Meine Zeit in der Hölle I

Die Grenzen der Modallogik

Alles begann im Jahre 1996. Der telefonische Apparat klingelte wie nur ein telefonischer Apparat zu klingeln vermag, und das Fernsehprogramm zeigte sich von einer Seite, welche mir nicht bekannt war. Die halb gerauchte Tabakszigarette sowie das Tässchen brühend heißen Bohnenkaffees mochten mich nicht recht trösten, denn einige Sekunden, bevor ein gewisser von Schrenk anrief, war ich ein Nichts.

Das änderte sich im Wirbelsturm jener Sekunde, da dieser mir vollkommen unbekannte Herr einen »Berlin-spezifischen Gagstrip« anbot, den ich zu seiner als auch der Befriedigung des grausamen Chefredakteurs der bedenklichen Tageszeitung junge Welt anfertigen sollte. Ich tat wie mir geheißen und zeichnete die erste Bilderfolge von »Lilli & Poldi«, deren Titel von meiner damaligen Mitstreiterin Frau Mousli ersonnen wurde.

Die Tage gingen ins Land, und Jahre verstrichen wie die »Reputation« des Hetzblättchens, an dem wir nun in trauter Gemeinschaft werkelten. Dann flogen die Herrschaften Redakteure raus, weil der Herr Koschmieder, ein Selfmademan und Supertyp, sich einmal dachte: »Hei, ich will die Struktur meines Organs munter ändern.«

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Frau Mousli und ich bereits etwa 60 aufregende sowie erbauliche Episoden des Comic-Strips geschaffen, und das der Leserschaft zum Trotze, da der durchschnittliche Konsument des Blättchens die Botschaft des Werkes nicht verstehen mochte oder konnte. Nun, der teuflische Herr Behnken, sein Vasall von Schrenk, sowie die Cola-vernarrte Föjetongswindsbraut Heike Runge, deren ranke Fesseln gern einmal auf dem Schreibtisch zu ruhen pflegen, während sie die Launen Behnkens über sich ergehen lässt, erfanden mal zwischendurch die Jungle World, deren Format und Inhalt mir noch heute zu schaffen macht. Was nicht weiter schlimm ist, denn sie sind herzensgute Menschen, diese Herrschaften.

Im Laufe der Zeit, da ich unbeugsame Geschöpfe jeglicher Couleur kennenlernte, wie den Tüp, der sich wie der irre Schülerzeitungsredakteur gibt und immer so »linke« politische Wirrungen hat, der Praktikant, der lustlos die oftmals verschlosse Tür zur Redaktion öffnet, den kumpelhaften Korrektor, den Herrn Kiontke, der immer umsonst Filme guckt, gewöhnte ich mich daran, während Sie, liebe Leser, sich sicher noch an meine wüsten Schachtelsatzkonstruktionen gewöhnen müssen.

Ein Bekannter von mir spielte damals in der erniedrigenden Serie »GZSZ« mit, er gab den Tüpen, der in »Charlies Laden« immer aufräumen musste, wenn die »Schauspieler« wieder einmal das eine oder andere Artefakt, welches »Charlie« feilbot, umwarfen, weil der brillante Drehbuchautor es sich so ausgedacht hatte. Dieser Bekannte fing dann auch noch eine Affäre mit einer Viva-Moderatorin an, die eine Gastrolle innerhalb der Serie zum Besten gab. Das heitere Moment dieser ganzen Sache war, dass diese Moderatorin »das kleine dunkelhäutige Mädchen« war, mit dem ich die Wartezeit auf den Schulbus teilte, da wir bei widrigsten Wettern im Käfig der kleinen Haltestelle standen.

Nun, was hat das alles mit »Lilli & Poldi« zu tun? Nichts. Inzwischen hat Fil, mein herrlicher, wunderschöner Fil, sich des Strips angenommen und auch Sie, werte Linke, werden sich an der Tatsache zu erfreuen wissen, dass selbst Sie den Strip nun verstehen können. Denn Fil kennt sich aus mit Storytelling und der gesunden Portion erzählerischer Einfachheit, die mir stets verborgen blieb. Ach, welch edler Mensch. Ein Tausendsassa reinsten Wassers und ein ... Freund.

Nie werde ich vergessen, wie wir einmal, er selbst (Fil) und sein Sidekick (ich) des Abends streunten und ein herrenloses Tier uns auf dem Fuße nachfolgte. Es handelte sich um ein Hündlein, vermutlich von einem tüpischen Jungle World-Leser auf die Straße gesetzt (»Ey, machma keen Stress, Gremliza, ick setz dir ma uffe Straße, weil da draußen is Krieg, wa, und du musst ma autonom sein, Alta«). Nun, das Wufferl hatte kein Mütterlein und Väterlein und nicht eimal das obligatorische Palästinensertuch hatten die Alternativen ihm gelassen. Fil rief die Polizei, und nur eine halbe Stunde später erschienen diese liebenswerten Herrschaften und nahmen sich des Hundes an. Im Polizeiauto, da hatte er es gut, und der Wind, der durch sein dünnes Fell gestrichen war, tat ihm nun kein Leids mehr an. Fil und ich tranken noch einen Schluck Alkoholika und fuhren heim.

Wenig später erkannte ich, dass diese unsoziale Verhaltensform des tüpischen Jungle World-Lesers weit ausgeprägter ist, als es den Anschein hatte. Immer wieder tut sich die Klientel dieser Zeitung mit wirrem Gehabe hervor. So abonnieren mehrere Hundertschaften Leser das Artefakt, um es in der Wohnung sinnlos in die Ecke zu werfen. Man liest es nicht, man gibt sich »solidarisch« mit anderweitig Verwirrten. Ich vermute, dass so genannte osmogenetische Felder für dieses Gruppenverhalten verantwortlich sind. Führt sich der eine oder andere Schimpanse ein Zweiglein in das Rektum, tun es ihm Milliarden Artgenossen auf der ganzen Welt nach. Mit der Jungle World verhält es sich ähnlich.

Der ungarische Poet Seltmann Weyden schrieb einmal: »Das geistige Potenzial einer Hure ist ausgeschöpft, sobald sie ihren 'Buddenbrooks' ausgelesen hat.« Weyden spielte damit nicht nur auf die Paralogismen einer spezifischen Modallogik im Sinne Druesenhägers an, er lastete das Problem der Industrialisierung - im Gegensatz zu Marlitt - nicht der herrschenden, sondern der beherschten Klasse an. Schon Brillstein verwies einige Jahre früher auf biologische Tendenzen des gesunden Menschen, die ein Gruppenverhalten fernab jeglicher Logik zum beherrschenden Element ihres Tuns erhoben.

Genug der Erläuterungen. Lesen Sie »Lilli & Poldi« und danken Sie von Schrenk, ohne den diese heitere Reihe nicht ohne Weiteres denkbar gewesen wäre.