Krise der Berliner Zeitung

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Die Berliner Zeitung will einfach kein richtiges Hauptstadtblatt werden.

Die Berliner Zeitung mache keine Schlagzeilen mehr, sondern sorge für welche, spotteten am vergangenen Donnerstag Journalisten auf einer Betriebsversammlung im Pressehaus an der Karl-Liebknecht-Straße. Wieder einmal wabern Gerüchte durch die Presselandschaft, die Zeitung solle verkauft werden. »Wir erfahren das immer nur von anderen Kollegen in anderen Blättern und nie im eigenen Haus«, so ein Redakteur. Die Betriebsratsvorsitzende Renate Gensch fasst das Problem so zusammen: »Der Verlag hat kein Konzept.«

Dass es Zeitungsverlegern mitunter an Ideen fehlt, ist nichts Neues. »Hat der Verleger Publikumsinstinkt? Er bildet sich das fast immer ein. Ich glaube nicht recht an diesen Instinkt - dazu haben die Herren zu viele Misserfolge«, stellte Kurt Tucholsky bereits 1932 fest.

Über einen Verkauf soll mit dem Konzern der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), dem Verlag der Süddeutschen Zeitung und mit dem Tagesspiegel-Verlag Holtzbrinck verhandelt worden sein. Einst hatten die Medienmanager von Gruner + Jahr (G+J) in Hamburg, einem Tochterunternehmen Bertelsmanns, mit der Berliner Zeitung Großes vor: Das Blatt sollte zur »Hauptstadtzeitung« werden. Der damalige Mitherausgeber Erich Böhme träumte von einer deutschen Washington Post. Etwa 60 Millionen Mark kostete die aufwendige Renovierung.

Der amerikanische Zeitungsdesigner Robert Lockwood verpasste dem ehemaligen Ostblatt ein neues Layout. Vor dem Regierungsumzug wurden Journalistinnen und Journalisten aus allen Teilen der Republik zur Berliner Zeitung gelockt, die dem behäbig daherkommenden Tagesspiegel Paroli bieten wollte. Etwa 210 Redakteurinnen und Redakteure sollten die Meinungsführerschaft in der Hauptstadt herbeischreiben.

Das war vor etwa drei Jahren, Meldungen vom Berliner Zeitungsmarkt klangen damals nach Kriegsberichterstattung. Da war vom »Aufrüsten« die Rede, die »Schlacht um Berlin« tobte, um die »Vormachtstellung« wurde gerungen. Ein Zweikampf Berliner Zeitung gegen Tagesspiegel wurde ausgerufen. Bis aus dem einstigen SED-Blatt tatsächlich die Hauptstadtzeitung geworden sei, müsse man Geduld haben, sagte der Chefredakteur Martin E. Süskind bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren: »Tageszeitungen entwickeln sich langsamer als Magazine.« Da müsse schon in Zeiträumen von »fünf bis acht Jahren« gedacht werden. Der frühere G+J-Vorstandsvorsitzende Gerd Schulte-Hillen sprach von einem »Marathonlauf«, auf den sich der Verlag, der mit Hochglanzmagazinen viel Erfolg, aber im Tageszeitungsgeschäft keine Erfahrungen hat, eingelassen habe.

Der im Westen viel, im Osten kaum gelesene Tagesspiegel konterte. Mario Garcia, so etwas wie der Oberguru des Zeitungsdesigns, liftete das Blatt vorsichtig, und der Teilzeittalker und Macher der Seite drei der Süddeutschen Zeitung, Giovanni di Lorenzo, wurde nach Berlin geholt, um den Tagesspiegel mit frischen Ideen zu versorgen. Unter seiner Leitung soll die Arbeit dermaßen Spaß machen, dass kein Redakteur mehr in den Urlaub fahren mag, wurde aus der Redaktion im Stadtteil Tiergarten berichtet. Mit derzeit knapp 130 000 Exemplaren konnte der Tagesspiegel seine Auflage geringfügig steigern, die der Berliner Zeitung sank auf nunmehr 204 000 Exemplare.

Um die 1,8 Millionen Berliner Haushalte (bei 3,4 Millionen Einwohnern) konkurrieren sechs lokale, drei kleine und sechs große überregionale Blätter: die Berliner Ausgabe von Bild, die ebenfalls zum Springer-Verlag gehörende B.Z. sowie die G+J-Boulevardzeitung Berliner Kurier und die »seriösen« Titel Berliner Zeitung (G+J), Morgenpost (Springer) und Tagesspiegel (Holtzbrinck). Zusammen bringen diese big six knapp eine Million Zeitungen an die Leserschaft.

Die ebenfalls in Berlin beheimateten Blätter Neues Deutschland (im Eigentum der PDS), taz (die tageszeitung, Genossenschaft) und Die Welt (Springer) werden insgesamt von gut 40 000 Menschen gekauft. Die überregionalen Blätter Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung , Handelsblatt, Financial Times Deutschland und Frankfurter Rundschau setzen zusammen etwa 35 000 Exemplare ab.

Auch die überregionalen Blätter wollten am Berlin-Boom partizipieren und stockten ihre Hauptstadtredaktionen auf. Die FAZ ist mit gut 40 Journalisten in Berlin vertreten, und jeden Tag gibt es die Berliner Seiten als eigenständiges Buch. Für die SZ arbeiten etwa 35 Journalisten, und täglich gibt es eine Berlinseite, von der der Bild-Kolumnist Franz-Josef Wagner behauptet, sie werde von »Berlin-Hassern« vollgeschrieben. Die FR ist bescheidener, hat nur ungefähr 15 Redakteurinnen und Redakteure in Berlin und bringt eine wöchentliche Hauptstadtseite.

Es stellt sich allerdings die Frage, wer das alles lesen soll. Aus Berlin kam nie - auch nicht in den viel beschworenen goldenen Zwanzigern - ein meinungsführendes Blatt. Vielmehr wurde von Zeitungsmachern ein Berlin-Hype herbeigeschrieben, der reinem Wunschdenken entsprang.

Marktforscher geben zu Protokoll, dass Zeitungsleser treue Menschen sind. Branchenbeobachter sprechen von der »Zeitungsmauer«, die sich unsichtbar durch Berlin ziehe. Dem Tagesspiegel gelang es nicht, in den östlichen Markt einzubrechen, als einstige Ostzeitung schafft die Berliner Zeitung nicht den Sprung in den Westen.

Nach Auskunft von Süskind beschäftigt das Blatt derzeit noch rund 150 Journalisten und schreibt weiterhin rote Zahlen. Wie alle Betriebe Bertelsmanns ist auch die Hauptstadt-Dependance von Gruner + Jahr, der Berliner Verlag, in Profitcenter aufgegliedert. Hoch ertragreich sind die Druckerei und der Kurier. Seit jeher subventionieren kluge Verleger ihre Zeitungen, indem sie mit profitableren Druckererzeugnissen den nicht so profitablen, aber prestigeträchtigen Journalismus stützen. Diese Art der Finanzierung, die vielen Blättern das Überleben ermöglicht, haben die Manager in Gütersloh abgeschafft. Schließlich soll Bertelsmann in den nächsten vier Jahren an die Börse.

Bereits Ende November 1996 schrieb die Neue Zürcher Zeitung über den Berliner Zeitungsmarkt, der bevorstehende Regierungsumzug habe »die Lust auf ehrgeizige publizistische Projekte« geweckt und zugleich »die Verkaufsleute unter den Verlagsmanagern in Erregung« versetzt. Gleichwohl merkt der Autor an, mitunter seien in den Redaktionsstuben »Grübler, Klageweiber, Angstbeißer und Visionäre« an der Arbeit, die eine ewige »Nabelschau« betrieben. Um die Zeitungen wirklich interessant und spannend zu machen, müsse an einer »Wiederauferstehung« der Reportage und des Reporters gearbeitet werden. Ihren Reporterpool hat die Berliner Zeitung aber gerade aufgelöst.