Barbiere von Sevilla rasieren die Telefonica

Mit ungewöhnlichen Aktionen protestieren die Angestellten der spanischen Telefongesellschaft gegen Rationalisierungen

Sektkorken und Silvesterböller knallen auf der Plaza Nueva - in der andalusischen Millionenstadt Sevilla wird der Beginn des neuen Jahres gefeiert. In der Mitte des Platzes jedoch fällt der Jubel bescheidener aus. In einem notdürftig zusammengeflickten Zelt versammeln sich die von Entlassung bedrohten Angestellten der Relsa, einer Subfirma der bislang staatlichen Telefongesellschaft Telefonica, mit ihren Familien und Unterstützern. Ältere Frauen sitzen bedrückt in ihren Campingstühlen, und auch die Freude der übrigen wirkt beim Schlürfen des Solidaritätssektes aus Pappbechern etwas aufgesetzt.

Im Zuge der Privatisierung werden das Großunternehmen Telefonica und die angeschlossenen Subfirmen umstrukturiert. Seit Jahrzehnten hatten Beschäftigte der Firma Relsa alle Telefonzellen in Sevilla gewartet und die Münzfernsprecher geleert. Um die Kostenstruktur zu straffen, hat Telefonica nun entschieden, die bisher von Unternehmen wie Relsa nebenbei mit erledigten Reinigungsarbeiten einer anderen Firma zuzuschanzen. Im Zuge der schrittweisen Umstellung der öffentlichen Fernsprecher auf Kartenbetrieb sind vorerst ein Drittel der Relsa-Angestellten von Kündigung bedroht. Sozial abgesicherte Arbeitsplätze werden vernichtet, um durch saisonale Leiharbeiter der Reinigungsfirma Palten ersetzt zu werden.

Gewerkschaftlich gut organisiert, wissen sich die Arbeiter von Relsa zu wehren. Was als Werksbesetzung am Rande von Sevilla begonnen hatte, mündete in eine seit 100 Tagen währende Dauerkundgebung auf dem zentralen Platz vor dem Rathaus. Quer durch die spanische Presse gingen die Aktionen der trabajadores de cabinas telefonicas - mittlerweile existiert in der Stadt der Expo 92 so gut wie kein funktionierendes Kartentelefon mehr. "Das sind Dinge, die passieren", zwinkert Francisco Gallardo, einer der in der Gewerkschaft CC.OO. (Comisiones Obreras) organisierten Aktivisten.

"ÁYa basta!" - "Jetzt reicht's!" prangt mit der Darstellung der Zusammenhänge um die Relsa auf Flugblättern flächendeckend an allen städtischen Telefonzellen. Mit Aufklebern wird die Bevölkerung aufgefordert, beim Telefonieren Münzen zu verwenden und Kartentelefone zu boykottieren, weil dies System die Arbeitsplätze vernichte. Mit Sabotageakten wurde dem Boykott etwas nachgeholfen: Geschickte Hände haben die Schlitze fast aller Kartentelefone der Metropole unbrauchbar gemacht. Einstige Telefonzellen sind oftmals nur noch Zellen - die Telefone fehlen. Statt dessen finden sich Aufkleber der Gewerkschaft CC.OO., die auf Initiative der Kommunistischen Partei (PCE) 1961 im Untergrund entstanden war und nach dem Tode Francos ihre Hochburgen an denselben Orten etablieren konnte, die vor dem Bürgerkrieg die Anarchosyndikalisten von der CNT dominiert worden waren.

"Sevilla roja" - mittlerweile nicht mehr ganz so rot, auch hier stellt die konservative Regierungspartei PP (Partido Popular) im Stadtparlament die Mehrheit. In den CC.OO. dominieren in Sevilla dennoch die "criticos", die sich von dem Schmusekurs ihrer Gewerkschaftshierarchie hin zur Ex-Regierungspartei PSOE distanzieren. Die Verkündigung "sozial verträglicher" Entlassungen wurde vom Streikkomitte bei Relsa mit einem 41tägigen Hungerstreik beantwortet. Großformatige Transparente sind quer über den Platz gespannt, im Streikzelt halten vollbärtige Gewerkschaftler die Aktivisten mit Geschichten von vergangenen Kämpfen bei Laune.

Als symbolträchtigen Akt des Widerstandes gegen neoliberale Willkür begreift Andres Madue-o die Kampagne. Der Präsident des Streikkomitees von Relsa bringt seine volle internationale Streikerfahrung ein: "20 Jahre war ich im Ruhrgebiet aktiv, dann wurde ich wohl zu unbequem - sie haben mich aus der Gewerkschaft geworfen."

Die hartnäckige Haltung der Streikenden, sich nicht mit Scheinlösungen abspeisen zu lassen, ist ungebrochen. "Wenn die laufenden Verhandlungen wieder scheitern, werden wir uns was Neues ausdenken!" kündigt Francisco Gallardo schon einmal entschlossen an.