Prima Klima für Multis

Deregulierung total: Mit dem Multilateralen Abkommen über Investitionen will die OECD eine weltweite Freihandelszone schaffen

Davon träumen multinationale Konzerne schon seit langem: Eine weltweite Freihandelszone von Feuerland bis nach Sibirien. Wenn es nach dem Willen der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) geht, könnte diese Vorstellung bald Wirklichkeit werden. Der Club der 29 reichsten Länder der Welt führt seit 1995 nicht-öffentliche Beratungen über ein multinationales Investitionsschutzabkommen durch und hat nun einen Vertragsentwurf entwickelt. Danach sollen sich die unterzeichnenden Länder verpflichten, ein möglichst günstiges Investitionsklima zu schaffen - und alle Hemmnisse des internationalen Kapitalflusses zu beseitigen. Die Verhandlungen sollen im Frühjahr 1998 in Paris abgeschlossen und anschließend von den Parlamenten ratifiziert werden.

Das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) strebt eine weltweite Vereinbarung an, um den Marktzugang weiter zu liberalisieren: Ausländische Investitionen sollen Priorität vor den jeweiligen nationalen Lohn- und Arbeitsschutzbestimmungen sowie Umweltgesetzen erhalten. Konzerne können demnach die Sozial- und Umweltstandards eines Staates mißachten - vorausgesetzt, sie weisen nach, daß andere Standorte dadurch unlautere Wettbewerbsvorteile bekämen. Selbst bereits beschlossene Gesetze könnten so umgangen werden.

Damit würden die staatlichen Möglichkeiten, Auflagen für ausländische Investoren wie Gewinnrückführung, Exportverpflichtungen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erlassen, drastisch eingeschränkt; auch Begrenzungen des internationalen Gewinntransfers (z.B. Besteuerung) sind nicht mehr erlaubt. Unternehmen wie Unilever, Hoechst, Shell, McDonald's oder Coca-Cola sollen in den Ländern des Südens ohne jegliche Auflagen investieren können. Die Multis haben dann zwar die gleichen Rechte (z.B. Subventionen, Steuervorteile) wie die inländischen Betriebe, jedoch nicht deren Verpflichtungen.

Transnationale Konzerne erhalten dadurch eine indirekte Rechtssouveränität und Einfluß auf die Investitionspolitik sowie die Gesetzgebung des Landes. Zudem dürfen strategische Industrien, etwa Energie- und Kommunikationsgesellschaften, wie auch alle anderen Staatsbetriebe, nicht mehr bevorzugt an einheimische Unternehmen veräußert werden. Staatsunternehmen sind nach gewinnmaximierenden Gesichtspunkten zu führen, Infrastrukturmaßnahmen und Industriegründungen ausschließlich dem Markt zu überlassen.

Kommt es trotz der Vereinbarungen zwischen Konzernen und Regierungen zum Konflikt, sieht das Abkommen ein verbindliches Schlichtungsverfahren vor. Bei formellen und materiellen Enteignungen ist volle Entschädigung zu leisten. Unternehmen, die sich wegen nationaler Vorschriften um Wettbewerbsvorteile gebracht sehen, können den Staat auf Schadensersatz verklagen. Beispielsweise hätten alle Unternehmer, die bei dem jüngsten Streik der Lkw-Fahrer in Frankreich finanzielle Verluste erlitten haben, die französische Regierung auf Entschädigung verklagen können.

Juristische Grundlage ist dabei nicht etwa die Gesetzgebung des jeweiligen Landes, sondern das MAI. Die unterzeichnenden Staaten sind verpflichtet, ihre Rechtsprechung dem Abkommen über "Roll-back-Klauseln" (Rücknahme bestehender Gesetze) und "Stand-still-Klauseln" (nur MAI-konforme Gesetze dürfen verabschiedet werden) anzupassen. Ein Schiedsgericht entscheidet bei Verletzungen der Vereinbarungen direkt und endgültig; für die Abschaffung bestehender Vorschriften, die dem Vertrag widersprechen, müssen die Staaten eine Frist bestimmen. Und: Das Abkommen ist erst nach fünf Jahren kündbar, es gilt für zunächst 20 Jahre - unabhängig von der politischen Entwicklung des unterzeichnenden Landes.

Die ursprüngliche Idee für ein weltweites Investitionsschutzabkommen stammte von der Europäischen Union. Das große Vorbild des Vertragswerks ist jedoch das Freihandelsabkommen Nafta zwischen Mexiko und den USA, dessen Inkrafttreten Anfang 1994 Anlaß für den Aufstand der Zapatistas in Chiapas war. Der Entwurf des MAI sieht allerdings einige verschärfte Bestimmungen im Vergleich zu dem Freihandelsvertrag vor.

Die Verhandlungen über das Abkommen wäre eigentlich eine Aufgabe der Welthandelsorganisation (WTO), in dem auch die Entwickungsländer Mitglied sind. Doch die USA befürchteten eine Verwässerung durch die Opposition dieser Länder und verlagerten deshalb kurzerhand die Verhandlung in die OECD. Die "Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft" schrieb dazu: "Eine Konsensfindung ist innerhalb dieser Staatengruppe wegen weniger abweichender Interessen leichter zu erlangen als in der WTO. Da die überwiegende Mehrheit aller Direktinvestitionen im OECD-Raum getätigt wird, ist das eigenständige Vorgehen der OECD verständlich."

Derzeit sind ausschließlich die 29 OECD-Staaten, die westlichen Industrieländer sowie Mexiko, die Tschechische Republik, Ungarn, Polen und Südkorea an den Verhandlungen beteiligt. Die Regelungen des MAI sollen später auch für die 130 Länder der Welthandelsorganisation gelten, ohne daß Nicht-OECD-Staaten an dem Vertragswerk noch etwas ändern können. Auch Länder, die bisher nicht Mitglied der WTO sind, wie z.B. China, Rußland oder afrikanische Staaten, sollen dem Abkommen beitreten. Diese Staaten sind auf ausländische Direktinvestitionen dringend angewiesen. Sie können daher die Unterzeichnung des Vertrages kaum verweigern, ohne das Ausbleiben von Investitionen befürchten zu müssen.

Die OECD-Staaten dürfen hingegen Ausnahmeregelungen zum Schutze ihrer Industrien geltend machen, z.B. für die Fischerei in westeuropäischen Ländern oder die französische Filmindustrie. Die Konflikte über diese Sonderegelungen haben dazu beigetragen, daß das Multilaterale Abkommen über Investitionen nicht bereits wie geplant bei der OECD-Ministerkonferenz im Mai 1997 verabschiedet werden konnte.

Das Investitionsabkommen stellt eine neue Dimension der multilateralen Verhandlungen im Rahmen der WTO und der Integrationsprozesse in den einzelnen Regionen (EU, Nafta, usw.) dar. Zwischen 1973 und 1995 haben sich die Direktinvestitionen weltweit von 25 Milliarden Dollar auf 315 Milliarden Dollar verzwölffacht, seit 1985 legen sie jährlich um fast 19 Prozent zu. Für die fortschreitende Kapitalisierung aller Lebensbereiche und die Privatisierung der öffentlichen Bereiche wie Bildung, Gesundheit usw. eröffnen sich durch den weiteren Abbau staatlicher Regulierungsmechanismen neue Möglichkeiten.

Dennoch wäre es unzutreffend, von einem Ende der Nationalstaaten zu sprechen. Sie bleiben nach wie vor wichtig zur Sicherung eines günstigen Investitionsklimas. Ihre Funktion verschiebt sich jedoch zunehmend, sie sind vor allem für die Repression zuständig - schließlich stellen Streiks und soziale Unruhen nach der Logik des Kapitals ein ungünstiges Investitionsklima dar.

Sollte das Abkommen Gültigkeit erhalten, werden selbst die bescheidenen Versuche, der ökologischen und ökonomischen Verwüstung Grenzen zu setzen, wie etwa auf dem Klimagipfel in Kyoto, wohl endgültig zur Makulatur.

Nichtregierungsorganisationen fordern daher die Aufnahme von Umwelt- und Sozialstandards in das Abkommen - mit derzeit zweifelhaften Aussichten auf Erfolg. So erklärte Abraham Katz, Präsident der US-Industrielobby USCIB, erklärte in einem Brief an hohe US-Beamte: "Wir werden uns gegen alle und jegliche Maßnahmen stellen, die verbindliche Umwelt- oder Arbeitsbestimmungen für Regierungen oder Konzerne schaffen oder auch nur andeuten."

Infos zum MAI beim Internationalismusreferat der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin, Tel. 030 / 20 93-26 03 oder -26 14, Fax 20 93-23 96 sowie beim Institut für Theorie und Praxis der Subsistenz, August-Bebel-Str. 16, 33602 Bielefeld