Täuschend falsch

Werner Fulds "Lexikon der Fälschungen" verläßt sich statt auf Erkenntnistheorie lieber auf die FAZ

Wußten Sie, daß Hamburg gar keine "Freie- und Hansestadt" ist? Daß die entsprechenden Urkunden von schlitzohrigen Kaufleuten im 13. Jahrhundert gefälscht wurden? Und freut es Sie, Mythen dieses Kalibers entlarvt zu sehen? Dann ist das "Lexikon der Fälschungen" womöglich genau das Richtige für Sie. Es ändert zwar nichts am Status Hamburgs als "Freier- und Hansestadt", aber es stattet Sie zeitweilig mit einer guten Portion Gesprächsstoff aus.

Als das Lexikon als solches vor Jahrhunderten erfunden wurde, trug es freilich einen enzyklopädischeren Anspruch vor sich her. Alles gesicherte Wissen der Welt sollte von abergläubischem Unfug befreit, zusammengetragen und den Wißbegierigen in geordneter Form zur Verfügung gestellt werden. Leider wucherte das Wissen im Zuge seiner weltweiten Verwissenschaftlichung bedenklich aus, hängte die Enzyklopädisten in Windeseile ab und war bald nur noch Spezialisten zugänglich. Als Kampfhund der Aufklärung geriet das Lexikon darob in eine schwere Krise, in deren später Folge sich heutzutage alles als Lexikon bezeichnet, was seine Beiträge nur irgendwie alphabetisch sortiert.

Aber die Menschheit will halt betrogen sein, so befindet auch das "Lexikon der Fälschungen". Gleichwohl möchte es darüber aufklären, wie es "wirklich" bestellt ist auf den Märkten, in den Künsten und den Wissenschaften: Forschungsergebnisse werden gezinkt, Fotos retuschiert, Lebensläufe frisiert, Manuskripte und Briefe unter falschem Namen geschrieben. Auch mit dem Sammeltrieb wird viel Schindluder getrieben: Gemälde, Uhren, Geigen, Weine - nichts ist vor den Fälschern sicher. Und die Experten, die unbestechlichen Gutachter? Fehlanzeige: Die fallen auf jeden Schwachsinn rein, solange er in ihr verengtes, wunschgeleitetes Weltbild paßt.

Man müßte also glatt verzweifeln - gäbe es nicht das "Lexikon der Fälschungen". Hier triumphiert der gesunde Menschenverstand über die allgegenwärtige Irreführung, hier lacht der kritische Rationalismus stets zuletzt. Autor Werner Fuld hat eine umfangreiche Anekdotensammlung zum Lobe der Faktizität erstellt, die das Original den Kriminellen und intellektuellen Hochstaplern gegenüber in sein Recht setzt. Da der Band allerdings vieles Fälschung nennt, was auch als Schwindel, Streich oder unautorisierte Fortschreibung durchgehen könnte, stellt sich dringend die Frage nach seinem eigenen Erkenntnisgrund.

Dieses Glaubwürdigkeitsproblem kennt das "Lexikon der Fälschungen" natürlich, weshalb es fleißig Literaturangaben als letztgültige Referenz anführt. Erstaunlich oft beruft es sich dabei auf Zeitungsartikel aus der FAZ Die Qualitätspresse erscheint also als Bollwerk der Vernunft in einem Ozean epistemologischer Ungewißheit und Relativität. Leidiger Nebeneffekt: Das Nachschlagewerk macht sich als letzte Instanz in Sachen Wahrheit, Schiedsstelle in Streitfragen und Born der Objektivität überflüssig. Es gerät zur bloßen Kopie.

Wie begründet der Kult um einzigartige Maler und Instrumentenbauer ist, inwieweit Originalität und Schöpfertum nur Fetische bürgerlicher Anschauung sind, kann dieses Lexikon dann auch gar nicht erst denken. Solcherlei Zweifel sind ihm fremd. Daß es zwischen wahr und unwahr, Original und Fälschung fließende Übergänge und neblige Grauzonen gibt, daß wir uns bei der Erörterung solcher Fragen ständig auf erkenntnistheoretisch vermintem Gelände bewegen, zumal im Zeitalter der Digitalisierung, mag es nicht einmal in Betracht ziehen. Ist dieses Lexikon deshalb eine Simulation, eine Imitation, gar eine Fälschung? Nicht unbedingt. Vielleicht sollten Sie dazu aber lieber ein "Lexikon der Lexika" zu Rate ziehen.

Werner Fuld: Das Lexikon der Fälschungen. Eichborn, Frankfurt/M. 1999, 320 S., DM 44