Spielverderber

Geopolitik auf dem Rasen

Die WM-Gruppe F liefert linken Fußballfans beste Ausreden, ihr Interesse am Gekicke hinter Politik zu verbergen

Wäre es nach dem Willen einiger Regierungsberater von US-Präsident Clinton gegangen, müßte das US-amerikanische Soccer-Team am 25. Juni abends zwar im Stade La Beaujoire von Nantes auf dem Rasen stehen. Doch Gegner in der Vorrunde F wäre dann nicht die WM-Mannschaft Jugoslawiens - sondern die der ungarischen Kicker.

Obwohl die Magyaren Hin- und Rückspiel in der Qualifikationsrunde der europäischen Gruppenzweiten gegen Jugoslawien haushoch verloren (1:7 im Heimspiel und 0:5 in Belgrad), hätte die US-Diplomatie ihnen fast zur unverhofften neunten WM-Teilnahme verholfen: Denn um den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic in der Kosovo-Krise zum Einlenken zu bewegen, stand in Washington neben wirtschaftlichen Sanktionen lange Zeit auch ein Sportboykott des Balkanstaats ganz oben auf der Tagesordnung.

Nutznießer wäre Ungarn gewesen: So wie nach dem Ausschluß Jugoslawiens von der Fußball-WM der spätere Europameister Dänemark nachrückte, hätte es diesmal dem ungarischen Team ergehen können. Doch schließlich lenkte Milosevic Mitte Mai ein. Nachdem er sich zu Verhandlungen mit albanischen Vertretern aus dem Kosovo bereit erklärt hatte, ließen die USA ihre Forderung nach einem WM-Ausschluß fallen: Womit sich die ungarischen Spieler nun doch mit einer Endrundenteilnahme am Fernseher begnügen müssen und die US-Kicker wie gehabt auf das jugoslawische Team treffen.

Geopolitik auf dem Rasen: Als ob die WM-Organisatoren bei der Gestaltung des Zeitplans von den diplomatischen Auseinandersetzungen gewußt hätten, wählten sie für diese letzte Paarung in der WM-Gruppe F ein brisantes Datum - den kroatischen Nationalfeiertag. Zum siebten Mal jährt sich am 25. Juni die Unabhängigkeit der früheren jugoslawischen Teilrepublik von der Zentralregierung in Belgrad.

Auch wenn die einstigen Kriegsgegner, die beim letzten WM-Auftritt Jugoslawiens 1990 in Italien noch als gemeinsames Team aufliefen, frühestens im Viertelfinale aufeinandertreffen könnten, findet der Vergleich bereits in der Vorrunde statt. Und das nicht nur als Fernduell zwischen der kroatischen Mannschaft in Gruppe H und dem jugoslawischen Team, sondern als Spieler-Trainer-Auseinandersetzung in der Gruppe F selbst.

So könnte in Zagreb am Jahrestag der Sezession von Belgrad ein Mann für zusätzliche Hochstimmung sorgen: Tomislav Ivic, der kroatische Trainer des iranischen WM-Teams. Ivic sitzt an dem Abend zwar nicht in Nantes auf der Trainerbank, wenn die USA gegen Jugoslawien antreten; mit einem Sieg über die deutsche Mannschaft am selben Tag dürfte sein Ansehen in Kroatien aber weiter steigen. Die Chance, den früheren Bundesgenossen auch auf dem Spielfeld eine Niederlage zu bescheren, hat er bereits am 14. Juni.

Was sich mit dem Aufeinandertreffen von Jugoslawien, den USA und der BRD sowie dem iranischen Team samt ihres kroatischen Trainers wiederholt, ist in gewisser Weise die internationale Konstellation auf dem Balkan vor der Eskalation des Krieges in Bosnien 1992.

Ein halbes Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung vom 25. Juni 1991 erkennen - allerdings erst auf massiven diplomatischen Druck des wiedervereinten Deutschlands - USA, EG und Vereinte Nationen die Souveränität Kroatiens an. Die kriegerische Zerstörung der Bundesrepublik Jugoslawiens ist danach nicht mehr zu stoppen. Erst über vier Jahre später, im Dezember 1995 in Paris - wo im zweiten Gruppenspiel die Mannschaften der BRD und der USA, beide Garantiemächte für das frühere Jugoslawien, aufeinandertreffen - unterzeichnen die serbischen, kroatischen und bosnischen Präsidenten jenes Abkommen, das Washington im US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Dayton (Ohio) gegen die früheren jugoslawischen Bundesgenossen Milosevic, Tudjman und Izetbegovic durchgesetzt hat. Und das seitdem zumindest die territoriale Integrität der neuen Staaten und der alten Bundesrepublik gesichert hat.

Mögen die kroatischen Fußballfans es ihrem Landsmann Ivic noch übel genommen haben, daß er Anfang des Jahres in den Iran überwechselte - in einen Mitgliedsstaat der Arabischen Liga also, die mit ihren Waffenlieferungen im Bosnien-Krieg entscheidenden Anteil an der Schwächung der kroatischen Position hatte -, würden sie ihm das mit einem Sieg seines Teams über Jugoslawien wohl verzeihen.

Nach schwachen Leistungen in den Vorbereitungsspielen hatte der iranische Fußballverein den Kroaten im Vorfeld der Weltmeisterschaft entmachtet. Einen neuen Assistenztrainer und zusätzliche Berater setzten ihm die Funktionäre vor die Nase. Sollte Ivic neben einem erfolgreichen Abschneiden gegen Jugoslawien auch noch einen Sieg über die USA gelingen, wäre ihm binationaler Heldenstatus allerdings fast gewiß. Auf dem Fußballfeld ungeschlagen, könnte der Weltmacht eine symbolische Revanche für die Sanktionen der Cinton-Administration beigebracht werden.

Von "einer Demonstration des Friedens", die Ali Daei, iranischer Nationalspieler in Diensten von Arminia Bielefeld, vom Spiel gegen die USA erwartet, dürfte in den iranischen Medien kaum mehr die Rede sein. Und auch dem von Außenminister Kinkel propagierten Kritischen Dialog mit der Führung in Teheran könnten die iranischen Spieler eine sportliche Absage erteilen. Die von Ivic geschätzten deutschen Tugenden - "die Organisation, die Disziplin, die Kraft" - fielen auf ihn selbst zurück. In Dankbarkeit für die frühe Anerkennung der kroatischen Unabhängigkeit durch Genscher könnten sich die Bewohner des Adriastaats einmal mehr als kleiner Bruder des großen Deutschland feiern lassen.