Filmfestival in Nordkorea

Party in Pjöngjang

Seit 55 Jahren regiert die Arbeiterpartei in Nordkorea. Zwar ist die Lage desolat, aber gefeiert wird trotzdem.

Am 10. Oktober zelebrierte annähernd eine Million Menschen in Pjöngjang, der Hauptstadt der Demokratischen Volksrepublik Korea, den 55. Jahrestag der Gründung der regierenden Arbeiterpartei. Unter ekstatischen Hochrufen (»Lasst uns jedem Schritt des Großen Führers Kim Jong Il folgen!«, »Lang lebe die revolutionäre Idee des Großen Führers Kim Il Sung!«, »Der Große Führer Kim Il Sung wird immer mit uns sein!«), bewaffnet mit Papierblumen, roten Fahnen und Maschinenpistolen paradierten Hunderttausende Arbeiter, Armeeangehörige und Bewohner Pjöngjangs zu Füßen des Parteichefs Kim Jong Il.

Pjöngjang im Spätsommer 2000. Die Gäste und Mitwirkenden des 7. Pjöngjang Film-Festivals, das vom 13. bis 21. September stattfindet, werden mit großem Pomp empfangen. Etwa 2 000 Tänzerinnen und Musikerinnen bieten eine perfekte Show. Über 100 Kim-Il-Sung-Pioniere dürfen für die hohen Gäste posieren und ihnen Blumen überreichen. In Anbetracht der knapp vierzig Teilnehmer des Festivals eine Farce. Aber im Glanz der anwesenden Filmgrößen können die Partei- und Staatsfunktionäre ihre Weltoffenheit demonstrieren, wenngleich die Weltöffentlichkeit von dem Spektakel keinerlei Notiz nimmt. Trotzdem nutzt die Politik einmal mehr die Möglichkeit, sich ganz ihrem Größenwahn hinzugeben. So wird den Gästen ein Programm geboten, bei dem selbst die Macher von Disney World erblassen würden.

Das Große Monument auf dem Mansu-Hügel mitten in Pjöngjang: Kim Il Sung so groß wie eine Interkontinentalrakete, flankiert von zwei Skulpturengruppen von 20 Metern Höhe und 50 Metern Länge. Hier hat der Besucher die Möglichkeit, dem unsterblichen Führer des koreanischen Volkes mit einer möglichst lang anhaltenden und tiefen Verbeugung seine Ehrerbietung zu erweisen.

Der Kumsusan-Gedächtnis-Palast. Dieses ein wenig zu groß geratene Kim-Il-Sung-Mausoleum - dagegen erscheint der Reichstag in Berlin wie eine Hundehütte - wurde im Juli 1995, nach nur einem Jahr Bauzeit, anlässlich des ersten Jahrestages des Todes des »Großen Führers Kim Il Sung, des Gründers der Partei, des Staates und des Vaters des sozialistischen Koreas« fertiggestellt. In dem »Heiligen Tempel des Juche« befinden sich neben dem einbalsamierten Leichnam des Großen Führers diverse Reliquien. So sein Staatswaggon, mit dem er die halbe Welt bereist hat, und seine Lieblingskarosse aus dem Hause Mercedes-Benz, wobei es noch immer einige Fremdenführer gibt, die den Gästen weismachen wollen, das Gefährt stammte aus der Autofabrik Roter Stern. Die Einschlüsse in den polierten extravaganten Fußbodenplatten sind die zu Kristall gewordenen Tränen des koreanischen Volkes, so jedenfalls die Führerinnen in der Staatsgruft.

Nordkoreanische Quellen berichten, dass sich hier noch immer täglich ausländische Gäste einfinden, um »für Kim Il Sungs ewiges Leben zu beten«.

Ein Höhepunkt im Besuchsprogramm eines jeden Gastes Nordkoreas ist die Führung durch die Internationale Freundschaftsausstellung unweit von Pjöngjang. In zwei Museen, eines für den Großen Führer Präsident Kim Il Sung und eines für den Großen Führer General Kim Jong Il, werden alle Geschenke, welche Vater und Sohn von ausländischer Seite bekamen, aufbewahrt und der nationalen und vor allem der internationalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht: so etwa ein exklusiver Reisezugwaggon von Mao Zedong, Mitbringsel von Kaiser Bokassa, ein Berliner Plüschbär mit FDJ-Hemd von Egon Krenz oder verschiedenartige Waffen (Revolver, Maschinenpistolen, Sturmgewehre) aus aller Welt. Vom Genossen Pol Pot gibt es auch einiges, so jedenfalls die Fremdenführer auf interessierte Nachfrage.

In der Elektro- und Möbelabteilung gewinnt der Besucher leicht den Eindruck, Kim Jr. werde von der internationalen Geschäftswelt für eine Schlafmütze gehalten. Weshalb bekäme er sonst so viele (zum Teil überaus geschmacklose) Schlafzimmereinrichtungen geschenkt? Einen weiteren Schwerpunkt bildet seine Sammlung geschenkter CD-Spieler, TV-Geräte und Hi-Fi-Anlagen. Da fehlen nur noch die Waschmaschinen und Wäschetrockner. Und täglich, so berichtet die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA, erreichen Kim Jong Il neue Geschenke aus aller Welt.

Beide Museen stellen bei näherer Betrachtung nichts weiter dar als schlecht getarnte überdimensionale Atombunker für die Führungselite des geschundenen Landes. Innerhalb der von außen als zwei- bis dreistöckig erscheinenden Gebäude erstrecken sich riesige Zimmerfluchten über sechs Etagen Hunderte Meter in die dahinter gelegenen Bergmassive.

Eigentlich sollte der taktvolle Gast über so viel Einfalt nur ein zurückhaltendes Lächeln übrig haben. Weniger lustig wirkt sie, wenn man die Zustände im Rest des Landes kennenlernt.

Jenseits von Palästen und Jubelorgien

Nordkorea, Januar 2000. Für die Mehrheit der Bevölkerung in den größten Teilen des Landes bringt der Winter mit seinen Strom- und Wassersperren keine wesentlichen Einschränkungen ihres Lebensstandards. Sie verfügen auch im Sommer weder über Elektrizität noch über fließendes Wasser. Ihre kleinen Öfen in den baufälligen Wohnungen werden mit Kohle beheizt oder auch nicht, denn der Brennstoff ist entweder nicht vorhanden oder unerschwinglich. Und so müssen denn die letzten auch noch so kümmerlichen Bäumchen in der abgeholzten und bereits erschreckend erodierten Landschaft gefällt werden.

Die Menschen leiden. Sie frieren und hungern. Und sie sterben. Die Waisenhäuser sind voll. Kinder, die alles verloren haben, Kleidung, Nahrung, Zuwendung, Hoffnung. Sie vegetieren in engen, ungeheizten und verschmutzten Räumen, von deren verschimmelten Wänden der Putz blättert. Die Schwestern sind überfordert mit all dem Elend. Auch sie haben nichts zu essen, keine warme Kleidung, stehen barfuß neben ihren barfüßigen Schützlingen und warten auf Hilfe oder das Ende dieser Katastrophe. So der Bericht eines Mitarbeiters der im Lande arbeitenden internationalen Hilfsorganisationen.

Das neue Jahrtausend beginnt auch in der Hauptstadt des Landes mit stundenlangen Stromsperren. Gleichzeitig liegt die Wasserversorgung komplett lahm, ebenso wie das Heizungssystem - und das bei minus 20 Grad. Nichts geht mehr. Der Nahverkehr ist vollständig zusammengebrochen. Es herrscht tiefe Finsternis in den Straßen von Pjöngjang. Selbst in der Hauptstadt und hier sogar in den größten Luxushotels bleiben die Restaurants geschlossen, weil es keine Energie zum Kochen oder schlicht keine Nahrungsmittel mehr gibt.

Das mag für den ausländischen Gast in der Hauptstadt ärgerlich sein - für die Bevölkerung auf dem Lande ist diese Situation häufig tödlich. Bis zur nächsten Ernte ist es noch lang und die Vorräte für den Winter sind aufgebraucht, weil die zugeteilten Mengen der Erträge der letzten Ernte zu gering waren. Frauen und Kinder, Alte und Gebrechliche, Kranke und Verunglückte - sie alle hungern und warten sehnsüchtig auf ein Ende des Winters und hoffen auf eine bessere Ernte in diesem Jahr, ohne große Naturkatastrophen mit Überschwemmungen und Dürren.

Weiter im Geiste der Juche-Idee!

Pjöngjang, September 2000. Auch in diesem Spätsommer sind nach Sonnenuntergang alle Straßen dunkel, Autos und Busse fahren, wenn überhaupt, ohne Licht. Passanten erscheinen nur als Schatten.

In einigen dunklen Ecken stehen mit Maschinenpistolen bewaffnete Armee- oder Milizangehörige herum. Glücklicherweise haben heute wenigstens die Wohnungen Strom. Was aber auch dazu führt, dass die Radiogeräte funktionieren. Und so ertönt aus allen Fenstern die wohl neueste Rede des »weisen Großen Führers« Kim Jong Il. Hier sind alle buchstäblich gleichgeschaltet. Damit erscheint so mancher Wohnblock wie eine gigantische Verstärkeranlage.

Dann die Überraschung. Der Kim-Il-Sung-Platz in Festbeleuchtung. Tausende Kinder bevölkern den riesigen Platz. Nach einer halben Stunde des Wartens - die anwesenden Kids, es müssen zwischen 10 000 und 15 000 sein, verbrachten die Zeit in Hockstellung - kommt Bewegung in diese riesige Menge. Aus Lautsprechern ertönt scheppernde Marschmusik, es folgen scharfe Befehle. Block für Block erheben sich die Kinder und beginnen mit einer mitternächtlichen Massengymnastik. Die geschockten Besucher versuchen zu begreifen. Sie befinden sich inmitten einer Probe für die nächste Parade - diesmal anlässlich des 55. Gründungsjubiläums der Arbeiterpartei Koreas -, einer der unzähligen Übungen, die schon seit letzten November abgehalten werden. Tag und Nacht, ob bei minus 20 Grad oder in brütender Mittagshitze sind Tausende unterwegs, um auf allen Plätzen der Stadt für dieses Ereignis zu üben. Die Nachtveranstaltungen, die fast ausschließlich mit Kindern durchgeführt werden, dauern Augenzeugenberichten zufolge bis zu sechs Stunden.

Die Erschaffung des Neuen Menschen ist ein Hauptanliegen der Arbeiterpartei Koreas und des Großen Führers Kim Jong Il. Und es scheint so gut wie vollbracht zu sein. Jede noch so wahnwitzige Idee der Partei und der »weisen Führung« wird scheinbar von allen widerstandslos hingenommen. Dabei ist es egal, ob es sich um wirtschaftspolitische Maßnahmen, den Bau einer Brücke, die Produktion eines Spielfilmes oder schlicht um die »Genialität« des Großen Führers Kim Jong Il handelt.

In »Anekdoten. Der Große Mann und der Film«, einer Broschüre der Korea Film-Export- und Importgesellschaft, liest man: »Unzählige große Männer, Meister und literarische Größen schrieben im Laufe der Menschheitsgeschichte viele ideologische und theoretische Bücher. Aber keiner von ihnen ist vergleichbar mit dem Genossen Kim Jong Il. (...) Marx arbeitete vier Jahrzehnte, um ðDas KapitalÐ zu beenden. Im Gegensatz dazu benötigte Genosse Kim Jong Il nur zwei bis drei Jahre, um ðÜber die Kunst des FilmesÐ zu schreiben. Es ist das brillante Produkt seiner ungewöhnlichen Intelligenz und Energie.« Wobei anzumerken ist, dass das banale Werk des Großen Führers gerade mal 300 Seiten umfasst.

Abgesehen davon, dass »unser Großer Führer das Paradies der Arbeiter aufgebaut hat«, das »Volk Gott und unser Führer General Kim Jong Il sein Abgesandter und Stellvertreter« und er »einfach in allem hervorragend« ist, hat Kim, »als er noch sehr jung war, seinen Lehrern Unterricht erteilt«.

Und natürlich sind auch Journalisten ständig im Visier des »geliebten Führers«: »Du musst viele gute Fotografien machen. Ganz besonders musst du von den revolutionären Aktivitäten des Großen Führers wahrhaftige und lebendige Bilder wiedergeben, welche diesem die ihm gebührende Dimension verleihen, und sie mit Respekt in die Parteizeitung bringen, sodass sie allen Menschen für immer im Gedächtnis bleiben«, so die Broschüre »Der Große Führer Kim Jong Il. Der große Lehrer der Journalisten«.

Die Nordkoreaner haben auch eine neue Zeitrechnung eingeführt. Hier schreibt man, beginnend mit der Geburt Kim Il Sungs 1912, gerade das (Jahr) Juche 89.

Trotz permanenter Mangelernährung und ständiger Hungersnöte, trotz des nahezu kompletten Zusammenbruchs von Wirtschaft und Infrastruktur - die Menschen in Nordkorea scheinen, bei strikter Befolgung der Anweisungen der Staats- und Parteiführung, noch immer von der Unfehlbarkeit ihres Führers überzeugt und wähnen sich im Paradies der Arbeiterklasse.

Wandel durch Wiedervereinigung

Seitdem es im Juni zu den ersten direkten Gesprächen zwischen Kim Jong Il und dem südkoreanischen Staatschef Kim Dae Jung kam, sind die Erwartungen an eine Annäherung, ja sogar eine friedliche Wiedervereinigung in der internationalen Öffentlichkeit sehr hoch. Abgesehen davon, dass es in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Annäherungsversuche gab - 1990 kam von nördlicher Seite der Vorschlag, wenigstens für einige Tage die Grenze zu öffnen, was die Volksrepublik dann aber selber wieder verwarf -, sind die Hindernisse heute so groß wie selten zuvor.

Einerseits ist ein Großteil vor allem der jüngeren Bevölkerung im Süden mitnichten an einer Wiedervereinigung interessiert, andererseits sind die wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Norden so gravierend, dass es der begrenzten ökonomischen Potenz des Südens unmöglich wäre, sie in absehbarer Zeit zu beheben. Diesen Kraftakt zu meistern, hieße, dass die gesamte entwickelte Welt den Nordkoreanern Finanzen, Technologie und industrielle Anlagen zur Verfügung stellen müsste. Beispiele anderer Zusammenbruchsökonomien zeigen aber, dass das Kapital alles andere tun wird, nur nicht das.

Und überhaupt wäre eine Wiedervereinigung nur möglich, wenn die nordkoreanische Bevölkerung darauf vorbereitet werden würde. Und das ist der heikelste Punkt: Der Throninhaber kann das nicht leisten, denn es hieße den verstorbenen und den lebenden »Gott« - also sich selbst - als fehlbar, gar als Verlierer darzustellen.

Wenn man die jüngsten Äußerungen von Kim Jong Il verfolgt, kann man sogar schnell den Eindruck bekommen, dass die nordkoreanische Führung von der irrigen Annahme ausgeht, es könnte eine Wiedervereinigung zu ihren Bedingungen und unter der »revolutionären Führung der Arbeiterpartei Koreas« geben.