Mario Vargas Llosas Roman »Das Fest des Ziegenbocks«

Das Größte an Trujillo war seine Banalität

Kontrovers sind die Reaktionen auf Mario Vargas Llosas jüngstes Werk Das Fest des Ziegenbocks. Der zeithistorische Roman handelt vom Ende der Trujillo-Diktatur in Santo Domingo in den späten fünfziger Jahren. Der in London lebende peruanische Schriftsteller montiert die Erzählung aus der Verknüpfung zweier Kriminalgeschichten: Das geglückte Attentat von 1961 auf den Tyrannen sowie die bis in die Gegenwart vertuschte Vergewaltigung einer damals 14jährigen aus der weißen Oberschicht.

Was ist Fiktion, was ist Realität? Und vor allem: wie darf über die Verbrechen der Vergangenheit geredet werden? Nicht nur in der Dominikanischen Republik, wo das Buch sich über 50 000 mal verkaufte, sind die Meinungen geteilt.

Das Erscheinen des Buchs hat dort großen Wirbel verursacht. Mario Vargas Llosa erfuhr neben viel Zustimmung auch offene Ablehnung. Er bekam sogar Morddrohungen. Bei einem Besuch in dem Antillenstaat in diesem Jahr fuhr er in einer gepanzerten Limousine der Regierung und hatte Leibwächter an seiner Seite. Offensichtlich fühlen sich einige Ex-Trujilloisten und ein nicht geringer Teil der vornehmen Gesellschaft des heutigen Santo Domingo durch die Darstellung in Das Fest des Ziegenbocks kompromittiert.

Karibisches Trauma

In dem Roman kehrt Urania Cabral, wie ihr Vater eine fiktive Gestalt, aus New York nach Santo Domingo zurück. 35 Jahre hat sie die dominikanische Hälfte der Karibikinsel Hispaniola nicht mehr betreten. Sie ist die Tochter des früheren Senators Agustín Cabral, eines der treuesten Funktionäre des Trujillo-Regimes. Als 14jähriges Mädchen hatte ihr Vater sie an Trujillo ausgeliefert. Der »Wohltäter«, wie er sich nennen ließ, vergewaltigte sie. Das Verbrechen blieb auch nach dem Ende der Diktatur im Verborgenen. Urania musste alleine schauen, wie sie damit zu Rande kam. Lediglich ihrer Lehrerin, einer Ordensschwester, konnte sich das Mädchen nach der Tat anvertrauen. Die Schwester organisierte dem Mädchen die sofortige Ausreise und eine Zukunft in den USA.

Vargas Llosa lässt Urania Cabral als erfolgreiche Rechtsanwältin aus Manhattan nach Santo Domingo zurückkehren. Freundschaftliche oder gar intime Beziehungen zu pflegen, fiel ihr seit der Nacht im Mahagonihaus des Diktators schwer, mit Männern pflegt sie keine. Der Verrat des Vaters und die Vergewaltigung durch dessen »Chef« haben sie ihr ganzes Leben begleitet. Jetzt erzählt sie erstmals ihren Tanten und Cousinen in Santo Domingo, was diese bislang nicht wissen konnten oder wollten.

Die bessere Gesellschaft. Und auch mit dem Vater, der sein geliebtes und einziges Kind zu Gunsten seiner Karriere dem »Wohltäter«, »Chef« und »Ziegenbock« opferte, spricht sie nach all den Jahren zum ersten Mal. Der Vater ist inzwischen ein Greis, gelähmt und nicht in der Lage zu sprechen. Senator Cabral war ein gebildeter und sanfter Mensch. Ein Papa und Aufsichtsrat wie aus einem Bilderbuch. Cabrals Verrat an seiner Tochter ist das literarische Sinnbild für die bedingungslose Unterwerfung der dominikanischen Eliten unter das Terrorregime Trujillos. Nicht verwunderlich, dass solche Vorstellungen in Santo Domingo einigen zu weit gehen. Unstrittig scheint zwar zu sein, dass der »Wohltäter« über vierzig außereheliche Kinder zeugte. Deren Mütter jedoch sollen alle aus der Unterschicht kommen. Vargas Llosa hält sich nicht an diese historische Überlieferung. Er bricht mit der Konvention und behauptet, dass die Allmacht »Seiner Exzellenz« sich gerade auch auf die Körper in seiner nächsten Umgebung richtete. Niemand sollte unbeschmutzt bleiben und möglichst viele sollten durch Verbrechen und Erniedrigungen gebunden sein.

So konnte sich das Regime der Loyalität seiner Funktionäre sicher sein. 31 Jahre lang, von 1930 bis 1961, währte diese Variante absolutistischer Herrschaft. Gestützt auf Militär, Staatspartei, Personenkult und Repression, begünstigt auch vom wirtschaftlichen Aufschwung, verschaffte sich Trujillo eine gewisse Massenbasis. Seine Leute quälten nicht nur Oppositionelle. Der national-populistischen Mobilisierung fielen 1937 zwischen 20 000 und 30 000 Menschen zum Opfer, überwiegend schwarze Einwandererinnen und Einwanderer aus Haiti.

Das Ende eines Tyrannen

Der Tyrann und Franco-Freund Trujillo konnte seine Macht fast drei Jahrzehnte auf zwei weitere Säulen bauen: die USA und den Vatikan.

Dass Innenpolitik immer auch Weltpolitik ist, gibt Vargas Llosa in verschiedenen Episoden seines Romans zu verstehen. So sind die Dialoge der Attentäter Trujillos von einer naiven Heroik getragen. Sie sind vom Erfolg ihrer Verschwörung auch deswegen überzeugt, da sich die USA und die Kirche Ende der fünfziger Jahre vom Regime abgewandt haben. Trujillo und sein Clan gingen in den Fünfzigern dazu über, nach dem einheimischen Kapital sich nun auch das internationale unter den Nagel zu reißen. Der »Wohltäter« ließ US-amerikanische Zuckerfirmen »verstaatlichen« und in den weitverzweigten Trujillo-Konzern überführen. Er glaubte auf einmal, mit den Großmächten spielen zu dürfen. Nach der Revolution und dem Sturz des Despoten Battista in Kuba 1959 verstärkten sich zudem die Zweifel der USA, ob die Methoden Trujillos auf Dauer die richtigen seien, um in der Dominikanischen Republik den Kommunismus zu verhindern. Die katholische Kirche rückte Ende der fünfziger Jahre, nach der Wahl von Angelo Roncalli zum Papst, von ihrem Hätschelkind ab.

In Vargas Llosas Roman rechnen die Verschwörer im Inland mit der Unterstützung der Heeresspitze und des von Trujillo eingesetzten Schattenpräsidenten Joaquín Balaguer. Der Diktator wird 1961 erschossen. Die Attentäter, Angehörige von Militär und Oberschicht sind danach jedoch verloren. Was im Roman zunächst verdächtig nach Heldengeschichte klang, endet in einem Desaster. Der politische Nutznießer ist schließlich der diplomatische Balaguer. Nicht nur im Roman steigt er, der 31 Jahre lang dem Regime treue Dienste leistete, zum zentralen Politiker der Ära nach Trujillo auf. Vargas Llosa unterstellt dem auch heute noch geachteten Mann, dass er die Verschwörer aus Kalkül der sadistischen Rache des Trujillo-Clans geopfert hat.

Realismus oder Realität?

Im deutschsprachigen Feuilleton gab es für Vargas Llosa neben Lobeshymnen auch geballte Ablehnung. Uli Dillmann zitiert in der Schweizer Weltwoche Doña Olga, die Witwe eines der Attentäter, der im Roman unter Folter und Drogen zum Sprechen gebracht wird. »Vargas Llosa lügt, mein Mann hat niemanden verraten.« Ein Indiz, warum dies stimmen soll, fügt er jedoch nicht hinzu. Vargas Llosa muss sich seiner Recherche sehr gewiss sein. Es wäre für ihn leichter gewesen, die Faktizität der Handlung durch weitere Verfremdungen von Namen und Orten vor Angriffen abzusichern.

Ebenfalls eher mit der Qualität eines Gerüchts rückt das Weltwochen-Feuilleton Vargas Llosa in die Nähe eines Plagiators. Dillmann wirft ihm vor, sich aus einer journalistischen Arbeit von 1978 »Anregungen für die Schilderungen des Attentatsablaufs und für die Dialoge« geholt zu haben. Ein Vorwurf? Woher soll der Künstler »die Anregungen« denn sonst nehmen, wenn nicht aus historischen Quellen? Den Anfangsverdacht nimmt wenig später die NZZ im Interview mit Vargas Llosa auf: »In den USA wurde Ihnen Plagiat vorgeworfen.« Der Schriftsteller dementiert, der Interviewer hat nichts zu entgegnen.

Nun ist es keineswegs so, dass der komplexe historische Stoff an jeder Stelle der Erzählung glücklich umgesetzt wäre. Gerade am Anfang hätte dem Roman eine strengere Lektorierung gut getan. Der allwissende Erzähler hält die Strippen zu sichtbar in der Hand. Auch manch innerer Monolog und vor allem die Dialoge der Verschwörer wirken hölzern. Der brisante historische Stoff, die unterschiedlichen Erzählperspektiven und die gekonnt eingesetzte Montagetechnik helfen darüber aber hinweg, bis ab der Romanmitte mit großem Erzähltempo die Spannung immer mehr zunimmt.

Tropische Distanzierung und Nähe. Macht, Abhängigkeit und Folter sind wiederkehrende Themen in den Büchern Vargas Llosas. »Das Fest des Ziegenbocks« beschreibt die Vergewaltigung der 14jährigen als Folter. Nicht in epischer Breite, sondern distanziert und entgegen der Ansicht Ellen Spielmanns im Freitag auch keineswegs affirmierend. Das Verbrechen im Mahagonihaus steht im direkten Zusammenhang zu den von Vargas Llosa beschriebenen Szenen in den Folterhöllen des Trujillo-Clans. Die literarische Darstellung der intimen Leidenschaften und Praktiken eines Ramfis Trujillo, Johnny Abbes Garcia oder eben des »Chefs« dient dazu, eine Vorstellung dieser Tyrannei zu vermitteln.

Der zeithistorische Roman scheint dazu ein geeignetes Medium. Er bietet die Möglichkeit, »kleine« und »große« Ereignisse in einer Kriminalgeschichte zu verbinden. »Das Größte an Trujillo war seine Banalität«, schrieb Hans-Magnus Enzensberger 1963. Um dies in Erinnerung zu rufen und die Aktualität zu verdeutlichen, verbindet Vargas Llosa dokumentarische mit fiktionalen Elementen, montiert und verfremdet. Manche Kritiker wie Jörg Drews mögen dies nicht. Sie halten seine Arbeitsweise für »niedrige Effekthascherei«. In der Süddeutschen Zeitung monierte er, dass dem Roman »die unheimliche Faszination durch das sozusagen tropisch wuchernde Grauenhafte« abgehe, wie sie etwa ein Garcia Marquez zu suggerieren verstehe. Muss wirklich Gabriel Garcia Marquez oder Walter Benjamin bemüht werden, um sich eines Vargas Llosa zu erwehren? Eine Lektüre im Sinne des frühen Enzensberger scheint ratsamer. Denn »wer in dieser Anthologie des Verbrechens nichts findet, was ihn und seine Verhältnisse betrifft, der muss von Trujillos Vorbild weit entfernt, oder ihm sehr nah gekommen sein«.

Mario Vargas Llosa, Das Fest des Ziegenbocks. Roman, aus dem Spanischen von Elke Wehr, Frankfurt a. M. (Suhrkamp Verlag) 2001, 538 Seiten, 49,80 DM.