Gawlowskis Liste

Österreichs Wirtschaft wird jetzt von der eigenen Nazi-Vergangenheit eingeholt. Das kann teuer werden

Außer Spesen nichts gewesen. Als vergangene Woche eine Delegation ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter in Wien mit Vertretern der Wirtschaft und der Bundesregierung über Entschädigungen verhandelte, wurde sie nur vertröstet: Man habe, so die polnischen Besucher bei der abschließenden Pressekonferenz, sehr viel "Verständnis" geerntet und sei "zuversichtlicher", daß auch die österreichische Seite an einer Lösung "interessiert" sei.

Dabei sollte angesichts neuerer historischer Erkenntnisse die Angelegenheit über das Stadium leerer Worthülsen schon hinaus sein. Fakt ist, daß rund 400 österreichische Unternehmen und 800 landwirtschaftliche Betriebe sich zwischen 1939 und 1945 an der Ausbeutung von rund 150 000 polnischen Zwangsarbeitern bereichert haben.

Die noch unveröffentlichte Liste liegt Jungle World vor und liest sich wie das "Who is who" österreichischen Unternehmergeistes: Steyr-Daimler-Puch, VOEST, Asea Brown Boveri, Julius Meindel AG, Universal Bau sowie eine Vielzahl kleinerer Betriebe. Karol Gawlowski, Vizepräsident der Vereinigung der durch das Dritte Reich geschädigten Polen hat diese Liste in zehnjähriger Recherchearbeit erstellt und ist die Leitfigur beim Bestreben nach Entschädigung für die Zwangsarbeit.

"Die Österreicher müssen sich bewußt sein, daß wir klagen werden, wenn sie nicht freiwillig bezahlen. Wir werden nicht nachlassen, solange wir leben." Genau das ist aber das Problem. Von den 150 000 ehemaligen Zwangsabeitern leben nur noch 20 000. Nicht weiter verwunderlich also, daß die Polen bislang sowohl von den österreichischen Unternehmensverbänden als auch von der Bundesregierung vertröstet wurden. Man kalkuliert mit der biologischen Lösung des Problems.

Als Argumentationskrücke dient dabei ein Musterbeispiel österreichischer Geschichtsklitterung: Das Land pocht darauf, daß die Bundesrepublik Deutschland einziger Rechtsnachfolger des Hitler-Reiches ist und Österreich mit dem "Anschluß" vom März 1938 "erstes Opfer der Aggressionspolitik Hitlers" gewesen sei. Gawlowski läßt das nicht gelten: "Die Österreicher sollen keine Märchen erzählen. 90 Prozent haben Sieg Heil geschrien, bis sie heiser waren."

Bei den Verhandlungen in Wien hat Gawlowski argumentiert, daß jene 150 000 Zwangsarbeiter immerhin den Grundstein für den Reichtum der II. Republik gelegt hätten. Sie glichen den Personalmangel während des Krieges aus; sie waren es, die von ihren Herren gequält wurden. Polen mußten als Zwangsarbeiter ein Stoffstück mit der Aufschrift "P" tragen. Die Arbeitszeit betrug mindestens zwölf Stunden pro Tag, die Lebensmittelration lag bei 1 000 bis 1 500 Kalorien täglich. Die deutsche Justiz erklärte sich für Polen unzuständig, die SS richtete. In einer Stellungnahme des Reichsjustizministers vom Oktober 1942 heißt es: "Ich gehe davon aus, daß die Gerichtsbarkeit nur in einem geringen Maße zur Ausrottung dieses Volkes beitragen kann."

Bislang gingen Polen, Tschechen und andere zur Zwangsarbeit gezwungene Völker aus dem Osten Europas leer aus. Nur ehemalige Sklaven-Arbeiter aus Westeuropa kamen in den Genuß einer Entschädigung. Dies ist eine unmittelbare Folge des Kalten Krieges. Karol Gawlowski: "Deutschland hat ehemalige Zwangsarbeiter aus Westeuropa mit bisher 120 Milliarden Mark entschädigt. Wir hinter dem eisernen Vorhang lebte, bekam gar nichts. Man wollte eben den Kommunisten kein Geld schenken."

Nach 60 Jahren kann und will er nicht mehr länger warten. Deshalb unterbreitete er Österreich letzte Woche ein Angebot: Österreichs Industrie und Landwirtschaft hat pro überlebendem Zwangsarbeiter 5 000 Mark zu zahlen, insgesamt kommen also Forderungen von rund einer Milliarde Mark auf die Betriebe der Alpenrepublik zu. Aber auch die Republik wird tief in die Tasche greifen müssen. Gawlowski drängt auf die Einrichtung eines "Fonds der österreichischen Aussöhnung". Einen solchen Fonds hat die Bundesrepublik Deutschland schon 1991 gegründet und mit 500 Millionen Mark ausgestattet. Entsprechend der nach Österreich zur Zwangsarbeit deportierten Polen muß die Republik wohl rund 20 Millionen Mark lockermachen.

Dabei ist Eile geboten. "Wir wollen das Geld sofort. Es ist besser, das auf der Grundlage der Freiwilligkeit zu erledigen. Nicht erst nach einem großen Krawall. Also wenn die Österreicher als verbrecherischer Staat angesehen werden möchten, können sie gerne ablehnen", sagt Gawlowski. Noch scheut die Vereinigung der durch das Dritte Reich geschädigten Polen vor Klagen zurück.

Allerdings nicht mehr lange. "Ein Prozeß wird sehr lange dauern, aber selbst wenn wir gewinnen, verlieren wir: Alle werden wegsterben, die Österreicher werden vernichtende Kritik aus dem Ausland erhalten und es wird Milliarden kosten", so Gawlowski. Dennoch hat er schon eine Strategie für den Prozeß parat. "Wir werden eine Liste jener Menschen erstellen, die in Betrieben beschäftigt waren, und die heute am meisten zu verlieren haben", droht er. Schließlich sei "der Krieg noch nicht zu Ende, solange nicht alle Rechnungen beglichen sind".