Sonntags nie

Sollen wir 1848 feiern? Vielleicht im Jahr 2048?

Man muß die Feste feiern, wie sie fallen! - sagen sich die schwäbelnden, aber trotzdem freundlichen Eingeborenen im Südwesten unserer Republik. Anstatt wie gewöhnlich die jährliche Weinkönigin oder den jährlichen Schützenkönig (ich glaube, es gibt davon nur männliche Exemplare) zu küren, feiern sie heuer eine Revolution, die vor 150 Jahren stattgefunden haben soll. Dies ist nun wirklich ungewöhnlich.

Und sie feiern geradezu flächendeckend. Überall veranstalten die Württemberger und Badener kleine und größere Revolutionsfeiern mit Bier und Brezeln, Spätzle und Wein. Dazu gibt

es dann allerlei Revolutionskitsch zu kaufen. Am häufigsten im Angebot ist Friedrich Hecker, der tatsächlich so aussah, wie man sich den Räuber Hotzenplotz im Kindertheater vorstellt. Von und mit Hecker gibt es Hüte und Pfeifen, Krüge und Kappen und vieles mehr. Daß Guildo Horn das Hecker-Lied noch nicht in sein Repertoire genommen hat, ist wirklich ein Wunder oder ein Fehler des Managements.

Von Hecker und Horn zu den Historikern. Sie waren besonders fleißig. Dutzende von Büchern sind auf den Mark geworfen geworden. Und selbst in schwäbischen Metropolen wie Asperg, Bruchsal, Buchen (wo liegt das denn?) und Freiburg werden historische Ausstellungen veranstaltet, die so wunderschöne Titel tragen wie "Auf den Bergen wohnt die Freiheit" (Asperg) oder "Heute ist Freiheit!" (Buchen) oder etwas doppeldeutig: "1848/49 - Revolution und Zuchthaus in Bruchsal" (feiern die die Revolution oder das Zuchthaus oder gar beides?). Um all die vielen historischen Ausstellungen veranstalten zu können, müssen Scharen von arbeitslosen Historikern rekrutiert worden sein. Die Revolution als ABM-Projekt - das hat was. Dagegen ist Hegels "List der Geschichte" und Marx' "Geschichte als Farce" ein Furz. Ohne Zweifel: Baden-Württemberg ist revolutionäre Spitze. Auch Klio schwäbelt.

Dagegen fällt der Rest der Republik wirklich ab. Immerhin wollen die nicht-schwäbelnden, sondern "babbelnden" Frankfurter nicht nur das obligatorische "Revolutionsfest", sondern auch noch einen "Freiheitsstaffellauf aus den Landeshauptstädten zur Paulskirche" veranstalten. Doch wer immer bei diesen "Freiheitsstaffellauf" siegen wird (und vielleicht als Ehrenpreis die originale und nicht um einige Grundrechte gekürzte Fassung des Grundgesetz bekommt), er kommt zu spät und wird zwar nicht vom Leben, wohl aber von der Geschichte bestraft. Denn all diese schönen "Revolutionsfeste" finden statt, wenn die Revolution selber schon lange vorbei ist, nämlich im Mai.

Als offizielles Datum hat man sich den 18. Mai ausgeguckt, weil an diesem Tag das Frankfurter Paulskirchenparlament zusammentrat. Sie wird immer als "erste deutsche Nationalversammlung" bezeichnet, was jedoch historisch falsch ist. Das erste "faktische Nationalparlament" (Veit Valentin) war das Parlament, das schon am 31. März ebenfalls in Frankfurt zusammentrat, sich aber schon am 3. April auflöste, weil es sich selbst nicht für legal hielt. Dies ist kein Aprilscherz! In Deutschland müssen eben Revolutionen notariell beglaubigt und ins Vereinsregister eingetragen sein.

So jedenfalls dachten unsere legalen Revolutionäre, als sie den von Gustav Struve und Friedrich "Hotzenplotz" Hecker eingebrachten Antrag, in Permanenz zu tagen, ablehnten. Damit machten sie aus dem "faktischen Nationalparlament" ein bloßes "Vorparlament", das zudem noch auf jegliche Machtausübung im außen- und innenpolitischen Bereich verzichtete.

Anstatt den absolut notwendigen revolutionären Krieg gegen das autokratische Rußland zur Befreiung Polen auszurufen, begnügten sich die Vorparlamentarier mit dem Statement, daß Polen wiederherzustellen sei. Schließlich gebe es, wie der liberale Abgeordnete und kurhessische Märzminister Karl Wippermann sagte, "zumindest im südlichen Deutschland keinen einzigen Gegner von Polen, aber unendlich viele eifrige Freunde derselben".

Drei Monate später wurden aus diesen "Freunden" erbitterte Feinde Polens, weil sich die überwältigende Mehrheit des Paulskirchenparlaments (darunter auch Wippermann) gegen die Wiederherstellung Polens in den Grenzen von 1772 aussprach. Begründet wurde dies mit antipolnischen Schlagworten wie dem von der "polnischen Wirtschaft" und deutsch-nationalistischen Bekenntnissen zu einem "gesunden Volksegoismus".

Dieser totale Sieg des deutschen Nationalismus über die Revolution deutete sich aber ebenfalls schon im "Vorparlament" an. Gustav Struves Antrag, ein "Volksheer" aufzustellen, das Berufsbeamtentum abzuschaffen, Staat und Kirche zu trennen und den Arbeitern einen "Anteil am Arbeitsgewinn" zu gewähren, wurde niedergeschmettert. Statt dessen diskutierte man über das traurige Los der teutschen Brüder und Schwestern in Posen und dem damals russischen Baltikum, wo sie jeweils zur Minderheit gehörten. Daher sollten sie samt ihren Siedlungsgebieten möglichst schnell "heim ins Reich", das sich auf diese Weise ganz schön ausdehnen sollte.

Robert Blum faßte sich wegen dieses nationalistischen Geschwätzes an den Kopf und ermahnte seine Kollegen, endlich "unser eigenes Fundament" zu legen, d.h. endlich mit der richtigen Revolution zu beginnen, anstatt sich "mit anderen Nationen in Krieg und Zwiespalt zu verwickeln".

Nein, Anlaß, diese "Aprilrevolution" (Veit Valentin) zu feiern, besteht wirklich nicht. Und wer von den ebenso realitätsblinden wie nationalistischen Reden der Vorparlamentarier nicht genug hat, der sollte sich mal mit dem chauvinistischen Geschrei beschäftigen, in das die Paulskirchenparlamentarier während der schon erwähnten Polendebatte Ende Juli 1848 verfielen. Der deutschtümelnde Nationalismus, den unsere gar nicht lieben Revolutionäre von den Ideologen der deutschen Blutsnation, Fichte, Arndt und Jahn, übernahmen, hat sich dann auch die Abfassung der Grundrechte ausgewirkt, denn diese sollten ausdrücklich nur "den Deutschen" zustehen. Dies sollte man bedenken, wenn das offizielle Noch-Bonn die Verkündung der "Grundrechte des deutschen Volkes" feiern will, die am 27. Dezember 1848 beschlossen wurden.

Gibt es denn gar nichts zu feiern? Schließlich hatten wir ja immerhin die Märzrevolution in Berlin. Dabei handelte es sich jedoch um eine nicht gewollte, sondern provozierte halbe Revolution. Provoziert wurde sie einmal durch die Borniertheit des dicken Königs Friedrich Wilhelm IV. und seiner stockpreußischen Beamten, die es erst am 18.März für nötig hielten, auf die sehr zurückhaltend formulierte Adresse zu antworten, die eine Volksversammlung schon am 7. März "unter den Zelten" im Tiergarten beschlossen hatte.

Provoziert wurde die Revolution zweitens durch die Brutalität des preußischen Militärs. Dies haben die Kavalleristen nicht erst am 18., sondern bereits am 15. März bewiesen, als eine völlig friedliche Volksversammlung mit dem blanken Säbel aufgelöst wurde. Dies wäre auch am 18. März gelungen, wenn nicht die berühmten zwei Schüsse gefallen wären, die die gemütlichen Berliner in Wut brachten. Jetzt ging es wirklich los: Etwa 10 000 Berliner bauten über 1 000 Barrikaden und verteidigten die weitaus meisten von ihnen erfolgreich, obwohl sie nur wenige Gewehre und nur zwei Kanonen besaßen, die mit Murmeln schossen und daher "Murmeltiere" genannt wurden.

Die Barrikadenkämpfe am 18. März wurden gewonnen. Auch der 19. März begann erfolgreich: Die Bürgerschützen besetzten das Schloß und das Zeughaus, wo sie sich aus den reichhaltigen Waffenvorräten bedienen konnten. Schließlich wurde der König gezwungen, vor den toten Barrikadenkämpfern seine Mütze abzunehmen. Doch warum nur die Mütze? Gab es keine Guillotine? Mußten die braven Berliner ausgerechnet "Jesus, meine Zuversicht" singen? Dazu muß man wissen, daß der 19. März 1848 ein Sonntag war, und an einem Sonntag macht man in einem protestantischen Obrigkeitsstaat eben keine Revolution.

Doch dies hätte man am nächsten Tag nachholen können. Teilweise hat man es auch getan. Der 20. März begann mit der Befreiung der politischen Gefangenen aus der preußischen Bastille - dem Gefängnis in Moabit. Unter ihnen befand sich der Führer des polnischen Aufstandes von 1846, Ludwig Mieroslawski. Der war ein richtiger Revolutionär und sagte auch den Berlinern, was richtige Revolutionäre in dieser Situation getan hätten, nämlich Polen befreien und aus der halben nationalen eine ganze internationale Revolution werden zu lassen. Doch statt dessen ließ man sich von dem nationalistischen Gefasel des Königs besoffen machen, der am 21. März unter dem Jubel der Berliner versprach, daß "Preußen fortan in Deutschland" aufgehen werde. Damit war die Märzrevolution zu Ende. Sie blieb eine halbe Revolution, die durch die Droge Nationalismus eingeschläfert wurde, lange bevor ihr von den Gegen-Demokraten-helfen-nur-Soldaten, die unter dem Befehl General v. Wrangels am 10. November 1848 in Berlin einrückten, der Fangschuß gegeben wurde.

Nach unbestätigten Gerüchten wird das offizielle Berlin auf Vorschlag des Innensenators und Ex-Generals Jörg Schönbohm den 10. November ganz groß feiern. Für dieses Gerücht spricht die Tatsache, daß die halbe Märzrevolution überhaupt nicht gefeiert wurde. Weder Kohl noch Herzog haben sich in Berlin blicken lassen. Immerhin fanden sich die Ministerpräsidenten der Länder bereit, den Gräbern der Märzgefallenen einen kurzen Besuch abzustatten, nachdem sie vorher den freien Fernsehempfang von Fußballspielen wacker verteidigt hatten.

Von unserem Senat, den es nach Hörensagen tatsächlich geben soll, fehlte jede Spur. Vielleicht hat die immer so verkniffen blickende Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing die Feier zur Märzrevolution aus finanziellen Gründen gestrichen. Vielleicht hat ja auch Landowsky gemeint, es sei besser, einige Stadtviertel in die Luft zu sprengen, um die Vermehrung der Ratten und den Ausbruch von sozialen Unruhen zu verhindern. Auf jeden Fall müssen die Berliner auf die nächste Revolutionsfeier warten. Sie könnte im Jahr 2048 stattfinden. Dann sollten wir aber wirklich feiern.