Im Herbst der Patriarchen

Die Blätter schlagen aus

Er wolle nicht zum "Totengräber der Presse" werden, begründete der Vizeminister für Kultur und islamische Orientierung, Ahmed Borghani, seinen Rücktritt Anfang des Jahres. Tatsächlich hatte im vergangenen Jahr eine oppositionelle Tageszeitung, die zunächst unter dem Namen Jameah angetreten war, schon nach fünf Monaten ihr Erscheinen einstellen müssen.

Auch der zweite Versuch der Redaktion, die Zeitung unter dem Titel Tus erscheinen zu lassen, schaffte es gerade mal bis zur Nummer 45. Doch inzwischen haben die unerschrockenen Journalisten die Nechat gegründet. Ihr Programm dürfte dasselbe sein wie das von Jameah: die Schaffung einer Zivilgesellschaft. Denn, so war in der Gründungserklärung von Jameah zu lesen: "Die bürgerliche Gesellschaft ist das Modell einer Form kollektiven Lebens, das heute in vielen hochentwickelten Gesellschaften existiert und das für jede Nation, die sich dafür entscheidet, von unschätzbarem Nutzen ist."

Das scheint auch die Regierung von Präsident Khatami mittlerweile anzunehmen, und so irrt Borghani möglicherweise, wenn er die Presse für tot erklärt. In Teheran erscheinen inzwischen über 30 Tageszeitungen, die bei unterschiedlichster politischer Ausrichtung vor allem zwei Dinge gemeinsam haben: eine große Themenbreite und die Darstellung auch gegensätzlicher Meinungen.

So erschien im vergangenen Jahr in einer regierungsnahen Wochenzeitung für Jugendliche ein Dossier zum Thema Transsexualität. Die mußte zwar als Krankheit verstanden werden, zudem wurde das wesentlich wichtigere und weiterhin tabuisierte Thema Homosexualität nicht explizit thematisiert. Dennoch war der Schritt, Jugendliche mit ihrem Unbehagen an den (nicht nur sexuellen) Vorschriften der iranischen Republik zu Wort kommen zu lassen, bereits beachtlich.

Noch weiter wagt sich die 1992 gegründete islamisch-feministische Monatszeitschrift Zanan vor. Frauen finden sich im Iran mittlerweile auf verschiedenen politischen Ebenen, im Parlament und in mehreren Ministerien. Doch, wie eine Autorin in Zanan anmerkt, bedeutet das noch lange nicht, daß Frauen aktiv an der Macht teilhaben - sie spricht gar von einer "Phallokratie" in den wichtigsten Texten der Verfassung. Eine Stimme, die um so erstaunlicher ist, als eine Neuordnung des Geschlechterverhältnisses im Iran doch nicht gerade auf der Tagesordnung steht.

Ayatollah Mohadjarani, der Minister für Kultur und islamische Orientierung und damit Vorgesetzte des zurückgetretenen Borghani, gibt sich unterdes kritikerfreundlich. Bücher und Filme werden weit weniger zensiert als früher, und im März verlieh der Minister Preise an zwanzig LiteratInnen - ein Novum in der bisher so intellektuellenfeindlichen islamischen Republik.

Auch der iranische Schriftstellerverband konnte sich - unter Kontrolle des Geheimdienstes und in einer Privatwohnung, aber immerhin von der Regierung geduldet - im März neu gründen. Zu den Morden an fünf systemkritischen Autoren Ende vergangenen Jahres erklärte Mohadjarani in einem Interview mit Le Monde: "Ich habe übrigens keinerlei besondere Botschaft in diesen Morden gesehen, deren Urheber nicht wissen, was eine Botschaft bedeutet."

Dennoch hat er sich für die vollständige Aufklärung der Morde ausgesprochen. Vier Angehörige des Geheimdienstministeriums sitzen bereits als Tatverdächtige im Gefängnis. Als Täter ohne ministeriellen Auftrag, wie die Regierung angestrengt betont.