Selbständig - Sein oder zum Schein?

Ein Gesetz aus dem Hause Walter Riester meint es gut und bringt Medienschaffende in die Bredouille.

Wie jedes Jahr, so auch dieses Jahr das gleiche Ritual bei der Sitzung der Tarifkommission der IG Medien für - Obacht, der Name hat es in sich! - "Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen und Zeitschriften und für freie Journalistinnen und Journalisten": Forderungen werden diskutiert. Alle sind sich schnell einig, daß die Marge von der IG Metall gesetzt wurde. Und im eigenen Gewerbe werden es wohl die Drucker sein, die unter Umständen für das Metall-Ergebnis streiken. Also die gleiche Forderung wie die Drucker: 6,5 Prozent. Eine Sensation! Denn: In den vergangenen Jahren wurde stets eine "Festgeldforderung" erhoben.

Damit wollte man ausdrücken, daß die hohen Lohngruppen nicht überproportional mehr bekommen und die niedrigen Gruppen mit Peanuts nach Hause gehen sollen. Dieses Jahr ist alles anders. Doch wie jedes Jahr wollen die Freien auch dieses Jahr, daß ihre Interessen besonders berücksichtigt werden. Nur wie? Das weiß keiner so recht. Freie gelten als "nicht kampffähig".

Im stillen sind sich sowohl die Festen wie auch die Freien einig, daß es nur eine Möglichkeit gibt, dem Dilemma "bescheidene Entlohnung" der Freien zu begegnen: Die Festen müßten für die Freien streiken. Dafür reicht die Kraft - sprich: Solidarität - nicht. Die Konkurrenz ist groß. Und da ist noch ein anderes Thema: Immer mehr Redaktionsarbeit wird "ausgelagert" - also den Freien überantwortet. Zu viel schlechteren Bedingungen. Vom "Pauschalisten-Unwesen" und von "Scheinselbständigkeit" ist die Rede.

Um dem Thema beizukommen, ein kleiner Exkurs: Wäre der grüne Umweltminister Jürgen Trittin Reisender in Sachen Autoshampoo und böte die Ware in Fußgängerzonen feil - er wäre unter Umständen scheinselbständig. Ein Wort, das in den letzten Wochen die Runde machte. Was ist das, zum Schein selbständig? Dieser Fall ist etwas komplizierter, da Trittin nach dem Handelsgesetzbuch auch selbständiger Gewerbetreibender sein könnte. Das sind Personen, die laut Gesetzesdefinition ständig damit betraut sind, für andere Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in deren Namen abzuschließen. Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler sagt, in Wirklichkeit seien viele Personen, die als selbständige Gewerbetreibende auftreten, Arbeitnehmer - wie Tankstellenpächter, Versicherungs- und zum Teil auch Handelsvertreter. Sie können nicht frei entscheiden, welche Produkte sie wie vertreiben.

Einfacher wäre es zum Beispiel bei der bayerischen SPD-Vorsitzenden Renate Schmidt, wenn sie als Kellnerin auf dem Münchner Oktoberfest auf Provisionsbasis Bierkrüge durch die Gegend stemmen würde. Weil sie nicht die Wahl hat, diese oder jene Biersorte anzubieten, sondern ausschließlich das Bier, welches im Angebot ist, kann sie gar keine freie Unternehmerin sein. Sie ist abhängig Beschäftigte. Was im Amtsdeutsch bedeutet, daß sie "sozial schutzbedürftig" ist und Gesetze wie Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsgesetz, Arbeitszeit- und Bundesurlaubsgesetz sowie das Kündigungsschutzgesetz für sie gelten.

Ähnlich verhält es sich mit BäckereifachverkäuferInnen - hier würde sich vielleicht Ex-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert anbieten -, die vom Status her UnternehmerInnen sind, in Wirklichkeit aber nur Brot- und Brötchensorten einer Großbäckerei verkaufen dürfen. Man spricht hier von sogenannten Franchise-Nehmern. Die bekanntesten Franchise-Nehmer sind die McDonald's-Pächter; die ältesten sind die Tankstellenpächter. Das System zeichnet sich dadurch aus, daß vom Ausgangsunternehmen alles - von der Arbeitskleidung bis zum Warensortiment - detailliert vorgeschrieben ist.

Auf dem Bausektor haben sich in den letzten Jahren immer mehr die Ein-Mann-Betriebe oder Subunternehmer wie Guido Westerwelle durchgesetzt. Angeheizt durch eine "Die-Löhne-sind-zu-hoch-und-die-Lohnnebenkosten-auch" - Debatte gingen Unternehmen immer mehr dazu über, Bereiche auszugliedern oder fremd zu vergeben. Oft an ehemalige Beschäftigte - nach dem Prinzip, erst entlassen, dann "selbständig" auf eigene Rechnung die gleiche Tätigkeit für die gleiche Firma entrichten lassen.

Daran hat Arbeitsminister Walter Riester gedacht, als er das "Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" auf den Weg brachte. Davon ist die Rede, wenn vom "Gesetz gegen die Scheinselbständigkeit" gesprochen wird. Der Ansatz ist durchaus vernünftig: Nach dem neuen Paragraphen 7, Absatz 4, im Vierten Buch des Sozialgesetzbuches müssen alle "Scheinselbständigen" ab sofort in allen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung versichert werden. Der Auftraggeber muß die Hälfte der Beiträge zahlen.

Allerdings macht das Gesetz beispielsweise auch viele freie Kultur- und Medienschaffende

zu Scheinselbständigen. Freie Journalistinnen und Journalisten laufen deshalb gegen das Gesetz Sturm. Für sie - und für andere Beschäftigte im Kunst-, Kultur- und Medienbereich - wurde 1984 ein besonderes Konstrukt der Sozialversicherung eingeführt: die Künstlersozialkasse (KSK). Sie versichert freiberuflich arbeitende Journalistinnen und Journalisten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz.

Von anderen freien Berufsgruppen wie Rechtsanwälten, Ärzten oder Architekten unterscheiden sich freie Journalisten auch dadurch, daß es für sie keinen besonderen "Tarif" gibt wie beispielsweise BRAGO - die Gebührenordnung für Anwälte. Auch waren bis Mitte der achtziger Jahre freie Journalisten eher die Ausnahme. Unter den in der IG Medien organisierten Journalisten waren es über Jahrzehnte gut zehn Prozent. Heute sind es nahezu 50 Prozent. Die IG Medien schätzt, daß von den etwa 60 000 bis 70 000 hauptberuflichen Journalisten wenig über 30 000 eine feste Anstellung haben.

Wegen des nie abzuschätzenden Auftragsvolumens hatte sich kaum ein freier Journalist privat versichert. Oft war Altersarmut die Folge. Der Schriftsteller und frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Dieter Lattmann gilt als einer der Väter der KSK. Diese funktioniert so: Anna Feder, freie Journalistin in Neumünster, beliefert die regionale Zeitung und einige andere Zeitungen außerhalb ihres unmittelbaren Wohn- und Arbeitsortes mit Artikeln. Hin und wieder arbeitet sie für einen privaten Radiosender, und für die SPD-Stadtratsfraktion schreibt sie Pressetexte. Dafür bekommt sie Honorar. Sie schätzt, was sie in etwa im kommenden Jahr einnehmen wird und teilt das der KSK mit. Von ihren Jahreseinnahmen abzüglich der Kosten muß Anna Feder 19 Prozent, verteilt auf 12 Monate, an die KSK an Beiträgen abführen. Das ist ihr Arbeitnehmeranteil.

Die KSK - sie hat ihren Sitz in Wilhelmshaven - führt an die Krankenkasse, die sich Anna Feder ausgesucht hat, an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und an die Pflegeversicherung die Beiträge ab. Zu den 19 Prozent Arbeitnehmeranteil zahlt die KSK nochmal 19 Prozent Arbeitgeberanteil und führt dies ebenfalls als anteilige Beiträge ab. Der Arbeitgeberanteil wird je zur Hälfte von den Verlegern und dem Bund (Bundesfinanzministerium) aufgebracht.

Dieses besondere System der Sozialversicherung hatte Walter Riester nicht bedacht, als er die "Scheinselbständigen" schützen wollte. Sein Gesetz definiert vier typische Merkmale von Arbeitnehmertätigkeit:

¥ Freie (oder Scheinselbständige) beschäftigen ihrerseits keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer (Familienangehörige und geringfügig Beschäftigte bleiben dabei unberücksichtigt).

¥ Sie sind "regelmäßig und im wesentlichen" nur für einen Auftraggeber tätig (gelegentliche Tätigkeiten für andere Auftraggeber sind hier ohne Belang).

¥ Sie erbringen typische Arbeitnehmerleistungen, vor allem, wenn sie weisungsgebunden oder in den Betrieb des Auftraggebers eingebunden sind oder dieselbe Arbeit verrichten wie ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen.

¥ Sie treten "nicht aufgrund unternehmerischer Tätigkeit" am Markt auf, können also ihre Preise / Honorare nicht eigenständig festlegen.

Zwei dieser vier Bedingungen müssen vorliegen, dann ist ein Scheinselbständiger ein Arbeitnehmer. Das "Vermutungsprinzip" reicht für die Annahme aus. Wird die Vermutung nicht widerlegt, so gilt Scheinselbständigkeit als Arbeitnehmertätigkeit und der Auftraggeber als Arbeitgeber. Doch nur im Sinne des Sozialgesetzbuches. Das heißt, die vormals Freien müssen vom Auftraggeber in der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung versichert werden. Ein Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts - mit Kündigungsschutz und Anspruch auf tarifliche Bezahlung - ist er damit aber noch lange nicht. Hier gibt es zudem noch die etwas seltsame Begrifflichkeit der "arbeitnehmerähnlichen Person" nach dem Paragraphen 12 a des Tarifvertragsgesetzes.

Würde Anna Feder etwa ein Drittel ihres Einkommens von einer Zeitung oder einem Verlag bekommen, wäre sie eine solche arbeitnehmerähnliche Journalistin. Da die IG Medien für arbeitnehmerähnliche freie Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen mit dem Verband der Zeitungsverleger einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, stünden Anna Feder die vereinbarten Honorarsätze und bezahlter Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz von 24 Werktagen pro Jahr zu. Der Haken dabei: Anna Feder muß selbst geltend machen, daß sie unter den Tarifvertrag fällt. Viele Auftraggeber reagieren auf die Ankündigung einer solchen Geltendmachung mit Auftragskürzung. Dennoch gelingt es nicht wenigen Freien, sich so in ein arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis einzuklagen.

Die Regelungen der KSK bleiben davon unberührt. Anders verhält es sich, wenn angenommen wird, Anna Feder ist abhängig Beschäftigte nach dem Gesetz. Das könnte der Fall sein, wenn sie als Pauschalistin arbeitet und ganz und gar in den Redaktionsalltag eingebunden ist. Sie bekommt eine Pauschale von unter Umständen 4 000 Mark und hat ein festes Aufgabenfeld. Im Redaktionsalltag ist das ein typischer Fall von Scheinselbständigkeit. Formal ist Anna Feder Freie, aber in Wirklichkeit ist sie fest angestellt. Dann muß die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge der Verlag zahlen.

In der Theorie leuchtet die Abgrenzung von Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit ein. Für die Praxis aber dürfte sie kaum ausreichen. Und da liegt das Problem. Zum einen haben die Gesetzesmacher keinerlei Gedanken auf die Umsetzung verschwendet: Statt den Verursachern der Scheinselbständigkeit Druck zu machen, überlassen sie die Durchsetzung des Gesetzes deren Opfern. Sanktionen für Arbeitgeber, die ihrer Versicherungspflicht nicht nachkommen, sieht das Gesetz ebensowenig vor wie wirksame Kontrollen.

Wenig Probleme haben die "echten" Freien: Sie bedienen viele Kunden und sind von keinem einzelnen ihrer Auftraggeber wirtschaftlich abhängig. Doch nach Schätzungen des Münchner ifo-Instituts leben rund die Hälfte der freien Journalistinnen und Journalisten am Existenzminimum. Hier wird auch schon vom Medien-Proletariat gesprochen. Zwar sind viele Freie gewerkschaftlich organisiert. Das heißt aber noch lange nicht, daß gewerkschaftliche Gegenwehr möglich ist. In erster Linie sind Freie Einzelkämpfer. Vorrangig wollen sie von der Gewerkschaft Rechtsberatung bei Vertrags- oder Urheberrechtsverletzungen sowie kompetente Beratung in beruflichen Angelegenheiten.

Relative Ratlosigkeit herrscht, wie das Problem "Drei-Klassen-Journalismus" überwunden werden kann: Festangestellte gegen Pauschalisten und die gegen Freie. Bei der letzten Honorarumfrage unter den gut 8 400 Print-Freien in der IG Medien gaben ungefähr 25 Prozent an, daß sie unter 2 000 Mark Honorar pro Monat einfahren. Demgegenüber stehen die Festen mit einem Tarifgehalt von um die 7 600 Mark. Und dazwischen stehen die Pauschalisten, die zwischen 2 000 und 6 000 Mark verdienen.

Eine Pauschalistin in einer norddeutschen Kleinstadt erzählt: Für 4 500 Mark arbeitet sie für eine Außenredaktion. Das heißt: Das Blatt hat eine Gesamtauflage von 300 000 Exemplaren und teilt sich in sieben Bezirksausgaben - also Teilauflagen mit Lokalseiten - auf. Sie betreut zwei Seiten einer Lokalausgabe, wählt Themen aus, recherchiert selbst und schreibt. Daneben redigiert sie noch fremde Texte. Zu Hause hat sie ein Büro und in der Redaktion einen Schreibtisch. Pro Monat verbringt sie bis zu 14 000 Kilometer auf der Landstraße. Eigentlich tut sie die Arbeit, die auch festangestellte Redakteurinnen und Redakteure tun. Jedes Arbeitsgericht der Republik würde ihr Recht geben, wenn sie Klage auf Festeinstellung erheben würde. Arbeitgeber sehen so etwas nicht gern, und so tut sie es nicht, weil sie Angst hat, dann weg vom Fenster zu sein.

Das andere Extrem sind die Edelfedern, die für eine Reportage - eine Woche Recherche vor Ort und eine Woche Schreibtischarbeit - gut und gern 8 000 Mark bekommen. Hier und da noch eine Moderationstätigkeit eingeschoben und noch den einen oder anderen Pressetext für den Unternehmerverband geschrieben, schon kommt so jemand auf einen Monatslohn von 10 000 bis 12 000 Mark.

Festangestellte Redakteurinnen und Redakteure beklagen sich über Arbeitsverdichtung und zuviel Verwaltungsarbeit. In Journalistenkneipen ist dann oft zu hören, immer nur fremde Texte redigieren, sei öde. Die Freien werden beneidet, weil sie draußen arbeiten können. Doch keiner der Festen möchte wirklich mit den Freien tauschen, die wiederum vom Gehalt der Festen und der Freiheit der Freien träumen.