Widerstand im Alpenland

Kaum Menschen und viel Anspruch: Die Brenner-Blockade am vergangenen Wochenende

Man erkannte den Mann kaum wieder. Eine plötzliche Wandlung hatte der ansonsten konservative Tiroler Landeshauptmann Wendelin Weingartner durchgemacht, als er am vergangenen Freitag und Samstag die Blockade der Brenner-Autobahn wortreich unterstützte. "Demonstrieren hier ist Pflicht", rief der hauptberufliche Law-and-Order-Politiker den Demonstranten zu und verstrickte sich nach zehn Minuten in den Windungen der eigenen Rhetorik: "Und hiermit schließe ich unser wunderschönes Land." Doch das war keine Kapitulation vor der Macht der deutschen Frachterlobbies und der transitfördernden EU - er mußte nur die Rede beenden.

Weingartner ist einer von etwa 2 000 Tirolern, die am vergangenen Freitag und Samstag für 28 Stunden die wohl wichtigste Nord-Süd-Verbindung Europas, den Brenner, dichtmachten. Das Transitforum Austria-Tirol (TAT) hatte aufgerufen, gegen die immer größer werdende Lawine der Lkw zu protestieren. Seit 1991 ist der Transitverkehr am Brenner um 35 Prozent angestiegen, derzeit fahren jährlich 1,1 Millionen Lkw über die Autobahn. Nach Berechnungen von Verkehrsexperten sollen bis zum Jahre 2010 rund 2,1 Millionen Lkw die Luft verpesten.

Die Hauptschuld für diese Invasion liegt nach Ansicht des TAT-Chefs Fritz Gurgiser vor allem bei der EU: Obgleich Transitverträge existieren, die Österreich vor seinem Beitritt zur EU mühsam ausgehandelt hatte, bereitet die EU eine Klage wegen der angeblich zu hohen Brennermaut vor. Statt derzeit 1 500 Schilling (umgerechnet 215 Mark) möchte die EU nur noch eine Maut von 350 Schilling (50 Mark) für Brummi-Fahrer akzeptieren. Auf wenig Verständnis stoßen bei der Tiroler Bevölkerung auch Bestrebungen der EU, das derzeitige Samstags- und Feiertagsfahrverbot aufzuheben.

Trotzdem hatte die Tiroler Bevölkerung an den verregneten zwei Tagen offensichtlich Besseres zu tun, als auf den Brenner zu stiefeln und mitzublockieren. Von den erwarteten 10 000 Teilnehmern waren am ersten Tag rund 8 000 ausgeblieben, am zweiten Tag schafften es gerade mal 400 Menschen auf die Brennerautobahn.

Rund 200 davon waren allerdings Medienvertreter, die in Erwartung von protestierenden Menschenmassen, weinenden Kindern und randalierenden Fernfahrern kamen. Sie mußten sich mit der Erkenntnis zufriedengeben, daß die Blockade etwas zu gut organisiert war. Die "für den Ernstfall" probende Tiroler Polizei riegelte Protestbereich und Autobahn weiträumig ab und verwies die Blechlawine auf die Bundesstraßen. Staus wurden dank wochenlanger Vorab-Information vermieden.

Rechtzeitig reagierten die Veranstalter auf die herbe Enttäuschung des Medientrosses, indem sie für die nötige Demo-Folklore sorgten: Tiroler Schützenkapelle, Lederhosen und verhärmte Gestalten, die bei jeder Gelegenheit ihr Bundesland erwähnten. Was dem legendären Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Franzosen waren, sind für die Transitgegner die Bayern und die EU. Prompt wurde Gurgiser, durch und durch Medienprofi, von den Reportern mit Andreas Hofer verglichen. Das Thema Transit war nur noch Vehikel für alte Legenden von Tiroler Stursinn. Gurgiser: "Mit dem Widerstand hier haben Sie sich zu Ihrem Land Tirol bekannt."

Selbst die im "heiligen Land" Tirol sich geziemende Messe wurde geboten, in der die "EU" mit dem "Satan" verglichen wurde, der "uns Tiroler kaufen will", aber natürlich abblitzt, weil "wir Tiroler nicht käuflich sind". Die etwas phlegmatisch anmutenden Bergfexe hatten dann auch die nötigen Transparente mitgebracht: "Wir haben die Nase voll" oder - sehr photogen: "Es geht um die Zukunft unserer Kinder".

Daß es bei anhaltender Transitlawine schlecht steht um die Zukunft der Kinder, dafür sorgen auch Versäumnisse der europäischen Verkehrspolitik: Der schon lange geforderte Brenner-Basistunnel existiert nur in den Köpfen der Politiker, und die derzeit ohnehin kaum genutzte Möglichkeit, Lkw auf die Bahn zu verladen, hält nicht nur Fritz Gurgiser für "sinnlos".

Aber derartige Überlegungen spielten beim Event in den Tiroler Bergen nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr waren die Veranstalter am medial gut zu verwertenden Show-Effekt interessiert und inszenierten dabei recht viel an den berechtigten Forderungen herum. Zur Schau getragen wurde die kokett am Leben gehaltene Gegnerschaft zu Bayern, die nicht dadurch gemindert wurde, daß bayerische Frachter mit einer Klage gegen die Blockierer wegen "kollektiver Nötigung" gedroht hatten. Die Frachter seien Teil einer "Lkw-Mafia", so die Diagnose Gurgisers.

Trotz des enormen Medieninteresses schienen die Veranstalter enttäuscht von dem eher mäßigen Aktivisten-Anteil. Deshalb möchten sie im Herbst mit einer spektakulären Aktion aufwarten: In Zusammenarbeit mit Transitgegnern aus der Schweiz und Frankreich möchten sie sämtliche Nord-Süd-Verbindungen in diesen drei Staaten sperren. Das nötige Know-how wird den jeweiligen Bürgerinitiativen in den nächsten Wochen ins Haus flattern. Titel: "Widerstand im Alpenland". Medienvertreter sind zur nächsten Aktion natürlich herzlich eingeladen.