Freibeuter der Meere

Die Internationale Transportarbeiter-Föderation startet eine Kampagne gegen Ausbeutung auf den Schiffen der Billig-Flaggen

Ausbeutung! - Dieses Worte hört man heutzutage von Gewerkschaftsfunktionären selten: "Die Billigflaggenschiffahrt gehört zu den niederträchtigsten Formen der Ausbeutung", sagt Eike Eulen, Präsident der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) zur Begrüßung des Stückgutfrachters "MV Global Mariner" im Hamburger Hafen. Der Frachter machte Ende August für drei Tage an der Überseebrücke fest.

Doch das Schiff transportiert kein Stückgut, sondern "Botschaften und Ideen": Die Billigflaggenschiffe - in der Sprache der Seeleute "Flags of Convenience" (FOC) - gefährden Menschen und Meere. Und weil die Seefahrt ihrem Wesen nach international ist, ist die internationale Zusammenarbeit von Hafenarbeitern und Seeleuten unverzichtbar. Unter dem Motto "One World - One Sea - One Union" begeht die ITF den 50. Jahrestag ihres Kampfes gegen FOC. Dazu wurde die 162 Meter lange und 23 Meter breite "MV Global Mariner" zum Ausstellungs- und Kampagnenschiff umgebaut und befindet sich gegenwärtig auf einer achtzehnmonatigen Weltreise.

Die ITF ist der Zusammenschluß von rund 500 Gewerkschaften der Verkehrs- und Transportwirtschaft aus 125 Ländern. Seit 50 Jahren koordiniert die ITF Kampagnen gegen Billigflaggen und wird dabei in der Bundesrepublik von der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) unterstützt. Als Billigflaggschiffe werden solche verstanden, die aus dem nationalen Schiffahrtsregister "ausgeflaggt" und in Offene Register anderer Länder eingetragen sind.

Das Ausflaggen begann nach dem Zweiten Weltkrieg. Zunächst waren es amerikanische Reeder, die ihre Schiffe ins Panama-Schiffsregister eintrugen. Damit wurden Steuern gespart. Weil es in Panama keine Gewerkschaftsbewegung gab, ließen die Sicherheitsstandards bald zu wünschen übrig. Auf ihrem im Sommer 1948 in Oslo stattfindenten Weltkongreß beschloß die ITF mit den Stimmen der ÖTV den Boykott solcher Schiffe. Doch zunächst unterliefen die eigenen Mitglieder diesen Boykott. Die Heuer auf den Panama-Schiffen war besser als der deutsche Heuer-Tarifvertrag.

Die ITF stellte der ÖTV anheim, ihren Mitgliedern klarzumachen, daß sie die Beschäftigung auf eigene Gefahr annehmen und von der Gewerkschaft keine Hilfe erwarten können. Amerikanische und skandinavische Gewerkschaften schlossen Mitglieder aus, die auf den FOCs anheuerten.

Mitte der fünfziger Jahre bekam Panama durch Liberia, Honduras und Costa Rica Konkurrenz. Hatten diese Länder vor dem Zweiten Weltkrieg so gut wie keine eigene Handelsflotte, fuhren 1956 bereits 1 400 Schiffe unter den Fahnen der vier Länder. Das waren gut elf Prozent der Welthandelsflotte. Gegenwärtig sind von den weltweit 81 000 Schiffen 16 000 in Billigregister eingetragen.

Nach und nach gesellten sich andere Länder wie Malta, Zypern, die Bahamas oder Antigua zu den Billigflaggenländern. Die Boykottaufrufe der ITF wurden dringlicher. Abermals gab es den "deutschen Sonderweg": Aus Angst vor Schadenersatzforderungen riet die juristische Abteilung der ÖTV von einem Boykott ab; der Hauptvorstand folgte 1958 dieser Empfehlung. An der Basis stieß der Beschluß auf Widerstand. Zum einen hatte sich die Heuer-Situation der deutschen Seeleute verbessert und zum anderen fanden die Hafenarbeiter, nach der jüngeren deutschen Geschichte habe die Gewerkschaftsbewegung etwas gutzumachen. Aber erst 1976 wurde der Boykott des Boykotts aufgehoben und die ÖTV beteiligte sich fortan an den ITF-Maßnahmen.

Die Bundesrepublik steht seit 1988 auf der Schwarzen ITF-Liste der Billigflaggenländer. Mit dem sogenannten Zweitregister können ausländische Seeleute zu Heimatlohnbedingungen auf Schiffen mit deutscher Flagge angeheuert werden. In den sechziger Jahren gab es noch gut 50 000 deutsche Seeleute; jetzt sind es noch 9 000. Durch die kürzlich von der Bundesregierung beschlossene "Besetzungsverordnung" werden nach ÖTV-Angaben weitere 3 000 Arbeitsplätze vernichtet, weil nur noch fünf Besatzungsmitglieder einschließlich des Kapitäns ein deutsches Seefahrtspatent haben müssen.

Inspektoren der ITF kontrollieren in allen Häfen der Welt Schiffe unter Billigflagge. Wird nach ITF-Tarif bezahlt - 1 200 Dollar monatlich - bekommt der Kapitän die "blue card". Kann er diese nicht vorweisen, wird davon ausgegangen, daß die Seeleute für "Bett und Frühstück" arbeiten, sagt ITF-Inspektor Ali Memon. Dann wird der Kapitän zum Abschluß eines Tarifvertrages aufgefordert. Tut er dies nicht, wird das Schiff von Hafenarbeitern boykottiert. Eike Eulen: "Das ist die reinste Form der Solidarität." Für ein Viertel der weltweit 16 000 Billigschiffe gibt es ITF-Tarifverträge. Das ITF-Billigflaggenregister umfaßt 24 Staaten, darunter an erster Stelle Panama mit gut 6 000, gefolgt von Liberia und Zypern mit zirka 1 600 Schiffe. Von der deutschen Handelsflotte fahren 800 Schiffe, das ist die Hälfte, unter Billigflagge.

Zur Begrüßung der "MV Global Mariner" sagte der stellvertretende ÖTV-Vorsitzende Wolfgang Warburg, das Schiff sei Ausdruck des weltweiten Kampfes gegen "moderne Sklaverei" in der Handelsschiffahrt: "Die Reeder nutzen die sozialen Unterschiede weltweit aus, um Arbeitsbedingungen der Seeleute zu drücken." Deshalb setze sich die ÖTV mit der ITF für weltweite Tarifverträge ein. Von der Bundesregierung - der "jetzigen und zukünftigen" - fordert Warburg, nur solchen Reedern Subventionen zu gewähren, die die ITF-Standards einhalten. Weiter sagte Warburg, daß die deutsche Schiffahrt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern weit weniger subventioniert wird: "Deshalb ist in der Bundesrepublik die Ausflaggung besonders stark."

In den sieben, jeweils 400 Quadratmeter großen Laderäumen des Schiffes wird das Leben an Bord der oft nur notdürftig zusammengeflickten "Seelenverkäufer" dargestellt: Rostlöcher an den Bordwänden, katastrophale sanitäre Einrichtungen, vergammelte Mahlzeiten und hungernde Seeleute sind auf großformatigen Fotos und in Filmen zu sehen.

Die Fotos vermitteln in Ansätzen, wie es auf einem Seelenverkäufer zugeht. Je weiter man in den Bauch des Schiffes vordringt, desto dramatischer werden die Bilder. Ein 30 mal zehn Meter großes Bild zeigt nur Wasserfläche, darauf die Namen von 35 untergegangenen Schiffen und die Zahl der Opfer. Dazu der ITF-Inspektor Ulrich Jürgens: "Jeden Tag geht ein Schiff unter. Doch wer interessiert sich dafür? Da gehen eben nur Kisten und 20 Filipinos unter."

Kapitän David Enever und seine 35-köpfige Crew werden nach Abschluß der 18-monatigen Reise in 60 der bedeutenden Häfen der Welt gewesen sein. In ihrem "ersten Leben" war die "MV Global Mariner"" ebenfalls ein Seelenverkäufer. Für drei Millionen Dollar wurde das Schiff von der ITF umgebaut und in den heutigen Zustand versetzt. Sein Schiff soll wichtiger Bestandteil des weltweiten Kampfes gegen Billigflaggen werden, sagt Enever und fügt hinzu: "There is no moral on flags of conveniences."

Die Fahrt der "MV Global Mariner" kann im Internet unter www.itf-ship.org verfolgt werden.