Pornrocks

Im Steinbruch der Lüste

Zu den Foto-Arbeiten Aura Rosenbergs.

Als die amerikanische Fotokünstlerin Aura Rosenberg während eines Vortrags an der Berliner Hochschule der Künste ihre pornographischen Fotoserien zeigte, kam eine ältere Zuhörerin weinend auf sie zu, um ihr zu danken. Die Frau, die als Kind sexuell mißbraucht worden war, empfand die Bilder als Befreiung von ihrem Trauma.

Aura Rosenberg, die abwechselnd in New York und Berlin lebt, trifft einen empfindlichen Nerv der Pornographie-Debatte. Für sie sind Pornos nicht per se Gewalt gegen Frauen. Aus Magazinen ausgeschnitten und auf Steine geklebt, erscheinen die Porno-Fetzen als sexuelles Stimulans - auch für Frauen. In der Landschaft oder im Stadtraum fotografiert, muten Rosenbergs "Porno Rocks" wie archäologische Relikte an. Der aufgeschüttete Steinhaufen, mit fragmentierten Liebesakten übersät, erinnert an eine biblische Steinigung. Wer ohne Schuld am Krieg der Geschlechter ist, werfe den ersten Stein. Die Fotos haben aber auch eine historiographische Tiefenschärfe, weil die abgebildeten Objekte nicht etwa im Museum, sondern an empfindlichen Orten wie dem Brandenburger Tor, dem Neuen Palais in Potsdam oder auf einem Holocaust-Gedenkstein aufgeschichtet sind. Wer in diesen Topographien auch Schutthaufen insbesondere der deutschen Geschichte sieht, liegt nicht falsch.

In der Fotoserie "Head Shots" hat Rosenberg Porträts von Männern während des Orgasmus fotografiert. Schweißnaß, scheinheilig oder debil verzückt - auch Männer beherrschen das Geschäft mit der Lust-Lüge. Die Kamera ist für Rosenberg kein moralisches Instrument. Halb Dokumentation, halb Fiktion - die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen und ist so provozierend, daß das Guggenheim Museum in New York den Ankauf von "Head Shots" ablehnte. Rosenbergs Fotos führen nebenbei auch die Absurdität der "PorNo"- Debatte vor: Feministinnen und erzreaktionäre Kulturpolitiker wie Jesse Helms, der Fördergelder der National Endowment for the Arts (NEA) für Robert Mapplethorpe und Andres Serano streichen ließ, trafen sich in der Forderung nach Bilderverbot.

Dabei berührt Pornographie eine grundsätzlichere als die moralische, eine politische Problematik, nämlich die Frage, ob sexuelle Repräsentation eine individuelle oder eine institutionelle Angelegenheit sei. So war die Political Correctness-Debatte denn mehr eine Imagination der Rechten gegen Issues der Linken als ein Kulturkampf mit realen Auswirkungen auf das politische Leben. Die aus dem akademischen und institutionellen Kanon sich ausgeschlossen fühlende Rechte begehrte über den Angriff auf die linke Kulturtheorie, die insbesondere die Sprachpolitik problematisierte, eine verlorene Definitionsmacht zurück. Die Pornographie geriet kurzfristig in diese Auseinandersetzung, weil sie sich als Individualpraxis dem normativen Zugriff der Institutionen am beharrlichsten verweigerte.

Kaum war die PC-Debatte erschlafft, verschärfte sich paradoxerweise der Charakter der Porno-Debatte, die jetzt im Feld der Legislative geführt wird. Seit Marc Dutroux und dem geheimnisvollen Kinderporno-Ring wird das Machtvakuum zwischen Privatem und Öffentlichem allmählich aufgefüllt. Die mediale Hysterie erzeugt ein Klima, das die Todesstrafe für Kinderficker vorstellbar macht. Der Staat hätte dann - über einen simplen semiotischen Kunstgriff - endlich auch den Unterleib seiner Untertanen im Griff.

Gemessen am neuen Antichristen, dem Kinderficker, ist der gewöhnliche Pornokonsument derzeit ein Anwärter auf Seligsprechung. Pornographie ist die höchste Form des Kitsches, weil ihr in Aussicht gestelltes Begehren mechanisch und unerfüllt bleiben muß. Insofern eignet sie sich hervorragend als Stoff in der Kunst. Connaisseure bestehen darauf, einen Unterschied zur sublimen Erotik zu ziehen. Who cares? Beate Uhse, die Pornographie längst zur kulturellen Ware umdefiniert hat, ist da mehr pc als der Pornojäger von Wien. Ihre Produkte sind Lustschablonen für Schablonenlust.

In der Kunst wurde die Pornographie in diverse Seitenaspekte zergliedert. Duchamps Geschlechtertausch als Rrose Sélavy ist ebenso eine pornographische Anverwandlung wie Man Rays kühler Voyeurismus. Bei Magritte trägt sie ein erotisch chiffriertes Gewand. Auf höchst klinischem Niveau tritt sie bei Jeff Koons und Cicciolina auf, die Pornohefte produziert haben sollen, die in einschlägigen Shops kursieren - der künstlerische Höhepunkt eines erweiterten Sexbegriffs. Von Helmut Newton, dem Altherrenerotiker, schweigen wir lieber. Ein Faschist, wie Alice Schwarzer ihm unterstellt, ist er wohl nicht, aber ein Langweiler ganz sicher.

Aura Rosenberg schlägt einen anderen Blick auf die Pornographie vor. Statt sie zu bekämpfen, erkennt sie Pornographie als gesellschaftliche Realität an. Ihre Arbeiten untersuchen nicht die Ausbeutung von Frauen in der Sex-Industrie, aber sie unterbinden den Transport unterwürfiger Frauenbilder.

Und: Ihre Fotos konturieren das im allgemeinen Geschrei diffus gewordene Verhältnis der Betrachter/innen zu ihrem eigenen Begehren. Die Abwehr institutioneller Kontrolle durch Selbstkontrolle macht die künstlerische Beschäftigung mit Pornographie heute noch lohnend.