Glamour-Kicks

Glänzender als der glänzendste Düsenjäger

"The attribution of glamour is so imprecise that it seems endless, but it has very constricting limits: Dolores del Rio could get away with publicity releases that announced she ate orchids for breakfast, but when Universal resurrected the gimmick and claimed flowereating as Piper Laurie's idiosyncrasy, the readers just laughed." (René Jordan: "Will the Real Glamour Girl Please Stand Up?")

Steven Spielberg isst Shoah-Torte. Camp? "Eine Erlebnisweise (im Gegensatz zur Idee) gehört zu den Dingen, über die sich am schwersten reden läßt; aber es hat seine besonderen Gründe, daß gerade der Begriff 'Camp' nie erörtert worden ist" (Sontag, "Anmerkungen zu 'Camp'"). Was soll das sein: Camp? "Es ist die Liebe zum Übertriebenen, zum 'Übergeschnappten', zum 'Alles-ist-was-es-nicht-Ist'"; "das Verhältnis zur Vergangenheit ist äußerst sentimental"; "das wesentliche Element im (...) Camp ist Ernsthaftigkeit, eine Ernsthaftigkeit, die ihren Zweck verfehlt. Natürlich kann nicht jede Ernsthaftigkeit, die ihren Zweck verfehlt, als Camp gerettet werden. (...) Wenn etwas einfach schlecht (statt Camp) ist, so oft deshalb, weil nicht genug Ehrgeiz in ihm steckt. Der Künstler hat nicht versucht, etwas wirklich Ausgefallenes zu tun" (ebd.).

Nein, Spielberg kann nicht Camp sein. Camp hat etwas Anrüchiges: "Sie war plötzlich Camp. Sie hatte eine schwule und später auch eine studentische Fangemeinde. (...) Glücklicherweise hat West das als Bewunderung verstanden." (Mariam Niroumand, "Westwärts")

Camp findet man Hundertprozent auf der falschen Seite. Mae hat glücklicherweise nie verstanden, wie bitter es ist, wenn Schwule und Leute von der Uni sich für einen interessieren. Für Steven Spielberg brauchen wir andere Kategorien. Spielberg ist so weit, dass er SHOAH mit Zuckerguss auf eine Torte schreiben und davor mit dem Leiter seiner Foundation posieren kann. Er kann sich noch richtig freuen! Warum wir nur nicht? Wir wollen uns eines Tages auch mal freuen dürfen, dass wir 40 000 Juden eingesackt haben. (Und dabei sagen können: Es werden täglich mehr). Gut, die Shoah-Foundation mit der Stimme des Manns von der Titanic und der Frau von Dracula - ab und zu fällt auch noch Gandhi ein -, ist mit ihrem vorfabrizierten Wie-wars nicht gerade die Erleuchtung ("zu 90 % wertlos", Yehuda Bauer), eins mehr in der Reihe der großen Logistik-Projekte, aber zu jeder runden Zahl ein Kuchen, das wär doch was, abgemacht? Und die Foundation mitten in Berlin, zum Anstoß. "Seine zurückhaltende Eleganz fiel den Kameras zuletzt auch dort auf, wo er bloß als andächtiger Lauscher im Parkett saß. Wo er auftritt, liegt Champagnerduft in der Luft. Michael Naumann repräsentiert" (Nutt, taz, 17./18. Oktober 1998). "Ich hoffe sehr, von Herrn Naumann zu hören. (Ö) Ich wäre sehr glücklich, wenn die Berliner Gedenkstätte etwa zur sechsten Dokumentationsstätte der Shoah-Stiftung erklärt werden könnte." (Spielberg, stern, Nr. 48 /1998)

Das ist Geschichte. Man kann es nicht oft genug lesen. Es ist schön, dass es diese rot-grüne Regierung gegeben hat; man wäre von selbst gar nicht drauf gekommen. Was wird sie uns hinterlassen? Das große Zauberwort, den Wert aufs Äußere? "Sie können sagen, was sie wollen - ihre Ausstrahlung wirkt stärker (...) Joschka Fischer. Bundesaußenminister, 51 (...) Lifestyle Tauschte Turnschuhe gegen elegante Church-Treter, als es die Statussymbolik verlangte, der 'Italiener' im Schröder-Kabinett. Glamourfaktor Öffentlichkeitsscheu, exzellenter Unterhalter, hoch gebildet auch ohne Abi. Rudolf Scharping. Bundesverteidigungsminister, 52. Nach Selbsteinschätzung kanzlertauglich (... ) Lifestyle Seit der Bart ab ist, traut er sich auch an feinen Zwirn. Glamourfaktor Hält fetzige Gelöbnisreden, als Party-Talker weniger begabt. Guter Tänzer - und Piano spielt er auch (...) Gerhard Schröder. Bundeskanzler, 55. Lifestyle Trägt Anzüge der Luxusschneider Brioni und Kiton, liebt rote Polstermöbel und guten Bordeaux, isst gern hauchdünn geschnittenen Parmaschinken mit Grissini, Italienurlauber (Positano). Glamourfaktor Mit Glanz und Gloria auch in dieser Hinsicht die Nummer eins im Kabinett (...) Bleibt beim Edel-Outfit, auch wenn die Sozis nörgeln. Jürgen Trittin. Bundesumweltminister, 45 (...) Lifestyle Trägt am liebsten Armani, gilt als Ton-in-Ton-Fetischist, schätzt alten französischen Rotwein (St. ƒmilion), isst gerne Pot au feu und steht für eine Ente auch mal selbst am Herd (...) Glamour-Faktor Die Nummer eins bei den Grünen in der Society-Wertung: Trittin verkörpert die Ankunft der ökologischen Linken beim kritischen Establishment: hohes Einkommen, Spaß am Luxus, heißes Wasser vom Solardach des Architektenhauses. Otto Schily. Innenminister, 67 (...) Lifestyle Schilys Lifestyle ist legendär. Die Grünen brandmarkten ihn einst als 'Krawattenträger des Jahres', zu Zeiten wehender Palästinensertücher kein Kompliment. Gegenüber Schröder und Trittin heute im Hintertreffen. Glamourfaktor Typ distanziert-kultiviert-gebildeter Sozialdemokrat, das 'Genossen-Du' ist ihm verhasst." (Gala, 14. Oktober 1999)

Kommunikationswissenschaftler beschreiben so etwas als 'the circular prestige pattern' oder 'this mutual admiration society': "In effect, a distinguished man congratulates a distinguished whisky which, through the manufacturer, congratulates the man of distinction on his being so distinguished as to be sought out for a testimonial to the distinction of the product" (Lazarsfeld/ Merton, "Mass Communication, Popular Taste and Organized Social Action", 1948). Es ist ein großes Gesellschaftsspiel. Wie MM sein. Wie gehabt.

"Die Spielregel eines jeden spannenden und interessanten Spieles muß unzweifelhaft etwas Konzentration verlangen und 'Karriere' ist keine Ausnahme. Der einfache Weg, dieses Spiel zu erlernen, ist, vor allem die Spielregel durchzulesen! Versuchen Sie nicht, sich an alle Punkte zu erinnern, aber studieren Sie den Spielplan sorgfältig, während Sie lesen, dann beginnen Sie zu spielen, indem Sie Punkt für Punkt die Spielregel befolgen und genau in der beschriebenen Art und Weise ausführen." (Spielregel für Karriere. Gesellschaftsspiel für 2 bis 6 Personen. Herausgegeben von der Spielefabrik Franz Schmidt, München, mit Genehmigung der Fa. Parker Bros. Inc. U.S.A.)

Also, Konzentration, erstmal braucht man einen Traum: Schröder am Gitter: Ich will da rein. GUTE FEE (Ping): Erfüllt! Schirrmacher: Ich will FAZ-Herausgeber werden. GUTE FEE (Ping): Erfüllt! Joseph Fischer: Ich möchte einen richtigen Krieg, zieht bekanntlich, auf jeden Fall aber weiter nach oben auf dem Spiegel-Treppchen. GUTE FEE (Ping): Erfüllt! Viele wollen auch nur in die großen Feuilletons. Ping. Ping. Ping. Zu Harald Schmidt. Ping. Professor werden. Ping. "Ziehen Sie eine Günstige Gelegenheitskarte". "Rücken Sie drei Felder vor." Und dann? Keiner hat drüber nachgedacht, was er macht, wenn er's schafft. Für die Arbeit hatte er sich bislang nicht groß begeistern können. Ihn interessiert das Drumherum.

"Pressejournalisten begeistern sich äußerst häufig für Eigenschaftsbezeichnungen, die umstandslos Fasziniertheit von aristokratischen Qualitäten im naivsten Sinn aussprechen (vornehm und kultiviert, auserlesen, geistvoll und feinfühlig, exquisit). Dieser systematische Anspruch auf Distinguiertheit, dieses fast peinlich-methodische Sich-Abgrenzen von Geschmack und Eigenschaften, die am klarsten mit der etablierten Kleinbourgeoisie und den unteren Klassen assoziiert werden, zählt tatsächlich zu den bezeichnendsten Ausdrucksformen dieser neuen Variante von kleinbürgerlichem Ethos; sämtlichen Verhaltensweisen seiner Vertreter teilt es eine Art Anspannung in der Lockerheit selbst mit" (Bourdieu, "Die feinen Unterschiede"): Carl "Schmitt hatte sich in einen Habitus festgeschrieben, der auf die beschleunigte Moderne mit der Tadellosigkeit eines gut sitzenden Charakteranzugs reagierte" (Merkur, Juli 1999).

Wie kommt man auf so einen Satz? Was schießt einem in dem Moment durch den Kopf? "Der Sinn des Spieles 'Karriere' ist vorwärtszukommen, aber gerade wie im richtigen Leben hat jeder einzelne Spieler seine eigene Vorstellung von dem, was Erfolg wirklich bedeutet. In dem Spiel 'Karriere' entscheidet jeder Spieler über seine eigene Erfolgsaufstellung und schreibt sie geheim nieder (...) Bevor das Spiel beginnt, muß sich jeder entscheiden, was sein Ziel sein wird. Soll es Geld, Ruhm oder Glück sein? - oder eine Zusammenstellung aus diesen dreien?"

Es wäre schön, einmal an die geheimen Niederschriften der Vorstellungen von dem, was heutzutage 'guter Stil', was 'Provokation' wirklich bedeuten soll, heranzukommen, die sich im Satz vom tadellos gutsitzenden Charakteranzug (tapferen Schneiderlein?) niederschlagen. Machen wir uns nichts vor, momentan sind genau solche Sätze gefragt. Solch ein Satz unterläuft nicht einfach. "Diese jungen Männer in ihren zu großen Anzügen" (Bohrer) sind Legion.

Dass uns die Feuilletons seit einigen Jahren vor allem Sozialkitsch zu lesen geben - "In der Eisenbahn sagt man Heizer zum Beifahrer, auch wenn es eine Elektrolok ist" (Farocki, "Prozeß & Progreß") -, ergreifende Geschichten über die sterbenden Geschlechter der Altphilologie, daran haben wir uns so langsam gewöhnt; der anhaltende Rechtsruck - lustig, was demnächst mit der Zeit passiert - gehört dazu. "In dem Maße, wie sich solche elitaristisch orientierten Reinterpretationen der römischen Antike in der europäischen Altertumsforschung ausbreiten, liegt ihre Verbindung mit der konservativen Fundamentalkritik des modernen parlamentarisch-demokratischen Systems bereits offen zutage. Ihre Ausführung finden diese Neuansätze dann in den Theorien zum Untergang des römischen Reiches, die wieder stärker in den Vordergrund rücken und vor allem im Umfeld des Ersten Weltkriegs aktuell werden. Sie sind jeweils von der Überzeugung getragen, daß die Alte Welt 'unterging', als ihre Eliten ausgelöscht wurden (...) Die gebildeten, kultivierten und den einfachen Menschen weit überlegenen Eliten reproduzierten sich schlicht nicht mehr - dieser Entwicklung geht der Althistoriker Otto Seeck in seiner sechsbändigen Geschichte des Untergangs der antiken Welt (1895 bis 1920) nach." (Canfora, "Die klassische Antike und ihre Rezeption in der Moderne") - wo uns ja schon reichen würde, wenn die weit überlegenen Eliten in den Feuilletons sich technisch nicht mehr reproduzierten.

Überraschend ist bei all dem vielleicht nur, wie schematisch das alles abläuft. Und wie das Blaublutgewurschtel der jungen Männer bei der Wegwerftexte-Produktion goutiert wird. April 1999, Forschung & Lehre, Mitteilungen des Deutschen Hochschulverbandes, Themenschwerpunkt 'Bildungskanon', Sachverständiger: einer der neuen Orgelspieler. Ex-FAZ-Literaturblattchef: "Warum sollte es nicht auch einen Filmkanon geben, wie es einen Opern- oder Musikkanon gibt", ja, warum soll es eigentlich keinen Western- oder Krimi- oder Filmkanon geben? "Was schön und spannend zu lesen ist, wußten die Bildungsbürger besser als irgendwelche Universitätsleute heutzutage." Soso. Irgendwelche Universitätsleute? Und ich darf sie aussuchen? (Die Wette halte ich).

Andererseits: Was genau für einen schön und spannend ist, wusste jeder immer schon selbst am besten, da hat er recht. Nicht schlecht auch: 'Bürger vs. Akademiker' (nach 1968 sind die Unis halt voll mit Arbeiterkindern). Fehlt nur noch: "Die 'Medien', das heißt doch der Computer" und "Merke:", schreibt er, man soll sich das also auch noch merken, also "Merke: die Welt wird unfreier, wenn das Bürgertum schwach und ängstlich wird" (Forschung & Lehre, Nr. 4, 1999).

"Hier kann die politische Laufbahn begonnen werden. Voraussetzung: Rechtswissenschaftliches Studium oder Politische Erfahrung oder M 3000 in die Parteikasse bezahlen. [Erstes Feld:] Sie fallen bei der Wahl durch Ö Zurück zur 'Anlagebank' [Anlagebank: Sie sind ohne Arbeit und können erst nach dem Würfeln einer 7, 11 oder von zwei gleichen Zahlen weiter. 'Günstige Gelegenheits'- oder 'Erfahrungs'-Karten können nicht zum Vorrücken verwendet werden. Zahlt man aber vor dem Würfeln 1/2 seines Bargeldes für Kleider, dann kann man beim nächsten Wurf die Anlagebank verlassen.] [Zweites Feld:] Essen mit einer kgl. Hoheit ... 2 'günstige Gelegenheits'-Karten. [Drittes Feld:] Erfolg in der Verbrecherbekämpfung ... 4 Ruhmespunkte. [Viertes Feld:] Richter bei einem Schönheitswettbewerb ... 2 Glückspunkte. [Fünftes Feld:] Sie läuten an 1000 Türen Ö 2 'Erfahrungs'-Karten. [Sechstes Feld:] Sensationelle Jungfernrede Ö 6 Ruhmespunkte. [Siebtes Feld:] Leitung eines Staatsbesuches in Übersee Ö 2 Ruhmes-, 4 Glückspunkte. [Achtes Feld:] Treffen mit Ministern Ö 8 Ruhmespunkte. [Neuntes Feld:] Sie schreiben einen politischen Bestseller Ö Kassieren Sie als Lizenz M 5000 u. 4 Ruhmespunkte. [Zehntes Feld:] Politischer Skandal! Ö Verlust der Hälfte Ihres Ruhmes. [Elftes Feld:] Sieg im Wahlbezirk (Ö) 12 Ruhmespunkte", Laufbahn durchlaufen, "Sammeln Sie Erfahrung."

"Die Filmkritik (Ö) ist gegenwärtig vielleicht der größte Popularisator des Camp-Geschmacks (Ö) Dennoch fühlt man, daß jemand anders Camp erfunden hätte, wenn es die Homosexuellen nicht schon mehr oder weniger getan hätten. Denn die aristokratische Haltung gegenüber der Kultur kann nicht sterben." (Sontag)

Mit dem Regierungswechsel brauchen die neuen Regierungsfeuilletons zu den alten Positionen auch eine eigene Erlebnisform. Irgendwie muss man sich doch unterscheiden. "Es mögen hier wie überall Konformisten am Werk sein - das Arbeitsprinzip der Kritik ist die Distinktion (Ö) Im Ernst: Eine Demokratie, die nichts davon wüßte, daß in bestimmten Arenen demokratische Regeln nicht gelten, verdiente ihren Namen nicht" (Jörg Lau, taz, 13. September 1995). Und so verlegen sie sich - Schröder ist noch mit seinen ersten 90 Danke-Helmut-Kohl-Reden beschäftigt -, im Ernst: auf die Erbschaft des Films. Was vorher 'Adel' hieß, soll jetzt 'Glamour' sein. "Die erste Hälfte der Geschichte des Kapitalismus gehört der Schaffung von Luxus durch die Konzentration von Kapital an Höfen, in Klassen und Schichten schließlich; die zweite Hälfte gehört der Auflösung des Luxus in Glamour." (Seeßlen, "Glanz und Elend des schönen Scheins")

Sie sind ja schließlich nicht umsonst ins Feuilleton gekommen. "Aber auch da geht vom Kino und sogar noch vom Fernsehen eine solche Magie aus, daß eine Sekretärin, die hintippt: 'Alain Delon: dreihundert Millionen' sich weniger als Sekretärin fühlt als eine, die für eine Versicherung arbeitet. Für mich ist das ganz und gar dasselbe" (Godard, "Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos"), Jacke wie Hose. Kiton wie Brioni. "So produzieren Michael Jackson und sein Affe mehr Glamour durch ihre Abwesenheit als Fürstin Gloria durch ihre aufdringliche Anwesenheit" (Seeßlen).

Was soll nicht alles 'Glamour' haben seit einem Jahr? Berlin, der Bundeskanzler, der Außenminister, der Kulturstaatsminister, der Verteidigungsminister, Bayern München, der faschistische Mann, der neue Staat, Pop, der amerikanische Film. Wir können nicht genug davon kriegen. Glamour ist unsere große Chance:

"Auf einem Photo aus dem Jahr 1968 (Ö) sieht man den späteren Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen vor dem Schöneberger Rathaus mit einem protestierenden Studenten streiten: weniger Glamour, mehr Politik war die Forderung. All das war gründlich vergessen, als am Mittwochabend in Gestalt von Gerhard Schröder erstmals ein Bundeskanzler die Festspiele eröffnete (Ö) Als politischen Akt versteht man hier auch die Eröffnung mit einem deutschen Wettbewerbsbeitrag, der sich mit der Vergangenheit befaßt (...) Der Lesbianismus als weibliche Gegenwelt gegen den männlichen Kriegsirrsinn (Ö) Dann doch lieber konsequenten Glamour! Die Schauspielerin Angela Molina, dieses Jahr Vorsitzende der Jury, weckte die schon etwas in sich zusammengefallenen Feiergesichter mit einem aufregend knallroten Tuch über busengünstigem ärmellosen Kleid und einem forschen Gelächter. Händeringend wünscht man sich für den Rest der Chose mehr davon." (Mariam Lau, SZ, 12. Februar 1999)

"Was bisher eine schlichte Pressemitteilung wert war, soll ab diesem Jahr 'nicht mehr durch die kalte Küche gereicht werden', sprach der Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, in seiner Funktion als Gastgeber einer neu aus der Taufe gehobenen Veranstaltung, die sich Deutscher Filmpreis 1999, Nomination Event, nennt. Immerhin ist die mit insgesamt 5,2 Millionen Mark ausgestattete Trophäe der höchstdotierte deutsche Kulturpreis. Naumanns 'Bündnis für Film', inzwischen 'Allianz für den Film', zeigt seine ersten Auswirkungen. Neu auch zwei Publikumspreise für den Film des Jahres und den oder die Schauspielerin des Jahres und das Re-Design des goldenen Filmbandes. Bisher eine eher undefinierbare, flachgewickelte Angelegenheit, wird es nun eine an die 'Metropolis'-Maria erinnernde Maschinenmenschin umschlingen (siehe links). So groß, so glamourös wie der Oscar können wir allemal, war die Botschaft des Abends." (taz, 27./28. März 1999)

Das alte Filmband tut's nicht mehr. Um den Erfordernissen der Zeit angepasst zu werden, muss es: 1. zu einem Symbol umgebaut werden (weil man auf Unmittelbarkeit setzt). Schema F: Frauenkörper, verschleiert. (Hollywood ist da schon wieder einen Schritt weiter, allegorisiert geschlechtsneutral: "Als sich der Regisseur die kahlköpfigen Figuren an die Brust drückte, weinte er", Bild, "Schindlers Liste", 23. März 1994). 2. emblematisiert werden. Auf den Film aller (deutschen) Filme verweisen. Und das soll jetzt 'Metropolis' sein. Wieso das? Das große finanzielle und konzeptuelle Trauma? Der Ausstattungsfilm, der die Ufa beinah bankrott gekriegt hat? Der Handschlag von Herz und Hirn zum Segen der Nation vor den krabbelnden Arbeiterheeren? Die gläserne Maschinenmaria als technizistische Projektion von Hysterie (Bruns, "Kinomythen 1920-1945")?

Was der Film erzählt, konnte als Vorlage zur Neugestaltung des höchstdotierten deutschen Kulturpreises nicht herhalten. Wichtiger scheint eher die Nutzung eines diffusen Gefühls gewesen zu sein, das der jedermann geläufige Titel ('auf den ersten Blick', 'vom Hörensagen') hervorruft. Das Kriterium ist nicht Sachbezug. Der Preis möchte die Assoziation 'Metropolis': Berühmter Film, Roaring Twenties, Große Stadt, ohne das, was der Film im einzelnen bezeichnen mag. Das lädt er sich aber, ob er will oder nicht, in seine Inszenierung mit ein. (War 'der größte Film aller Zeiten' nicht auch angetreten, die Amerikaner zu schlagen? Daran halten die Auslober natürlich weiter fest). Der Filmpreis, der zuvor durch das filmische Material symbolisiert war, eine eher undefinierbare, flachgewickelte Angelegenheit halt - man denke an "die etymologische Bedeutung, derzufolge die englischen Wörter grammar und glamour dasselbe sind" (Eva Meyer, "Der Satz vom Bild") - heißt nun in seiner neuen Form, sorgfältig übersetzt: '36 000 Komparsen, 1 100 Kahlköpfe, 750 Kinder, 100 Neger, 3 500 Paar Schuhe, 75 Perücken, 50 phantastische Autos, 500 bis 600 Wolkenkratzer ˆ 70 Etagen, ein paar tausend utopische Motoren, 620 000 Meter Negativ und 1 300 000 Meter Positivfilm'. Das ist die neue Erfolgsvorgabe für ALLE Filme. Spiel- wie Dokumentarfilme. Wir wollen personalisierte Geschichten mit Special Effects. Große Ausstattung. 'Viele bunte Bilder'.

Mit 'Glamour' zu hantieren, bedeutet, eine bestimmte Haltung zu seinem Gegenstand einzunehmen. Die Filme sind dabei sekundär. "Weil die sogenannten Fakten durch einige Biographien (Ö) bekannt sind, ist dieses Buch eher als Porträt gedacht, in dem bestimmte, für Mae West aus meiner Sicht relevante Themen angesprochen werden (Ö) Da ich die Filme fast für den uninteressantesten Teil der Figur Mae West halte, werden sie nur knapp behandelt. Wer genauer Bescheid wissen will, sei auf Jon Tuskas 'The Complete Films of Mae West' verwiesen." (Niroumand, "Westwärts")

'Glamour' hat man nicht einfach; 'Glamour' ist nicht einfach 'Ausstrahlung' oder 'Charisma' oder 'Aura'. Am besten wäre es vielleicht mit 'Zauber' übersetzt, 'Magie'. Es ist eine Haltung, die Bücher nur von außen sieht. Die Grammatikbücher etwa, zu denen man keinen Zugang hat. 'Glamour' wird hergestellt. Es ist eine Technik. (Das Handbuch der Rhetorik nennt diese Technik 'evidentia', eine 'detaillierend-konkretisierende Häufung, die abwesende Gegenstände durch Phantasie-Erlebnisse generiert'). Die Operation 'Glamour' versucht, Nahverhältnisse herzustellen, um sie dann zu distanzieren. Zunächst einmal aber personalisiert sie Strukturen.

Die Glamour-Technik kommt aus Hollywood. Sie ist dort im Studiosystem entwickelt worden und zwar in der Standbildfotografie. Die 'Glamour'-Stills der Studios lassen sich als Lektüretechnik beschreiben, die versucht, das Sprechen über Filme zu vereinfachen, zu kanalisieren. Konkretistische Anhaltspunkte außerhalb von Film zu liefern. Anreize zu schaffen. Glamour-Fotos sind eine Form von Filmkritik; man kann unterschiedliche Glamour-Strategien unterscheiden.

Aber obwohl derzeit alles mögliche in den Feuilletons Glamour hat, ist Glamour zugleich auch immer all das, was wir noch nicht haben. Unbedingt kriegen müssen. Was 'Berliner Republik' werden soll. Was immer nur die anderen haben. (Der amerikanische Film wie gesagt). Dass der FC Hollywood so gut gar nicht spielt, kann man jedes Wochenende sehen. Kann man den G-Punkt des Feuilletons aber denn gar nicht positiv bestimmen in diesem Hamwirnich/Wollnwirdoch? Doch, kann man. Glamour ist: a) Düsseldorf. "Nie sieht man ein angenehmes, elegantes Düsseldorf", alles spielt sich ab "auf gilblichen Bahnhöfen, nassem, anonymem Asphalt", in "grauenhaften Diskotheken, unter Brücken oder gleich in öffentlichen Bedürfnisanstalten". b) nicht schwul. "Noch immer fährt man gern mit dem Taxi zum Klo" c) die Kleinfamilie mit ihrem Kern, der Bindung zwischen Mann und Frau. "Indem die Kleinfamilie zur Keimzelle des Terrors deklariert wurde, geriet auch ihr Kern, die Bindung zwischen Männern und Frauen, in Verdacht." d) immer eingedenk der Mauertoten. "Nie, nie, nie war von den Toten an der Mauer die Rede" e) die Kö. "Berlin als Ansammlung freudloser Gassen (Ö) Ich möchte es mögen, aber es geht nicht!" f) Benimm. "Die typische Paarkonstellation im deutschen Film ist (Ö) Freche Mädchen, die man auch getrost Zicken oder prick teaser nennen darf, schicken ihren tumben Verehrern Unverschämtheiten per Fax." g) der soldatische Mann. "Von alldem ist uns mindestens der Verdacht gegen das Liebespaar erhalten geblieben, der gegen den Mann schlechthin aber auch. Selbst wer nie Theweleit gelesen hat, fürchtet das Soldatische in ihm". h) Goldhamster. "Ein Titel wie 'Kleine Haie' ist doch schon sprechend". i) Sonnenschein. "Dauernd regnet es." j) Keine deutsche Vergangenheit. "Ja, sollte denn schon wieder Adolf Hitler schuld sein?" k) Dabeisein. "Wo man Glamour sieht oder Edelrestaurants, heißt es: aufgemerkt, Verlogenheit! Gesehen von draußen vor der Tür!" l) das Feuilleton. "Daß wir alle arme Würstchen sind, ist wohl die Lektion, die man aus diesen Exkursionen mitnehmen soll." (Lau, Lau, Lau, "Was gibt es beim deutschen Filmpreis eigentlich zu feiern?", SZ, 17. Juni 1999)

"Man kann zum Film gehen. Voraussetzung: Film-Erfahrung oder M 1000 für neue Kleider bezahlen. [Erstes Feld:] Fotoaufnahmen für Kalender Ö 2 Ruhmespunkte. [Zweites Feld:] Verabredung mit einem Filmstar.. 1 'Erfahrungs'-Karte. [Drittes Feld:] Ihr Direktor ist von Ihnen begeistert. 2 'günstige Gelegenheits'-Karten. [Viertes Feld:] Sie heiraten ausländischen Prinzen (Prinzessin) 6 Ruhmes-, 2 Glückspunkte. [Fünftes Feld:] Sie erhalten einen Fernsehvertrag Ö M 1000 Gehaltserhöhung. [Sechstes Feld:] Briefe Ihrer Verehrer werden weniger Ö Kürzung des Gehaltes um 1/2. [Siebtes Feld:] Skandal! Ö 10 Ruhmespunkte aber Sie verlieren Ihr ganzes Glück. [Achtes Feld:] Erreichen von Starruhm Ö M 1000mal die mit einem Würfel gewürfelte Zahl. [Neuntes Feld:] Gewinn eines Oskar Ö 12 Ruhmespunkte", Laufbahn beendet. "Sammeln Sie Erfahrung."

In der Bundesrepublik heißt 'Glamour' zur Zeit nicht viel mehr als 'Nicht-68'. (Was man sich so unter 68 vorstellt). Das Thema von Lau-Niroumands Glamour-Buch etwa ist: "Wie kam es, daß Mae West (Ö) gerade von 'links' (Ö) angegriffen wurde?" Wie kommt's?

Die Umorientierung der Filmkritik in der Bundesrepublik beginnt grob Mitte der achtziger Jahre. September/Oktober 1984 erscheint die letzte Nummer der Filmkritik: Klassenverhältnisse von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub. 1985 beschäftigt sich die Retrospektive der Berliner Filmfestspiele mit Steven Spielberg, die Sonderausstellung heißt 'Special Effects'. "Wie nähert man sich der Arbeit eines solchen Regisseurs? Muß man nicht, um der Gewissenslage in der Bundesrepublik Genüge zu tun, zunächst das ideologisch Zwiespältige dieser Filme untersuchen, ihren Amerikanismus und Eskapismus? Sicher. Aber dies tun wir nicht." (Goldau/Prinzler, "Spielberg. Filme als Spielzeug", erste Sätze)

An die Stelle von Analyse und Kritik soll ein neuer Umgang mit Film treten, gekennzeichnet durch ein höheres Maß an Affirmation. Man möchte 'sich einlassen'. 'Wieder Spaß haben'. (Wo 68 gerade den Spaß wiedergebracht hatte). Sich nicht mehr schämen, etwa dass man Eis-Tanz mag: "Das Regie-Genie und die Eis-Königin. Steven Spielberg (47), mit seinem Monumental-Drama 'Schindlers Liste' Oscar-prämiert. Kati Witt (28), die sich zu dem Violin-Solo aus dem Film-Meisterwerk einen ergreifenden Eis-Tanz ausdachte. Der Meister-Regisseur sah ihn sich an - und war tief berührt. In einem Brief bedankte er sich bei Kati: 'Sie haben die Musik so wunderbar interpretiert. Mir liefen die Tränen. Ich werde mich nicht dafür schämen'." (Bild, 15. März 1995)

1982 war die Abrechnung mit 68, der Linken, Regierungserklärung geworden: "Wir werden (Ö) eine Wiederbelebung unseres Leistungswillens, unserer Leistungskraft, die notwendige Opferbereitschaft (Ö) nur dann in der Tat bewirken können, wenn eine geistig moralische Herausforderung erkannt und angenommen wird." 1984 erscheinen im Merkur von Karl Heinz Bohrer die programmatischen Aufsätze "Die Ästhetik des Staates" und "Die Unschuld an die Macht", die die performative Dimension der Politik betonen und politische Abläufe mit Hilfe eines romantischen Aktantenmodells zu beschreiben suchen: Große Heerführer, die gut aussehen - in diese Richtung soll es politisch-ästhetisch fortan gehen. Das Potenzial ist ja da: "Auch gab es Politiker, die der besonderen Kategorie von Häßlichkeit nicht mehr unterworfen waren: (Ö) mehr oder weniger Überbleibsel der alten Oberschicht." (Graf Lambsdorff?).

Nutt, Ex-Feuilletonchef der taz, seit neuestem Nutt der FR, übersetzt diese Theorie in seine Praxis: "'Die Erneuerung der Regierung', befand vor mehr als einem halben Jahr der Merkur-Herausgeber Karl Heinz Bohrer, 'läge nicht im Wechsel der politischen Farbe, sondern im Wechsel der Physiognomie.' (Ö) Daß mit dem überraschend kräftig leuchtenden Farbwechsel am schönen 27. September auch ein physiognomischer Wechsel vollzogen wurde, verkörpert derzeit niemand besser als Michael Naumann" (Nutt, "Gestaltwechsel, Politikwechsel etc.: Jenseits von Bohème und Dissidenz", taz, 17./18. Oktober 1998): Ex-Feuilletonist Michael "Satire kann alles sein, aber nicht dumm! Jetzt sind die Verantwortlichen gefragt" Naumann, der sich vor allem damit einen Namen gemacht hatte, dass er für Holtzbrinck aus dem Rowohlt-Verlag einen Ratgeber-Verlag gemacht und dann in den USA anderen Verlagen etablierte Groß-Autoren (Paul Auster) - GLAMOUR! - abgekauft hatte; (was Unsummen kostet, einen Verlag aber strukturell keinen Deut weiterbringt).

Aber vielleicht musste das ja so sein, Mitte der neunziger Jahre, vielleicht sehe ich nur nicht die historisch objektive Notwendigkeit. Nutts Filmgeschichtsphilosophie, er kann nicht anders: "Feinfühlige Beobachter des deutschen Filmschaffens können an dieser Stelle vielleicht überzeugend darlegen, wie nach der affektiven Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit ˆ la Rainer Werner Fassbinder in den 70er Jahren sich danach erst einmal der Hang zu schnoddrigem Spaßkino Platz verschaffen mußte. Ganz wie unmittelbar nach Kriegsende den Staudte-Filmen bald Verwechslungskomödien mit Peter Alexander oder Walter Giller folgten. Am Ende der 90er geht es nun wieder ernster zu. Wir können auch anders." (Nutt, "Verbotene Liebe", taz, 11. März 1999)

Das eigene Programm wird ein Stück weit dementiert. Sollte es, um 'die Ideologiekritik' loszuwerden, zunächst noch eine Differenz von 'Autorenfilm' und 'Erzählfilm' geben, mit entsprechenden Zweitversionen - 68 waren die, die uns Hollywood kaputtmachten. Kriegsspielzeug verbieten wollten. Die sich moralisch aufspielten, uns bevormundeten. Keinen Spaß an Sex hatten - müssen die Berliner Republicans jetzt, den Bumerang vor Augen, für den sie seinerzeit gleich das Bundesverdienstkreuz gefordert hatten - "Steven Spielbergs 'Der Soldat James Ryan' erzählt so eine Geschichte. Sicherlich kein wirklich bedeutender Film" (Merkur-Mitherausgeber, taz, 11. März 1999) / "Spielbergs 'Ryan' wirkt nun seltsam flach und überhastig, so, als hätte Hitchcock 'Psycho' mit der Duschszene beginnen lassen" (Lau, SZ, 13./14. Februar 1999) -, und die eigene Klientel, die den Bumerang nicht mehr fangen mag - Development-Agentur 'Die Hölle' über ihr neues Vorhaben 'Der nackte Affe': "Wir sollten aufhören, nach Amerika zu schielen (Ö) Das Feld der amerikanischen Mythen und Erzähltraditionen ist gut beackert, sonst würden nicht Leute wie Tarantino bei Godard klauen" (black box, Oktober 1999) -, erste Konzessionen machen und den Autorenfilm wieder aufwerten, um das re-universalisierte Hollywood als moralische Instanz, als den Ernst der Lage verkaufen zu können: "Ein regelrechter Autorenfilm, aber eben aus Hollywood glücklicherweise" (Merkur-Mitherausgeber, taz, 11. März 1999). Schließlich lässt sich mit Hollywood noch schön in den Krieg ziehen. "Wer mag schon Kriegsfilme? Krieg bleibt Krieg. Auch im Film. Daß man ihn führen und filmen kann, ohne ideologische Überhöhung und kultische Momente, auch das zeigen manchmal Kriegsfilme. Zum Neustart von 'Der Soldat James Ryan'" (Merkur-Mitherausgeber, taz, 11. März 1999).

So haben am Ende auch die Bomben auf das Kosovo ihren 'Glamour'-Touch. Man agiert wieder in großem Stil, in großen Maßstäben. Beim Merkur schenkt man sich nichts: "'Wenn ich Mitleid haben will, sehe ich mir Fotos aus Biafra an', versetzte mein Bekannter Kurt Scheel, 'dafür brauche ich doch nicht ins Kino zu gehen'" (Niroumand, "Westwärts"). Und schon fühlt sich ein Polizist der Germanistik "ohne mit der Wimper zu zucken" und ohne blassen Schimmer in Nazis ein, weil das gerade so chic ist. "SUSN: Jetzt glänzt du wieder! FROSCH: Ich glänze gerne. SUSN: Du bist eine Glanzfigur. FROSCH: Wie glänze ich!? SUSN: Du glänzt wie der allerglänzendste Düsenjäger. Du glänzt wie der Himmel. FROSCH: (Ö) Ich bin der Glanz der Dinge. Ich bin mehr als die Bundeswehr und der Grenzschutz zusammen. Fotografier mich!" (Achternbusch, "Der Frosch").

Die Regierungsfeuilletons mit der neuen Erlebnisform tauschen Godard durch Spielberg aus, wie sie es von ihren Vorgängern her kennen, bei denen es beim groß angekündigten neuen Umgang mit Literatur auch nur dazu gereicht hatte, Grass durch Walser, Martin, zu ersetzen. (Hauptsache einer von uns ist oben). "Mit diesem entspannten Abgang hat die Berlinale ein schönes Signal gesetzt. Der Abschied vom Zoo-Palast entläßt sie aus der Nachkriegs-Tradition des 'Fensters zur freien Welt' und der zwanghaften Identitätssuche nach dem Mauerfall in das großstädtische, glamouröse, zu steter Selbstfindung einladende neue Forum am Potsdamer Platz." (Lau, SZ, 22. Februar 1999) "Der Enthusiasmus der Berliner Bevölkerung, die Lust, sich am Glamour zu begeistern, Schlange zu stehen, zu klatschen und zu jubeln, schulterklopfend den Star zu umarmen, prägte die Atmosphäre der Filmfestspiele in den fünfziger Jahren. (Ö) Man war wieder wer - oder, zumindest, wollte wieder wer sein." (Jacobson, Berlinale)

Dass man im Hollywoodfilm Autorenfilme finden kann, ist ein altes 68er Programm. Entgegen der Legende sind es ja die 68er, die Hollywood 'wiederentdecken' und sich emphatisch und affirmativ gerade auf Hollywoodfilme beziehen. Was sie angreifen, ist der Universalitätsanspruch von Hollywood. Hollywood ist eine lokale Filmkultur, wie andere lokale Filmkulturen auch. Nicht der Lieferant der Zeichen der Welt. Mit dieser Relativierung entdecken die Filmkritiker und zum Teil zukünftigen Filmemacher große Hollywoodfilme in Serie. Die Western, Hawks, Ford, Griffith usw. 'Hollywood' steht in einer Reihe mit dem 'italienischen Neorealismus', dem britischen 'Free Cinema', dem japanischen Film usw. (In den Krieg ziehen sie mit Hollywood deshalb noch lange nicht).

Die neue Kritik, ganz gleich ob es sich um die Adels- oder die Glamourfraktion handelt, hat außer einer Inflation von Autorenporträts - (die Gesichter der Journalisten erkennt inzwischen sogar ein Blinder wieder) - und der Renaissance des Adjektivs - (früher untrügliches Indiz für Trivialliteratur: "Carl Schmitt inszeniert sich auch dann noch als kühle persona, nachdem die neusachliche Landschaft von den Weltkriegsbomben in Trümmern gelegt und die distanzierte Maske als grausame Fratze verschrieen worden war" (Merkur, Juli 1999) - nichts eigenständiges zu Stande gebracht; die Abwehr von 68 ist nicht zuletzt eine Abwehr von Texten (zu Filmen), die Spaß machen, die man gerne liest, die mal etwas riskieren, von Schreibverfahren, wie sie in der Zeitschrift Filmkritik etwa entwickelt worden sind, "die finanziell daran gescheitert ist, über Film zu schreiben, ohne dem Zuschauer zu sagen, was er von einem Film halten möge" (Farocki).

Dass die Filmkritik, die nie über einen größeren Abonnentenstamm verfügte, bis heute unangefochten eine Ausnahmestellung einnimmt, nach wie vor Maßstab ist, ist nicht allein Resultat einer in der Tat außergewöhnlichen Massierung von künstlerischer Intelligenz (Nettelbeck, Grafe, Färber, Bitomsky, Farocki) durch verschiedene Phasen, eine Stiftung von Kontinuität durch 28 Jahrgänge hindurch, sondern auch Symptom für einen gesellschaftlichen Kontext, in dem im Gegensatz zum Umgang mit dem Medium Buch, das Sprechen über Film, in welcher Form auch immer, nirgends eingeübt, ausprobiert wird. (So ist es nur folgerichtig, dass beim Film immer wieder aufs Neue exklusiv das 'Erlebnis' anrückt und das Licht ausgeht.) Die Filmkritik erscheint obendrein zu einer Zeit, als es noch keine institutionalisierten Film- und Medienwissenschaften an den Universitäten gibt.

In den neunziger Jahren soll der Universalitätsanspruch von Hollywood nun wieder reinstitutionalisiert werden; das Reden über Film wird traditionell umfokussiert: "Genre und Star, das sind die 'basics' des Kinos, damit begann für mich, damit beginnt überhaupt das Sprechen über Filme." (Merkur-Mitherausgeber, taz, 10. August 1995) - die alte Kamelle: aus 'für mich' wird 'ist überhaupt'. (Wie überhaupt das viel beschworene Performative beim Glamour häufig mit dem Autobiographischen verwechselt wird). Zugleich gilt es, das Hybride zurückzudrängen. Die Genres rein zu kriegen. Abermals strikt zwischen Dokument und Fiktion zu trennen. (Wovon der Kritiker als Sachwalter der Unterscheidung parasitär profitiert). Die Filmkritik hat in erster Linie Service-Funktionen zu übernehmen. Ihre Hauptaufgabe ist die Auszeichnung der Produktpalette. Das 'eigene Erlebnis' als Verpackung mitzuteilen.

Der Drang nach Glamour schlägt sich nieder in einem Verlust an filmischer Diskussionskultur: Wie will man im Glamour-Kontext über Film reden? Eigentlich gar nicht. Über die Fabrikation von Glamour zu reden, macht Glamour nur kaputt. Stattdessen gilt die Devise des Dabeiseins. 'Berühmte Leute' treffen, mit ihnen zusammen sein. 'Spending time'. Ein Interview machen. Mal angenommen, GUTE FEE, sie haben ihn endlich zu fassen gekriegt, ihren großen Traum, den Traum der Germanisten und des Feuilletons: einen 'richtigen Autor', einen 'richtigen Professor', den Traum der Talkshow: einen 'richtigen großen amerikanischen Filmschauspieler', den Traum der Historiker: Albert Speer, was wollen Sie ihn eigentlich fragen? "Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Das Stellen von Fragen, das Spucken auf den Bürgersteig. Ihre liebsten Romanhelden? Die Französische Revolution, die bis heute Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte? beflügelte Menschen von Betonköpfen unterscheiden läßt, Ihre Lieblingsheldinnen in der Wirklichkeit? die die Klugheit von Frauen zur Wirklichkeit gebracht hat Ihre Lieblingsheldinnen in der Dichtung? und Frauen die Sprache zurückgibt, die ja weiblich ist, Ihre Lieblingsmaler? und die die Maler wie van Gogh aufbrechen ließ Ihr Lieblingskomponist? zur Schönheit des Individuums, die Mozart vorausgeahnt hat" (Achternbusch, FAZ-Fragebogen). Wie antwortet man auf Fragen in einem bestimmten Kontext? Was ist überhaupt eine Frage? Wie stellt man sich? Glamour pusht einen Kult der symbolischen Teilhabe.

Über Konstruktionen zu reden, ist verpönt; über das Gemachte eines Films nicht zu reden, gehört zum guten, neuen Ton. Stattdessen bürgern sich die Annotationen ein. Den Anekdoten der Filmemacher fügt man eigene Anekdoten hinzu. Das ist cool. Das haben wir so gelernt. Vielleicht finden sie es ja auch witzig. "Zu Beginn ihrer oder seiner Karriere wird (Ö) geraten, Kontakte zu knüpfen. Unser Leben lang knüpfen wir Kontakte, und am Ende bleibt den meisten nur der Kontakt zum Arbeitsamt." (Weber, "The Artist, His Audience, and Outlook")

Es ist der Dokumentarfilm, der für 'Glamour' geradezu prädestiniert ist. (Weitaus mehr als der Spielfilm. Die Stills der Studios behaupten schließlich auch etwas Dokumentarisches). So ist es nur folgerichtig, dass die Duisburger Filmwoche, das Festival des deutschsprachigen Dokumentarfilms (www.duisburg.de), in diesem Jahr 'Glam/Doc - Kicks für die Filmkritik' zum Thema eines ihrer Extras gemacht hat: "Warum passiert in Filmkritiken so wenig? Warum ist soviel von Glamour die Rede und so wenig Glänzendes zu lesen?" Samstag, den 6. November, diskutieren: Harun Farocki (Berlin), Vinzenz Hediger (Zürich), Alexander Horwath (Wien), Veronika Rall (Berlin), Michael Rutschky (Berlin), die Moderation hat Stefan Reinecke (Berlin).

Vielleicht wäre man schon ein Stück weiter, wenn man die Glamour-Kategorie aus ihrer politisch-reaktionären Verwendungsweise lösen könnte. "Und daß man zunächst einmal sagen kann, daß Überlegungen, nicht aber Absichten und Zwecke langwierig sind und diesen ganzen Glamour ausmachen, den man gern hat." (Eva Meyer, "Der Satz vom Bild")