Pipilotti Rist Videokünstlerin

Ich freue mich, daß ich eine Frau bin

Pipilotti Rist, 35, wurde mit Video-Filmen wie "I'm Not The Girl Who Misses Much" (1986), "Pickelporno" (1992) und "Blutclip" (1993) international bekannt. Vor ihrem steilen Aufstieg in der Kunstszene arbeitete sie als Bühnenbildnerin für Musik-Bands, was die "Clip"-Ästhetik ihrer Videos entscheidend prägte. Sie ist Produzentin, Regisseurin, Kamerafrau und Hauptdarstellerin in einem. Die meist nur wenige Minuten dauernden Videos erkunden das Verhältnis zwischen Bild und Text, Anarchie und Ordnung, Erotik und Technik. Obwohl Rist das Etikett zurückweist, als "feministische Künstlerin" die sexuellen Phantasien von Frauen zu dekonstruieren, gilt sie in ihrer Heimat Schweiz als Girlie-ldol. Die Omnipräsenz in den Medien - zuletzt große Features zeitgleich in Vogue und Emma - steht im Widerspruch zu den realen Produktions- und Einkommensverhältnissen. Rist, DAAD-Gast des Berliner Künstlerprogramms 1996/97, über ihren Erfolg: "Niemand zahlt mir meine Produktionen." Bis zum 1. Juni zeigt das Berliner Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof ihre Ausstellung "Remake of the Weekend". Zur Ausstellung ist ein Katalog mit CD erschienen.

Ist Pipilotti dein bürgerlicher Name?

Nicht ganz. Ich werde schon immer so genannt.

Bis du als kleines Mädchen gehänselt worden?

Nein. Viele nannten mich Pipi, die anderen Lotti. Eigentlich heiße ich Charlotte.

Mal trägst du blonde, mal braune Haare. Was ist deine Naturfarbe?

Schweizer Kuh-Braun.

So wie jetzt?

Noch schlimmer, zwischen Grau und Braun, einfach nichts.

Wie oft färbst du dein Haar?

Seit ich mich erinnern kann. Ich habe mich jetzt für Braun entschieden, weil es bequemer ist. Niemand beachtet dich. Blondes Haar hat die Signalwirkung, daß man für Kommunikation bereit ist.

Kennst du Blondinenwitze?

Das sind meine Lieblingswitze.

Erzähl mal einen.

Mein Lieblingswitz: Zwei Blondinen wollen Schach spielen lernen und treffen sich zum ersten Turnier. Fragt die eine: Hast du die Regeln im Kopf? Antwort: Wieso, blute ich aus der Nase?

Hast du früher deine Haare deshalb blondiert, weil du auffallen wolltest?

Es war keine bewußte Aktion, aber jeder Künstler will sich mitteilen, im Rampenlicht stehen und hat deshalb eine kleine exibitionistische Motivation.

Meinst du? Deine Videos sind zwar sexuell aufgeladen, aber nicht exhibitionistisch oder voyeuristisch.

Super, aber man muß zwischen Biographie und Werk trennen. Wenn ich in meinen Videos spiele, dann nicht mich selbst, sondern eine Figur, einen Prototypen.

Stichwort Selbstinszenierung: Als Produzentin, Regisseurin und Hauptdarstellerin in einem bestimmst du allein die Grenzen des Privaten und Intimen, und was davon öffentlich werden soll. Du kannst dich so inszenieren, wie du von der Öffentlichkeit gesehen werden willst.

Für die Rezeption der Arbeit ist das nicht entscheidend. Ich will keinen Fetischismus betreiben mit dem Fakt, daß ich es selber bin, die in den Videos spielt. Natürlich ist meine Motivation persönlich. Ich arbeite aus einem biographischen Ansatz heraus, behandle Liebeskummer und andere Dinge, die mich beschäftigen. Ich will explizit nicht als Pipilotti wahrgenommen werden, sonst verlieren die Filme an Reiz. Als Person bin ich allenfalls insofern von Interesse, als da eine Frau von A bis Z alles alleine macht, den Ton, die Verkabelung, die Kamera, den Schnitt. Die Vorstellung der Arbeitsteilung sitzt noch sehr tief, trotz aller Veränderungen und Verbesserungen in diesem Jahrhundert. Das Geschlecht wird auf einmal so wichtig, und das gurkt mich an.

Unsere Fernsehkultur kommt ohne Starkult nicht aus. Ob Nachrichtensendung oder Fußballspiel, Ereignisse werden stets personalisiert.

Mit Fernsehen habe ich nichts zu tun, weil ich weder Einschaltquoten erfüllen noch etwas verkaufen muß.

Hinter deiner Selbstinszenierung steckt im Kern dennoch der Gedanke des Starkults, auch wenn er nicht in der Produktform eines Michael Jackson oder als Logo auftritt. Der Einsatz des Selbst zieht einen Personality-Appeal nach sich.

Meinst du, ich kann mich jetzt nicht in Unschuld baden? Jedesfalls steckt keine Strategie dahinter. Natürlich bin ich beeinflußt durch die Medienkultur. Jeder kann ein kleiner Star sein. In der Schweiz bin ich ein kleines Vorbild für die 16jährigen Mädchen. Das ist mir schon recht, denn sie haben das Gefühl, ich sei eine Frau, die macht, was sie will. Wenn ich ihnen die Hoffnung auf Selbstverwirklichung vermitteln kann, finde ich es super.

Geniekult auf schweizerisch?

Ich hasse Geniekult, ein bürgerlicher Scheißdreck. Wenn ich Vorbild für junge Mädchen bin, heißt das nicht, daß ich von Gottes Gnaden auserwählt bin. Es bedeutet eher, daß man sich nicht auf die Kappe scheißen lassen soll. Jetzt komme ich auf die Geschlechterdifferenz, was ich so hasse: Die Männer können viel stärker links und rechts vergessen und auf ein Ziel hinarbeiten. Das ist eine Fähigkeit, die ich bewundere. Frauen haben die Tendenz, ein liebes Mädchen zu sein, und sie können Widerstand schlecht aushalten. Ich muß stur sein, um meine Arbeiten fertigzukriegen, um keine Kompromisse zu machen und um nicht aus Bequemlichkeit aufzugeben. Diese Art Vorbild ist mir viel sympathischer als die Vorstellung, talentierter zu sein als alle anderen.

Du hast schon jede Menge Preise eingeheimst und bereits auf der Biennale von Sao Paulo und auf der Biennale Venedig ausgestellt. Kommt der Erfolg zu früh oder zu spät?

Peinliche Frage. Wenn du so fragst, komme ich in eine Rechtfertigungsrolle. Jahrelang hat sich keine Sau für mich interessiert, außer einem eingeschworenen Kreis von Experimentalfilmern. Was ist schon Erfolg, etwa daß ich beachtet werde und meine Projekte realisieren kann? Ich bin total verschuldet. Erfolg finde ich nur deshalb spannend, weil er die Produktionsbedingungen verbessert. Ich hatte mich nicht explizit dafür entschieden, Bildende Kunst zu machen. Angefangen habe ich mit Trickfilmen und Kulissen für Musikbands. Video war im Gegensatz zu Film optimal, weil ich die Bearbeitung in eigenen Händen behalten konnte. Bei meinem ersten öffentlichen Auftritt auf einem Film-Festival sagten Leute, das gehört in die Kunst. Sie luden mich zu einer Museumsausstellung über Jugend im 20. Jahrhundert ein. Es ist ein Zufall, daß Video zur Bildenden Kunst gerechnet wird. Es hätte sich auch zur Unterabteilung von Film entwickeln können. Kunst bietet geschützte Räume und ist nicht publikumsabhängig. Beim Film ist die Akzeptanz eine pseudodemokratische.

Ist das nicht ein Widerspruch, mit einem Massenmedium nur eine Minderheit zu erreichen?

Video ist eine Schnittstelle zwischen beiden. Das sogenannte Volk ist durch das Fernsehen visuell hochgradig gebildet. Die Bildung kommt ins Haus. Heutzutage weiß jedes Kind, was eine Rückblende oder eine Slowmotion ist. Darum haben auch Leute ohne Kenntnisse der Kunstgeschichte eine Chance, Zugang zu Video-Kunst zu finden.

Kann man handwerkliche Kenntnisse wirklich Bildung nennen?

Was die Bildsprache angeht, ja. Mit Bewegungen, Blicken, Umschnitten kann in zehn Sekunden etwas erklärt werden, wofür man mit Sprache drei Seiten brauchen würde. Du mußt 30 Berufe in einem zusammenführen, mit Licht, Psychologie, Bewegung, Tempo etc. arbeiten.

In der Kunst tummeln sich viele Autodidakten und Hochstapler. Könnte man auch in anderen Berufen vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen?

Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit setzen sich durch. Reduktion ist erstrebenswert. Mit der Zeit zeigt sich, wer ein Hohlkopf ist und wer gekämpft hat. Umgekehrt stimmt es aber auch nicht immer, daß sich alle Guten durchgesetzt haben.

Überfällt dich manchmal die Paranoia, bald weg vom Fenster zu sein?

Nebenerscheinungen wie Erfolg und Erwartungsdruck finde ich nicht spannend. Mich interessieren menschliche Grundkonflikte: das Geborenwerden, das Älterwerden, das Sterben, Liebeskummer, Sexualität, Themen von allgemeiner Bedeutung. Jetzt kommen Probleme auf mich zu, die ich explizit nicht in meiner Arbeit thematisieren will.

Welche Probleme?

Daß ich kämpfen muß, nicht korrumpiert zu werden, daß ich nicht anfange, nach einem Rezept zu arbeiten. Diese Probleme sind nicht von allgemeinem Interesse und haben in einem Interview eigentlich nichts zu suchen, damit muß ich alleine fertig werden.

Wenn der Markt an dir zerrt, hast du immer die Möglichkeit, dich zurückzuziehen, Ausstellungen abzusagen etc.

Wenn mich diese Dinge nicht beschäftigen würden, wäre ich ein cooler Hund, ein Arschloch. Wenn mich Künstler nicht mehr grüßen, belastet es mich schon. Es ist hart, keine Beachtung zu finden. Dann kommt die Eifersucht.

Das ist doch harmlos. Schlimm wird es, wenn die angeheizte Nachfrage beispielsweise zu einer Überproduktion führt.

Das mache ich nicht. Meine Assistentin macht nichts anderes, als abzusagen. Die Kunstwelt beachtet mich zwar, aber niemand zahlt mir meine Produktionen. Ich bin total verschuldet. Irgendwelche Objekte zu produzieren, würde sich auf meine Arbeit auswirken. Das kann ich nicht akzeptieren. Also ziehe ich mich zurück, schreibe Drehbücher und versuche, die Produktion zu finanzieren. Ich will keinen Lehrstuhl, keine Nachfrage befriedigen und keine Auftragsfilme machen müssen.

Kritiker beischeinigen dir, mit Anleihen aus der Popkultur den Unterhaltungswert der Kunst gesteigert zu haben. Trägt Entertainment nicht zur Verflachung der Kunst bei, also eines gesellschaftlich tolerierten Bereichs, wo Radikalität ästhetisch ausgelebt werden soll?

So würde ich das nicht unterschreiben. Parallel zur Unterhaltung kann ich Inhalte vermitteln. Blut, in einem anderen Zusammenhang dargestellt und nicht immer nur in Verbindung mit Verletzung oder Tod, hat visuell eine tiefere Wirkung als 20 geschriebene Seiten darüber, daß Menstruation keine Unreinheit ist. Bilder prägen uns stärker als Worte. Das Klischee, Kunst sei für einfachere Menschen nicht verständlich, hat meistens mit dem Klassenkampf zwischen Wort und Bild zu tun. Wer sprachlich gebildet ist, gibt sich extrem Mühe, sich von visuell gebildeten Menschen abzugrenzen.

Stimmt es wirklich, daß du das "Innenleben des Menschen visualisieren" willst, wie ein Kritiker schrieb? Was interessiert dich denn an Gefühlsschmalz und Kitsch?

Innenleben ist nicht Gefühlsschmalz. Man könnte sagen, daß jeder kulturelle Ausdruck das Innenleben visualisiert. Was passiert eigentlich, wenn man von jemandem berührt wird oder selbst berührt? Mich interessiert es brennend, wenn sich zwei Leute küssen und was sie dabei denken und fühlen. Ich mache nichts anderes als einen Vorschlag, um darüber zu kommunizieren.

Ist Video, dein bevorzugtes Medium, durch MTV ästhetisch nicht derart verstopft, daß man eigentlich gar keine eigene Bildsprache mehr entwickeln kann?

Gewisse Clips akzeptiere ich als Video-Kunst. Der Unterschied ist, daß man damit eine Platte oder ein Image verkaufen muß. Die kreativsten Leute werden heutzutage aufgesogen von der Werbung. Man kann es einem Experimentalfilmer nicht verübeln, das ist seine einzige Chance zu überleben.

Wenn ich zwei Stunden MTV gucke, kann ich diesen Unterschied gar nicht mehr konstruieren.

Um Streß abzubauen, sage ich mir: Formal wurde in diesem Jahrhundert schon alles durchprobiert und ausgelotet. Also muß ich inhaltlich arbeiten. Vom Groove, von der Message und der Kraftbeschwörung her haben wir noch ein riesiges Feld vor uns.

Du präsentierst die Videos in speziellen Settings. Warum diese aufwendigen Installationen, um die physische Präsenz der Betrachter zu betonen?

Die Leute reden plötzlich miteinander, auch wenn sie sich gar nicht kennen. Sobald der Körper weg ist, sind die Komplexe viel kleiner. Wenn die Leute in den Installationen herumgehen, ein Teil davon sind, zu sich kommen und ihre Energie nicht vom Wunderkasten abgesaugt wird, ist das eine wichtige Erfahrung.

Die Körperbezogenheit und die psychedelischen Farben in deinen Videos brachten dir das Etikett ein, feministisch und drogenabhängig zu sein. Was ist das, eine feministische Künstlerin?

Das gibt es nicht. Es gibt die Künstlerin, die auch Feministin ist. Ich würde mich als Feministin bezeichnen, aber der Fakt, daß ich weiß bin und in der Ersten Welt geboren wurde, ist eine genauso wichtige Komponente. Einem schwarzen Künstler sage ich ja auch nicht: Du bist ein schwarzer Künstler. Meine politische Gesinnung strömt vielleicht indirekt in die Arbeit ein, aber ich bin noch lange keine linke Künstlerin, nur weil ich links wähle.

Du glaubst also nicht, daß man Feminismus zum Gegenstand der Kunst machen kann? Wäre das dann schlechte Kunst?

Wenn meine Arbeit u.a. eine feministische Aussage hat, habe ich nichts dagegen. Das ist aber nicht mein Leitmotiv, das ich aufs Banner schreibe.

Welche feministische Botschaft hat deine Arbeit?

Beispielsweise, daß ich keine Angst vor Maschinen habe, daß ich Körperpräsenz von Frauen darstelle. Das ist aber kein politisches Pamphlet, es sind in der Arbeit spürbare Konnotationen.

"Ich wollte eigentlich nie ein Mädchen sein", hast du in einem Interview gesagt. Ist das deine Antriebsfeder als Künstlerin und Feministin, ein Mann sein zu wollen?

Nein, ich freue mich, daß ich eine Frau bin. Als Mädchen spürst du, daß die Jungs mehr Möglichkeiten haben. Aggressivität und Lebenslust wird bei Jungs unterstützt und bei Mädchen für peinlich befunden. Ich selbst war eher ein lautes Mädchen und das war dann in der Schule nicht schick.

Fällst du nicht eher in den Essentialismus zurück, statt die Geschlechter als soziale und politische Konstruktionen zu entlarven, wie es die "Gender Studies" tun?

Ich finde Geschlechterdifferenz supergut. Ich will nicht, daß sich die Geschlechter angleichen. Mich interessiert die ganze angewandte Frauenkultur, Schminken, Schmücken, Verhüllen. Diese Dinge sollten gefördert und weitergelebt, statt eliminiert zu werden. Feminismus ist für mich ein Kampf um gleiche Rechte und gleiche Löhne. Privat schaue ich, daß ich mit keinen Arschlöchern zusammen bin. Meine Freunde sind gute Leute. Meine Freundinnen sind keine Häschen. Wenn ein Arschloch in meine Ausstellung kommt, habe ich kein Sendungsbewußtsein, ihn zu bekehren.

Nimmst du Drogen?

Ich kiffe gern Gras, aber das ist schwierig, weil ich so oft über die Grenze muß. Drogen können aus dir nur hervorholen, was ohnehin schon da ist. Ich kenne keine Drogenerfahrung, die ich im nüchternen Zustand nicht auch kennen würde. Das Kiffen hat mit meiner Arbeit aber keinen größeren Zusammenhang als die Frage, ob ich Fleisch esse oder nicht.

Bist du Vegetarierin?
Nein.