René Block Ausstellungsmacher

Von der Peripherie aus

"Echolot" im Kasseler Fridericianum.

Wann haben Sie zuletzt bedauert, nach Kassel gegangen zu sein?

Es gab einige Tage im Oktober des letzten Jahres, als die documenta X zu Ende war und Kassel schlagartig leer und grau aussah. Damals war mein Team auch noch mit dem Abbau der documenta beschäftigt, und die eigenen Planungen mußten zurückgestellt werden. Aber ich habe diese Zeit dann für einige Reisen zur Vorbereitung des Programms genutzt.

Ihre Eröffnungsausstellung "Echolot oder 9 Fragen an die Peripherie" zeigt neun Künstlerinnen aus Iran, Türkei, Libanon, Ägypten und Australien, die jetzt in Paris, Berlin, London oder New York leben. Sind Emigration und Exil reine Frauensache?

Die beiden türkischen Künstlerinnen Gülsün Karamustafa und Ayse Erkmen leben in Istanbul. Ayse Erkmen versucht gerade, sich zusätzlich in Berlin einen Arbeitsplatz einzurichten, sofern die Berliner Behörden dies erlauben, außerdem wird sie im Sommersemester als Gastdozentin an der Kunsthochschule Kassel lehren. Die Koreanerin Soo-Ja Kim lebt in Seoul, stellt aber hauptsächlich in westlichen Zentren aus. Die Australierin Tracey Moffatt lebt in Sydney. Mona Hatoum aus Palästina, Shirin Neshat und Fariba Hajamadi aus dem Iran sowie Ghada Amer aus Ägypten haben sich Orte wie London oder New York als Arbeitsstätten ausgesucht.

Wenn man sieht, womit sich ihre Kunst beschäftigt und die fundamentalistisch-frauenfeindliche Situation in ihren Ländern kennt, wird sehr schnell klar, warum sie dort nicht arbeiten können, wie dies die türkischen Künstler und Künstlerinnen ja durchaus noch können. Da vier der neun Künstlerinnen - die in Berlin lebende Qin Yufen ist noch zu nennen - in ihren Ländern leben und arbeiten, geht es also in dieser Ausstellung nicht um Emigrations- und Exilfragen und auch nicht darum, ob diese Frauensache seien. Sie sind es natürlich nicht, denn die iranischen Künstler Siah Armajani oder Reza Farkhondeh leben in den USA, die türkischen Künstler Sarkis und Osman Dinc leben in Paris, was ihnen von national eingestellten türkischen Kreisen auch verübelt wird.

Ich habe die neun Künstlerinnen für die erste Ausstellung ausgewählt, weil ich ein Zeichen setzen wollte. Weil sie als Künstlerinnen, die im Nahen oder Fernen Osten geboren wurden, unter jeweils wieder anderen kulturellen Bedingungen aufgewachsen sind. Und sich mit viel größerem Kraftaufwand durchsetzen mußten, als dies westliche Künstlerinnen tun müssen. Das gilt auch für Tracey Moffatt aus Australien, die der ersten Generation von unabhängigen Aborigine-Künstlerinnen angehört, die nicht die vom westlichen Handel und Geschmack diktierten Aborigine-Folklore produziert.

Die Ausstellung fordert den Künstlerinnen indirekt die Rechtfertigung ab, daß sie zur Weltkunst gehören.

Diese neun Künstlerinnen gehören zur Weltkunst, und zwar der von allerhöchster Qualität. Die Ausstellung "Echolot" ist keine Rechtfertigung dieser Behauptung, sondern der Beweis.

Haben Sie Künstler bewußt ausgelassen? Oder haben die andere Probleme, als die eigene Herkunft und Ethnie zu thematisieren?

Ich hatte ursprünglich noch die iranische Architektin Zaha Hadid als zehnte Künstlerin eingeladen. Die Verlängerung ihrer Ausstellung im San Francisco Museum of Modern Art blockierte aber die Exponate, so daß diese Ausstellung nachgeholt werden wird. Es liegt mir fern, Künstler zu diskriminieren, und schon im nächsten Ausstellungsprojekt, in dem Joan Brossa und Carles Santos aus Barcelona zeitgleich mit der jungen Kunstszene Dänemarks unter dem Shakespeare-Zitat "Something is rotten in the state of Denmark" ausgestellt werden, ist wieder männliche Dominanz zu spüren. Für "Echolot" habe ich allerdings sehr bewußt nur Künstlerinnen eingeladen.

Eigentlich schien die Diskussion um Zentrum und Peripherie zwar nicht gelöst, aber nach Catherine Davids documenta doch beendet. Warum wärmen Sie das Thema jetzt wieder auf und warum ausgerechnet im Fridericianum?

Wenn eine begonnene Diskussion noch nicht zu einer Klärung geführt hat, dann sollte sie auch nicht beendet sein. Außerdem interessiert mich der sogenannte Diskurs um diese Fragen herzlich wenig. Ich hatte das Thema dieser Ausstellung lange im Kopf und habe es auch bei meinem Vorstellungsgespräch in Kassel zur Sprache gebracht. Das war vor Eröffnung der documenta. Ich war dann einige Wochen in Sorge, die documenta würde das Thema umfassend aufgreifen und mein Ausstellungs-Statement überflüssig machen. Das Gegenteil war der Fall. Die documenta hat in "100 Tage - 100 Gäste" das Thema Peripherie behandelt - im Diskurs. Die Ausstellung selbst hat es aber nicht thematisiert. So ist "Echolot" die einzig richtige Antwort auf die dX-Diskussionen.

Ist Kassel der richtige Ort, um diese Diskussion zu führen?

Die Frage wäre schon, ob Kassel noch der richtige Ort für die documenta ist. Meine Antwort ist: Ja. Kassel ist - und wenn wir Kassel sagen, meinen wir das Museum Fridericianum - der richtige Ort, diese Diskussion fortzusetzen und endlich die visuellen Argumente vorzubringen.

Nach der Biennale Instanbul 1995 widmen Sie sich erneut dem Multikulturalismus und der Migration. Hat sich die Kunst in der Zwischenzeit nicht zu anderen Issues hin orientiert, zu Repräsentationskritik, Re-Politisierung und Kulturalisierung?

Multikulturalismus interessiert mich überhaupt nicht. Mich interessieren einzelne Künstler. Die Istanbul Biennale war eine Werkstatt, zu der Künstler aus vielen Ländern eingeladen wurden. Künstler, die ich bei Besuchen in Ländern kennengelernt hatte, oder die ich schon kannte. Um uns verständigen zu können, unterhalten wir uns in Englisch.

Um ihre Kunst verstehen zu können, müssen sie auch in einer künstlerischen Sprache, sprich Ästhetik, arbeiten, die ich verstehen kann, und die mein Publikum verstehen kann, möglichst ohne Erklärungen. Denn nur so sind die neuen oder anderen Botschaften zu erkennen. Das ist eigentlich eher das Gegenteil von dem, was man allgemein unter Multikulturalismus versteht. Denn es trifft gar nicht mehr die Erwartungshaltung des westlichen Publikums, bei Künstlern aus bestimmten Ländern auch Exotisches vorzufinden. Duchamp ist der Maßstab unserer Generation und nicht Picasso mit seinen Afro-Imitationen. Auch kann ich nicht beurteilen, ob sich die Kunst zu den von Ihnen genannten Positionen hin orientiert hat.

Was ist denn "die Kunst"? Ist es das, was Künstler machen - und da arbeiten die verschiedensten Generationen parallel zueinander - oder ist es das, was einige Theoretiker möchten, daß es die Künstler machen? Die Kunst, die mich interessiert, war immer anti-repräsentativ und war immer politisch. Die neun Künstlerinnen aus "Echolot" sind mit Sicherheit anti-repräsentativ für den Kunst- und Kulturbegriff ihrer Länder. Die meisten von ihnen sind darüber hinaus in ihren Mitteln radikal und in ihren Äußerungen politisch.

Als IfA-Ausstellungsleiter wurden Sie aus dem Amt gedrängt. Kurze Zeit später mußte IfA-Generalsekretär Klaus Daweke seinen Hut nehmen. Bedauern Sie, nicht länger durchgehalten zu haben und statt dessen in der Provinz gelandet zu sein?

Ich war lange genug beim IfA, um dem Programm einige neue Impulse geben zu können, und hätte auch noch für einige Jahre interessante Ideen gehabt, wie deutsche Kunst im Ausland unkonventionell, aber spannungsvoll zu vermitteln ist. Diese Ideen werden jetzt nicht realisiert. Gegen die Dummheit kämpfen selbst Götter vergebens, sagt man, und ich hatte gar keine Lust zu kämpfen.

Glücklicherweise fiel genau in diese Zeit der beginnenden Behinderungen die Einladung, die Istanbul Biennale zu organisieren. Die Meinungsverschiedenheiten mit dem damaligen Generalsekretär haben mir die Entscheidung, Stuttgart zu verlassen und nach Istanbul zu gehen, leichter gemacht, als dies normalerweise der Fall gewesen wäre.

Was die Provinz betrifft, da antworte ich als jemand, der einmal engagierter Berlin war: Nur von der Peripherie aus kann man die oft provinziellen kulturpolitischen Entscheidungen der neuen Hauptstadt, die Eitelkeiten und auch die Geldverschwendung des Hauptstadtkulturbetriebs komisch und grotesk finden. Ohne diesen Abstand wäre vieles sehr ärgerlich.

Planen Sie Übersichtsausstellungen oder gehen Sie nach individuellen Positionen vor?

Für die kommenden vier Jahre habe ich für das Fridericianum eine Programmstruktur entwickelt, in der verschiedene thematische Reihen immer wieder in anderen Konstellationen vernetzt werden können. Es gibt sowohl Übersichtsausstellungen, Einzelausstellungen, Themenausstellungen, eine den Nachwuchs nicht nur fördernde, sondern fordernde Reihe unter dem Arbeitstitel "Rundgang".

Dann habe ich vor, den Kontakt zwischen dem Museum Fridericianum und früheren documenta-Leitern wieder aufzunehmen, das heißt diese zur Betreuung einer kleinen aktuellen Ausstellung ihrer Wahl einzuladen, oder es gibt eine Reihe mit grenzüberschreitendem Inhalt wie z.B. Klanginstallationen, Filmen und so weiter. Ein Beispiel: Auf "Echolot" folgen im Juli eine Übersichtsausstellung über die junge dänische Kunstszene, die aber zugleich auch den Kontakt zu Knud W. Jensen erneuert. Der Gründer des Louisiana Museum hat die Schirmherrschaft übernommen und leitet damit zugleich als langjähriger Berater von Arnold Bode die Reihe der ex-documenta-Macher ein. Für den Rundgang wählte ich aus diesem Anlaß zwei Studentengruppen der Kopenhagener Kunstakademie aus.

Gruppenbildungen sind für die junge dänische Kunst ein spezielles Markenzeichen, und es sind bereits an den Kunstschulen Gruppenbildungen zu beobachten. Das begann schon während meiner Lehrtätigkeit an der Kopenhagener Akademie Ende der achtziger Jahre, ich habe damals eng mit der Gruppe "Tapko" gearbeitet. Gleichzeitig eröffnet Carles Santos mit seinen Musik-Filmen die Reihe "Musik im MF", und der inzwischen 80jährige Joan Brossa aus Barcelona wird meines Wissens zum ersten Mal in Deutschland mit einer Retrospektive geehrt und eröffnet die Serie "Erfinder, Erzähler, Entdecker", die sich speziell um Künstler bemüht, die von großer Bedeutung sind, aber aus welchen Gründen auch immer am Rande des Kunstbetriebs stehen. Also wieder das Thema "Peripherie". Das Periphere in den Mittelpunkt zu rücken, könnte als Leitmotiv über diese vier Jahre gestellt werden.

Sind Ihnen im Museum Fridericianum, einem so traditionsmächtigen Haus, nicht die Hände gebunden? Wo sehen Sie noch gesellschaftspolitische Potentiale in der Kunst? Hat sich die Funktion der Kunst am Ende des Jahrtausends endgültig bei "Repräsentation" eingependelt?

Nein, gerade im Fridericianum sind mir die Hände nicht gebunden. Jedenfalls nicht aus inhaltlichen Gründen, und das leidige Thema Etat wollen wir nicht vertiefen. Ich interpretiere die Tradition dieses Hauses anders. Das Museum wurde 1779 für die Bürger Kassels und Hessens durch den Landgrafen Friedrich errichtet.

Es war die erste öffentliche Kunstsammlung auf dem europäischen Festland, man kann also sagen, der Prototyp eines zwar noch nicht demokratischen, aber doch modernen Museums. Es hatte im Lauf seiner Geschichte verschiedene Perioden zu überstehen, astrologische Sammlung, Antikensammlung, Bibliothek, bis es nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg von Arnold Bode für die documenta-Ausstellungen wiederentdeckt wurde. Noch als Ruine zunächst als eine aufregende Kulisse für die Plazierung moderner Skulpturen genutzt, wurde es für die documenta, das heißt für die zeitgenössische Kunst im Laufe der folgenden Jahre zu dem Haus ausgebaut, das wir heute vorfinden und das eine in Deutschland einzigartige Aura ausstrahlt. Das ist das, was mich reizt, gerade von diesem Ort aus zu arbeiten. Von hier aus Signale zu senden. Das Museum Fridericianum ist kein Ort für Repräsentation, sondern ausschließlich für Präsentation. So kann es nicht nur Zufall sein, daß eine der zentralen Arbeiten der "Echolot"-Ausstellung, die der türkischen Künstlerin Gülsün Karamustafa, "Presentation of an Early Representation" betitelt ist.

"Echolot oder 9 Fragen an die Peripherie" - Ghada Amer, Ayse Erkmen, Fariba Hajamadi, Mona Hatoum, Gülsün Karamustafa, Kim Soo-Ja, Tracey Moffat, Shirin Neshat, Qin Yufen. Kassel, Museum Fridericianum, noch bis zum 7. Juni