In eins nun die Hände

Lean Labour auf dem Vormarsch

Zum sogenannten Organisationsentwicklungsprozeß der IG Metall ein Gespräch mit dem Bezirksleiter Küste, Frank Teichmüller

Die Schutz- und Gestaltungsbedürfnisse der Mitglieder müssen nach Selbsteinschätzung der IG Metall auf vier Feldern befriedigt werden: in der Tarifpolitik; der Betriebsarbeit; innerhalb der Wirtschafts-, Industrie- und Strukturpolitik und der Sozialstaatspolitik. Dafür hat die IG Metall auf ihrem 17. Gewerkschaftstag 1992 beschlossen, den sogenannten Organisationsentwicklungsprozeß - was immer das sein mag - einzuleiten. Dazu heißt es in einem Arbeitspapier: "Innerhalb jedes dieser Handlungsfelder muß sich gewerkschaftliche Politik inhaltlich und organisatorisch radikal erneuern, um den veränderten Herausforderungen am Ende des 20. Jahrhunderts gerecht zu werden."

Frank Teichmüller, Bezirksleiter der IG Metall Küste, geht das alles nicht schnell genug. "Angesichts der Vielzahl von Diskussionsbeiträgen wächst die Spannung, ob wirklich eine durchgreifende Reform gewollt ist", schreibt er. Im Gespräch mit Jungle World bemängelte er, daß das Versenden von Unmengen Papier zwar Beteiligung suggeriere, dabei aber eines ausgeblendet werde: die Existenz von Machtstrukturen. "Die Tatsache, daß die Verteidigung von Erbhöfen unausweichlich Teil jedes Veränderungsprozesses ist, wird nicht reflektiert." Wichtige Fragen, wie die Größe der Frankfurter IG Metall-Zentrale oder eine effektivere Dezentralität wären zwar latent vorhanden, aber nicht konkret diskutiert. "Zuwenig radikal" sei ihm die ganze Diskussion, "ich habe Angst, daß uns die Zeit wegläuft", sagt er. "Da die Frage, wohin wir wollen, zu allgemein, zu nebulös oder nicht beantwortet wird, ist das Finden von konsensfähigen Veränderungsschritten in der Regel darauf reduziert, daß nur effektive Fehlentwicklungen übereinstimmend festgestellt werden, so daß sich das Projekt auf Fehlerbeseitigung reduziert", schreibt er in seiner Analyse zur Organisationsentwicklung.

Die eingeleiteten Zusammenschlüsse der Gewerkschaften vollzögen sich, ohne daß sich die daraus ergebenden gewerkschaftsbundähnlichen Strukturen vorab diskutiert wurden, kritisiert Teichmüller die Vereinigung der IG Metall mit der Holz- und Textilgewerkschaft. Grundsätzliche organisatorische Veränderungen wären ihm lieber gewesen. Immerhin träfen mit GTB und GHK unterschiedliche Organisationen und Kulturen auf die IG Metall, die man nicht so ohne weiteres vereinheitlichen könne: "Wir werden schon Probleme bekommen - ähnlich wie sie die ÖTV mit ihren sehr unterschiedlichen Branchen hat, darauf sind wir noch nicht so richtig vorbereitet."

Zusammenfassend sagt Teichmüller, um die Durchsetzungskraft der IG Metall zu stärken, sei mehr Dezentralität notwendig. Er plädiert für eine Verschlankung der Frankfurter Zentrale, eine Neudefinition der Bezirke - seines Erachtens seien diese lediglich "Außenstellen" des Vorstands - und eine Stärkung der Verwaltungsstellen, weil hier die Nähe zum Mitglied sei und die IG Metall hier ihre Kraft entfalten muß. Dann sagt er aber auch, daß "effektive Strukturen" noch lange kein Garant für eine "richtige Politik" seien, im Gegensatz dazu aber falsche Strukturen die richtige Politik behinderten. Auf jeder Ebene der IG Metall werde um das politische Überleben - was legitim sei - gekämpft, aber dann müsse auch gesagt werden, woher die Gelder zur Aufrechterhaltung der Strukturen genommen werden sollen.

Wer interessiert sich von den Mitgliedern überhaupt für die Organisationsreform? Teichmüller bestätigt, daß die Debatte in erster Linie eine Debatte von hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären sei. "Doch die Auswirkungen der Organisationsreform spüren die Mitglieder sehr schnell. Alle sind sich einig, daß die Betreuung besser werden soll, wie das aber organisiert werden soll, darüber wird mit den Mitgliedern zuwenig geredet". Das Entscheidende wird nach Teichmüllers Ansicht sein, daß die Ebene, wo das Mitglied die Organisation erfährt, in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt werden muß: "Das ist nun mal der Betrieb, zumindest da, wo wir noch echte Betriebsstrukturen haben. Da haben wir aber auch das Problem, das wir durch die Auseinandersetzungen der letzten Jahre zunehmend in einen Konflikt Betriebsräte kontra Gewerkschaften gedrückt werden." Die Mitglieder dürfen ihre Gewerkschaft nicht nur durchs Fernsehen oder die Zeitung mitbekommen, sie müssen mit ihrer Organisation in Kontakt sein, sagt Teichmüller und plädiert in diesem Zusammenhang für eine stärkere betriebliche Orientierung der Tarifpolitik.

Die Rolle des DGB in der Organisationsdebatte beurteilt Teichmüller skeptisch, sagt aber auch, daß die Mitgliedsgewerkschaften wohl Probleme haben, den DGB als "politisches Dach" anzuerkennen. Im Prinzip mußte der DGB den Organisationsprozeß organisieren. Zum Beispiel könnte der Dachverband dafür sorgen, daß Verwaltungsjobs - "für die Mitglieder sind diese Jobs nicht so interessant" - vernünftig und kostengünstig vereinheitlicht werden: "Man leistet sich den Unsinn, alles nebeneinander her zu machen." Durch das sich drehende Fusionskarussell sieht Teichmüller die Gefahr, daß der DGB ruiniert werde: "Dann muß man ihn wieder neu aufbauen. Die fusionierten Gewerkschaften werden nicht jeder für sich alleine zurechtkommen, sie werden sich einen DGB neu schaffen müssen, nachdem sie den alten ruiniert haben."