Keine Kolumne I

Spalte am Spieß

Wenn ich nicht gerade wieder genötigt bin, in den Räumlichkeiten der Redaktion zu nächtigen, um mich durch Berge von Manuskripten zu kämpfen, flaniere ich nach Feierabend gern mal über die KarlóMarxóStraße. Hier, wo das Neuköllner Nachtleben pulsiert, ja, sich selbst pulverisiert, weht mir bisweilen ein verlockendes Rüchlein um die Nase, das seine Herkunft in einer der zahlreichen kulinarischen Schmelzhütten aus aller Welt hat, und ich beschließe nicht selten spontan, mich kleinasiatisch zu verköstigen.

Dönerkauf ist Vertrauenssache. Bei einem guten Anbieter braucht es keiner langen Worte, um seinem Begehr Ausdruck zu verleihen. Kunden wie ich, die tagsüber vertraglich dazu verpflichtet sind, ihre Zunge bis zum Muskelkater pausenlos mit schweren, geschliffenen Worten jonglieren zu lassen, kommt dieser geschwätzfreie Stil durchaus entgegen. Einzig die Frage: »Welche Soße?« gilt es präzise zu beantworten. Bis gestern glaubte ich mich bei »Kebap Murat's Imbiss« gut bedient. Ich war schon zum Portal hinaus ...

»He, Langer!« Ich drehte mich ertappt um. Meinte er mich? Hatte ich nicht bezahlt? »Ja, du da, mit dem abstehenden Ohr.« Er meinte mich. »Du bist doch von der Jungle World!« feixte der Chef der Bräterei. Ich gab mein schändliches Tun unumwunden zu. Irgendwo war ich sogar erleichtert. Irgendwann musste es ja mal herauskommen. Irgendwie.

Doch während ich mich innerlich bereits darauf vorbereitete, von zwei muskulösen Muselmanen gepfählt zu werden, um auf dem Kebapspieß meine Runden zu drehen und ó gut durchgegart ó hungrigen Pendlern als Wegzehrung zu dienen, konfrontierte mich der türkische Gewerbetreibende mit einer Frage, die mir fortan weit größere Qualen bereiteten sollte: »Wieso habt ihr in eurem Blatt eigentlich keine Kolumne?«

Im Fortgang des Gesprächs, zu dem sich nach und nach auch einige Taxifahrer, Pegeltrinker und Friseusen im Ruhestand gesellten, stellte sich heraus, dass dieses Thema seit längerem die kulturell interessierten Kreise im Stadtbezirk beschäftigte. Daher also die abfälligen Blicke, die ich seit geraumer Zeit registrierte, wenn ich das Haus verließ. Ganz offensichtlich machte man mich dafür verantwortlich, dass die Jungle World keine Kolumne hatte. Mich höchstpersönlich!

Die Nacht darauf fand ich keinen Schlaf. Kaum war ein Bier im Schlund verstaut, wollte auch schon das nächste hinein. Und beständig würgte die Frage: »Was um Himmels willen ist eine Kolumne?« Das Wörterbuch half nicht weiter. »Spalte«, stand dort. Aber fand sich in Spalten nicht nur Dreck, Müll, Überflüssiges? Ich hatte den Beweis doch daheim, in jeder Türspalte, Wandritze, Fliesenfuge. Ich brauchte doch nur in die Sofaritze greifen, um Unrat en masse zu Tage zu fördern: Wollmäuse, grünschimmlige Erdnussflips, Zigarettenkippen, Kronkorken. Sollte es denn wahrhaftig möglich sein, mit solchem Material eine Kolumne zu füllen?

Nun kann ich von Glück reden, dass meine Skatrunde neben mir noch über weitere kluge Köpfe verfügt. Sogar über einen mit Doktorhut. Das sieht vielleicht dämlich aus. Es war dann auch der andere, ein gebürtiger Rheinländer und geübter Kopfballspieler, der mir den entscheidenden Tipp gab. »Lies doch mal die taz«, empfahl er mir.

Heute weiß ich endlich, was eine Kolumne ist. Beziehungsweise eine Kolumnistin. Nämlich eine berufstätige, alleinerziehende Mutter, die gern darüber schreibt, wie schwer es für berufstätige, alleinerziehende Mütter ist, »Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen«. Dabei tragen sie überhaupt keine Hüte. Außer Heide Simonis. Aber die ist schließlich Landesmutter.

Das stört aber eine Kolumnistin nicht. Kolumnistinnen sind nämlich mittlerweile Stars. Ihre Spalte, versehen mit dem Foto der Autorin, vermittelt allein durch Größe und Aufmachung den unbedingten Eindruck von Wichtigkeit, sodass sich der Leser geradezu genötigt sieht, den Text zu lesen, will er nicht etwas verpassen. Umso größer die Enttäuschung hernach. Und wenn eine Tageszeitung der anderen die Hauskolumnistin abwirbt, ist das glattweg eine Kolumne wert.

»Sie sitzen hier den ganzen Tag rum und verbrauchen meinen Strom«, stört mich gerade mein Chef vom Dienst. »Wenn Ihnen nichts einfällt, schreiben Sie doch mal eine Kolumne!«

Gute Idee. Aber worüber bloß?