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Die verspätete Nation

Frankreich und der Holocaust.

Vielleicht hat Daniel Goldhagen doch nicht so unrecht, wenn er die Nachkriegsdeutschen lobt, weil sie sich sehr intensiv mit dem Holocaust auseinandergesetzt haben. Im Vergleich zu Frankreich stimmt dies ohne Zweifel. Eine nennenswerte Holocaust-Forschung gibt es dort nicht. In der Öffentlichkeit ist dies noch nicht einmal bemerkt worden. Die allgemeine Diskussion über die Frage, ob der Holocaust einen "Zivilisationsbruch" darstellt und generell ein singuläres Ereignis war oder nicht, ist in Frankreich kaum rezipiert worden. Dabei waren auch die Franzosen betroffen. Es waren französische Polizisten, die französische Juden verhafteten und an die Deutschen auslieferten. Es war die Vichy-Regierung, die im unbesetzten Frankreich Konzentrationslager für Juden und, was immer wieder übersehen wird, auch für Sinti und Roma errichtet hat. Diese sorgfältig gehüteten nationalen Tabus werden eigentlich erst heute durchbrochen.

Warum diese Verspätung? Die Gründe sind vielfältig. An erster Stelle ist auf die bis weit in die siebziger Jahre zu beobachtende prokommunistische Einstellung vieler französischer Intellektueller zu verweisen, die sie veranlaßte, das Schicksal der ermordeten Juden als weniger wichtig als das der Kommunisten anzusehen. Hinzu kam eine sehr undifferenzierte Parteinahme für die Sowjetunion. Daß auch Stalin Verbrechen begangen hat, haben viele französische Linke erst am Ende der siebziger Jahre zur Kenntnis genommen, nachdem Alexander Solschenizyns autobiographischer Bericht über den "Archipel Gulag" einen regelrechten Schock auslöste, der als "Gulag-Schock" in die französische Geistesgeschichte eingegangen ist. Erst jetzt fanden französische Antikommunisten wie Raymond Aron, Jean-Fran ç ois Revel, Boris Souvarine u. a. Gehör und Anerkennung. Erst jetzt wurde auch die bis dahin völlig negierte westliche Totalitarismus-Diskussion rezipiert und zugleich radikalisiert, in der der Holocaust kaum vorkam.

Ein ziemlich spätes Beispiel ist das Buch von Fran ç ois Furet, das im letzten Jahr in Deutschland unter dem Titel "Das Ende der Illusion" herauskam. Furet rechnet hier mit der prokommunistischen Parteinahme vieler französischer Linker ab, zu denen er selber gehörte, da er erst 1956 aus der KPF austrat. Dies kann man verstehen. Keineswegs verständlich, sondern scharf zu kritisieren ist seine Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus, wobei letzterer nur eine "Reaktion auf den Kommunismus" gewesen sein soll. Die Ähnlichkeit mit Noltes Thesen ist nicht zufällig, sondern gewollt. Furet gibt dies nicht nur zu, sondern lobt Nolte ausdrücklich, weil dieser das "Verbot eines Vergleichs von Kommunismus und Nazismus durchbrochen" habe. Dies ist schlicht Unsinn. In der (alten) Bundesrepublik sowie in einigen anderen westlichen Ländern hat es statt dessen ein im Zeichen der Totalitarismus-Doktrin stehendes Vergleichsgebot gegeben, das jetzt aus der Rumpelkammer des Kalten Krieges wieder aufs tagespolitische Tapet gebracht wird.

Furet bringt diesen Vergleich auf die platte Formel: "Stalin bringt im Namen des Kampfes gegen das Bürgertum Millionen von Menschen um, Hitler rottet im Namen der Reinheit der arischen Rasse Millionen von Menschen aus." Doch warum? Darauf weiß Furet keine zufriedenstellende Antwort. Reduziert er doch den nationalsozialistischen Antisemitismus auf dessen angebliche Funktion, wenn er meint , daß "der Jude (Ö) die Inkarnation der beiden Feinde des Nationalsozialismus, des Bürgers und des Bolschewiks", gewesen sein soll.

Nein! Die Juden wurden als Juden und nicht als "Inkarnation" von irgend etwas anderem ermordet. Der Bedeutung des Holocaust wird Furet in keiner Weise gerecht. Ihm widmet er auch nur drei Seiten seines dicken antikommunistischen Wälzers. Für die deutsche Schulddiskussion hat er nur Spott und die Vermutung übrig, daß "den Deutschen kein anderer Ausweg aus dem Krieg als die ideologische Buße" geblieben sei.

Furet war dazu ausersehen, das Vorwort zu dem neuen "Schwarzbuch" über den "roten Holocaust" zu schreiben. Sein Tod hat ihn daran gehindert. Für Furet sprang der Nolte-Fan Stéphane Courtois ein, der ganz im Stile Noltes die faschistischen und kommunistischen Verbrechen nicht nur gleichsetzt, sondern mit Hilfe einer wirklich aberwitzigen Rechnerei die Zahl der dem kommunistischen Terror zum Opfer gelallenen Menschen auf 100 Millionen addiert und gleichzeitig - wiederum ihne jeglichen Beweis - meint, daß Hitler und die Deutschen schließlich 'nur' 20 Millionen umgebracht hätten. Nicht genug damit, macht er sich Noltes 'Argument' zu eigen, wonach die "Spezifizität des Völkermordes an den Juden" allein in der in Auschwitz angewandten "industriellen Tötungsmethode" liege. Wenn er dann noch die, wie es völlig verharmlosend heißt, "Nazirazzien gegen Juden und Zigeuner" mit der Deportation der "Wolgadeutschen" vergleicht, ist das Maß wirklich voll.

Diese Radikalisierung der Totalitarismus-Theorie, die mit einer vergleichenden Trivialisierung des Holcaust verbunden ist, wird mit Sicherheit nicht nur den Beifall von französischen Rechtsradikalen wie Le Pen, sondern auch deutscher rechter und revisionistischer Historiker finden, denen es gerade gelungen ist, Goldhagen wie einen Schuljungen in die Ecke zu stellen (Jungle World, Nr. 48/97).

Daher sind diese querelles de France auch für uns wichtig. Dieser neue französische wird nämlich auch den vergangenen deutschen "Historikerstreit" wieder anfachen. Warum und wie? Weil der noch während des Historikerstreits fast einhellig abgelehnte Vergleich der deutschen mit den Verbrechen anderer heute fast allerorten betrieben wird. Dabei geht es keineswegs mehr nur um Hitler und Stalin, auch Honecker wird jetzt mit Hitler verglichen. Bautzen habe Ähnlichkeit mit Auschwitz, und die Stasi soll viel effektiver und schlimmer als die Gestapo gewesen sein, etc. etc.

Wer das Gegenteil behauptet und den allseits geforderten und gleichzeitig bereits gefeierten "Sieg" der Totalitarismus-Theorie nicht anerkennen will, dem wird einfach eine prokommunistische Haltung unterstellt. Der Historiker Heinrich August Winkler von der Humboldt-Universität hat in diesem Zusammenhang gerade in der Zeit beklagt, daß das "Geschichtsdeutungsmonopol der SED" noch in den "Köpfen vieler Ostdeutschen" herumspuke. Gegen dieses deutsche Gespenst soll das französische "Schwarzbuch" helfen, das Winkler noch aus zwei weitern Gründen lobt. Einmal, weil es den bereits erwähnten "Vergleich zwischen 'linkem' und 'rechtem' Totalitarismus" herausfordere, zum anderen, weil wir nun aufhören könnten, Noltes "Fragen pauschal für erledigt oder gar für moralisch unzulässig zu erklären".

Rudolf Walther hat seine Rezension des "Schwarzbuches" mit der Überschrift "Nolte läßt grüßen" versehen. Dies greift zu kurz. Nolte läßt nicht nur "grüßen", er kann mehr und mehr triumphieren, weil er mit diesen französischen Hilfstruppen den Historikerstreit doch noch zu gewinnen scheint.