Kein Hafen in Sicht

"Pigafetta" von Felicitas Hoppe: Eine "Aspekte"-Literaturpreisträgerin quält sich durch die Welt

Felicitas Hoppe ist quer um den Globus gereist, und zwar leibhaftig! Felicitas Hoppe hat ein Schiff bestiegen, um ein Buch zu schreiben und um uns alle zu "überraschen mit Bildern, die man sonst nicht zu sehen bekommt". Der Leser ist gespannt. Die Fahrt beginnt und damit auch Felicitas Hoppes groß angekündigte Bilderschau: Mit ihr reisen mehr oder weniger skurrile Passagiere, die unabdingliche Mannschaft und eine ominöse Ladung von 1700 Containern unbekannten Inhalts (schön, daß zumindest der Klappentext den Leser darauf hinweist, daß das Schiff ein Geheimnis mit sich führt). Und natürlich reist derjenige mit, der dem Buch seinen Namen gegeben hat: Antonio Pigafetta, der (Gott sei Dank informiert der Klappentext auch darüber) unter Magellan im 16. Jahrhundert die erste und für die meisten der Besatzung tödlich endende Weltumsegelung unternommen hatte.

Felicitas Hoppe startet bei schönem Wetter in Hamburg, doch schon bald stellt sich das Malheur ein. Eine Krankheit, die nur die See hervorrufen kann, sucht das Schiff heim: die Seekrankheit eben. Ein bißchen stürmisches Wasser, eine steife Brise und schon sei der Schiffbruch nahe, prophezeit Felicitas Hoppe apokalyptisch und zitiert die Heilige Schrift mit Gottes Drohung: "Ich will eine Sintflut mit Wasser kommen lassen, alles, was auf Erden ist, soll untergehen."

Und da ist ja auch noch Pigafettas ruheloser Geist, der Felicitas Hoppe Tag und Nacht manch überflüssige Episode seiner unglücklichen Reise ins Ohr säuselt und sie für anstehende Katastrophen zu sensibilisieren vermag. Zum Trost und zur Erbauung erfindet sie ein Spiel: Aussicht auf Rettung heißt es, und die naht dann auch schon: Felicitas Hoppe erreicht unversehrt New York - die Neue Welt -, und somit hat sie die erste ihrer ennuyierenden Bildbeschreibungen auch schon beendet.

Nächstes Etappenziel ist Charleston, ehemaliger Hauptumschlagsplatz afrikanischer Sklaven im amerikanischen Süden. Was entdeckt Felicitas Hoppe hier? Eigentlich nichts. Außer vielleicht, daß das Schiff ein gottloses ist, fehlt doch die obligatorische Bibel an Bord. Ach ja, Felicitas Hoppe spielt das alte Entdeckerspiel: Ich sehe was, was du nicht siehst - und das ist Wasser. Zögerlich beginnt sich der Leser zu fragen, ob er nicht besser wieder mal zu Jules Vernes wahrlich pittoresker 80-tägiger Reise um die Welt greifen sollte angesichts dieser gelangweilten Bilderschau des späten 20. Jahrhunderts. Felicitas Hoppe dagegen schippert unbekümmert durch den Panama-Kanal, mitten durch die Länder, die unsere Vorfahren einst für das Paradies gehalten haben. Doch das ist kaum der Rede wert, aufregendstes Ereignis ist allein ihre Äquatortaufe, die sie aber, wie der biblische Jona sein Walfischabenteuer, unbeschadet und wie neugeboren hinter sich bringt. Es ist ein langer Weg nach Tahiti, und um sich abzulenken macht sich Felicitas Hoppe auf die Suche nach dem geheimnisvollen Inhalt der Schiffsladung. Doch, so wird ihr beschieden, erst "in irgendeinem Hafen der Welt (...) wird man sie ans Licht ziehen und endlich wissen...". Der Leser gibt Felicitas Hoppe eine Chance und liest weiter. Kein Festland, kein Hafen, kein Anker, kein Licht - die Zeit steht still, die Handlung auch, und Felicitas Hoppe spielt zur Abwechslung Bridge.

Trotzdem und irgendwie erreicht Felicitas Hoppe Tahiti, eine der Inseln, die ungeachtet ihres beflügelnden Namens nur eine dekonstruktive Stimmung in ihr zu wecken vermag, denn "alles zerfiel, die Wörter zu Silben und die Silben zu Buchstaben". Ernüchternd ist auch ihr Landgang, sie findet eine Schaukel und setzt sich unbekümmert darauf. Doch muß sie feststellen, daß die Seekrankheit nicht nur von ihrem Bauch, sondern auch von ihrem Kopf (oder ihrem Glauben?) Besitz ergriffen hat: "Erst schaukelte ich die Kinder, dann mich selbst, dann wurde mir übel, weil das Kreuz auf dem Dach der Kirche zu schwanken begann..."

Weder Scholle noch Schiffsplanke bieten Felicitas Hoppe sicheren Boden. Sie besteigt erneut das Schiff, diesmal spielt sie Tischtennis und läßt sich durchs Chinesische Meer an Singapur vorbei in den Suez-Kanal Richtung Heimat treiben. In der Zwischenzeit verlassen ein paar Passagiere und alle guten Geister ohne ersichtlichen Grund das Schiff, so daß nach den Worten, Silben und Buchstaben zu allem Überfluß auch noch die bestehende Ordnung und die an Schiff geltenden Regeln zerfallen. Immer verworrener wird die Reise, analog dazu Sprache und Handlung, doch glücklicherweise nähert sich Felicitas Hoppe unweigerlich heimatlichen Gefilden und somit auch dem Schluß des Buches. Diesen sehnt nicht nur der längst erschöpfte Leser, sondern auch Pigafetta, heimliche Hauptfigur, herbei: "Die ganze Zeit habe ich darauf gewartet, daß du endlich zurückkommst, damit wir diese Reise endlich beenden." Zu berichten bleibt natürlich noch vom Inhalt der Ladung: Schnürsenkel und Hüte sind's gewesen, Zigaretten und Taucherbrillen, Gebisse und Seifen und natürlich die lange vermißte Bibel.

"Sie haben bezahlt und sehen nichts", ruft der Kapitän im Roman. Ich habe bezahlt und weiß nicht, wofür, möchte der Käufer von Pigafetta gegen die Kakophonie der Lobeshymnen von Spiegel und FAZ Felicitas Hoppe ins Ohr brüllen. Felicitas Hoppe (Jahrgang 1960) wird nämlich als eine der Hoffnungsträgerinnen der neuen deutschen Literatur gehandelt. 1996 erschienen ihre Erzählungen in dem Band "Picknick der Friseure", wofür sie prompt den "Aspekte"-Literaturpreis des ZDF erhielt. Doch nach 160 Seiten zähen Ringens um ein wenig Kurzweil kann man auch "Pigafetta" getrost neben ihr Erstlingswerk ins Regal stellen, wo man für den nächsten Bücher-Flohmarkt sammelt. Im Grunde genommen sind beide Bücher gar nicht so übel, denn Felicitas Hoppe hat das Talent, nach dem viele Autoren streben: Stimmungen fachkundig in schriftlicher Form wiederzugeben. Schade eigentlich, daß Felicitas Hoppe langweilig ist.

Felicitas Hoppe: Pigafetta. Rowohlt, Reinbek 1999, 160 S., DM 29,80