Interview mit Ex-Brigadistin Ada Negroni

Raus aus der Fabrik, rein in die Fabrik

Stadtteilarbeit, Knasthilfe, Häuserbesetzungen, Entführungen, Theoriebildung und vor allem: der Kampf in den Fabriken.

Du warst Mitglied der Roten Brigaden, und zwar in der Mailänder Kolonne Walter Alasia, Du bist verhaftet worden und hast längere Zeit im Knast gesessen. An welchem Punkt beginnt Deine politische Biografie, wie fing alles an?

Mit einer Buchhandlung. Es gab damals ein dichtes Netz von linken Buchläden. Anfang der Siebziger habe ich in einer Kleinstadt in der Nähe von Mailand selbst einen eröffnet, und habe so dann auch Primo Moroni kennengelernt.

Primo Moroni hat in Mailand die berühmte La Libreria Calusca gegründet, einen Buchladen, der für die politische Bewegung in Italien zu einem Fixpunkt wurde. Aber Du hattest vorher schon Kontakt zur Linken?

Ja, natürlich! Ich hatte die Schüler- und Studentenkämpfe zwischen 1969 und 1972 mitgemacht. Danach habe ich dann die Buchhandlung in Lodi eröffnet. Es gab dort natürlich kaum organisierte Gruppen, nur die Studenten- und die Pendlerbewegung. Damals arbeiteten die meisten Leute aus Lodi in den großen Fabriken in Mailand, und natürlich war dies auch der Schauplatz der großen Kämpfe. Es gab in der Gegend um Lodi allerdings die Kommune des Lodiggiano, das war ein Kollektiv, dem viele Leute angehörten, die später die Roten Brigaden mitgründen sollten: Piero Bassi, Piero Bertolazzi, ein alter Partisan, der Lupo, Wolf, genannt wurde.

Viele Leute organisierten sich auch in der Sinistra Proletaria, einer Gruppe, zu der Studenten und Arbeiter gehörten und aus deren Mitte die Roten Brigaden entstanden sind.

Ja, ich selbst gehörte ihr aber nicht an. Bassi und Bertolazzi beendeten die Schule, zogen nach Mailand an die Uni, aber gingen schon kurz danach, 1972, in die Illegalität. Die Diskussionen, die ich in den Jahren miterlebte, waren stark von diesen Erfahrungen des Untergrunds geprägt.

Du hast allerdings weiterhin legale politische Arbeit geleistet.

Ja, und ich bin dann später auch in der Legalität verhaftet worden. Anfang der Siebziger habe ich im Buchladen gearbeitet und war gleichzeitig an der Mailänder Uni.

Für welches Fach hast Du Dich immatrikuliert?

Architektur. Dieser Fachbereich stand im Zentrum der Kämpfe, nicht nur der Studentenbewegung. Die Aktionen wurden dann aus der Uni gleich nach draußen getragen, so zum Beispiel 1971, als die Hausbesetzungen in der Via Tibaldi organisiert wurden.

Warum standen gerade die Architektur-Studenten an der Spitze der Bewegung?

Der Leiter des Fachbereichs war ein Linker und sehr progressiv, und alle Dozenten haben die Studentenkämpfe unterstützt, daher war es über Jahre hinweg eine Art befreites Territorium. Dort befand sich auch das Hauptquartier von Potere Operaio.

Toni Negri, Oreste Scalzone und Franco Piperno gehörten zum Potere Operaio, der ja als Vorläufer der Autonomia Operaia gilt. Welche Rolle spielten die Debatten der Gruppe für Dich?

Ich habe die ganzen Diskussionen über den Massenarbeiter usw. aus intellektueller Sympathie mitverfolgt und stand Potere Operaio sehr nahe, auch wenn ich nie beigetreten bin. Etwa 1975 habe ich dann den Buchladen aufgegeben, ich brauchte andere Freiräume. Mittlerweile waren einige der Genossen der Roten Brigaden verhaftet worden, vor allem jene, die meiner Biografie sehr nahe standen. Eine Zeit lang habe ich mich um die politischen Gefangenen gekümmert, in der Roten Hilfe mitgearbeitet. Damals wurden die ersten Gefangenen gemacht, Sergio Spazziali saß im Knast, Petra Krause war verhaftet worden, Lupo ... So entstand eine Diskussion um die Frage des Knastes. Gemeinsam mit Roberto Silvi habe ich z.B. die Zeitschrift senza galere (ohne Knäste) gemacht und bin eine Zeit lang nach Neapel gezogen, um diese Ideen zu exportieren.

Neapel war nicht gerade ein Paradies für Revolutionäre, vor allem dann nicht, wenn man an Mailänder Verhältnisse gewöhnt war.

Mailand hat sich bei den Klassenbedingungen und Organisationsstrukturen immer ein wenig von den anderen italienischen Städten unterschieden. Potere Operaio zum Beispiel zog all seine Aktivisten nach Mailand, die Stadt wurde als Zentrum der Produktion und damit der Revolution ausgemacht.

In Neapel war ich dann ziemlich geschockt über den Organisationsgrad der Bewegung. Wir waren es gewohnt, mit einem entsprechenden Hinterland zu agieren, niemandem von uns wäre es damals eingefallen, das Niveau der Kämpfe anzuheben, ohne eine materielle Ausgangsbasis dafür zu haben. In Neapel fehlte dieses strukturierte Hinterland der Klasse. Es hatte zwar wichtige Kämpfe in den Fabriken, bei Italsider zum Beispiel, gegeben, für eine revolutionäre Politik waren hier aber vor allem Studenten, proletarische Jugendliche und Extralegale, also Kleinkriminelle zu gewinnen.

Welche Aktionen gab es in Neapel?

Wichtig war vor allem ein Kampf: Es hatte im spanischen Viertel eine Besetzung durch Lotta Continua gegeben. Auch viele Genossen der NAP, der Nuclei Armati Proletarii, kamen aus diesem Zusammenhang. Diese Aktion war für alle eine wichtige Erfahrung, weil hier das neapolitanische unmittelbare und spontaneistische proletarische Wissen zusammengebracht werden konnte mit dem Wissen einer Generation von Intellektuellen, die in Neapel seit den Fünfzigern sehr produktiv gewesen war und die die kommunistische Partei Italiens (PCI) immer konsequent gedeckelt hatte. Es hat nicht so einen Bruch gegeben wie in Mailand oder Rom, wie etwa mit der manifesto-Gruppe. Viele der Genossen von 1968, von der Uni, haben an der Besetzung teilgenommen. In dem Klima sind auch die NAP entstanden.

Was hast Du damals für ein Leben geführt, und wie würdest Du deine damalige Rolle beschreiben, hast Du Dich als Revolutionärin, als Intellektuelle, als Militante definiert?

Alles in allem führte ich das Leben, das eine Frau und Vollzeit-Aktivistin der damaligen Jahre eben führte. Ich war ein wenig Intellektuelle, weil ich die Universität besuchte, ein wenig Genossin der Bewegung und auf der Straße, war in verschiedenen Kollektiven, sammelte so meine Erfahrungen und akkumulierte mein Wissen. Gegen den bewaffneten Kampf habe ich allerdings immer einen inneren Widerstand verspürt, wenn ich ehrlich sein soll, habe ich nie Gefallen daran gefunden. Aber ich habe viele Wege ausprobiert und schließlich keine Alternative mehr gesehen.

Wann hast Du Dich für den bewaffneten Kampf entschieden?

Das war etwa 1976, als ich von Neapel wieder zurück nach Mailand ging. Wenn ich vom bewaffneten Kampf rede, meine ich meinen Eintritt in die Roten Brigaden. Illegale Aktionen auf etwas höherem Niveau hatte ich, so wie alle anderen auch, schon vorher gemacht. Aber in organisierter Form, innerhalb einer Organisation, dazu habe ich mich erst um 1976 entschlossen.

Du hast zur Mailänder Fraktion der Brigaden gehört, zur Kolonne Walter Alasia. Welche Themen und Aktionen waren spezifisch für diese Gruppierung?

Die Brigaden hatten damals die Vorstellung von der Zentralität der Fabrik und der Arbeiterklasse, die den revolutionären Prozess leiten sollte. Der gesamte Prozess der Reproduktion, das Gemeinschaftsleben, fand aber nicht in der Fabrik statt. Das Proletariat machte außerhalb der Fabrik eine Reihe sozialer Erfahrungen und brachte diese Widersprüche in die Fabrik ein.

Die Kolonne Walter Alasia war damals noch integraler Bestandteil der Organisationsstruktur der Brigaden, aber unsere Herangehensweise als Mailänder Kolonne der Brigaden unterschied sich etwas von der zentralen Linie. Ich und eine Reihe anderer Genossen, die 1975 und 1976 eingetreten waren, kamen aus der Autonomia Operaia, von Potere Operaio oder, so wie ich, aus verschiedenen Kollektiven, und wir haben nicht nur ein bestimmtes Wissen in die Organisation eingebracht, sondern eben auch eine beträchtliche Anzahl von Aktivisten für die Gruppe gewonnen.

Wie sah das Verhältnis zwischen den jüngeren Aktivisten und der Leitung der Brigaden aus?

Die Leitung hatte eine klassische Ausrichtung, arbeitete also parteiorientiert. Die Leute stammten noch aus den Anfängen der Brigaden, und es ging um den Aufbau der kämpfenden kommunistischen Partei. Der Angriff auf das Herz des Staates stand im Mittelpunkt. Die Alten hatten zwar eine rigide Ausrichtung, betrachteten uns aber mit Interesse. Wir haben dann begonnen, uns in den Stadtvierteln zu organisieren, andere sind in die Fabriken gegangen, ich war gerade dabei, mein Architekturstudium zu beenden und habe mit Stadtteilarbeit begonnen. Wir gehen mal in die Stadtviertel, und dann sehen wir weiter, haben wir uns gedacht.

Wie hat die Leitung der Brigaden über Eure Arbeit gedacht?

Um 1977 und 1978 gab es in Mailand verschiedene Stadtteil- und Fabrikbrigaden und eine Leitung, die sich auch um andere Angelegenheiten kümmerte. Ich war in Lambrate in einer Stadtteilbrigade aktiv. Wenn es übergreifende Kampagnen der Brigaden gab, haben wir uns daran beteiligt. Wir hatten aber in Mailand damit begonnen, eine möglichst breite Organisierung zu schaffen, das war unser Konzept, und bis 1978/1979 ist das ganz gut gelaufen. Dann wurde die gesamte Leitung der Brigaden in Mailand verhaftet, und die Kolonnenarbeit war praktisch völlig zerschlagen. Also haben einige von uns die Angelegenheit selbst in die Hand genommen, und es wurden auch eine ganze Reihe Aktionen gestartet, die eng mit den Fabriken oder den zentralen Arbeitskämpfen verbunden waren. Wir haben zum Beispiel Aktionen an der Mailänder Poliklinik durchgeführt, zur Unterstützung und in einem dialektischen Verhältnis mit den Kollektiven der dort Arbeitenden.

Wann und wie kam es dann zum Bruch mit den Roten Brigaden?

Ein genauer Zeitpunkt lässt sich nicht benennen, die Trennung vollzog sich schrittweise. Formal entzündete sich der Streit an einem im Dezember 1979 verfassten Papier der Brigaden zur Rolle der Arbeiterklasse und der revolutionären Massenorganisationen, dessen Analyse wir nicht teilten. Während die Brigaden auf die organisierten Kerne des bewaffneten Widerstandes setzten, standen für uns die revolutionären Massenorganisationen im Mittelpunkt. Sie sollten die Keimzelle des Aufbaus eines revolutionären Kampfes bilden.

Bedeutete das nicht eine vorsichtige Absage an den bewaffneten Kampf?

Für uns ging es darum, dass sich die Massenorganisationen auf revolutionärem Terrain bewegten, natürlich bewaffnet. Wir haben nicht vertreten, dass sie legal kämpfen sollten, aber es bedeutete, die revolutionären Massenorganisationen mit proletarischer Macht auszustatten. Das konnte nicht allein der Kampf und die Anwendung von Waffen sein. Es ging um die Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise, um die Kritik an der Arbeiterorganisierung in den Fabriken usw., und wir sahen die Notwendigkeit, auch die konkreten Alltagserfahrungen in diese umfassende Kritik einzubeziehen. Nach der Moro-Entführung haben die Brigaden dann leider eine Reihe von Niederlagen erlitten, die die alte Organisationsstruktur beschädigt haben. So geschlossen die damalige Organisationsstruktur auch war, sie war wohl immer noch offener als die Strukturen, die sich danach herausbildeten.

Wie hast Du Dich in diesem Konflikt mit den Brigaden positioniert - hast Du für die Trennung votiert?

Formal hat der Bruch Ende 1980 stattgefunden, und ich wollte ihn nicht. Inhaltlich habe ich der Kritik an den Positionen der Brigaden zwar zugestimmt, dennoch war ich der Ansicht, dass der Bruch uns insgesamt schwächen würde. Die Gruppe Walter Alasia hat auch niemals gesagt: »Wir gehören nicht mehr dazu«, es waren die anderen, die uns irgendwann mitteilten: »Ihr gehört nicht mehr dazu.«

Kurze Zeit später bist Du verhaftet worden.

Ja, 1982, nach einer unserer letzten Aktionen, der Entführung Renzo Sandruccis.

Renzo Sandrucci war Ingenieur bei Alfa Romeo und Direktor der Arbeitsorganisation, und er wurde am 1. Juni 1982 von Euch gekidnappt. Als Gegenleistung habt Ihr gefordert, dass die 500 von der Entlassung bedrohten ArbeiterInnen der Alfa-Werke weiter beschäftigt werden. Ihr habt Eure Schriften im Werk verteilt, ein Verhör mit Sandrucci veröffentlicht und schließlich erreicht, dass die Kündigungsschreiben wieder zurückgenommen wurden.

Diese Aktion hat noch mal unseren Ansatz des bewaffneten Kampfes in der Fabrik deutlich gemacht, das, worum es bei Walter Alasia ging: um die direkte Kommunikation mit den Arbeitern. Wir forderten für die Freilassung Sandruccis Gegenleistungen, die die gesamte Klasse betrafen, nicht etwa Geld für die Organisation.

Nach 51 Tagen habt Ihr Sandrucci wieder laufen lassen.

Sandrucci ging sofort nach der Freilassung zu Radio Popolare, einem linken Sender in Mailand, und machte eine wirklich unglaubliche Erklärung. Er sagte, er habe während der Entführung viel begriffen.

Du hast ja damals, zum Zeitpunkt Deiner Verhaftung, wie die meisten von Euch in der Legalität gelebt.

Die Kolonne Walter Alasia hat immer versucht, die Anzahl der Illegalen so gering wie möglich zu halten, was uns auch viel Kritik einbrachte. Ich glaube, dass es eines unserer wesentlichen Merkmale war, aber darüber ist zu wenig diskutiert worden, und wenn doch, dann zumeist ablehnend. Ich hatte damals eine zentrale Funktion im besetzten Zentrum Leoncavallo übernommen. Uns erschien der Schritt in die Illegalität als ein zu großer Bruch, man verlor dadurch den ganzen Reichtum an Kontakten.

Du warst nicht die einzige aus der Alasia-Kolonne, die damals aufgeflogen ist. Was wurde Dir und den anderen vorgeworfen?

Sie haben mir und der ganzen Kolonne Walter Alasia 1984 den Prozess gemacht, und ich wurde wegen der Entführung Sandruccis und wegen der Bildung einer bewaffneten Bande zu 30 Jahren verurteilt. Im Revisionsverfahren wurden dann »soziale Beweggründe« anerkannt und meine Haftstrafe auf 14 Jahre verringert. Ich habe dann durch diverse Haftverkürzungen neun Jahre im Knast und eines als Freigängerin verbracht. Ich befand mich meist in »normalen Knästen«, die meiste Zeit in San Vittore in Mailand und in Pisa.

Welche Erfahrungen hast Du gemacht?

Hervorragende! Es ist mir sehr gut ergangen, ja, ich muss die Wahrheit sagen, ich habe den ganzen Knatsch zwischen den Organisationen nicht miterleben müssen. In einem Spezialgefängnis wäre ich wahrscheinlich gestorben, und zwar nicht wegen der harten Haftbedingungen.

Waren die Erfahrungen, die Du die Jahre zuvor in der Gefangenen-Arbeit gesammelt hast, in dieser Situation nützlich?

In dem ersten Knast habe ich viel mit den sozialen Gefangenen gearbeitet, große Dinger haben wir aber nie gemacht, denn es war der Knast, in den die Untersuchungshäftlinge kamen, und es herrschte daher große Fluktuation, und fast alle, die dort reinkamen waren Heroinsüchtige oder Prostituierte. Wir führten dort einfache Kämpfe für unsere täglichen Bedürfnisse. Es gab für die Frauenknäste auch keine Kampftradition und keine politischen Strategien.

In San Vittore war es trotzdem sehr konfliktreich, es ging hier zu wie in irgendeinem Mailänder Stadtteil, es kamen die verschiedensten Leute dorthin, sie blieben 15 Tage und gingen wieder, wir waren oft zu siebt oder zu acht in einer Zelle, die gerade mal vier mal zwei Meter maß. Auch in Pisa haben wir ähnliche Sachen erlebt. Als ich dann in den Spezialknast kam, o jeh, es flog nicht mal eine Fliege durch die Luft. Die Situation war schon sehr heftig, es hatte Spaltungen über Spaltungen gegeben, die meisten Gruppen waren in Grüppchen von zwei oder drei Freundinnen zerfallen, es herrschte viel Einsamkeit, es gab keinerlei theoretische Debatte.

Hattest Du politische Kontakte nach draußen, Leute, die sich um Dich gekümmert haben, als du 1989 rauskamst?

Ich hatte immer viel Besuch von den Genossen aus dem Leoncavallo und von den antifaschistischen Müttern, mit ihnen gab es eine wunderbare Beziehung, sie haben mich wirklich verwöhnt.

Und wie war es draußen? Was hattest Du erwartet?

Ich hatte nicht viel erwartet, aber wir hatten eigentlich Kontakte zu Genossen gehabt, die draußen etwas machen sollten, und als ich rauskam, war da nichts. Das, was es vorher gegeben hatte, war zerfallen. Ich war damals sehr stinkig.

Zum Zeitpunkt Eurer Verhaftung und auch in der Zeit der Prozesse sah die Situation noch ganz anders aus.

Ja, während die Prozesse liefen, haben wir viele Aktionen gemacht. Einmal die Rauchbomben gegen das Abschwören, 1985 haben wir ein Transparent zur RAF und Walter Alasia ausgerollt. Wir haben während der Prozesse - der erste dauerte ja fast ein Jahr und der zweite einige Monate - ausführliche Diskussionen untereinander geführt. Die Diskussion im Gerichtssaal ist sehr intensiv gewesen, und wir haben analysiert, was draußen los war. Oder besser gesagt: Wir haben uns ein bestimmtes Bild gemacht und wollten, dass die Situation draußen so ist, wie wir uns das vorgestellt haben.

Gibt es für Dich heute so etwas wie eine politische Perspektive oder zumindest Initiativen, mit denen Du was anfangen kannst?

Es gibt die besetzten Zentren, aber ich muss sagen, dass mir das zu eng ist. Eng in dem Sinne, dass nur ein bestimmtes Publikum angesprochen wird, eine Subkultur, ein Getto. Es gibt kaum theoretische Debatten und die Aktionen werden stark von der vermeintlichen Politik bestimmt, sind also immer nur Reaktionen auf irgendwelche Vorgaben.

Du hast Dich aber doch im Leoncavallo engagiert.

Ja, aber das ist ja kein politischer Ort, das ist ein alternatives Zentrum. Ich wünsche mir wieder mehr Diskussionen über Inhalte, auch weil es mir persönlich wenig bringt, mich in einem besetzten Zentrum zu organisieren. Auch die Debatten in den Zentren über unsere Geschichte erscheinen mir etwas reduziert. Das ist einfach Geschichte, so wie das Interview jetzt, und das ist zu wenig, die Geschichte wird zu sehr vereinfacht, wenn sie nicht im Rahmen eines größeren Aufbruchs gesehen wird.