Hack- und Schlachtordnung in der EU

Mit einem Thema hat die wieder aufgeflammte BSE-Diskussion ganz sicher nichts zu tun - mit Gesundheitsschutz

Sind Sie mit mir einer Meinung, daß man die Zutaten für ein Rindergulasch oder das Beefsteak besser nicht im Supermarkt kauft? Mal abgesehen von der Fleischqualität, denke ich dabei an die in diesen Läden übliche bewußt unaufdringliche Kaufanregung, bei der einem schon von den sanften Schlagern, mit denen sie unterlegt ist, schlecht wird. Zwar läßt sich manches überhören, aber ganz zuklappen kann man die Ohren nicht. Und so ist meine Schmerzgrenze spätestens dann überschritten, wenn die Fleischware mit der Behauptung angepriesen wird, sie stamme ausschließlich von "deutschen Jungbullen". Wenn Sie sich in dem Fall also auch eher für eine Pizza entscheiden oder den Ekel lieber mit einem Bordeaux oder besser gleich mit einem Osborne wegspülen, gehören Sie einer mikroskopisch kleinen Minderheit in diesem Land an - das beweist der durchschlagende Erfolg dieser Werbestrategie.

Seit anderthalb Jahren können Sie in ganz Europa kein english beef mehr kaufen, es sei denn, es wurde infamerweise von - so Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) - "international operierenden Betrügern", also den aus anderen Zusammenhängen schon bekannten sogenannten Schlepperbanden über die Grenze geschmuggelt. Dann ist das sich hier illegal aufhaltende Vieh, bzw. sein Kadaver, aber falsch deklariert, wie ein durch eine Delegation der EU-Kommission jüngst aufgedeckter Fall bestätigt - wie man sich aber auch selbst hätte denken können.

Sie können sich also nie ganz sicher sein, ob Sie gerade eine original britische Kuh verspeisen oder ob das Biest letztlich doch, wie der Stempel behauptet, nur deutscher Abstammung ist. Da hilft es Ihnen wenig, daß Sie das Steak getreu nach "englischer Art", wie es hierzulande heißt, zubereitet haben, schließlich kommt es hier nur auf die Herkunft an.

Seehofers Urangst geht selbstverständlich in die umgekehrte Richtung - daß ihm überhaupt britisches Fleisch auf den Tisch kommen könnte, egal wie es nun gerade deklariert ist. Und sie kommt nicht von ungefähr: Auf der Grundlage einer nur oberflächlichen Recherche, die Mitte September in Deutschland durchgeführt wurde, konnten bereits drei Fälle von BSE-verdächtigem Fleisch nachgewiesen werden. Was könnte da bei gründlicheren Nachforschungen noch alles herauskommen?

Schuld an der Schlamperei seien die Veterinärbehörden der Bundesländer, so Seehofer. Die hätten die Herkunftskontrollen nicht ordnungsgemäß durchgeführt. In einem Fleischhandel im schleswig-holsteinischen Kaltenkirchen stießen die EU-Kontrolleure sogar auf offensichtlich gefälschte Stempel. Demnach bescheinigten die Lieferpapiere einer Ladung von 430 Tonnen Fleisch eine deutsche Herkunft, obwohl sie aus dem als BSE-Herd verdammten Irland stammte. Der täglich in dem Betrieb anwesende und nun wohl bald arbeitslose Tierarzt will davon nichts gemerkt haben. Guten Appetit!

Die Aufdeckung dieser Vorgänge habe die deutsche Position in Brüssel geschwächt, beschwerte sich der Gesundheitsminister. Denn die Bundesregierung könne nicht schärfere Kontrollen seitens der britischen Behörden fordern, wenn sich herausstelle, daß man "den eigenen Laden nicht im Griff hat". Etwaige gesundheitliche Gefährdungen schienen ihm dagegen relativ gleichgültig.

Das ist konsequent, denn beim Thema BSE geht es seit eh und je um die deutsche Position auf dem europäischen Fleischmarkt. Und deshalb ist die Herkunft entscheidend. Die kränkelnde deutsche Fleischindustrie hatte sich den Erreger Anfang 1996 als gefundenes Fressen angeeignet, weil er ihr die günstige Gelegenheit verschaffte, ihren Marktanteil auf Kosten des britischen auszuweiten.

Auf dem Öl-Sektor hatten zuvor schon andere die Erfahrung gemacht, daß Öko-Themen dazu prädestiniert sind, die heimischen Konsumenten zu mobilisieren. Ordentlich gewürzt mit anti-britischen Akzenten läßt sich so schnell eine nationale Kampagne auf die Beine stellen, wobei sich das schon traditionelle Bündnis zwischen Industrie und alternativen Industrieskeptikern als besonders innovativ erweist. Mit diesem Streich wurde die gesamte britische Fleischindustrie, die bis dahin mehr als vier Fünftel ihrer Erzeugnisse in der EU verkauft hatte, binnen kürzester Zeit lahm gelegt.

Interessant daran ist nicht zuletzt, daß dieser zweifelsfreie geschäftliche Erfolg auf einer rechtlichen Grundlage errungen wurde, die beispielsweise von der Welthandelsorganisation WTO, deren Mitglied auch die EU ist, nicht akzeptiert wird. Die verlangt nämlich eindeutige wissenschaftliche Begründungen, bevor sie Handelsverbote verhängt. Und für die Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen liegen diese bislang nicht vor.

Im August hat die WTO deshalb ein 1989 gegen hormonbehandeltes Fleisch aus den USA verhängtes EU-Importverbot zurückgewiesen. Anfang September kündigten die US-Händler eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen eine Entscheidung der EU zum Verbot der Einfuhr von Rindertalg an.

Wie wenig der aktuelle Fleisch-Protektionismus tatsächlich mit Gesundheitsfragen zu tun hat, geht indirekt auch aus einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO vom August hervor. Demnach müßten die bislang weltweit 21 Frauen und Männer, die möglicherweise im Zusammenhang mit BSE verstorben sind, den allein in den USA rund 9 000 jährlichen Opfern anderer Fleischvergiftungen gegenübergestellt werden. Der Spitzenreiter unter den im Fleisch versteckten Killern ist das E.coli Bakterium 0157:H7, eine erstmals 1982 entdeckte vermutliche Kreuzung eines harmlosen E.coli-Bakteriums mit dem gefährlichen Krankheitserreger Shigella Disentaria - ein Produkt der Gentechnologie. Der Bericht enthält auch eine Bemerkung für die an der BSE-Front besonders emsigen Vegetarier und Naturkost-Liebhaber: Der Anteil von Erkrankungen durch pflanzliche Lebensmittel nimmt kontinuierlich zu. Pasteurisierung könnte die Erreger bei einer Vielzahl von Lebensmitteln abtöten. "Würde die Produktion von Käse mit Rohmilch gestoppt", so der Bericht, "würde die Zahl der Erkrankungen durch vergiftete Lebensmittel weltweit substantiell abnehmen."