Kein Gewinn aus Zahngold

Der Zwischenbericht der Bergier-Kommission zum Schweizer Handel mit Raubgold ist freundlich ausgefallen

Hat das denn nie ein Ende? Was wird uns das schon wieder kosten? "Hat Bergier Folgen?" (NZZ) Die Schweizer Reaktionen auf den Anfang vergangener Woche vorgelegten Bericht einer unabhängigen Expertenkommission über die Goldgeschäfte des Alpenstaates zwischen 1939 und 1945 mit der deutschen Reichsbank lesen sich wie "Ach" und "Weh" und "O je, o je".

Und das, obwohl der Zwischenbericht der Kommission "Schweiz - Zweiter Weltkrieg" unter der Leitung des Schweizer Wirtschaftshistorikers Fran ç ois Bergier über den Goldhandel der Schweizerischen Nationalbank (SNB) sowie schweizerischer Geschäftsbanken und Versicherungen alles andere als scharf formuliert ist. Inhaltliche Überraschungen in dem seit Anfang April erwarteten Bericht blieben ohnehin weitgehend aus.

Nüchtern zog die Bergier-Kommission in ihrem Zwischenbericht - ein Abschlußbericht ist für das Jahr 2001 vorgesehen - Bilanz: Gold im damaligen Wert von 1,6 bis 1,7 Milliarden Schweizer Franken sei von der SNB zwischen 1939 und 1945 aus Deutschland bezogen worden. Davon seien drei Viertel von der SNB direkt gekauft worden, "der Rest ging an Depots, die andere Zentralbanken und die BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich; M.S.) bei der SNB unterhielten." Auch von den Alliierten bezog die Nationalbank im gleichen Zeitraum Gold; allein die USA lieferten Barren im Wert von 2,2 Milliarden Franken.

Doch während das Gold der Alliierten aus deren Reserven stammte, mußte den Schweizer Bankern klar sein, daß Deutschland über eigene Goldreserven in dieser Höhe nicht verfügte. Im Bergier-Bericht wird der Wert der deutschen Reserven vor Kriegsbeginn auf 257 Millionen US-Dollar (rund 1,1 Milliarden Franken) geschätzt; die Bestände der freiwillig übergebenen österreichischen und der geplünderten tschechischen Nationalbank schon eingeschlossen. Der Rest wurde aus den Nationalbanken überfallener Staaten abgezweigt ("monetäres Gold") oder Privatpersonen, in der Mehrzahl Juden, in allen unter der Herrschaft Deutschlands stehenden Ländern geraubt ("nicht monetäres Gold") - in Form von Münzen, Barren, Schmuck und Zahngold. Im Bericht wird dazu festgestellt, daß drei Barren, die ausschließlich Gold aus dem Besitz verfolgter oder ermordeter Juden enthielten, an die SNB geliefert worden seien. Weitere neun Barren seien zuvor in Deutschland zusammen mit Gold anderer Herkunft umgeschmolzen worden.

"Die Direktion der SNB hat zwar Ende 1943 über die Konfiskation von Gold deportierter Juden diskutiert, doch gibt es keine Hinweise, daß die Entscheidungsträger des schweizerischen Noteninstituts Kenntnis davon hatten, daß Barren mit solchem Gold von der Reichsbank geliefert wurden", heißt es zum nicht-monetären Gold verharmlosend im Bergier-Bericht. Aber warum sonst, wenn nicht wegen der Möglichkeit, auch mit dem Opfergold gute Geschäfte zu machen, sollten die Schweizer Politiker und Banker diskutiert haben, was da auf ihre Tresore zukommt? Schon Mitte 1941 wußte die SNB, daß Deutschland über große Mengen an monetärem Raubgold verfügte - dennoch unternahm sie nichts anderes, als sich bei Emil Puhl, Vizepräsident der Reichsbank, mündliche Garantien einzuholen, wonach die deutschen Goldlieferungen "einwandfrei" seien. Zwar zweifelte man in Zürich und Bern an dem monetären Deutschtumsnachweis, und überlegte 1942 gar, die aus Deutschland kommenden Barren umzuschmelzen, doch blieben weitere Überprüfungen aus.

Auch die im Bericht unternommene Bewertung der Motive von Schweizer Bundesratspolitikern und Nationalbankern verwundert: Zwar wird die stereotyp heruntergespulte Behauptung, durch den Goldhandel habe die Schweiz eine deutsche Invasion verhindert, als "ein ex post vorgebrachtes Argument für die Rechtfertigung der praktizierten Goldpolitik" gekennzeichnet, doch dabei bleibt es.

"Das Gewinnmotiv kann nicht als handlungsleitender Beweggrund für die Goldübernahmen der SNB aus Deutschland angesehen werden", analysieren die insgesamt neun Kommissionsmitglieder, von denen fünf aus der Schweiz kommen. Und weiter: "Wichtiger war dem Direktorium die Möglichkeit, (die) Münzabgabe (als) währungspolitisches Instrument um sich Liquidität abzuschöpfen und den Symptomen der Inflation entgegenzutreten". In der Tat wurden erhebliche Mengen des von der SNB erworbenen Goldes nicht deshalb weiterverkauft, um sich daran persönlich oder institutionell zu bereicheren, sondern um die Schweiz zu dem zu machen, was sie bis heute ist: zum größten, stabilsten und effizientesten Finanzplatz der Welt. Daß es gleichzeitg "das Direktorium begrüßte, die fremden Goldstücke an den Markt weitergeben zu können, um sich auf diese Weise rasch von den fragwürdigen Beständen zu trennen", wie es im Bericht heißt, war nur ein Extra-Zückerchen.

Die Rolle von Schweizer Geschäftsbanken und Versicherungen findet ebenfalls Erwähnung. Hatten die Geschäftsbanken beim Goldhandel bis 1942 noch mitzureden, mußten sie nach dem Beschluß des Schweizer Bundesrates, die Goldgeschäfte bei der SNB zu zentralisieren, alle Goldtransfers ihren ausländischen Filialen überlassen. Schweizer Versicherungen kurbelten den Goldhandel mit Deutschland selbst dann noch an, als klar wurde, daß die Alliierten den Krieg gewinnen würden: "Die betroffenen Gesellschaften (versuchten) in separaten Verhandlungen zu retten, was noch zu retten war, und zugleich eine möglichst günstige Ausgangsposition für die Nachkriegszeit zu schaffen. Damit das Dritte Reich seine aufgelaufenen Verpflichtungen (...) vertragsgemäß erfüllen konnte, waren sie zur Annahme von Gold und zur Umgehung bindender staatsvertraglicher Vereinbarungen bereit", heißt es dazu im Bergier-Bericht.

Doch der Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV), Riccardo Jagmetti, mochte selbst diese deutliche Kritik anders interpretieren. Zwar sei die damalige Interessenwahrung der Versicherungen "hinsichtlich der politischen Wertung nicht immer nachvollziehbar", erklärte er der NZZ, doch werde auch klar, "welch untergeordnete Bedeutung den Assekuranzen" zukomme. Jagmetti gab somit den Ton vor, in den umgehend Sprecher der SNB, einiger Privatbanken und aller größeren Parteien in der Schweiz einstimmten. In "Gelassenheit" habe man den Bericht, der "wenig Überraschendes" enthalte, zur Kenntnis genommen, hieß es auch von seiten des Bundesrates.

Aber die Gelassenheit ist nur gespielt. Alle Parteien der liberal-konservativen Regierungskoalition sehen - ohne danach gefragt worden zu sein - "keinen Grund für neue Forderungen" aus den USA oder für "eine Neuverhandlung des Washingtoner Abkommens von 1946", die von Vertretern des Jüdischen Weltkongresses (WJC) seit Jahren gefordert wird. Die Schweiz war damals mit der Zahlung eines Bruchteils der geschätzten Gewinne aus dem Raubgoldhandel davongekommen. Auch die NZZ wiegelte ab - und befürchtete zugleich "Auswirkungen (...) auf die Bereitschaft der Großbanken, die Sammelklagen in den USA durch einen Vergleich zu beseitigen". In Anspielung auf das von den Großbanken und der Schweizer Regierung angestrebte "Globalabkommen" heißt es weiter: "Gold ist in diesem Kontext zwar das Symbol für das Leid der Opfer, es ist aber kein Symbol mehr für Ablaßzahlungen in Höhe von Hunderten von Millionen Franken".

Zwischen 600 und 800 Millionen Franken - also nur ein Bruchteil der von Opfern der Shoah, vom WJC und anderen Organisationen geforderten Summe - sollen beim Abschluß des "Globalabkommens" für einen Fonds zur Verfügung gestellt werden, sofern alle Ansprüche von Juden und jüdischen Organisationen damit für die Zukunft ausgeschlossen würden.

"Unser Bericht ist keine Anklageschrift", heißt es am Ende des Zwischenberichts. Schade.