Die Welt des MAI

In Kanada hebelte die US-amerikanische Chemiefirma Ethyl mit Hilfe der Nafta ein Umweltschutzgesetz aus

Die Forderung hatte es in sich. 251 Millionen Dollar Schadensersatz verlangt die US-amerikanische Chemiefirma Ethyl seit mehreren Jahren von der kanadischen Regierung. Die Umweltgesetzgebung des Landes habe nicht nur dem Image des Unternehmens schwer geschadet, sondern auch seine Profite stark gemindert. Ende Juli kam es nun zu einer Einigung zwischen Ethyl und den kanadischen Behörden: Die Entschädigung fällt zwar wesentlich geringer aus, dafür werden die lästigen Umweltauflagen aufgehoben.

Damit hat sich erstmals ein Unternehmen auf das Investitionskapitel des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta berufen und die kanadische Regierung sowie das Parlament gezwungen, von allen Maßnahmen abzusehen, die sich als geschäftsschädigend für Investoren erweisen könnten. Dieser einmalige Vorgang ist die Folge des erfolgreichen Versuchs, durch Nafta den Schutz von Investoren auszudehnen. Der kanadische Ethyl-Fall illustriert die mögliche Folgen des "Multilateralen Abkommens über Investitionen" (MAI), mit dem die 29 Industrienationen der OECD ihr nordamerikanisches Vorbild noch übertreffen wollen, um einen "Höchststandard im Investitionsschutz" zu vereinbaren.

Der Fall könnte daher auch Signalwirkung haben, wenn im Oktober die nach lautstarken Protesten von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Parlamenten unterbrochenen Verhandlungen über das MAI wiederaufgenommen werden. Die Bundesregierung hofft auf einen Abschluß noch in diesem Jahr. Nach den Erfahrungen in Kanada ist eine Einigung aber unwahrscheinlich. Dann würde sich die nächste Verhandlungsrunde zur Welthandelsorganisation WTO dem Thema Investitionen widmen müssen.

Die US-amerikanische Ethyl Corporation hatte bereits 1995 gegen das kanadische Gesetz geklagt, das den Import, Handel und Transport des Benzinzusatzstoffes MMT verbietet. Gelangt MMT über die Lungen in den Körper, kann es nach Ansicht vieler Wissenschaftler das Nervensystem schädigen, Psychosen und Gedächtnisverlust verursachen und die Lebenserwartung verringern. Automobilproduzenten machen es außerdem für Funktionsstörungen bei Geräten zur Abgasmessung und

-kontrolle verantwortlich. Nur in Kanada hatten diese Mängel noch nicht zu einem Verkaufsstopp geführt.

Ethyl protestierte vor allem gegen die ihrer Ansicht nach diskriminierende Wirkung der kanadischen Umweltgesetzgebung, da das Unternehmen der alleinige Produzent von MMT ist und damit nicht kanadische und ausländische Firmen gleichermaßen betroffen seien. Ende Juli haben sich die kanadische Regierung und die Ethyl Corporation vor einem Schiedsgericht des Abkommens über den kanadischen Binnenhandel auf einen Vergleich geeinigt: Kanada zahlt 13 Millionen Dollar Schadensersatz, zieht das umstrittene Gesetz zurück und erklärt öffentlich, daß MMT weder für die Umwelt noch die Gesundheit bedenklich ist.

Im Gegenzug verzichtet Ethyl auf eine Klage im Rahmen der Nafta-Bestimmungen. Die Anwälte der kanadischen Regierung warnten vor einer Niederlage vor der Weltbankschiedsstelle ICSID und gaben ihren eigenen Irrtum zu. Man sei sich zu spät darüber klar geworden, daß Nafta nicht nur vor klassischen Enteignungen schützt, sondern diesen Begriff auch auf "enteignungsähnliche Maßnahmen" ausdehnt und damit unkalkulierbares juristisches Neuland erschlossen wurde.

In seiner Presseerklärung beteuerte der kanadische Umweltminister zwar, daß die Gesundheit der Kanadier und der Umwelt auch weiter geschützt werden soll. Das könnte sich jedoch als ein schwieriges Unterfangen erweisen, denn ein MMT-Bann müßte so formuliert werden, daß er nicht gegen die seit 1995 geltenden Grundregeln des freien Handels zwischen den USA, Kanada und Mexiko verstößt.

Ethyl wird vermutlich kein Einzelfall bleiben. Der Economist berichtete bereits im April von neuem Ärger für den kanadischen Gesetzgeber im Falle einer erfolgreichen Ethyl-Klage: Amerikanische Tabakfirmen wollen juristische Schritte gegen eine kanadische Vorschrift einleiten, nach der die Gesundheitswarnungen auf Zigarettenschachteln größer als der Markenname sein müssen.

Auch in Mexiko sammelt man bereits Erfahrungen mit dem Nafta-Streitschlichtungsverfahren. Derzeit muß sich der Bundesstaat San Luis Potos' vor einem Schiedsgericht dafür rechtfertigen, daß er der US-amerikanischen Müllbeseitigungsfirma Metalclad Corporation den Bau einer Müllverbrennungsanlage untersagt hat - ein geologisches Gutachten hatte die Verseuchung des Trinkwassers der benachbarten Bevölkerung prognostiziert.

Ähnliche Klagen von Unternehmen sind nach Verabschiedung des MAI auch in anderen Staaten zu erwarten. Mit großen Erfolgsaussichten: Selbst die offensichtlich unwirksamen Ausnahmeregelungen des Nafta-Vertrages, nach denen umwelt- und sozialpolitische Maßnahmen der Unterzeichnerstaaten prinzipiell erlaubt sind, gehen den MAI-Verhandlern zu weit.

An Beispielen für die Folgen des Multilateralen Investitionsabkommen fehlt es also nicht. Dennoch beteuern die Befürworter des Abkommens, daß "normale regulierende Eingriffe" in den Wirtschaftsprozeß weiter möglich seien. Das Bonner Bundeswirtschaftsministerium behauptet sogar, daß das MAI rund 1,7 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland sichern und vor allem mittelständischen Unternehmen zugute kommen werde. Deren Chancen würden im Ausland durch einen allgemeingültigen neuen Rechtsstandard steigen. Diese Einschätzung ist jedoch zumindest naiv. Die vielfach als Verschwörungsphantasie abgekanzelte Befürchtung, das MAI konstituiere eine Art "Weltherrschaft der Konzerne", wirkt im Vergleich dazu fast wie ein realistisches Zukunftsszenario.

Dennoch wird es wohl zu einem internationalen Vertrag über den Schutz ausländischer Investoren kommen. Viele Entwicklungsländer sind an einer Öffnung zum Weltmarkt und dem Anwerben von ausländischen Unternehmen interessiert. Die MAI-Mitgliedschaft wäre dann eine Art "Standortgütesiegel", das potentiellen Investoren Rechtssicherheit signalisieren soll.

Bisher wird diese Funktion von zahlreichen bilateralen Investitionsabkommen (BITs) übernommen. BITs werden seit 1959 vor allem von EG-Ländern als Instrument der Entwicklungshilfe abgeschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland etwa hat bisher mit rund 100 Ländern ein derartiges Abkommen vereinbart - davon 80 mit Entwicklungsländern, 20 mit Staaten Mittel- und Osteuropas und nur zwei mit Industrienationen. Das MAI soll nun diesen "Flickenteppich aus Verträgen" ablösen.

Gleichzeitig wird versucht, den Investitionsschutz über das bisher übliche Maß hinaus auszudehnen: Unternehmen sollen die Möglichkeit erhalten, ihren Gaststaat zu verklagen, wenn sie schutzbedürftige "Investitionen" tätigen. Dabei gilt das MAI für alle Wirtschaftssektoren - Ausnahmebereiche müssen vor der Unterzeichnung genannt werden. Die Klage von Ethyl könnte dafür als Vorbild dienen.

Damit aber Ethyl nicht zum "Normalfall" vor allem für Entwicklungsländer wird, sollten die MAI-Verhandlungen auf die WTO übertragen werden. Denn dort sind - im Gegensatz zur OECD - die meisten Entwicklungsländer Mitglied. Vom derzeitigen MAI-Entwurf der OECD würde dann vermutlich nicht viel mehr übrigbleiben als eine Vereinheitlichung der bilateralen Verträge. Der bisherige Status quo würde sich kaum ändern. Eine "Weltherrschaft der Konzerne" wäre dann jedenfalls nicht zu befürchten.