Ab sofort wird um die Wette geputzt

2 000 Bremer Putzfrauen fürchten um ihren Arbeitsplatz. 12 000 Mark glaubt der Senat jährlich pro Stelle sparen zu können

Über dreckige Kaffeetassen im Lehrerzimmer und im ganzen Raum verteilte Stühle und verschobene Tische hat sich Elke H. besonders am Anfang immer wieder geärgert. Denn was für Schüler und Lehrer pure Nachlässigkeit ist, bedeutet für sie zusätzliche Arbeit, die sie erst erledigen muß, bevor sie mit der Tätigkeit anfangen kann, für die sie bezahlt wird: das Reinigen des gesamten Schulgebäudes. "Das verzögert das Tempo der gesamten Kolonne." Ganz abgesehen davon, daß es der eh schon angeknacksten Wirbelsäule der 31jährigen nicht bekommt, wenn sie noch 30 Viertklässlerstühle ˆ acht Kilo auf die Pulte wuchten muß. Immerhin gibt es inzwischen einen Aufzug für die schweren Reinigungsmaschinen sowie Wasseranschlüsse in jedem Stockwerk, so daß sie ihre Arbeitsgeräte nicht erst die Treppe hoch und runter schleppen muß.

Elke H. ist beim Bremerhavener Magistrat angestellt, eine von mehr als 2 000 Reinigungsfachkräften im Öffentlichen Dienst des Landes Bremen. Beinahe ausschließlich Frauen - Männer stellen gerade mal sechs Prozent im Bereich Innenreinigung und sitzen in der Regel auf Hausmeister- oder Handwerksstellen. Und wie alle muß die Bremerhavenerin jetzt um ihren Arbeitsplatz fürchten. Denn die Große Koalition in der Hansestadt setzt bei der geplanten Verwaltungsreform auf das im Herbst vorgelegte Gutachten der Unternehmensberatung McKinsey, eine "rein betriebswirtschaftliche Studie", wie die Autoren bei der Vorstellung betont hatten. Dennoch hat der Senat sie noch im vergangenen Jahr in eine Vorlage umgemünzt, die jetzt peu ˆ peu umgesetzt werden soll. Denn das kleine Land ist hochverschuldet: Fünf Milliarden Mark Schuldentilgung hatte der Haushaltsplan für das vergangene Jahr vorgesehen, tatsächlich gab es Einnahmeausfälle von 6,5 Milliarden.

Anfangen mit den Einsparungen wollen CDU und SPD in den schwächsten Bereichen - in der Kulturszene, die relativ klein und stark individualisiert ist, sowie beim Reinigungspersonal. Hier sind in erster Linie Frauen beschäftigt, die in der Regel kaum Kontakt zu anderen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes haben. "Wenn ich nachmittags oder am frühen Abend mit dem Putzen in der Schule anfange, ist doch vom Kollegium niemand mehr da", sagt Elke H.

22 bis 24 Millionen Mark sind nach Einschätzung der McKinsey-Studie jährlich zu sparen, wenn die komplette Reinigung an private Unternehmen ausgelagert wird. Nicht viel angesichts des Bremer Schuldenbergs - aber 12 000 Mark pro Arbeitsplatz.

"Wie soll das gehen?" fragen die Putzfrauen. Etwa "150 Quadratmeter naß" muß eine Reinigungsfachkraft wie Elke H. heute schon pro Stunde schaffen. Bei Teppichboden oder in Fluren verdoppelt, vervier- oder verfünffacht sich das Soll schnell - das gleiche gilt, wenn eine Kollegin ausgefallen ist. Denn Aushilfen gibt es seit dem Einstellungsstopp im Öffentlichen Dienst so gut wie nicht mehr. Und einen Gutteil zum Streß trägt auch die Arbeitsmoral der Frauen bei: "Es muß doch alles fertig werden", sagte Elke H. Am besten sei, die Auftraggeber "merken gar nicht, daß eine fehl.".

Dabei ist die Arbeit in den vergangenen Jahren schon anspruchsvoller und technisch komplizierter geworden - und manchmal auch einfach mehr: Daß "pädagogisch wertvolle" Kuschelecken mit Matratzen eingerichtet und die zuvor asphaltierten Schulhöfe entsiegelt und mit Pflastersteinen und Grünanlagen verschönert wurden, hat Konsequenzen, die in keiner Beurteilung der Lebensqualität der Schulen auftauchen: Sie sorgen für mehr Dreck und stellen höhere Anforderungen an die Hygiene. Dafür bekommt eine Fachkraft, die 25 Stunden in der Woche arbeitet, in Bremen 1 900 Mark brutto, netto bleiben 1 400. Und sie liegt damit gut im bundesweiten Vergleich. Die Einstufung in BAT zwei hat noch keine andere Stadt vollzogen. Kein Wunder, daß die Bremer Reinigungskräfte "noch ganz zufrieden" sind.

"Wir wissen, wie das aussehen wird, wenn ausgelagert wird", erklärt ÖTV-Sekretärin Karin Bober. Wenn der Senat die Privatisierung wie angekündigt durchzieht, müssen die Frauen mit ganz anderen Bedingungen zurechtkommen - spätestens im Jahr 2000. Denn dann läuft der im Jahr 1993 abgeschlossene Tarifvertrag aus, dem ÖTV und Gesamtpersonalrat damals nur, so Bober, "unter großen Bauchschmerzen" zugestimmt hatten: Er ermöglichte erstmals Privatisierungen. Allerdings nur von höchstens 40 Prozent der Flächen und unter der Bedingung, daß in den Magistrats- und Senatsgebäuden ausschließlich sozialversicherte Beschäftigte eingesetzt werden. "Das hat wohl viele abgeschreckt", meint Bober. Vermutlich deshalb würden bislang "erst 27 Prozent" privat gereinigt. So wäre die ÖTV "heute schon froh", wenn der Vertrag "einfach verlängert" würde.

Wie es in privaten Reinigungsdiensten aussieht, wissen viele aus eigener Erfahrung: Einen Betriebsrat leisten sich nur sechs bis sieben Prozent der Betriebe, beinahe 80 Prozent aller Kräfte sind geringfügig beschäftigt, also nicht sozialversichert. "Vermutlich gleichen die Firmen, die momentan gezwungen sind, ihre Frauen, die die Magistratsflächen reinigen, fest anzustellen, das dadurch aus, daß sie für andere Objekte nur 610-Mark-Stellen besetzen", befürchtet Bober. Die wenigsten Reinigungskräfte aber wollen tatsächlich nur hinzuverdienen - volkswirtschaftlich gesehen sorgen die Nichtversicherten für leere Sozialkassen und belasten später die Kommunen, weil sie wenig oder keine Rente bekommen und auf Sozialhilfe angewiesen sind. Auch die Arbeitsbedingungen sehen anders aus: An weniger als 200 Quadratmeter Putzleistung "Naß" ist gar nicht zu denken, grundsätzlich verlangen sie rund 20 Prozent mehr Leistung. "Das geht ziemlich schnell auf Kosten der Qualität", sagt Bober. "Passieren kann das nur, weil die Arbeit, die die Frauen hier verrichten, immer noch unterbewertet ist." Das zeigt sich nicht nur bei der Bezahlung, die in der Reinigungsindustrie durchschnittlich bei acht Mark Stundenlohn liegt. "Ausländische Frauen müssen sich oft mit noch weniger zufrieden geben". In den Kolonnen herrscht meist eine klare Hierarchie, die sich nicht nur in der Bezahlung, sondern auch in den Tätigkeitsfeldern ausdrückt. Ganz unten befinden sich schwarzafrikanische Frauen, darüber kommen türkische oder griechische, dann Polinnen und Aussiedlerinnen und ganz oben Deutsche oder Frauen aus anderen EU-Ländern. "Der Leistungsstreß bei privaten Reinigungsfirmen sorgt für echte Konkurrenz", berichtet auch Elke H. Von "Solidarität wie im Öffentlichen Dienst" sei da nicht die Rede.

"Das hat damit zu tun, daß Putzen immer stigmatisierend wirkt", erklärt Marianne Schauer, Betriebsärztin der Stadt Lübeck. Die Frauen wüßten oft gar nicht, was sie leisten. Reinigungsarbeit gelte als "Fortsetzung von dem bekannten bißchen Haushalt" - was nicht einmal bei privaten Firmen zutreffe, die meist ohne Fachkräfte auskommen. Entsprechend leicht nähmen viele Betriebe, Behörden und andere Dienstleister die Reinigung ihrer Arbeitsräume. Dabei rechnet sich das schon im eigenen Betrieb nicht: Sowohl gesundheitlich wie auch von der Arbeitsmoral aller Beschäftigten her, so Schauer, spiele Sauberkeit und Hygiene eine große Rolle.

An diesem Punkt wollen die Reinigungsfrauen im Öffentlichen Dienst Bremens nun ansetzen: "Wir wollen unsere Stärken herausstellen und sehen, wie wir uns der Konkurrenz der Privaten stellen können", sagt die Vorsitzender des Gesamtpersonalrats, Edelgard Bekker. Auch die ÖTV unterstützt die Putzkräfte bei der potentiellen eigenen Wegrationalisierung. "Wenn wir bis 2000 nicht mit einem eigenen konkurrenzfähigen Konzept aufwarten können, sind wir eben weg", befürchtet Bober. Und das habe dann wieder Auswirkungen auf die Reinigungsindustrie: "Wenn wir gar keinen Standard mehr vorgeben, rast der Lohn doch nur noch weiter runter."

Daß auch mit Einhaltung der Tarifbedingungen Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden kann, zeigen die Beispiele Zentralkrankenhaus Bremen-Ost und Krankenhaus Links der Weser: Hier sollte die Reinigung bereits 1995 privatisiert werden. Aber die Putzfrauen wollten nicht so einfach klein beigeben und machten schließlich das günstigere Angebot. Als erstes erstellten sie ein Kataster der tatsächlich zu leistenden Arbeiten und zwangen damit die private Konkurrenz in die Defensive. Die Privaten wollten nur die einfachen Bereiche, "in denen man auch mal pfuschen" könne, so Bober. "Und dann hätte es wieder geheißen, die Öffentlichen sind zu teuer."

Um den Auftrag wiederzubekommen, reichte das Argument allerdings nicht. Die Frauen mußten konkrete Zugeständnisse machen. Die Arbeit wurde neu aufgeteilt, "eine neue Wischtechnik" brachte mehr Leistung - und eine weitere Verdichtung der individuellen Arbeit.