Zum Blauen Affen IV

»Einsatz, Einsatz!«

Neulich, in der Männergruppe sozusagen, herrschte große Betroffenheit: Das Fußballspiel in der Berliner TU-Liga, zu dem wir vollzählig aufgelaufen waren, wurde mangels guten Wetters abgesagt. Kurzerhand verzog man sich in die nächste Tränke. »Any Time, die Musikkneipe«, hieß das Etablissemang in Berlin-Moabit, und es war gut besucht mit drei Dachdeckern und zwei lustig aufgelegten Damen im fortgeschrittenen Alter. Während wir uns niederließen, vergnügten die sich beim elektrischen Dartspiel. Wer zur Toilette ging, musste zwangsläufig an den Werferinnen vorbei. Kam einer wieder zurück, war Vorsicht angebracht - dass ihm nicht einer der kleinen spitzen Pfeile in der Schädeldecke stecken blieb.

Einige hatten großen Hunger. Ich bestellte mir gleich zwei Frikadellen und fragte keck bei der freundlichen, aber schwer schielenden Kellnerin nach, ob das Gelbe da vorn denn vielleicht ein Käsebrötchen sei. »Aber von gestern«, gestand sie und brachte es postwendend auf der flachen Hand und unter allgemeiner Zustimmung (»Der frisst alles!«).

Die Laune stieg. Kam man von der Toilette, konnte sich das Klima grundlegend geändert haben. War kurz zuvor noch von esoterischen Sekten im Nationalsozialismus die Rede (»Solche Diskussionen unterscheiden uns von Rapid Wedding«), waren die Herren vielleicht schon zu anderen Themen gewechselt. Ob z.B. eine Schlägerei mit den gut gebauten Dachdeckern zu überleben sei oder Ähnliches: »Der Horst ist ganz schön kräftig.« Stimmt. War er doch abends zuvor, um mit unserem angeschlagenen linken Außenverteidiger noch schnell die letzte U-Bahn zu erreichen, mit diesem im Huckepack gegen die Rolltreppenrichtung aufs andere Gleis gesprintet.

Zurück ins »Any Time«. Während der eine Handwerker dem anderen kurzerhand rittlings auf den Schoß sprang, um eindeutig anzudeuten, zu was er noch alles in der Lage sei, entsponn sich an unserem Tisch eine interessante Unterhaltung. Ralle nämlich, linker Verteidiger mit angeknackstem Knöchel, mithin betriebsunfähig, hatte in den letzten Tagen andere Terrains als die linke Strafraumspitze erkundet: die neue Freundin Dörte. Sie war aus Bonn zu Besuch gekommen. War er in der ersten Zeit noch fröhlich angebend mit seinem Paradeexemplar von Geschlechtswerkzeug in der Hand durch die Wohnung gesprungen (»Einsatz, Einsatz!«), herrschte diesbezüglich nun düstere Stimmung. Gleich, so durfte man erfahren, beim ersten Mal war das Vorhautbändchen eingerissen. »Ich dachte, sie hat ihre Tage«, erzählte er, bis der Schmerz sich breitmachte und das Blut in Strömen über die Bettdecke geflossen war. Die Wunde musste noch in der Nacht genäht werden.

Ralle aber war nicht zu bremsen, hatte es doch schon im Vorfeld Probleme gegeben. Da lagen die beiden Verliebten einigermaßen kuschelig im Bett, als plötzlich Dörte ihrem neuen Freund sagte, es gebe da ein Problem. »Was denn?« - »Nicht so wichtig.« Dann ist es sicher wichtig, hatte er sich gedacht. »Ich bekomme keinen Vaginalorgasmus«, gestand die Althochdeutsch-Studentin im sechsten Semester. Darüber sei dann zwei Stunden ausführlich gesprochen worden. Durchaus liebevoll konnte Ralle Dörte überzeugen, dass er »kein Junge wie die anderen« sei. Verständiges Nicken am Tisch.

»Noch zwei Runden, bitte!« Nachdem die Kellnerin gegangen war, setzte sich der Diskurs fort, für einige Gesprächsteilnehmer wohl etwas zu kompliziert. So fühlte sich Horst, Nr. 10 und härtester Treter Osnabrücker Herkunft, wohl etwas vom Sprachduktus verwirrt und fragte: »Bei wem denn jetzt eigentlich? Der Orgasmus, meine ich.« Ja, und wo eigentlich? Ließ sich auch nicht mehr klären. Um nicht völlig ausgegrenzt zu werden, wollte uns Horst auch eine Geschichte erzählen. Nämlich, wie er es am Strand getrieben habe, mit heruntergelassener Hose, und dann ein seltsames Gefühl am Hintern verspürte. Hatte ihm doch einer das Portemonnaie stiebitzt (»Ho, Ho, Ho!«).

Acht Bier und drei Weinbrand später dann die Frage, wie man sich denn nun in Sachen Vaginalorgasmus Dörte vs. Ralle geeinigt habe. Das aber wusste Ralle nicht mehr ganz genau. Zu hoffen blieb, dass er bis zum nächsten Rendezvous mit seiner Freundin wieder genesen sei.

Man verabschiedete sich nach drei Stunden härtester Sauferei vom »Any Time« und versprach, schon bald wiederzukommen - im Einvernehmen mit Kellnerin (»Noch'n Bierchen?«).

In der S-Bahn traf ich dann einen homosexuellen Bekannten, dem ich die Geschichte mit dem verletzten Glied prompt erzählte. Der antwortete verschmitzt, er habe immer Angst gehabt, dass das Bändchen einmal beim Oralverkehr zwischen den Zähnen hängenbliebe. »Oder in der Zahnspange!« Sichtbar durchlief ihn ein Schauder, während ich ein wenig auf dem Bier samt Buletten herumwürgte.

Ja, und dann blieb doch noch eine Frage: Gibt es ihn wirklich, den vaginalen Orgasmus, und wer hat ihn? Oder haben ihn uns die feministische Theorie und die Werbung ins Ohr gesetzt?

Zu Hause angekommen und ziemlich beschickert, befragte ich dann die eigene Gefährtin zu dem Phänomen. Darüber habe sie sich noch nie Gedanken gemacht. Ein Mythos sei der - bestimmt. Vielleicht aber auch nicht. Zur Rückversicherung sahen wir dann doch mal im Pschyrembel nach, dem »Klinischen Wörterbuch« (253. Aufl., Ausgabe 1977). Unter »Orgasmus«, Doppelpunkt, stand: »Höhepunkt des Lustgefühls beim Geschlechtsverkehr; beim O. der Frau kommt es zu unwillkürlichen Muskelkontraktionen im Genitalbereich, zu Steigerungen der Herzfrequenz, Blutdruckanstieg, Zunahme der Atemfrequenz u. -tiefe, sowie zu partiellem od. totalem Bewusstseinsverlust.« Von Vagina, von Männern keine Rede. Offensichtlich hatte man sich über Nebensächlichkeiten den - pardon - Kopf zerbrochen. Und partiellen Bewusstseinsverlust kann man auch mit ein paar Mark im »Any Time« herbeiführen.