»Warum nicht Blitz-Blank-Buntentor?«

Nicht nur in Bremens SPD treibt der Mode gewordene Arbeitszwang für Stützebezieher skurrile Blüten

Nein, so nicht, das gilt nicht: Wieder einmal mußte die Pressestelle des Deutschen Gewerkschaftbundes (DGB) ihren Vorsitzenden zurückpfeifen. Und diesmal schob sie es auf die voreilige Presse: "Die Arbeit der Zuspitzung macht, wenn sie zu falschen Schlüssen und Mißverständnissen führt, leider manchmal zuviel Arbeit", schwadronierte Sprecher Hans-Jürgen Arlt Ende Dezember in einer eilends verschickten Pressemitteilung, die klar stellen sollte, was Dieter Schulte in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Capital nicht gefordert haben wollte: Arbeitspflicht für Sozialhilfebezieher. Tatsächlich hatte sich der DGB-Chef - bei aller Anbiederei an Wirtschaft und Politik, denen er im gleichen Gespräch wieder einmal beipflichtete, die Arbeitskosten am Standort Deutschland seien zu hoch - vorsichtiger ausgedrückt und lediglich von "Elementen zur Förderung von menschenwürdiger Arbeit von Sozialhilfeempfängern" gesprochen.

"Den Unterschied kenne ich", erklärt der seit zwei Jahren ohne Arbeit und auch ohne Arbeitslosenhilfe dastehenden Werner H. "Das ist wie bei uns in Bremen." Als die Bundesregierung Mitte 1996 mit dem "Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" verschärfte Kontrollen bei der Sozialhilfevergabe verabschiedete, hatte die SPD-Sozialsenatorin der Hansestadt, Christine Wischer, noch erklärt, sie werde "das so nicht mitmachen". Und den Sozialämtern anschließend eine Verhaltensanweisung erteilt, daß die "Sanktionen des Paragraphen 25", also die Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit samt 20prozentiger Kürzung der Sozialhilfe bei Ablehnung, "nur dann angewandt" werden sollten, wenn die Arbeitswilligkeit überprüft werden müsse.

Heute kann sich Werner H. wie jeder noch nicht 27jährige, der Stütze neu beantragt, auf sechs Monate dieser Prämienarbeit einstellen - oder muß von vornherein auf ein Fünftel des Geldes verzichten. Denn angesichts der angespannten Finanzlage Bremens hat Wischer - wie viele Kollegen in SPD und rot-grün-regierten-Kommunen - inzwischen jede Einschränkung der gesetzlichen Möglichkeiten zurückgenommen: "Wer sich nicht helfen lassen will, dem kann man auch nicht ewig hinterherlaufen." Aber wenigstens den 18- bis 26jährigen müsse man "gezielt eine Perspektive bieten".

Konkret sieht das so aus: Nach der erfolgreichen Absolvierung der Pflichtarbeiten winkt ein Einjahresvertrag in der Bremer Werkstatt, einem Konglomerat von Beschäftigungsförderbetrieben. Auch hier zahlt das Sozialamt weiter - 80 Prozent des Tariflohns. Danach muß der Sprung geschafft sein. Oder der Abstieg von der Arbeitslosenhilfe zur Stütze kann erneut beginnen, denn mit offiziellen 16,8 Prozent Arbeitslosigkeit erreicht Bremen im Westen Ostwerte.

Kleines Leckerchen: Um die zwangsweise Beschäftigung vom "Stigma der Minderwertigkeiten zu befreien", will Wischer das Angebot der bisher 300 Prämienjobs ausweiten. Was damit gemeint ist, macht der SPD Ortsverband Buntentor mit seiner neuesten Kampagne deutlich: "Warum eigentlich nicht immer öfter Straßen fegen und Grünanlagen und Spielplätze saubermachen? Warum eigentlich nicht die Stadt verschönern?" fragt er auf massenhaft verteilten Flugblättern. "Warum eigentlich nicht Blitz-Blank-Buntentor?" Besonderer Anreiz: Den Arbeitsverpflichteten wird "praktische, einheitliche Arbeitskleidung wie farbige Overalls" versprochen. "Kleidung, die auffällt." Und "jedem ein Schiebewagen".

"Das ist doch nicht ernst zu nehmen", erklärt Katja Barloschky vom Verband Bremer Beschäftigungsträger. Und Wischers Pläne? "Reiner Aktionismus, von dem niemand weiß, wie er finanziert werden soll." Bislang bietet die Bremer Werkstatt 1 000 vom Sozialamt bezahlten Plätze an - für Freiwillige. Und 4 000 Leute stehen auf der Warteliste. "Wozu muß man da noch mehr herbeizwingen und mit Sanktionen drohen? Um sie von vornherein abzuschrecken?"

Eine Antwort darauf hat die Sozialsenatorin nicht parat, die sich "weigert, dieses Programm als Sanktionsprogramm für Sozialhilfeempfänger zu definieren". Dieser Euphemismus wundert nicht: Mit dem Arbeitszwangslager Teufelsmoor hat die Hansestadt schon einmal Fürsorge-Geschichte geschrieben. In die geschlossene Anstalt wurden ab 1934 Frauen und Männer gebracht, deren "Verhalten offenbar erkennen läßt, daß Arbeitsscheue vorliegt, oder wenn der Unterstützte durch Verhetzung oder in anderer Weise dazu beigetragen hat, daß Arbeitswillige angebotene Arbeit nicht annehmen bzw. erhaltene Arbeit niederlegen, oder wenn derselbe durch eigenes Verschulden seine Arbeit verloren hat". Dauer des Aufenthalts, bei dem sie unter Anordnung von verringerter Verpflegung und gewalttätigem Brechen von Widerstand zu "anhaltender und fleißiger Arbeit" gezwungen waren: sechs Monate.

Statt dessen verweist Wischer auf das aktuelle Vorbild in Lübeck - das allerdings bereits im Oktober im Spiegel gefeiert wurde: Nicht weil es so vielen Sozialhilfebeziehern zu Arbeitsplätzen verholfen, sondern weil es nach kurzer Laufzeit bereits Millionen durch gekürzte oder gar nicht mehr beantragte Sozialhilfe eingespart haben soll.

Auch die "kleine Revolution", die Lutz Leisering und Petra Buhr, Sozialforscher an der Universität Bremen, bundesweit in den Sozialdezernaten erkennen wollen, entpuppt sich bestenfalls als Reformansatz: Die "Modernisierung der Öffentlichen Verwaltung", von der sie sich "endlich ein Ernstnehmen der Hilfe zur Selbsthilfe" versprechen, ist nichts weiter als die Umsetzung verordneter Sparzwänge. Auch wenn sich dabei im konkreten und idealen Fall durchaus hilfreiche Ausstiegsstrategien entwickeln könnten. Etwa wie in Hamburg, wo in einem Probelauf die niederländische Firma Maatwerk als private Vermittlungsfirma eingesetzt wird, die sich als "Dienstleister für Sozialhilfebezieher und potentiellem Arbeitgeber" versteht: Sie (zwangs-) berät Arbeitssuchende, qualifiziert sie, wenn nötig und gewünscht. Und sie sucht Unternehmer auf und akquiriert Stellen, "die sonst vielleicht gar nicht ausgeschrieben würden, weil das ganze Bewerbungsdrumherum zu viel Aufwand macht". Für erfolgreiche Vertragsabschlüsse kassiert sie 4 000 Mark vom Sozialamt, was dieses wiederum damit rechtfertigt, daß es durch die einmalige Zahlung womöglich einer jahrelangen finanziellen Verpflichtung entgeht. Ein Deal, der einige Fragen offen läßt, wenn er nicht als Einzelfall, sondern als sozial- oder arbeitsmarktpolitisches Instrument durchgehen soll: Wie kommt es, daß eine private Firma sogar Profit aus etwas schlagen kann, das der Staat für nicht einmal bezahlbar erklärt? Und wieso gehen die Aktivitäten vom Sozial- und nicht vom Arbeitsamt aus?

"Wir sind die letzten, die nicht mehr weiter schieben können", erklärt Jürgen Auer vom Sozialamt Rhein-Taunuskreis, das ein ähnliches Modell ausprobiert. "Die Arbeitsämter haben immer noch uns, die letzte Sicherung am Rande des Sozialstaats." Wenn aber die Sozialhilfe zum Dreh- und Angelpunkt von Beschäftigungspolitik wird, verschiebt sich das Gleichgewicht innerhalb des Systems weiter: Nicht einmal jeder zweite Bezieher von Sozialhilfe ist überhaupt arbeitslos, die andere Hälfte verdient entweder trotz Job zu wenig oder ist zu jung, zu alt, chronisch krank, behindert alleinerziehend und kann nach allgemein anerkannten Wertmaßstäben gar nicht arbeiten. In Bremen sind gerade mal elf Prozent der 51 015 Sozialhilfebeziehern arbeitsfähig, zumindest die anderen 89 Prozent bräuchten mehr persönliche Dienstleistungen, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. In den Plänen von Christine Wischer kommen sie nicht einmal vor.