll ein umfangreicher Datenaustausch stattgefunden haben. Hatte diese Zusammenarbeit irgendeinen merklichen Einfluss auf eurer Verfahren?

Sven: Bei mir war das ganz klar. Bei dem Gespräch mit der Staatsanwältin wurde mir z.B. eine Personalienfeststellung im Rahmen der Proteste gegen den Castor-Transport ins Wendland 1997 vorgehalten. In diesem Zusammenhang ist es allerdings nie zu einem Ermittlungsverfahren oder zu einer Verurteilung gekommen. Im Gegenteil, ich habe drei Wochen später einen Brief bekommen, dass alle Ermittlungen gegen mich eingestellt werden und dass kein Verdacht besteht. Und mit diesem Vorgang wollte die Staatsanwaltschaft belegen, dass ich ein europaweit bekannter Gewalttäter sei. Das ist natürlich ein eindeutiger Hinweis auf eine Amtshilfe. Das wird ja auch von Herrn Schily und Herrn Fischer ausdrücklich begrüßt.

Alexandra: Auch andere Leute sind von der Staatsanwältin auf Jahre zurückliegende Vorfälle angesprochen worden, die keinerlei strafrechtliche Relevanz haben.

Warum habt ihr bei der Staatsanwaltschaft Aussagen gemacht? Hattet ihr den Eindruck, dass ihr euch dort wirklich verteidigen könnt?

Sven: Wir haben das mit den Anwälten durchgesprochen und es als Möglichkeit begriffen, uns überhaupt zu den Vorwürfen zu äußern. Bei den ersten beiden Haftprüfungen war das gar nicht möglich. Beim ersten Haftprüfungstermin hatten wir einen Dolmetscher, der kaum ein Wort Deutsch sprach. Bei der zweiten Haftprüfung war das ähnlich. Die Anwälte haben eine Aussage zu unserer Zeit in Genua und zu unseren Personen als eine gute Chance gesehen, noch einmal explizit unsere Freilassung zu fordern, weil wir zu Hause soziale Bindungen, Arbeit, Familie, Studium etc. haben, was vorher überhaupt nicht berücksichtigt wurde.

Alexandra: Bei der Diskussion über Aussagen bei der Staatsanwaltschaft haben wir die besondere italienische Situation berücksichtigt. Sowohl Anwälte, als auch unsere Freundinnen und Freunde vor Ort hatten die Einschätzung, dass diese Aussagen sehr wichtig sind. Aussageverweigerung würde quasi als ein Eingeständnis der eigenen Schuld aufgefasst. Ohne eine Äußerung zu den Vorwürfen sei ganz klar, dass wir in Untersuchungshaft bleiben werden. Für uns war dann ganz klar, dass das auf jeden Fall bis zum Prozessbeginn seien wird, was bis zu einem Jahr dauern kann. Auf dieser Grundlage haben wir uns zu Aussagen entschlossen, die unsere eigenen Personen und unsere Tage in Genua betrafen.

War das dann der entscheidende Punkt, der zu eurer Freilassung geführt hat?

Sven: Die Staatsanwaltschaft war überhaupt nicht überzeugt von unserer Unschuld. Sie behauptete am nächsten Tag in der Presse, dass wir uns alle abgesprochen hätten und dass sie uns kein Wort glaubt. Allerdings hat dann der Richter auf der Basis dieser Unterlagen entschieden, uns aus der Haft zu entlassen, weil er eine Gemeingefährlichkeit nicht feststellen konnte und weil die Indizien für eine Konkretisierung der Vorwürfe gegen uns nicht ausreichten.

Alexandra: Bei den jetzigen politischen Verhältnissen in Italien halten wir das schon für eine sehr mutige Entscheidung. Normalerweise wird wohl in den allermeisten Fällen der Linie der Staatsanwaltschaft von den Richtern gefolgt. Wir hatten also das Glück, da an einen recht couragierten Menschen zu geraten.

Warum werden fünf eurer Haftgenossen noch weiter in Italien festgehalten?

Alexandra: Gegen die fünf, von denen sich einer im Hausarrest befindet, sind ähnliche Vorwürfe wie gegen uns erhoben worden. Wobei bei einigen noch der Vorwurf des Bankraubs hinzukommt, weil bei ihnen angeblich ein Stempel einer geplünderten Bank gefunden worden ist. Die Beweis- und Indizienlage ist genauso vage wie bei uns.

Lässt sich das Vorgehen von Polizei und Justiz noch mit rechtsstaatlichen und demokratischen Kategorien fassen? Oder ist es gerechtfertigt, von einer Faschisierung zu sprechen?

Sven: Ich würde dazu gerne ein Beispiel aus der Presse anführen. Nach unserer Anhörung bei der Staatsanwaltschaft waren am nächsten Tag in der Presse namentlich gekennzeichnete Originalaussagen zu lesen. Sachen, die wir zu Protokoll gegeben haben, sind dann in der Zeitung veröffentlicht worden. Genauso wurden auch Fotos von den erkennungsdienstlichen Behandlungen veröffentlicht. Sämtliche Fernsehberichte auf allen Känälen waren gleich geschnitten und gleichgeschaltet. Es war sehr auffällig, dass z.B. in den verschiedenen Nachrichtensendungen immer die gleichen Filmbeiträge zu den verschiedenen Themen zu sehen waren. Es ist ja eh so, dass Berlusconi als Medienzar die meisten Zeitungen und Fernsehsender besitzt.

Alexandra: Dazu ist zu sagen, dass die Gefängniswärter und die Polizeibeamten, die uns gequält haben, davon ausgehen konnten, dass sie von der neuen Rechtsregierung politische Rückendeckung bekommen und deshalb auch ihre faschistische Gesinnung so offen zur Schau stellen konnten.

Sven: Es war klar zu merken, dass sie nicht viel zu befürchten haben für ihr Verhalten. Das ist natürlich nicht verwunderlich, bei Ministern, die Ämter bekleiden, die von Parteien wie der Allianza Nazionale gestellt werden, gegen deren Schwesterorganisationen in Deutschland gerade Verbotsanträge gestellt werden. Gianfranco Fini, der stellvertretende Premierminister und Chef der Allianza Nazionale, war bei dem Überfall auf die Diaz-Schule in der Einsatzzentrale zu Besuch.

Gibt es kurz vor dem Nato-Gipfel in Neapel Anzeichen für eine neue Repressionswelle und eine weitere Verschärfung der innenpolitischen Situation in Italien?

Alexandra: Zum einen hat Berlusconi verlauten lassen, dass die Regierung keinen Schritt zurückweichen wird von dem Eskalationsniveau, das in Genua exekutiert wurde. Ich denke schon, dass die italienische Bewegung jetzt zum Herbst als Reaktion auf Genua noch mit starker Repression zu rechnen hat. Soweit wir wissen, gibt es nach der Auswertung des Video- und Fotomaterials von den Demonstrationen in Genua schon 400 Fotos von Leuten, die identifiziert werden sollen. Wir müssen also davon ausgehen, dass ab kommendem Monat eine massive Verhaftungswelle gegen italienische Leute einsetzen wird. Wir finden es sehr wichtig, von Deutschland und anderen europäischen Ländern aus ein Auge darauf zu haben und die Leute dort zu unterstützen.

Wir hatten in den letzten Tagen in Italien auch den Eindruck, dass von der Konstruktion des Black Block abgerückt wird, weil es einfach nicht durchzusetzen ist, da die Anzeichen für eine Organisation innerhalb des Black Block nicht gegeben sind. Stattdessen scheint sich die Repression auf andere bestehende Organisationen wie z.B. die Tute bianche zu konzentrieren, um sie zu kriminalisieren. Es ist also eine Kriminalisierung der gesamten breit gefächerten sozialen Bewegung zu erwarten.

Alexandra W. (27) aus Berlin und Sven L. (26) aus Bremen gehören zu der Gruppe von zehn Deutschen in Genua, die am 1. September überraschend aus der Haft entlassen wurden. Die beiden wurden gemeinsam mit ihren FreundInnen nach dem Gipfelwochenende in der Nähe von Genua verhaftet. Von der italienischen Polizei und Justiz wurden die zehn als kriminelle Vereinigung präsentiert. Aufgrund von abenteuerlichen Indizien unterstellte man ihnen eine Teilnahme am so genannten Black Block. In den sechs Wochen ihrer Inhaftierung haben sie das gesamte Willkürarsenal des italienischen Rechtsstaates kennengelernt.