Mit dem Rausch ins Elend

Ein kontrollierter Umgang mit Heroin ist nicht möglich.

Eins vorweg: Es gibt durchaus Gründe, die für eine Legalisierung auch von harten Drogen sprechen. Aber die Legalisierung ist kein Allheilmittel für die Drogenabhängigen, auch wenn es auf den Seiten dieser Zeitung immer wieder gerne so dargestellt wird (zuletzt von Ivo Bozic in Jungle World, Nr. 26/1998). Das beste Beispiel dafür ist die Droge Nr. eins, Alkohol: Obwohl Alkohol gesellschaftlich akzeptiert und - mit Ausnahme von Verkehrsdelikten - strafrechtlich nicht relevant ist, tritt beim Großteil der Abhängigen früher oder später eine soziale und gesundheitliche Verelendung ein - auch wenn dieser Prozeß dank der gesellschaftlichen Akzeptanz ein wenig länger dauert und verdeckter abläuft als bei Heroin-Abhängigen. Es ist also schlicht und einfach Schwachsinn, "Zwangstherapie, Leidensdruckmodelle, Verfolgung und Inhaftierung sowie das jahrzehntelange Festhalten am Abstinenzdogma" für den Tod Tausender Drogenabhängiger verantwortlich zu machen.

Natürlich ist der Strafvollzug für Drogenabhängige der falsche Weg. Junkies gehören nicht in den Knast, denn Drogensucht an sich ist keine Straftat, sondern eine Krankheit. Eine Strafrechtsreform ist deshalb überfällig. Auch wenn in den meisten Knästen mehr Drogen kursieren als draußen, darf jedoch nicht vergessen werden, daß auch der Strafvollzug für den einzelnen ein Wendepunkt sein kann, ein Anlaß, sich mit seiner Sucht und den Folgen auseinanderzusetzen. "Wäre ich nicht im Knast gelandet, wäre ich heute tot" ist ein Satz, den man immer wieder von ehemaligen Abhängigen zu hören bekommt.

Die völlige Freigabe von harten Drogen bedeutet dagegen nur, daß sich die Gesellschaft komplett aus ihrer Verantwortung stiehlt. Der Trick derjenigen, die stets nur nach der Legalisierung als allein selig machendem Heilsbringer schreien, ist der, daß sie die sozialen Ursachen der Drogensucht einfach beiseite schieben. Jeder habe ein "Recht auf Rausch", schreit der Kiffer und macht in seinem Haschischnebel genau das, was er den konservativen Drogenpolitikern immer vorwirft: Er wirft harte und weiche Drogen in einen Topf. Und weil jeder sein "Recht auf Rausch" hat, soll man den Fixer eben Fixer sein lassen, so wie man den Penner eben auch Penner sein läßt - zumindest solange er still und leise unter seiner Brücke erfriert und einen nicht aufdringlich am Hauptbahnhof anschnorrt.

"Menschen fangen - in der Regel - nicht an, Heroin zu nehmen, weil sie verzweifelt sind und keinen Ausweg mehr wissen, sondern weil die Wirkung des Heroins offenbar faszinierend ist", schreibt Ivo Bozic, und an diesem Satz ist so ziemlich alles gelogen. Die Leute nehmen in 95 Prozent der Fälle eben nicht deshalb Heroin, weil das so geil ist, sondern weil sie durch den Rausch ihr Leben erträglicher machen wollen. Die meisten - muß man das wirklich noch extra betonen? - haben längst jahrelange Erfahrungen mit anderen Drogen hinter sich, bevor sie zum Endpunkt Heroin kommen. Der Kick beim Heroin dauert ein paar Minuten, der Rest ist Abstumpfen, Abtöten der Gefühle, ist der Versuch, sich selbst nicht mehr zu spüren, den Problemen zu entkommen, die Realität zu bewältigen - ein mißlungener Selbstheilungsversuch.

Natürlich suchen die Junkies auch den Kick. Genau deshalb sind Methadon-Programme äußerst fraglich. Denn die meisten Substituierten genehmigen sich nebenbei regelmäßig noch andere harte Rauschmittel - und dann wird die Sache wirklich lebensgefährlich. Bei den wenigen, die es tatsächlich schaffen, nur noch Methadon zu nehmen und sich sozial wieder einzugliedern, stehen die Chancen gut, daß sie dasselbe in relativ kurzer Zeit mit einer therapeutischen Begleitung oder einer Therapie erreichen und dabei ganz von Suchtmitteln wegkommen - aber das wäre ja schon wieder ein "Abstinenzdogma".

Für die Gesellschaft sind Methadon-Programme natürlich durchaus bequem: Keine abgerissenen Gestalten mehr, die am Bahnhofsvorplatz herumlungern, denn die Leute arbeiten ja und konsumieren ihre Drogen zu Hause oder in einer Arztpraxis. Oma muß nicht mehr so um ihre Handtasche bangen. Die braven Bürger sind sich ihrer Stereoanlagen sicher. Schade nur, daß die Preise am Baby-Strich wieder nach oben gehen. Allerdings geht die Rechnung leider nicht auf, denn der Beigebrauch muß ja trotzdem weiterhin finanziert werden.

Methadon-Programme ebenso wie die völlige Freigabe von harten Drogen bedeuten im Endeffekt nichts anderes als die Kapitulation der Gesellschaft vor den Ursachen der Drogensucht. Dem einzelnen wird die alleinige Haftung für seine Abhängigkeit großzügigerweise selbst überlassen, und die Gesellschaft kann sich damit beruhigt aus der Verantwortung stehlen.

Mit derartigen Forderungen wird gerade in Zeiten der leeren Kassen, der weiteren Streichung von Therapieangeboten Vorschub geleistet. Die Aufgabe der Gesellschaft kann sich jedoch nicht darin erschöpfen, Stoff zu besorgen und Spritzen zu verteilen. Natürlich ist die drogenfreie Welt eine Mär. Trotzdem muß es das Ziel sein, so vielen Menschen wie möglich einen Weg aus der Sucht aufzuzeigen und ihre Verelendung eben nicht einfach billigend in Kauf zu nehmen.

Gabriela Steiner ist Sozialpädagogin und Familientherapeutin und arbeitet seit elf Jahren mit Heroin-Abhängigen.