D’r Zoch kütt

Der Konsenskanzler

Schröder macht den Weg frei für Ahaus als Endloszwischenlager und Drehscheibe für die internationale Entsorgung des Atommülls

"Konsens" sucht Bundesumwelt- und Reaktorsicherheitsministerin Angela Merkel bei Gerhard Schröder. Konsens sucht auch die Konzernriege um Werner Hlubek, den Vorstandsvorsitzenden des größten und weitreichend mit der nordrhein-westfälischen SPD verfilzten Stromkonzerns der Bundesrepublik, RWE. Zu einem Konsens mit Schröder kommen wir - sagte im vergangenen Jahr Wilfried Steuer, Präsident des Deutschen Atomforums - aber nur, wenn er der Atomwirtschaft Handlungsfreiheit garantiert.

Noch ist nichts beschlossen, aber wie ein Konsens unter einem Kanzler Schröder aussehen wird, läßt sich schon jetzt sagen. In seinen Grundzügen entstand er, als Ministerpräsident Gerhard Schröder vor der letzten Bundestagswahl 1994 im Auftrag der SPD mit den Vorständen der Atomkonzerne RWE und VEBA über die nukleare Zukunft der Bundesrepublik verhandelte. Zwar verlor er damals sein Verhandlungsmandat, weil er zu offensichtlich gegen das SPD-Programm verstieß, spielte aber mit den Vertretern der Atomindustrie unabhängig von seiner Partei ein Szenario durch. "Es ist nur nicht alles an die Öffentlichkeit geraten, was da verhandelt wurde", erklärte seinerzeit ein Cheflobbyist der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), "geredet wurde über die Lebensdauer der Kernkraftwerke, über Fragen der Entsorgung und der Endlager." Ahaus spielt in diesem Szenario als zentrales Zwischenlager, dessen Bestandsdauer nicht begrenzt ist, eine Schlüsselrolle.

In dem jüngst an die Öffentlichkeit gelangten, von Schröder und Bundesumweltministerin Angela Merkel 1997 ausgehandelten "Entwurf eines Einigungspapiers zum Energiekonsens zwischen Bundesregierung und SPD" findet sich dieses Szenario wieder. Verabschiedet wurde das Konzept auch diesmal nicht, das SPD-Präsidium stellte sich quer. Als Kanzler wird Schröder diese Probleme nicht mehr haben.

Wie wenig ernst es der SPD mit ihrem Ausstiegsbeschluß ist, zeigte sich schon vor vier Jahren. Damals konnten die AKW-Betreiber den Entsorgungsnachweis für ihren Atommüll nicht mehr liefern - der RWE-Energie AG-Vorständler Kuhndt sprach von einer "desolaten Situation" -, und damit standen die Betriebsgenehmigungen für die bundesdeutschen Atomkraftwerke auf dem Spiel. Gleichzeitig brauchten die Genossen Johannes Rau und Oskar Lafontaine für ihre Wählerklientel - die "Kohlekumpel an Rhein und Saar" - Milliardensubventionen, die von der Kohl-Regierung nur unter einer Bedingung zu erhalten waren: Der SPD-Zustimmung zur Zwischenlagerung von Atommüll auf unbestimmte Zeit als ausreichendem Entsorgungsnachweis für die AKW-Betreiber. An diesen Deal knüpft sich bis heute der rechtlich gesicherte Weiterbetrieb bundesdeutscher Atomkraftwerke. Die Genossen stimmten 1994 für den Atom-Kohle-Deal, trotz des SPD-Parteibeschlusses aus dem Tschernobyl-Jahr 1986, der besagt: Atom-Ausstieg innerhalb von zehn Jahren nach einer Machtübernahme durch die SPD. Die niedersächsische SPD-Umweltministerin Monika Griefahn wetterte zwar "gegen die Erpressung durch die Bundesregierung", im Bundesrat votierte die SPD aber nicht gegen den Deal, sondern ließ mit dem Artikelgesetz sogar noch die Option auf zukünftige Reaktorgenerationen passieren. Die AKW-Betreiber waren zufrieden, ebenso Rau und Lafontaine, denn die Kohlesubventionen waren damit gesichert.

Als ruhiges Endloszwischenlager schien Ahaus für die Atomindustrie ideal. Mit starkem Widerstand der katholisch-konservativen Bevölkerung war nicht zu rechnen. Gorleben dagegen ist nicht mehr die Top-Option für eine Zwischenlagerung, nicht nur wegen der stärkeren Proteste vor Ort, sondern auch, weil sich die Konzern-Vorstände von RWE und VEBA aufgemacht hatten, mit Gerhard Schröder einen Atomkonsens zu verhandeln, der den langfristigen Betrieb der AKW auch nach einer Regierungsübernahme durch die SPD garantiert. Als Gegenleistung forderte Schröder Stillstand in Gorleben.

Und so werden sich die strahlenden Müllberge vorerst in Ahaus stapeln. Ein süddeutsches Zwischenlager ist noch nicht geplant, mit dem Baubeginn ist frühestens in zehn Jahren zu rechnen. Und ob in Gorleben neben dem bestehenden Zwischenlager tatsächlich ein Atommüllendlager entstehen wird, ist ebenfalls ungewiß. Nach den Vorstellungen von Merkel und Schröder sollte das in frühestens 30 Jahren entschieden werden. Auch "davon abgesehen, erfolgt die Wiederaufnahme der Arbeiten in Gorleben erst dann, wenn Bedarf für ein Endlager für hochaktive Abfälle am Standort Gorleben besteht, also nicht vor 2030". Und so vermutet die Greenpeace-Zentrale in Hamburg, CDU und SPD seien sich einig, "daß in Zukunft Ahaus das Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente aus süddeutschen Atomkraftwerken sein soll", dem anstehenden Transport aus Süddeutschland würden spätestens 1999 weitere folgen. Dabei interessiert die Atomindustrie weder, daß das Zwischenlager Ahaus ungeschützt im militärischen Tiefflugebiet liegt, noch zählten die elf Militärjets, die in den vergangenen Jahren im Umkreis von 50 Kilometern um das Zwischenlager abgestürzt sind.

Zwar ist momentan in Deutschland kein Endlager in Sicht, trotzdem denken auch die Konsenssucher über Ahaus als Endloszwischenlager hinaus. Das Stichwort heißt: internationale Lösung. Der verstorbene Ex-VEBA-Chef Klaus Piltz, Chefverhandler der letzten Konsensrunde von 1994 erklärte "internationale Entsorgung" zum Pfeiler seiner Atomstrategie. Atomwirtschaftler und

-wissenschaftler tüfteln auf internationaler Ebene seit 1995 nichtöffentlich bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien an einer Konvention über internationales Atommüllmanagement. 1997 zielte - angepaßt an diese Verhandlungen - das Einigungspapier zwischen Bundesregierung und SPD darauf, daß "parallel zur Fortsetzung aller notwendigen Maßnahmen für eine nationale Lösung auch internationalen Entwicklungen Rechnung getragen wird". Ausgerechnet im völkerrechtlich verbindlichen Energiecharta-Vertrag, der auf die Energiekooperation mit Osteuropa abzielt, wurde internationales Atommüllmanagement vom Beginn der Verhandlungen bis zu ihrem Abschluß unwidersprochen festgeschrieben. Rußland als wichtiger Vertragspartner steht kurz vor der Ratifizierung dieses Abkommens. Daß Schröder auf diese "Lösung des Atommüllproblems" abzielt, ist gewiß. Ahaus, Gorleben und das gerade eröffnete Zwischenlager Nord in Lubmin werden darum möglicherweise zu Drehscheiben für die internationale "Entsorgung" deutschen Atommülls.