Alarmstufe Hoechst

Drastische Verluste, flaue Aktien: Beim Ex-Branchenführer stimmt die Chemie nicht mehr. Der Plan, Euthanasie-Gift zu vertreiben, wurde aufgegeben

Es nennt sich Jahrespressekonferenz und ist das Posing der deutschen Chemieriesen. Wie jedes Jahr präsentierten sich Ende März wieder die drei Branchengiganten BASF, Bayer und Hoechst gut eingeölt der versammelten Presse und ließen die Muskeln spielen. Gäbe es den Titel "Mister Universum" im Bereich der Chemieindustrie, hätte ihn die BASF AG, Ludwigshafen, nach ihrer Selbstdarstellung bekommen müssen.

Einen Rekordgewinn von 3,2 Milliarden Mark vermeldeten die BASF-Manager für das vergangene Jahr. Der Umsatz kletterte um 15 Prozent auf 55 Milliarden Mark und damit in eine Höhenzone, die der Konkurrenz den Atem verschlägt. Der Konzern setzt dabei auf eine breite Produktpalette: Eine ähnlich drastische Schlankheitskur wie sie Hoechst mit der Abgabe der industriellen Chemie betreibe, komme ihm keineswegs in den Sinn, erklärte BASF-Chef Jürgen Strube. Auch die Bayer AG konnte 1997 im Vergleich zum Vorjahr zulegen - knappe drei Milliarden Mark Konzerngewinn, ein Plus von 250 Millionen beweisen einen stabilen Wachstumskurs. Seit 1993 war der Umsatz von 41 auf 55 Milliarden Mark angestiegen, für 1998 werden nun 57 Milliarden erwartet.

Angesichts dieser Zahlen nahm sich die Hoechst AG bei ihrer Darbietung wie die kleine, asthmatische Schwester der beiden anderen IG-Farben-Nachfolger aus: Für 1997 verbuchte der ehemalige Branchenführer einen drastischen Rückgang des Nettogewinns auf knapp 1,8 Milliarden Mark - gerade mal die Hälfte des BASF-Gewinns und 36 Prozent weniger als im Vorjahr. Zudem hatte Hoechst-Vorstandschef Jürgen Dormann bereits im Vorfeld der Veranstaltung angekündigt, daß der Umsatz des Konzerns im laufenden Jahr von 52 auf 40 Milliarden Mark sinken wird - und das, obwohl sich die Produktivität, gemessen an der Wertschöpfung je Mitarbeiter, seit 1993 um 40 Prozent verbessert hat.

Im Hause Hoechst kämpft man derzeit mit einer Krise, die sich aus dem neuen Konzerndesign ergeben hat. Mit dem Stichtag 1. Juli 1997 hatte Hoechst-Chef Dormann den Chemiemulti in seine Einzelteile zerpflückt. Aus dem bunten Gemischtwarenladen, der alles im Angebot führt, was nach Chemikalie riecht, soll ein moderner, hochprofitabler Life-Science-Konzern werden. So verwandelte sich beispielsweise der Bereich Tiergesundheit, seit Anfang der zwanziger Jahre Teil des Pharmageschäfts von Hoechst, in die Hoechst Roussel Vet GmbH, ein eigenständiges Unternehmen aus dem Stammbetrieb und dem französischen Pharmaunternehmen Roussel Uclaf, das im Frühjahr 1997 von Hoechst komplett aufgekauft wurde. Nun sollen auch noch die Reste der industriellen Chemie, die derzeit 40 Prozent des Jahresumsatzes ausmachen, abgestoßen werden.

Seit 1994, als der Volkswirt Dormann zum Hoechst-Chef aufstieg, dreht sich nun das Karussell von Käufen, Verkäufen, Allianzen und Ausgliederungen. Die Zerlegung des ganzen Konzerns in eine Reihe von Gesellschaften mit rechtlicher und, zumindest teilweise, unternehmerischer Selbständigkeit macht die Hoechst AG für die Anleger erheblich transparenter - darauf reagieren die Aktienmärkte normalerweise positiv. Was zunächst wie eine der branchenüblichen Schlankheitskuren klingt, erweist sich jedoch als radikaler Umbau des 135 Jahre alten Chemieriesen.

Ob diese Strategie, die Hoechst von Bayer und BASF unterscheidet, den erwarteten Schwung in die Anlagenmärkte bringen wird, erscheint momentan fraglich. Denn das Pharmageschäft, einer der verbleibenden Schwerpunkte, wo man auf milliardenschwere Innovationen setzt, bringt derzeit mehr Bewegung in den Konzern, als dem Vorstand lieb sein kann. "Momentan läuft es bei uns nicht so rund", bekennt Gerhard Waitz von der Hoechst Roussel Vet GmbH. Die Tochterfirma, zu 100 Prozent im Besitz von Hoechst, ist selbst ein gutes Beispiel dafür, daß der Multi in erster Linie mit hausgemachten Problemen zu kämpfen hat. 1988 hatte der Wiesbadener Betrieb, der Tierarzneimittel, Impfstoffe und Futterzusätze vertreibt, das veterinärmedizinische Institut der Michigan State University beauftragt, einen Giftcocktail zu mixen, mit dem Haus- und Nutztiere sanfter in das Jenseits befördert werden sollten. In den nächsten acht Jahren pumpte Hoechst Roussel Vet über 600 000 Mark in die Entwicklung dieser neuen tödlich wirkenden Salzlösung, der das Europäische Patentamt in München im April 1996 den Patentschutz erteilte.

Der Giftmix aus den US-amerikanischen Tierlabors war von seinen Erfindern allerdings bei der Anmeldung zur Patentierung auch für die Anwendung am Menschen in jenen Ländern ausgewiesen worden, in denen die Euthanasie erlaubt ist. "Da die Euthanasie in den Niederlanden offiziell toleriert wird, gab es keine rechtliche Möglichkeit, dieses Patent zu verweigern", verteidigt Pressesprecher Rainer Osterwalder die Entscheidung des Europäischen Patentamts. "Denn ein Patent ist ja nicht mit einer Betriebserlaubnis zu verwechseln. Die Verwendung des Präparats wird jeweils durch den nationalen Gesetzgeber bestimmt." Viel genützt hat die EU-Entscheidung der Hoechst-Tochter jedoch nicht. "Als die öffentliche Debatte um das Präparat im Dezember 1996 losbrach, hat sich die Hoechst Roussel Vet sofort aus der Geschichte ausgeklinkt", sagt Waitz. "Die Firma sollte schließlich nicht in den Ruf kommen, Präparate zur Tötung von Menschen zu entwickeln."

Der Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe (CDU), der im Januar 1997 ein Einspruchsverfahren gegen das Euthanasie-Patent anstrengte, sieht das anders. "Obwohl die US-Universität bereits im Juli 1994 angekündigt hatte, das Patent auch bei Menschen anzuwenden, hat Hoechst weiterhin in das Projekt investiert. Es sieht ganz danach aus, als hätte die Konzernleitung erst auf Druck von außen reagiert", sagte er gegenüber der Jungle World. Hüppe wertet die Erteilung des Patents als einen "Verstoß gegen die guten Sitten und eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung". Die von dem Parlamentarier hinzugezogene Kanzlei Breymann & Breymann verweist insbesondere auf die Europäische Menschenrechtskonvention, die den Schutz des menschlichen Lebens festschreibt. Es sei der staatlichen Gewalt verboten, sagt Nassim Kiani, Mitarbeiterin der Mönchengladbacher Patentspezialisten, "eine gegen das menschliche Leben gerichtete Gefahrenlage" herbeizuführen. "Mit einem solchen Patent gibt aber der Staat ausdrücklich eine Belohnung für die Herstellung eines Stoffes, der der Tötung von Menschen dienen soll."

Im Oktober 1997 hat die US-Universität als Patentinhaberin ihre Erwiderung auf den Einspruch vorgelegt. Interessant sei, meint Hüppe, "daß die Gegenseite überhaupt nicht bestreitet, daß ihr Patent auch die Anwendung der Giftmischung an Menschen umfaßt". Diese Gefahr verkauft die Universität allerdings als besonders raffinierten Schutz menschlichen Lebens. Sie wolle, heißt es in dem Papier, die Lizenzen ausschließlich für die Anwendung an Tieren zulassen. Die Aufrechterhaltung des Patents, die es der Universität erlaubt, die Erfindung 20 Jahre lang allein zu vermarkten, sei geradezu der Garant dafür, daß keine andere Firma das Giftpatent zur Tötung von Menschen einsetzt. "Das ist ungefähr so einsichtig, wie die Behauptung, um Menschenleben zu retten, müsse man sich eine Briefbombe patentieren lassen", meint Kiani. Eine mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts wird von den Anwälten für Herbst erwartet.

Wie immer der Streit ausgehen mag, die Politik von Hoechst Roussel Vet wird davon unberührt bleiben. Das Unternehmen hat seinen Plan, das neue Wundermittel auf dem internationalen Tierpharma-Markt einzuführen, im Juni 1997 aufgegeben. Wie die peinlichen Pannen bei der kleinen Tochterfirma zeigen, bringt die Strategie der Dezentralisierung bei Hoechst derzeit nicht die Umsätze, sondern vor allem die Anwälte auf Trab.