Olaf Metzel

»Wo darf ich unterschreiben?«

Über das Politische und das Autonome der Kunst

Olaf Metzel wurde 1987 auf einen Schlag berühmt. Seine aus aufgetürmten Absperrgittern bestehende Kudamm-Skulptur "13.4.1981" löste einen Sturm der Entrüstung aus. Die Arbeit bezog sich auf eine militante Demonstration am 13. April 1981 nach einer in den Medien lancierten Falschmeldung, daß Sigurd Debus im Hungerstreik gestorben sei. Die Desinformation war im Vorfeld der Berliner Parlamentswahlen in Umlauf gebracht worden und sollte die Wähler zugunsten der CDU beeinflussen. Die Öffentlichkeit reagierte mit Empörung, sah man doch in der alsbald zum Szene-Treffpunkt avancierten Skulptur eine Sympathieerklärung für den Terrorismus. Metzel (45), von der Presse gejagt und von anonymen Anrufern bedroht, verließ entnervt Berlin Richtung Italien.Er ist heute Rektor an der Akademie der Bildenden Künste in München und beschäftigt sich vorrangig mit gesellschaftspolitischen Themen. 1982 entstand in Berlin-Wedding die Intervention "Türkenwohnung Abstand 12.000,- DM VB", die aus der systematischen Verwüstung einer Wohnung bestand, aus der eine türkische Gastarbeiterfamilie rausgeflogen war. Metzel mietete sich ein, flexte ein monumentales Hakenkreuz in die Wand und inserierte die Wohnung zur Weitervermietung. 1984 setzte er der RAF im Württembergischen Kunstverein Stuttgart ein Ehrenkranz-Denkmal. Für die Istanbul Biennale 1995 organisierte er eine Autogrammstunde mit dem Klubpräsidenten, dem Trainer, den Spielern und den Fans des türkischen Fußballvereins Besiktas Istanbul.

Wie ist das so, nach elf Jahren wieder nach Berlin zurückzukehren? Hast du am Flughafen Tegel den Boden geküßt?

Um Gottes Willen. Zwischendurch bin ich oft hier gewesen, aber Berlin ist wie immer: Nach drei Tagen reicht's. 1987 bin ich raus. Es war ein guter Abgang nach der Kudamm-Arbeit "13.4.1981". Danach bin ich nur noch als Intensivtourist zurückgekehrt. Aber nach drei Tagen sitze ich wieder im Flieger. Die Situation hat sich dahingehend geändert, daß die ganzen Subventionskünstler aus dem Osten dazugekommen sind. Früher gab es noch die gemütliche Mauer, und wenn man nach Westdeutschland fuhr, hatte man das Gefühl, von der Ostfront zu kommen. Ich glaube, heute ist das nicht viel anders.

Deine aus aufgetürmten Absperrgittern bestehende Skulptur "13.4.1981" innerhalb des Berliner "Skulpturenboulevards" löste 1987 einen Sturm der Entrüstung aus. Der Diepgen-Senat ließ die Skulptur wieder entfernen und kurz darauf bist du fluchtartig Richtung Rom und später München abgehauen, aus Frust oder aus Angst?

Ich hatte schon vorher angekündigt, daß ich gehe, aber keiner hat es geglaubt. In Rom war mir dann klar, in dieses graue Kloster kehrst du nicht zurück.

Und diese Entscheidung hatte nichts mit den Auseinandersetzungen um die Arbeit zu tun?

Nee, sie waren vom Inszenatorischen und von der Idee her Teil der Arbeit. Mir ging es um die Manipulation durch die Medien. Nach diesem Gespräch manipulierst du ja auch alles so durch, wie du es brauchst. Das ist ein Journalistenhobby. Damals, kurz vor den Wahlen, wurde in den Medien die Falschmeldung lanciert, daß Sigurd Debus im Hungerstreik gestorben sei, und die Demonstration am 13. April 1981 war die Reaktion darauf. Diesen Zusammenhang wollte ich in modifizierter Form aufgreifen. Die Arbeit ist senkrecht durch die Medien gekippt worden. Mit dem Echo mußte man rechnen, es war, wenn man so will, Teil der Inszenierung.

Die Medien fühlten sich also angegriffen?

Es ist aufschlußreich, wie diese Arbeit z.B. im Tagesspiegel besprochen wurde. Die anderen Skulpturen wurden groß abgehandelt, während meine Arbeit im letzten Satz mehr oder weniger zum Müllhaufen deklariert wurde. Mit Kunst habe das gar nichts zu tun, und man könne es gar nicht im Feuilleton bringen. Das war der gute Herr Heinz Ohff, verdienter Kunstkritiker des Blattes. Ich habe sehr viel Fanpost mit Absender gekriegt nach dem Motto: Ab in die Gaskammer! Und Hitler wüßte schon, und Metzel würde man gleich wegmetzeln. Nach diesen Reaktionen mußte ich den Eindruck gewinnen, der Durchschnittsberliner ist 60 und total verhärmt. Die Arbeit ist international abgefeiert worden, nur hier hat man sie nicht verstanden.

Hast du dich darüber geärgert, daß die Skulpturen von Matschinsky-Denninghoff und Vostell angekauft wurden, und deine nicht?

Nein, es war nur konsequent, denn ich wollte von vornherein eine mobile Skulptur machen. Die Arbeit sollte im Campus der Frankfurter Goethe-Universität auf Dauer aufgestellt werden. Es gab auch schon einen Sponsor, Kasper König hat sich dafür eingesetzt und der Rektor war begeistert. Vom Ambiente her - Frankfurter Schule, Horkheimer und Adorno - hätte sie gut gepaßt. Als dann der Studentenstreik begann, kriegten einige kalte Füße und das Ganze war gestorben. Seitdem ist die Arbeit eingelagert. Ich weiß, daß im Berliner Senat Anstrengungen unternommen werden, über eine Aufstellung nachzudenken.

Die Arbeit wurde verstanden als Sympathiebekundung für die Autonomen und als Kritik am Polizeistaat.

Ich sehe sie mehr im Sinne einer autonomen Skulptur, die eingreift. Es ging nicht darum, eine Brosche im öffentlichen Raum abzustellen. Sie wurde als Treffpunkt beim Volkszählungsboykott und bei Demonstationen und als Tribüne bei der Tour de France benutzt. Es war eine richtig belebte Ecke. Die Leute saßen auf den Betonklötzen, eine Band schrummelte rum, Touristen standen da mit ihren Hot-Dogs und Hamburgern. Ich hasse sterile Zonen. Damals war der Kurfürstendamm noch eine Flaniermeile, heute ist er abgetakelt.

Haben sich die Autonomen mit dem "Randaledenkmal" identifiziert?

Mußt sie selber fragen.

Keine Reaktionen?

Doch, doch. Die meisten fanden es toll. Ich habe versucht, das Geld für die Produktion auf viele kleine Betriebe in Kreuzberg umzuverteilen und sie so über den Winter gerettet.

Die Bullen mußten das Monument vor Demonstranten beim Volkszählungsboykott schützen, weil Leute hochkletterten und Flugblätter abwarfen. Verkehrte Welt?

Monument ist eine Unterstellung, eine kleine sprachliche Fehlinterpretation. Es ging eben nicht um etwas Monumentales und Staatsbejahendes.

Selbst Walter Grasskamp spricht von der Monumentalisierung des Problems

Das ist etwas anderes, aber ich will hier nicht Semiotik betreiben. Mich interessierte damals etwas ganz anderes, Mondrians "New York Boogie Woogie". Wenn die Arbeit nachts angestrahlt wurde, verselbständigte sie sich ziemlich schnell. Ich wollte auch die Möglichkeiten der Skulptur im öffentlichen Raum ausloten, im Sinne der Sekundärarchitektur. Jeder kennt die Fußgängerzonen, die vom Blumenkübel bis zur Bank horrormäßig möbliert sind. Die Absperrgitter standen als eine andere Form von Sekundärarchitektur ständig bereit.

Wie erklärst du, daß soviele Arbeiten im öffentlichen Raum zu Blumenkübeln degeneriert sind?

Da mußt du die fragen, die sowas produzieren. Wenn man so exzessiv wie möglich und mit vollem Risiko die Möglichkeiten der Skulptur im öffentlichen Raum ausloten will, kann man keine tonnenschweren Fundamente im Boden verankern. Jüngere Leute waren begeistert. Ich habe negative, aber auch sehr viel positive Post gekriegt. Besser eine Reaktion, als gar keine Reaktion. Mir hat es viel Spaß gemacht, war ein Haufen Arbeit. Hinterher haben sich viele Leute überlegt, warum die überzeugendste Arbeit verschwinden muß, während die anderen bleiben und auch noch angekauft werden.

Bekannt geworden ist auch deine Aktion "Türkenwohnung Abstand 12.000,- DM VB" von 1982, eine wüste Zerstörungsorgie einer Wohnung in Wedding. Hat sich der Vermieter über die Hinterlassenschaft, darunter ein in die Wand hineingeflextes monumentales Hakenkreuz, nicht geärgert?

Also nee, da muß ich ein wenig korrigieren. Diese Arbeit hatte ursprünglich einen anderen Schwerpunkt. Ich wollte einen Film drehen, Räume außerhalb des klassischen Ausstellungskontextes aktivieren. Diese Idee taucht alle Jubeljahre mal wieder auf. Ausländerfeindlichkeit bezieht sich heute eher auf Asylanten, damals waren es die Türken, und Hakenkreuze sieht man auf jeder Toilette. Meine Überlegung war, das zu vernetzen und in einem Film unterzubringen. Ich denke, dafür ist es sinnvoll, als Material das Originalstück Wohnung zu nehmen. Ich bin dann als Deutscher in eine Wohnung eingezogen, aus der eine türkische Familie rausgeflogen war, weil sie keine Miete zahlte.

Wußte der Vermieter von deinen Plänen?

Nein. Er fragte nach meinem Beruf und ich sagte: Installateur. Und er sagt: Ist ja prima, da sind eh die ganzen Rohre kaputt.

Du hast die Wohnung in der B.Z. und der Süddeutschen Zeitung annociert - aus heutiger Sicht ein frühes Beispiel von "Kontext-Kunst".

Genau. Zur Sydney Biennale , 84 habe ich etwas in einem Chinesenpuff gemacht.

Damals hat man die "Türkenwohnung" zu stark auf die Auseinandersetzung mit Faschismus und Ausländerfeindlichkeit reduziert.

Das stimmt. Ich hatte damals kaum Geld und mußte arbeiten. Das Exposé für den Videofilm reichte ich dann bei Wulf Herzogenrath im Kölnischen Kunstverein ein und kriegte postwendend die Antwort, daß sie so etwas nicht unterstützten. Später habe ich dieses kontextuelle Vorgehen intensiviert, z.B. in der "Tankstelle Landsberger Straße".

Was hast du denn im Chinesenpuff gemacht?

Äh, das war ein ziemlich schwarzes Ding, das ich ein bißchen schwärzer gemacht habe. Ich habe in die Wände reingeschnitten und die Räume inszeniert. Der Puff sollte binnen kurzem abgerissen werden, um am selben Ort ein Hochhaus aufzustellen. Wenn man reinkam, hatte man den Eindruck, daß die Betten noch warm sind. Das kann man eigentlich nicht mehr steigern. Jeder, der reinging, war begeistert, weil er sich früher nicht reintraute. Man hat dann die Kunst gesucht und ziemlich schnell auch gefunden, weil ich den ganzen Raum umdekoriert hatte.

Leidest du darunter, daß man deine Arbeiten mehr thematisch und weniger ästhetisch rezipiert hat?

Das finde ich schade. Es ist vollkommener Quatsch, mich darauf festzulegen, daß ich alles nur kaputt mache. Man muß die schönste Stelle kaputt machen, um weiterzukommen. Die meisten sind denkfaul oder schreiben voneinander ab und wollen sich geistig gar nicht bewegen. Mein Stichwort ist Subversion. Als ich in der "Tankstelle Landsberger Straße" arbeitete, kamen Nutten und Arbeiter vorbei und man hat gequatscht. Ich wollte der Kunst nicht andere Bereiche erschließen, sondern vorstellbar machen. Das paßt nicht ins Museum.

Im Württembergischen Kunstverein Stuttgart hast du 1984 mit "Stammheim" der RAF ein Eichenlaubkranz-Denkmal gesetzt.

Es ist kein Denkmal, sondern ein Spiel mit der Ikonographie des Denkmals.

Bist du RAF-Sympathisant?

Es geht nicht um Sympathie oder Antipathie, sondern um die Kunst. So eine Idee zieht man sich nicht einfach aus dem Ärmel, sie resultiert aus der genauen Beobachtung des Raums, der Situation, der Zeit, der Politik. Ich kam gerade aus Asien zurück und freute mich, daß der Kaffee immer noch so schlecht schmeckt wie früher. Ich war eingeladen worden zur Ausstellung "Kunstlandschaft Bundesrepublik Deutschland". Alle hängten artig ihre Bilder hin, das wollte ich mir nicht antun. Ich schaute mir den kleinen Innenhof an, der fast ein Ehrenhof ist, und die roten Vorhänge, die fast wie Roben aussahen.

Schon vorher hatte ich im Spiegel ein Interview mit Generalstaatsanwalt Rebmann über Peter-Jürgen Boock gelesen. Darin sagte Rebmann, Boock kann erst in den ersten Jahrzehnten des nächsten Jahrhunderts um Begnadigung ersuchen. Bei allem Für und Wider, ein gewisser Zynismus ist in dieser Aussage schon drin. Ich weiß nicht, ob man so etwas sagen kann. In Stuttgart besuchte ich den Friedhof, wo die in Stammheim umgekommenen Inhaftierten begraben liegen. Wie ein Mosaik verdichtete sich dann diese Arbeit. Damit war das Glatteis vorgegeben, auf das sich viele begeben und dabei die ästhetischen Qualitäten vergessen.

Die ästhetische Qualität setze ich voraus, sonst würden deine Arbeiten thematisch gar nicht funktionieren.

Eben. Guck dir doch mal diese beschissenen Plakate an: Fünf Finger sind eine Faust. Man kann ja auch mit dem Mund malen. Es kann doch nicht verboten sein, ein Bild von Rothko schön zu finden. Es gibt für mich einen ganz wichtigen Film, "Clockwork Orange". Da gingen mir die Augen auf. Es ist natürlich zu diskutieren, inwieweit man in den Arbeiten Gewalt verherrlicht oder ästhetisch sublimiert.

Geht es dir auf die Dauer nicht auf die Nerven, daß deine Arbeiten ständig als Provokation bezeichnet werden?

Furchtbar. Ich kann nichts dafür, daß die Leute ihre Schularbeiten nicht machen wollen und mich ständig in diese Ecke drängen.

Von Anfang an hat es Ärger und Mißverständnisse gegeben. Liegt das allein an den Interpreten?

Tja, vielleicht habe ich etwas falsch gemacht. Sag du doch mal, womit das zu tun haben könnte.

Für mich liegt genau darin die Qualität.

Das kannst du sagen. Wenn ich das sage, heißt es, ich sei arrogant und zynisch. Für mich ist das Mißverständnis Teil meines Lebens, und ich lebe meine Kunst. Es ist eine Sucht. Die einen hängen an der Nadel, die anderen trinken, ich hänge an der Kunst.

Die von deinen Arbeiten ausgehenden Mißverständnisse haben stets soziale Debatten hervorgerufen - für mich der höhere Wert, als eine Rezeption ausschließlich unter formalen Gesichtspunkten, die im Kunstgeschichtsbuch landet.

Living Kontext. Manchmal beneide ich die Künstler, die abgeschieden im Atelier ihre Bilder malen, mit ein bißchen klassischer Musik im Hintergrund. Ich habe die andere Schiene gewählt. Jeder Bildhauer beneidet die Grafiker mit den eingeklemmten Mappen unterm Arm, während er mit schweren Gewichten hantiert. Da fängt der Rücken an weh zu tun und anderes mehr. Wenn du aus der Ghettoisierung der Kunst ausbrichst, wirst du auf Provokation und Zerstörung festgelegt. Fachidioten finde ich gräßlich.

Macht kaputt, was euch kaputt macht. Kannst du mit diesem Slogan etwas anfangen?

Ja. Nach der Akademie fällt man in ein großes Loch. Ich bin 1977 nach dem Studium im Rahmen eines Stipendiums nach Italien gegangen. Ich hatte in einem Berliner Antiquariat ein Buch aus der Kaiser-Wilhelm-Zeit gefunden. Darin waren auf einer Landkarte etruskische Grabanlagen angekreuzt. Die Etrusker haben den Tod bejaht. Mit meinen Fiat 500 bin ich dann dieser Landkarte nach in Italien herumgereist. Ich habe Großgrundbesitzer getroffen, die heißen Dante da Bologna und sehen aus wie Jean Gabin. Wir kamen beim Rotwein ins Gespräch, und sie ließen mich die Gräber besichtigen. Das waren tolle Erlebnisse, fast zu schön. Dabei habe ich ständig Skizzen und Zeichnungen gemacht. Als ich nach eineinhalb Jahren nach Berlin zurückkam, weil das Geld alle war, gingen hier die Hausbesetzungen los. Bildhauerei hat mit Raum zu tun, und mir kam die Überlegung, das eine mit dem anderen zu verbinden und ästhetisch umzusetzen. Ich wollte Volkskunst machen, z.B. in der "Böckhstraße": Hier gab es nichts zu kaufen, sondern nur das originäre Moment von Bildhauerei.

Hast du dich in dieser Zeit politisch engagiert?

Gruppentherapeutische Effekte haben mich nie interessiert. Alleine scheißen sie sich in die Hosen, aber gemeinsam fühlen sie sich stark. Ich war Einzelgänger, hatte zwar Kontakt mit den Kollegen von "Büro Berlin", aber wenn ich "Büro" höre, wird mir schon schlecht.

Jetzt mal eine private Frage ...

... also Eheproblem habe ich nicht, wenn du das meinst.

Wieviel Streicheleinheiten brauchst du so am Tag?

Es können gar nicht genug Streicheleinheiten sein. Außerdem liebe ich Kinder. Das Problem ist nur, man kommt dann zu gar nichts mehr. Dann würde das Leben ja noch schöner sein. Du kommst nach Hause, legst dich auf das Sofa, trinkst ein Bier, nimmst das Zappgerät in die Hand, einmal quer durch, und kriegst den Kopf frei. Hauptsache, es rauscht. Am besten ist Fußball. Aber wenn Berti Vogts mit seiner müden Truppe antritt, mag ich gar nicht mehr hingucken.

Du bist ein sehr erfolgreicher Künstler. Stimmt das Klischee, daß man ein Schwein sein muß, um Erfolg zu haben?

Äh, jetzt kommen die kleinen Hämmer, die Fußangeln. Nochmal die Frage bitte, damit ich mich konzentrieren kann.

Also, gerade in Berlin bist du ein Hero

Um Gottes Willen, da möchte ich lieber nicht erfolgreich sein.

Muß man ein Schwein sein, um Erfolg zu haben?

Nein, überhaupt nicht. Dann hast du nur noch Spaß daran, daß du ein Schwein bist. Das ist die Abteilung Perversion. Natürlich gibt es Situationen, wo man sich schweinisch verhalten müßte, um weiterzukommen. Ich habe eine gute Kinderstube gehabt. Es gibt einfach Dinge, die tut man nicht.

Ging es bei dir immer steil bergab?

Was denn, bergauf oder bergab? Ich hatte sehr viele Rückschläge, die persönlich bedingt waren. Depressionen hat jeder, und im Grunde ist man einsam. Wenn man ein Ziel vor Augen hat, kann es vorkommen, daß man jemanden auf den Fuß tritt.

Deine Künstlerkollegen aus den guten alten Berliner Zeiten sind fast alle untergegangen. Nur Hermann Pitz hat die Kurve gekratzt. Waren die anderen nicht Schwein genug?

Jetzt fängst du ja schon wieder an. Ich würde sagen, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich bin immer meinen Weg gegangen: Jeder für sich und Gott für alle. Während die anderen Erfolg hatten und Geldscheine zählten, mußte ich immer noch jobben. Ich habe mich von Gruppenbildungen distanziert. Damals fand in Stockholm die Ausstellung "Gefühl und Härte" statt, auch "Gewühl und Hertie" genannt und vom Senat gesponsort.

Im Ausland ließ man die Subkultur feiern, während in Berlin die Häuser geräumt wurden. Ich habe mich davon distanziert und bin ausgestiegen. Von allen Seiten wurde mir massiv Druck gemacht, besonders aber von den Kuratoren, ich solle mir das gut überlegen, sonst würde ich in Berlin nie mehr einen Fuß auf den Boden bekommen. Die Ausstellung sollte noch in Kunstverein München gezeigt werden, und ich habe in nächtelangen Diskussionen die Kollegen zu überzeugen versucht, aber schließlich war ich der einzige Affe.

Hat dir das geschadet?

Einige Zeit später hatte ich eine Einzelausstellung im Kunstraum München.

"Kunst ist der Freiraum, in dem man sich austoben kann, ohne im Knast oder in der Klapsmühle zu landen", hast du einmal gesagt. Gilt das auch für deinen Job als Rektor der Akademie in München?

Das habe ich 1981 gesagt, und man wird nicht jünger. Ich habe eine Menge Erfahrungen gemacht, und die möchte ich weitergeben. Die Gastprofessur in Hamburg habe ich 1987 aufgegeben, weil es mir zuviel wurde. Als Professor und jetzt auch als Rektor in München, übrigens ein Ehrenamt, kann ich den Lehrbetrieb ökonomischer regeln. Ich habe als erstes durchgesetzt, daß in der Akadamie Arbeitsmöglichkeiten bis ein Uhr nachts gegeben sind.

Hättest du jemals gedacht, daß aus dem wilden "Stahlkappen"-Olaf mal ein braver Rektor wird?

Ich war nie wild. Die Leute waren enttäuscht, wenn sie mich zum erstenmal sahen, weil sie dachten, da kommt einer mit Lederjacke und Fahrradkette in der Tasche und haut um sich. Die Lieschen-Müller-Version war mir immer zuwider. Ich kam sozusagen inkognito zu meiner eigenen Ausstellungseröffnung. Ich finde es hervorragend, wenn Markus Lüpertz Klavier spielt, wenn er rezitiert

...aber das ist nicht deine Welt.

Das habe ich nicht gesagt.

Du bist also still und bescheiden...

Ö das habe ich auch nicht gesagt. Ich versuche, mich nicht zu verstellen. Wenn ich Lust habe, komme ich auch in Räuberzivil. Das ist eine Frage der Tagesform. Wenn ich zur Eröffnung gehe, habe ich meistens schon den Exhibition Blues.

Wenn du die letzten 15 Jahre Revue passieren läßt, würdest du alles noch einmal genau so machen?

Das ist eine Bonbon-Frage. Jetzt muß ich mal fragen, für welches Magazin schreibst du eigentlich? Für eine Frauenzeitschrift? Oder für die Bäckerblume? Ich finde die Bäckerblume ja gut, aber nur das Kreuzworträtsel. Manchmal denke ich, du könnstest dieses Engagement auch in einer ganz anderen Branche einbringen. Nur: Im künstlerischen Bereich hat man den Vorteil, eigenverantwortlich zu sein.

Als Künstler bist du doch sehr abhängig - von Kuratoren, Galerien etc.

Jeder weiß, wie das System funktioniert. Da wird z.B. irgendein Künstler aus New York in Deutschland, Holland, Schweiz durchgeschleust. Jeder kennt die Händler. Da wird abgeräumt, und das war's. Der nächste steht schon in den Startlöchern. Die Journalisten spielen jedesmal mit. Kritik ist überhaupt nicht mehr erwünscht. Es wird nur noch Kohle abgefaßt, ein immerwährender Schlauch. Die Frage ist: Gehst du auf eine einsame Insel oder wechselst du konsequent die Branche?

Hast du das Optimale aus dem Kunstbetrieb herausgeholt oder war mehr drin?

Ich kenne viele amerikanische Künstler und Künstlerinnen, die ich sehr schätze und die das System kennen und mitspielen. Ich versuche nach wie vor einen anderen Weg.

Einerseits ist die Kunst einer der gesellschaftlichen Bereiche, wo man Freiheit zumindest imaginieren kann, andererseits herrscht im Kunstbetrieb Manchester-Kapitalismus...

Wo darf ich unterschreiben? Man wird diesen Widerspruch nie aufheben können. Du bist in ein System eingebunden, an dem du immer wieder zweifelst. Trotzdem gibt dieses System in seiner Flexibilität Möglichkeiten, wenn du für dich eine Position geschaffen hast und qua Arbeit einen Marktwert hast. Du kannst es z.B. konterkarieren, was natürlich auch wieder absorbiert wird. Das System ist so in sich strukturiert, daß anything goes.

Zum Schluß noch eine persönliche Frage: Wer wird Fußballweltmeister?

Ich hoffe, Italien, aber sie schaffen es diesmal nicht.