La Grande Nation d'abord

Das MAI ist vorläufig am Veto der französischen Regierung gescheitert

Ein Multilaterales Abkommen über Investitionen (MAI) wird es so schnell nicht geben. Frankreich erklärte, daß es vorerst kein Interesse mehr an diesem Projekt hat. Eigentlich wollten Vertreter der OECD, der Club der 29 führenden Industrienationen, diese Woche in Paris über die Wiederaufnahme der seit einem halben Jahr unterbrochenen Verhandlungen beraten.

Hauptgrund für die Entscheidung der französischen Regierung war der Verlust an nationalstaatlicher Souveränität, den die neue "Verfassung der Weltwirtschaft" vorsah: La Grande Nation d'abord, Frankreich zuerst. Französische Intellektuelle, Filmemacher und die Grünen hatten das Kabinett von Premierminister Lionel Jospin massiv unter Druck gesetzt. Sie befürchteten vor allem eine Übermacht der US-amerikanischen Film- und Kulturindustrie.

Die ehemalige EU-Ministerin Catherine Lalumière, die den Auftrag zur Prüfung des Vertragsentwurfs hatte, empfahl die Einstellung der Verhandlungen und eine Rückkehr nur bei völlig veränderten Bedingungen. Premierminister Jospin nannte das Ergebnis der dreijährigen Verhandlungen "nicht reformierbar" und schlug als neues Forum für ein Investitionsabkommen die Welthandelsorganisation WTO vor.

Das MAI sieht unter anderem Klagemöglichkeiten für ausländische Investoren gegen ihren Gaststaat vor, wenn diese sich gegenüber der einheimischen Industrie benachteiligt sehen. Ebenso sollen sich Investoren nach dem Willen der OECD gegen "Enteignung" wehren können. Vorbild der MAI-Verhandler ist das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen Kanada, den USA und Mexiko. Dort führen die Vereinbarungen über den Schutz von ausländischen Investoren dazu, daß Kanada den toxischen Benzinzusatzstoff MMT nicht verbieten kann (Jungle World, Nr. 39/98).

In seiner Begründung für den überraschenden Schritt der französischen Regierung kritisierte Jospin vor allem die einseitige Orientierung an den Wünschen der Investoren. Angesichts der jüngsten Turbulenzen auf den Weltmärkten sei es nicht besonders klug, staatlichen Einfluß zugunsten privater Interessen aufzugeben. Trotz allem verpflichte sich Frankreich aber weiterhin zu einer Politik der Handels- und Investitionsfreiheit. Die Reaktionen der brüskierten OECD-Verhandlungspartner waren relativ zurückhaltend. Ein Sprecher der Europäischen Kommission erklärte, daß man jetzt die französische Kritik zur Kenntnis nehmen und die Ansichten aller 29 OECD-Mitgliedsstaaten diskutieren müsse.

Die Stellungnahme der deutschen Delegation wird als besonders wichtig angesehen. Die SPD befürwortet prinzipiell ein multilaterales Abkommen über Investitionen, allerdings in einer stark überarbeiteten Form. Auch hält sie die OECD für ein akzeptables Verhandlungsforum, da 90 Prozent der weltweiten Investitionen zwischen den OECD-Ländern abgewickelt werden. Wolfgang Schmitt von den Grünen/Bündnis 90 erklärte, man sei sich mit der SPD einig, daß der derzeitige Vertragsentwurf keinesfalls unterschrieben werden dürfe.

Eine gemeinsame, sozialdemokratische Initiative von Frankreich, Deutschland und Großbritannien für ein reformiertes MAI dürfte auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen.Ein Konzept für ein "sanftes" MAI, das ein günstiges Investitionsklima schafft und gleichzeitig für ökologische und sozialpolitische Fortschritte sorgt, gibt es nicht. Die Erfahrungen mit der von den amerikanischen Gewerkschaften und Umweltgruppen erkämpften Abmilderung des Freihandelsabkommens Nafta zumindest zeigen, daß die dort vereinbarten Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmerrechten und der Umwelt wirkungslos blieben.

Zudem gilt der britische Premierminister Tony Blair weniger als Vertreter europäischer Interessen denn als Befürworter des Freihandels. Zusammen mit dem EU-Handelsbeauftragten Brittan setzt er sich für die Gründung einer neuen gemeinsamen Freihandelszone mit den USA ein. Ein erster Vertrag dazu wurde während des G7-Gipfels im Mai in London unterzeichnet. Auch wenn das MAI in dieser Woche in Paris beerdigt wird, könnte es schon bald im "New Transatlantic Marketplace" (NTM) wiedergeboren werden. Frankreich müsse wachsam bleiben, erklärte die französische Kulturministerin Trautmann.

Durch eine Verlagerung der Verhandlungen zur Welthandelsorganisation WTO könnten sich zwar die Entwicklungsländer mehr Gehör verschaffen - und zugleich für neue Konflikte sorgen. Mindeststandards im Umgang mit der Natur und den #Beschäftigten werden von den weniger industrialisierten Ländern in erster Linie als Versuch des Nordens angesehen, die eigenen Märkte abzuschotten und die Entwicklung der ärmeren Länder zu behindern.

Immerhin könnte man dort auf der von Frankreich geforderten "völlig neuen Grundlage" verhandeln und hätte Zeit gewonnen - die nächste Verhandlungsrunde der WTO beginnt frühestens Ende 1999 und wird Jahre dauern. Genug Zeit, um sich zu überlegen, ob "internationale Investitionen ein Motor für Wachstum, Beschäftigung und nachhaltige Entwicklung" sind, wie die OECD in ihrer letzten Presserklärung beschwört.